Archiv für März 2022

Journal Donnerstag, 24. März 2022 – Weher Finger

Freitag, 25. März 2022

Schlimme Nacht, nach drei schlief ich erstmal gar nicht mehr, war aber zu erledigt zum Lesen.

Meine übermüdete Benommenheit mag auch daran schuld gewesen sein, dass ich den Arbeitstag mit einem blutigen Malheur in der Teeküche startete: Ich schnitt mich ordentlich in den Zeigefinger, oder wie ich es im Arbeitsunfall-Formular dokumentierte:

Zum Glück war jemand da, die mir helfen konnte, zum Glück war der Verbandskasten gut gewartet. (AUA.)

Habe ich das also auch mal durchgespielt, zum Glück in harmloser Variante. Die Wunde schmerzte und blutete dann überraschend intensiv und lang.

Mittags Drei-Gänge-Menü: Restliche Linsen von Dienstagabend, Quark mit Joghurt, Mandarinen. Der Schnitt hatte endlich aufgehört zu schmerzen.

Nachmittags lernte ich unter anderem Kniffe zur Serienbrief-Erstellung in Word/Excel von jemandem, die sowas als Schulunterricht mit Prüfung durchgenommen hatte. (Möglicherweise sind Serienbriefe das zentrale Herrschaftswissen eines Sekretariats.) Nachmittags lichtete sich meine bleierne Müdigkeit nur kurz, ich machte früh Feierabend mit Visionen von einer Runde Schlaf vor dem Abendessen.

Draußen weiterhin wolkenlose Sonne. Tagsüber ist es auch dieses Jahr für März zu warm; ich hoffe, dass zumindest der nächtliche Frost die Obstbäume vom vorzeitigen Blühen abhält.

Kurzer Einkaufsabstecher beim Vollcorner, daheim legte ich mich tatsächlich erst mal hin und schlief kurz ein.

Eine Yogarunde mit lediglich ein wenig Dehnen, nach der Hälfte gab meine innere Ungeduld auf und fand sich drein, dass es keinen Sport geben würde.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltamsell Teile des frisch geholten Ernteanteils als Salat und Kartoffel-Sahne-Käse-Auflauf, danach viel Süßigkeiten.

§

Aufschlussreicher Video-Essay über einen Topos von Kinofilmen:
“The Ethics of Looking And The ‘Harmless’ Peeping Tom”.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/MeSiwHnV5L0

via @giardino

Jonathan McIntosh analysiert die typischen Szenen, in denen männliche Filmfiguren sich den Anblick von Frauen erschleichen, die sich sicher und unbeobachtet fühlen, was das über den male gaze aussagt und über Dominanz.

§

Es ist sehr klasse, dass Nicole Diekmann seit einer Weile auch bloggt (minder klasse, dass sie wegen Corona-Infektion überdurchschnittlich viel Zeit dafür hatte). Diesmal schreibt sie darüber, warum sie echt nicht mit Annalena Baerbock tauschen möchte.

Lob auch für den perfekt passenden Hilde-Knef-Schnipsel, der mich daran erinnerte, welche Ausnahme-Künstlerin Knef war und dass ich ihren Geschenkten Gaul nochmal lesen wollte, 40 Jahre nach Erstlektüre aus der Stadtbücherei.

§

Praktische Lebenshilfe: Wie man eine Ente hochhebt.

Journal Mittwoch, 23. März 2022 – Müde aber geschäftig

Donnerstag, 24. März 2022

Unruhige Nacht mit vielen Aufwachen, u.a. mit Krämpfen. Müder Morgen.

Diesmal hatte ich mich den ganzen Dienstag über darauf vorbereitet, dass gestern erst Mittwoch war, ich trug den Umstand tapfer.

Wieder Raureif auf der Theresienwiese, aber die Magnolie auf der Westseite macht weiter.

Der Morgen begann im Büro erst mal hektisch, weil der Vormittag mit Schulung und Besprechung voll war.

Mittags gab es ein paar Löffel Linsen vom Vorabend, Grapefruit mit Joghurt, ein Glas Haselnussmilch (auf Empfehlung der Nichte besorgt – schmeckt sehr gut, doch der Test als Cappuccino-Milch war nicht überzeugend).

Auch der Nachmittag verlief intensiv, um vier war ich eigentlich fix und fertig – aber der Arbeitstag noch nicht rum.

Eine weitere Reihe Fenster für den Neubau am Heimeranplatz.

Nach endlich Feierabend spazierte ich durch milde Luft (der Tag war wolkenlos gewesen, Menschen saßen mittags mit baren Armen in der Sonne) zum Süpermarket Verdi und kaufte noch fürs Abendessen ein.

Daheim aber erst mal Bettüberziehen, dann eine Runde Yoga: Viel Stabilitäts- und Balance-Übungen, ich fiel möglichst achtsam um.

Herr Kaltmamsell war online verabredet, das Abendessen kochte ich: Orecchiette mit Brokkoli und roter Paprika. Es zeigte sich, wie gut es ist, dass abends Herr Kaltmamsell in unserer Küche steht. Nicht nur bin ich ausgesprochen ungeschickt: Ich kann mich auch bis weitaus jenseits der Lächerlichkeit darüber aufregen. Fast hätte ich gar keinen Appetit fürs Essen aufgebracht. Aber dann reichte er auch noch für Süßigkeiten zum Nachtisch.

Küche säubern, Wäsche aufhängen, Blumen gießen – dann hatte ich endlich frei.

§

Gute Zusammenfassung von Wolfgang Janisch in der Süddeutschen zur deutschen Rechtsprechung bei spezifisch sexistischem Hass im Netz (€):
“Hass im Netz:
Habt euch nicht so”.

Die sozialen Medien haben das böse Spiel mit der Beleidigung, in dem es schon immer um Macht und Herabsetzung ging, entscheidend verschärft. “Die Zunahme von Hass im Netz hat die wissenschaftliche und kriminalpolitische Debatte grundlegend verändert”, schreibt die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven in der Neuen Juristischen Wochenschrift.

Das Schlüsselwort, um das es Hoven geht, lautet “Silencing”. Der Hass im Netz ist zum Instrument der Unterdrückung geworden, mal hat er rassistische, mal schwulenfeindliche, mal nationalistische Wurzeln. Gegen Frauen richtet er sich in einer spezifisch sexistischen Weise, ganz sicher nicht zufällig in dem historischen Moment, in dem Frauen nachdrücklich ihre gleichberechtigte Teilhabe einfordern. Verächtliche Zoten mögen so klingen wie früher, aber ihre Wirkung verändert sich. “Beleidigungen im Internet sind nicht länger die private Angelegenheit des einzelnen, sondern stellen eine Bedrohung für den freien öffentlichen Meinungsaustausch dar”, schreibt Hoven. Das Private ist nicht länger privat. Es ist politisch.

§

HACHZ! Der Bund Naturschutz hat meinen Traum von einer Münchner Sonnenstraße der Zukunft durchgedacht, mit Promenade und viel Platz für Fuß- und Radverkehr! Und planen lassen. Er nennt das Ergebnis:
“Munich Central Park – der Park im Herzen der Stadt”.

§

Möchten Sie ein paar völlig unspektakuläre Sekunden Kakapo sehen, der nach Gesundheitsproblemen zurück in die Wildnis entlassen wird? Bitteschön.

Journal Dienstag, 22. März 2022 – Die geliehene Figur

Mittwoch, 23. März 2022

Trotz dreimal Aufwachen fühlte sich der Schlaf tief und erholsam an, ich genoss ihn.

Draußen war’s wieder Raureif-frostig, derzeit schwanken die Temperaturen 16 Grad über den Tag. Und ich bin endgültig klimakaputt: Der Blick auf die weiterhin durchwegs sonnige Vorhersage freut mich nicht, weil es viel, viel zu trocken ist.

Was schön ist: Wenn’s mir gut geht, ich wie gestern morgens in der Arbeit den Turbo zuschalte und bis zur ersten Besprechung um 9.30 Uhr bereits das Pensum eines ganzen Arbeitstags weggewirbelt habe. (Nachdem ich am Vortag morgens vor einem ähnlichen Pensum gestanden war, aber vor lauter Überforderungsgefühl fast geweint hätte. Weil’s mir halt nicht gut ging.)

Mittags Banane, Orangen, Vollkornbrot mit Butter.

Nach Feierabend marschierte ich direkt heim, Herr Kaltmamsell hatte schon alles von unserer Einkaufslisten-App (Remember the milk RTM) eingekauft.

Beim Heimkommen überraschte ich Herrn Specht (männl. weil roter Fleck im Nacken) auf dem Balkon, der sich ordentlich reinhängte.

Eine Runde Yoga mit vielen Rumpfübungen (und vielen Lebensermahnungen, hmpf). Das Abendessen servierte wieder Herr Kaltmamsell, ich bekam LINSEN! mit Karotten und gebratenem Chorizo. Außerdem hatte er ein Rezept für gebratene Bulgurbällchen ausprobiert: Waren knusprig und locker, verlangten aber geschmacklich nach einer Sauce.

Confession Time: Ich muss mich davon abhalten, viel zu viel Geld für unnötige Kleidung auszugeben. Durch meine Appetitarmut seit fast einem Jahr habe ich seit ein paar Monaten eine Konfektionsgröße, in der mir sehr viele Kleidungsstücke stehen, die ich schön finde. Und die seit ca. 2002 an mir nie so ausgesehen hatten, wie ich das gerne gehabt hätte. Während ich diese Kleidungsstücke also 20 Jahre lang lediglich bewundert hatte, will ich sie jetzt auch haben und tragen. Wo ich doch sonst gar nicht gerne Sachen habe. Und obwohl ich doch weiß, dass diese Konfektionsgröße lediglich eine kurzlebige und vorrübergehende Angelegenheit ist. Es ist, als hätte man mir einen Figur ausgeliehen, die der gesellschaftlichen Norm-Schönheit für Frauen meines Alters nahe kommt, und ich wollte so viel wie möglich aus ihr rausholen, bevor ich sie wieder zurückgeben muss. Zum Beispiel bin ich SO kurz davor, in den Levis-Laden in der Sendlinger Straße zu gehen und nach einer 501 zu fragen – für 80er closure. Auch deshalb ist Body-Egalness ein erstrebenswertes Ziel.

Im Bett las ich weiter in Gunters Menopause Manifesto. Interessanterweise hält die Autorin den englischen Ausdruck hot flushes für genauso unpassend wie ich die deutsche Entsprechung “Hitzewallung” (oder das bayerische “fliagate Hitz'”, also fliegende Hitze).

§

Nach (!) der Lektüre hatte ich gestern nach Rezensionen und Material zu Hanya Yanagihara, A little life recherchiert. Unter anderem war ich auf ein ausführliches Interview mit Yanagihara im Guardian von 2015 gestoßen:
“Hanya Yanagihara: ‘I wanted everything turned up a little too high’”.

Ein interessanter Abgleich meiner Lese-Erfahrung mit der Autorinnen-Absicht: Ja, dieses Von-allem-ein-bisschen-zu-viel war genau Yanagiharas Ziel, um das sie eigenen Aussagen zufolge auch gegen ihren Lektor kämpfte. Spannend fand ich auch, was sie sonst über den erzähltechnischen Hintergrund des Romanschreibens sagt, sie ist eine sehr reflektierte Schriftstellerin. (Und sehr viel spannender als das Bohren von Interviewer Tim Adams nach biografischen Wurzeln ihrer Kunst.)

Hier eine weniger wohlwollende Besprechung in der New York Times, die den Roman als “voyeuristic” bezeichnet (was für eine erfundene Geschichte ein seltsamer Vorwurf ist):
“Review: ‘A Little Life,’ Hanya Yanagihara’s Traumatic Tale of Male Friendship”.

Journal Montag, 21. März 2022 – Hanya Yanagihara, A little life

Dienstag, 22. März 2022

Es wäre mal wieder Zeit für eine gute Nacht, finde ich. Auf Montag gab es nach einem der vielen Aufwachen eine Pause, die mich fast zum Aufstehen und Lesen gebracht hätte, aber dann schlief ich doch wieder ein.

Ein herrlicher Morgen mit Mond über der Portalklinik. Und dann sah ich auch noch einen Specht an der Wasserschale auf dem Balkon trinken.

Am Sonntag hatte ich das Angebot der Nichte angenommen, ein Paar ihr zu großer Schuhe aufzutragen (mit 17 schwindet wohl die Hoffnung, ein Jahr nach dem Kauf irgendwie reinzuwachsen) – und nun besitze ich schlagartig die weißen Schnürschuhe, die ich für diesen Nichtwinter angepeilt hatte. Ich trug sie gestern gleich zu meiner roten Hose und schickte der Nichte ein Danke-Foto vom ersten Einsatz.

Vormittags war ich im Büro bleimüde bis zum Schwindel. Zumindest bekam ich nach 24 Stunden wieder Hunger, mittags gabe es Bananen, Hüttenkäse, Orange.

Der Bürotag bestand aus zügigem Arbeiten, draußen schien durch leichten Wolkenschleier die Sonne. Nach Feierabend stoppte ich beim Vollcorner für ein paar Einkäufe – und sah am Bavariaring die erste Zierkirsche in Blüte.

Zu Hause eine Runde Yoga, mittel angenehm, Balance war aus. Zum Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell den Topinambur aus Ernteanteil zu Suppe und servierte sie mit Topinambur-Chips, gebratenen Schinkenwürfeln, gebratenem Brot – sehr gut, als Suppe entfaltet Topinambur meiner Erfahrung nach am besten seinen Eigengeschmack. (Und unsere Bäuche können inzwischen beide gut mit dem Inulin darin umgehen, keine Bauchschmerzen mehr.)

Zum Nachtisch reichlich Süßigkeiten. Wäsche aufgehängt, ich hatte nach Yoga eine Maschine Dunkles gefüllt.

Im Bett begann ich ein neues Buch, das empfohlene Menopause Manifesto von Jen Gunter. Mal sehen, ob der Feminismus mehr als “Da muss man halt durch” zum Klimakterium weiß.

§

Ich kann Hanya Yanagiharas A little life um 35 Jahre Freundschaft von vier Männern empfehlen. Die vier lernen sich im Studium kennen, die Handlung begleitet ihre Verbindung mit geografischem Mittelpunkt in New York. Im Zentrum steht Jude, von dem es gleich zu Anfang heißt, dass er schwere körperliche Beschwerden hat und den anderen drei klar ist, dass er ausdrücklich nicht über ihre Ursachen sprechen möchte – worauf sie Rücksicht nehmen.

Die Lektüre des dicken Buchs nahm mich mit – aber aus anderen Gründen als “Trauma Porn”, was ihm hier vorgeworfen wurde. Mir ging vor allem der Selbsthass der Hauptperson nahe, dieser unausrottbare, einfach nicht wegliebbare und zerstörerische Selbsthass jenseits aller faktischen Wahrnehmung. Am schönsten aber fand ich den ausführlichen ersten Teil, der das Set-up entwirft und das Personal einführt.

Und was die Grausamkeiten betrifft, die substanzieller Bestandteil der Geschichte sind: Sie sind meisterlich indirekt erzählt, gerade die brutalen Passagen. Das Schlimme passiert in Auslassungen und damit nur im Kopf der Leserin. Was sehr direkt erzählt wird, sind die Auswirkungen aufs Opfer, das den Folgen nie wieder entkommt, dessen Seele zerstört ist. Ein paar mal wendet Yanagihara die Technik an, ein deutlich späteres Ereignis anzudeuten (foreshadowing), dann aber erst mal nach dem Ereignis weiterzuerzählen, zum Beispiel den Bruch von JBs Versprechen, Bilder von seinen Freunden zu mit deren Einwilligung auszustellen.

§

Hannah Gadsby hat eine Autobiografie veröffentlicht und aus diesem Anlass einen Artikel im Guardian geschrieben:
“Hannah Gadsby on her autism diagnosis: ‘I’ve always been plagued by a sense that I was a little out of whack’”.

Ihr ist wichtig:

Please stop expecting people with autism to be exceptional. It is a basic human right to have average abilities.

Auf Deutsch:
“Bitte hören Sie auf, von Autist*innen eine außergewöhnliche Persönlichkeit zu erwarten. Es ist ein Menschenrecht, ganz durchschnittlich behindert zu seine Fähigkeiten zu haben.”

I was told I was too fat to be autistic. I was told I was too social to be autistic. I was told I was too empathic to be autistic. I was told I was too female to be autistic. I was told I wasn’t autistic enough to be autistic

Interessant fand ich:

I am unable to intuitively understand what I am feeling, and I can often take a much longer time to process the effects of external circumstances than neurotypical thinkers.

No na, darin sind manche von uns Neurotypischen aber auch richtig schlecht. Ich verwende viel Energie darauf, wenigstens für meine Umwelt halbwegs konsistent und berechenbar zu erscheinen. (Nein, ich bin recht sicher nicht auf dem Spektrum. Sondern nur halt so. Ganz normal etwas seltsam.)

Journal Sonntag, 20. März 2022 – Familienfeier zu Vaters 80.

Montag, 21. März 2022

Wecker um sechs, denn wir hatten Pläne. (Bis dahin zerhackter Schlaf, ich fühlte mich beim Aufstehen erschlagen.) Zum Glück für die Pläne war auch dieser Corona-Selbsttest negativ.

Draußen ein weiterer herrlicher Morgen.

Wir stiegen in einen frühen Zug nach hinter Ingolstadt und spazierten vom Bahnhof Ingolstadt Audi zum Haus meines Bruders (der Bus, den es laut Fahrplanauskunft hätten geben sollen, fuhr laut Aushangfahrplan doch nicht an Sonntagen – nicht schlimm, nur 20 Minuten zu Fuß): Proben für Ständchen. Gestern war die Familienfeier zum 80. Geburtstags meines Vaters, und ich hatte “Todo cambia” von Mercedes Sosa als passendes Lied vorgeschlagen. Die hochmusikalische Bruderfamilie hatte sich nicht nur reingehört, sondern Neffe 2 hatte auch die Akkorde rausgehört und uns geschickt. Herr Kaltmamsell hatte Ukulele dafür geübt, Neffe 2 Gitarre, die Familie hatte sich eine Verteilung des Gesangs überlegt und geübt, und der eine sowie die andere “terzeln” ja auch nahezu aus dem Stand zu jeder Melodie und macht sie mehrstimmig. Und so gab es Frühstücksgetränke im sonnigen Wohnzimmer,  wir sangen das Stück ein paarmal durch.

Außerdem hatte die Bruderfamilie “¡Que viva España!” in “¡Que viva abuelo!” umgetextet, auf Vaters/Opas Lebensweg von Geburt in Madrid über Auswanderung als spanischer Gastarbeiter bis zu seiner Rolle als Vater und Großvater. Das probten wir auch durch – und stellten fest, dass wir das mit den Kastagnetten für eine Begleitung ein paar Jahrzehnte zuvor hätten lernen sollen (Neffe 1 versuchte einen YouTube-Schnellkurs, konnte mit dem Ergebnis allerdings nicht ganz überzeugen) (dabei würden Kastagnetten ausgezeichnet ins familiäre Percussion-Repertoire passen, sollte nachgeholt werden).

Zu Mittag trafen wir uns dann alle in einem schönen Lokal (Kastaniengarten, gerne für unsere Feiern genutzt ), es wurde zünftig gegessen.

Der Krautsalat schmeckte besonders gut: Er war mit Meerrettich angemacht, merke ich mir.

Fröhliche Unterhaltungen, auch wenn zwei Gäste wegen Krankheit ausfielen. Da wir als einzige Gesellschaft in einem Nebenraum saßen, konnten wir zum Nachtisch das Geburtstagsständchen ohne Rücksicht auf andere Gäste singen und musizieren. Es resultierte große Rührung. (Ist schon krass, diese supermusikalische Bruderfamilie immer wieder einfach so und auf diesem Niveau loslegen zu erleben.) Ich bedauerte allerdings, dass mein Vater seinen 80. Geburtstag nicht krachend mit richtig großer Feier im großen Freundeskreis feiern konnte (wie seinen 70. an nämlichem Ort) – Pandemie says no.

KaffeeundKuchen im Haus meiner Eltern, mit Mandelbaisertorte

und Amerikanischer Apfeltorte (ich schaffte nur Tee, später freute ich mich an einem Apfel). Weitere fröhliche Unterhaltungen.

Heimfahrt am Abend.

Die Bahn war recht voll, unter anderem mit einer Männergruppe mit Musikbeschallung und Mitgröhlen – ich hätte auch so das Pandemie-bedingte Aussetzen des Ballermann-Urlaubs nicht vermisst. (Zumindest folgten sie der Bitte, ihre Masken aufzusetzen – sonst war und ist die Maskendisziplin weiter sehr gut.)

Daheim geschäftiger Abend mit Häuslichkeiten, Körperlichkeiten, Vorbloggen.
Zu meiner Verwunderung hatte ich keinerlei Abendbrot-Hunger.

Im Bett las ich Hanya Yanagihara, A little life aus.

Journal Samstag, 19. März 2022 – Krampfkampf

Sonntag, 20. März 2022

Nach Milchkaffee gleich mal den Karottenkuchen mit Schoko-Frischkäse-Glasur überzogen (fast einmal im Monat nutze ich die eingebaute Mikrowelle ja doch: zum Schokoladeschmelzen).

Das ist die einzige Art Tortendeko, die ich kann: Expressionistisches Draufpatschen mit dem Gummihund.

Draußen schien die Sonne durch leichten Federwolkenschleier.

Ich probiere durchaus rum, wie ich die Krämpfe bei Sport und in der Nacht vermindern kann (der Nutzen von Magnesium kann leider nicht belegt werden – das erklärt, dass auch noch so große Mengen vor oder nach Sport oder Schlaf bei mir keinen Unterschied machten): Durch Yoga dehne ich praktisch eh täglich meine Waden, zwei Wochen täglich Blackroll hatten bislang keine Auswirkung, doch gestern holte ich meinen Igelball hervor und probiere jetzt mal die Fußunterseite. Der Ball wohnt jetzt unterm neuen Tisch und wird immer mal wieder herbeigerollt. Sollten Sie zu den Fachleuten gehören, die in genau diesem Gebiet forschen und/oder aktuelle und echte Forschung dazu kennen, würde mich Input sehr interessieren. (Aber nur dann, bitte keine persönliche Anekdoten, Einzelaussagen von Ärzt*innen/Apothekeri*nnen – die arbeiten fast nie in der Forschung – oder Marketing-Behauptungen.)

Während Herr Kaltmamsell seine Laufrunde drehte, machte ich mich fertig zum Schwimmen. Ich radelte hinaus ins Dantebad, wo die Sammelumkleide sehr voll war, die Schwimmbahn nicht mehr als vor einer Woche. Ich schwamm fröhlich und gelassen los, aber jederzeit auf Krämpfe gefasst, folgte dem Hinweis, den ich bei Krampfneigung gefunden hatte, und verkniff mir kraftvolles Abdrücken beim Wenden (das ich sonst sehr genieße). Diesmal machte nur einmal die linke Wade einen Krampfversuch, der von selbst nachließ, ich konnte mir 3.300 Meter im schönsten Sonnenschein gönnen.

Auf der Heimfahrt Einkäufe im Edeka, unter anderem ein paar Konserven, denn: Ich habe Herrn Kaltmamsell überredet, der bereits Sekunden nach Einkauf “Oh Gott, das muss weg!” denkt und Aufbrauchen plant, einen gewissen Bestand an Lebensmitteln vorzuhalten, der uns im Fall von gleichzeitiger Corona-Quarantäne ernährt oder bei Naturkatastrophen, z.B. wenn es auch kein Trinkwasser gibt, mit dem man Nudeln oder Hülsenfrüchte kochen könnte – oder keinen Strom dafür. Wir sorgen jetzt also nach und nach für zumindest ein volles Regalbrett im Kammerl (inklusive ein paar Flaschen Wasser), schlicht aus Vernunft (zum Befolgen des Ratgebers vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe schaffe ich es ja doch nicht). Und wenn das Verfallsdatum naht, essen wir diese Lebensmittel auf und ersetzen sie durch neue. Sie alle haben sowas natürlich längst, doch in diesem Haushalt wird wirklich seit Jahren nur frisch eingekauft, schließlich kommen wir beide auf unseren Arbeitswegen an Einkaufsmöglichkeiten vorbei. Als Konserven sieht man bei uns eigentlich nur Tomaten.

Zum Frühstück um zwei gab es Semmeln und ein Stück Karottenkuchen: Ich mochte sehr die Teig-Textur, weil besonders fluffig und gleichzeitig besonders saftig. Der Schoko-Frischkäse-Überzug machte sich auch sehr gut. Aber er entpuppte sich auch als sehr sättigend.

Nachmittag unter anderem mit Wäschewaschen und Zeitunglesen.

Abends wieder eine Runde Yoga – zur Abwechslung ereilte mich währenddessen ein Kreislauf-Purzelbaum mit Schwindel, heftigem Herzschlag und Schweißausbruch. Das war nicht so wirklich lustig, aber ich ließ mich davon nicht unterbrechen (ZEFIX!), machte ich halt Schweißflecken auf die Yogamatte. Diese Kreislaufvorfälle, die ich seit mindestens 20 Jahren habe, vier- bis sechsmal im Jahr, würde ich übrigens viel eher als “Hitzewallung” bezeichnen: Da wallen der Schwindel und die Hitze, da strömt der Schweiß. Und anschließend schlottere ich frierend.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell den Sellerie aus Ernteanteil als mit Käse gefüllte und panierte Schnitzel, angelehnt an die Kürbis-Schnitzerl aus Österreich vegetarisch. Schmeckte gut, doch zu unserer Überraschung ging selbst der kräftige Käse fast unter – dann lieber gleich schlichte Sellerieschnitzel. Nachtisch Karottenkuchen und Süßigkeiten.

Als Abendunterhaltung guckten wir endlich zwei der restlichen Folgen der letzten Staffel Tatortreiniger: Man sieht am Ausweichen auf die Meta-Ebene, dass die Ideen ausgingen – womit das Ende der Serie ja auch begründet wurde.

Journal Freitag, 18. März 2022 – Freitägliches mit neuem Tisch

Samstag, 19. März 2022

Sieh an: Durch den frühen Feierabend am Mittwoch und den kleinen Ausflug fühlte sich die Woche gleich nicht mehr so lang an.

Zerhackte Nacht, aber ich bin weiterhin leicht zu erheitern: Als in einem Krampfanfall der große Zeh des rechten Fußes nach oben krampfte, die restlichen Zehen aber nach unten und sich einrollten, fand ich ultimativ keine Gegenstreckung, die nicht entweder die eine oder die andere Krampfung noch verstärkte. Das amüsierte mich dann doch, ich verlegte mich aufs Durchkneten von Unterschenkel und Fuß, bis der Spuk vorbei war.

Der Tag startete wieder bedeckt, wurde aber immer heller.

Mittags gebuttertes Vollkornbrot (nicht besonders, aber Pumpernickel war aus gewesen), Blutorangen.

Die Luft war mild genug für einen Hofgang am frühen Nachmittag, ich erschnupperte etwas ganz eindeutig Österliches.

Freitagsfrüher Feierabend. Ich dokumentierte das Verschwinden des Sheraton-Hotels am Heimeranplatz nach Fotos am Morgen.

Die einzige Info, die ich darüber finde, ist eine Meldung in der ImmobilienZeitung von Ende 2020:
“Officefirst verkauft Sheraton-Komplex im Münchner Westen”.

Spaziergang zur Schusterin, um Schuhe mit neuen Sohlen abzuholen. All die sandig-dreckigen Autos an und auf den Straßen der Innenstadt ergeben weiter ein seltsames und leicht apokalyptisches Bild. Regen ist auf zumindest die nächsten zehn Tage keiner angekündigt.

Beim frühen Heimkommen machte ich mich erst mal ans Kuchenbacken: Eine nennenswerte Menge Karotten aus Ernteanteil verschwand in diesem Schoko-Karottenkuchen – allerdings ohne schnickschnack Kokosblütenzucker von weit weg, sondern mit gutem bayerischen Rübenzucker. Und statt Schokostreuseln verwendete ich geriebene Schokolade. Das Überziehen mit Schokofrischkäse terminierte ich für Samstagmorgen nach dem Abkühlen.

Große Freude: Gestern war drei Monate nach Bestellung der neue Tisch angekommen – und passt noch besser zu den Stühlen als eh gedacht. Herr Kaltmamsell hatte ihn nach Lieferung gleich aufgebaut (ist durch eine Zusatzplatte in der Mitte vergrößerbar).

Während Herr Kaltmamsell das Nachtmahl zubereitete, versorgte ich uns mit Freitagabend-Drinks: Wir hatten beide sehr große Lust auf Aperol Spritz, also gab es den. Zum Abendessen teilten wir uns Rindfleisch aus der Pfanne (Entrecôte und Rumpsteak), dazu gab es Ernteanteil-Pastinaken aus dem Ofen. Nachtisch Süßigkeiten.

Kommentare und Bemerkungen anderer machen mir klar, welche Aspekte des Ukraine-Kriegs ich aus Eigenschutz recht gründlich wegblende: die individuell menschlichen. Ich lese keine Reportagen aus den beschossenen, belagerten, zerstörten Städten, gucke keine Bilder oder Filme des menschlichen Grauens in der Ukraine an. Das bedeutet nicht, dass ich das Entsetzliche negiere; ich blockiere lediglich es nachzuempfinden, das schaffe ich derzeit nicht. Statt dessen befasse ich mich auf einer so sachlich wie möglichen Ebene damit – und weiß, welch unglaubliche Luxus ich mir damit leisten kann.