Journal Donnerstag, 21. April 2022 – Yoga-Wirkung

Freitag, 22. April 2022 um 6:30

Der Wecker klingelte zu früh fürs Ausgeschlafensein, aber die Nacht davor war gut gewesen.

Weiterhin sonnig und kühl, ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass das die richtige Temperatur für April in unseren Breiten ist. Auf der Theresienwiese sah ich aufgesprühte Bodenmarkierungen: Der Flohmarkt am Samstag findet nach zwei Jahren Pause wirklich statt.

Arbeit sehr kleinteilig, aber große Brocken wären eh nicht zu schaffen gewesen: Ich betreue turnusmäßig eine Hotline, deren Telefonnummer wohl in diverse britische Callcenter-Datenbanken geraten ist; täglich rufen dort mehrere Dutzend Menschen an und wollen irgendwelche random Namen sprechen, gerne nur Vornamen, “May I speak to Sarah?”. (Gibt es DDos per Telefon?)

Mittags gab es Kürbiskernbrot mit Butter und eine große Orange.

Nachmittags Abstimmungen, Schulung (ich parallel, sagen Sie’s nicht weiter, bis über beide Ellenbogen in einer Datenbank), manuelles Basteln.

Ich beendete den Arbeitstag mit dem Gefühl, dass ich nie mehr im Leben entspannt sein werde. Der sonnige Tag hatte sich nur wenig erwärmt, ich brauchte neben der Jacke auch mein Halstuch.

Daheim meine fast tägliche Runde Yoga, mittelanstrengend.

Jetzt, nach über zwei Jahren Yoga, kann ich nicht umhin zu gestehen: Doch, ich merke eine Wirkung. Schnaufen und Besinnlichkeit sind zwar immer noch nicht angekommen – andererseits hatte ich Schnaufen bereits als Teenager im Chor gelernt, inklusive Hecheln und anderen Zwerchfell-Übungen; ich vergesse gerne, dass viele Menschen erst in spätem Erwachsenenalter Bauchatmung kennenlernen. Doch als ich mich vergangenen Samstag auf der Rückfahrt vom Wandern im überfüllten Zug einfach im Schneidersitz auf dem Boden niederließ und in dieser Haltung gemütlich las, als ich auf den Boden und wieder ins Stehen schnell und nahezu elegant kam – da war mir klar, dass ich das mit 55 Jahren und meiner Hüft-Vorbelastung ziemlich sicher ohne Yoga nicht könnte. Zumal ich von Natur aus wirklich nicht gelenkig bin. Ebenso wenig könnte ich mein halb spaßig gemeintes Trainingsziel “Socken im Stehen anziehen” nicht so weit übertreffen: Ich kann auch Hosen und sogar Strumpfhosen im Stehen anziehen, langsam und sorgfältig. Der kindliche Stolz, etwas “schon” zu können, wiederholt sich halt seit einigen Jahren rückwärts: etwas “noch” können. Gleichzeitig ist mir sehr bewusst, dass das meiste davon Veranlagung und Glück ist, keineswegs eigene Leistung.

Zum Nachtmahl kombinierte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch aus Ernteanteil Sauerkraut, Kartoffel, Äpfel mit zugekauften Leber- und Blutwürsten (mit Speckwürfeln) zu einer Art Himmel und Äd. Nachtisch sehr viel Osterschokolade.

§

Über Soziologie von Nahrungsmittel-Hierarchien und warum auch die Unterscheidung von “gesundem” und “ungesundem” Essen in den vergangenen Jahrzehnten Moden unterworfen war:
“There Is No Such Thing as ‘Junk’ Food”.

Many people’s reaction to this confusion is to refine the category of “healthy” until it’s full of foods essentially available only to people who live on a farm, as well as close to other farms, with the ability to spend every day prepping fresh farm-sourced food for themselves. They also boast no limits on expenditures, no health conditions that would limit what they can consume, and no picky eaters on the premises. The number of people who can live this way is vanishingly small, which means that actually adhering to the Platonic healthy diet becomes entirely aspirational.

(…)

Whatever the reason you eat what you eat—and no reason is more valid than any other, including and especially deliciousness—it has no correlation with your value as a person. It does not make you a worse person to eat “junk food,” and it certainly doesn’t make you a better person to eat whole grains. Contrary to what those worksheets might tell us, food does not have moral character, and consuming it does not influence or infect our own character. Food is delightful, and food is fuel, and food is culture.

§

@miriam_vollmer war im Zug langweilig.

Die Ergebnisse will ich praktisch durchgehend nachkochen (zumindest nachessen, Augenzwinkern Richtung Herrn Kaltmamsell), alles unkomplizierte, traditionelle Gerichte aus der Generation deutscher großbürgerlicher Großmütter.

§

Michelle Yeoh, in die ich mich 2000 in Crouching Tiger, Hidden Dragon verliebte (dabei hatte ich sie vorher schon als völlig anderes Bond-Girl in Tomorrow never dies bewundert), ist eine der wenigen weiblichen Action-Weltstars und möglicherweise die einzige mit einer gleichzeitigen ernsthaften Schauspiel-Karriere in Drama und Komödie. Hier erzählt sie aus ihrem Berufsleben.

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https://youtu.be/DHOSiFzcHJ8

Superspannende Einblicke, unter anderem wie ein (Hongkong) Stunt-Team denkt und arbeitet, wie eine gute Kampfszene funktioniert. Ich bin sehr beeindruckt von ihrem Selbstbewusstsein – und ihrer Schönheit. Allein schon auf Basis des Trailers erkenne ich, dass ihre Rolle im anstehenden Everything Everywhere All At Once niemand andere auch nur spielen könnte als Michelle Yeoh.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 21. April 2022 – Yoga-Wirkung“

  1. Alexandra meint:

    ” … dass viele Menschen erst in spätem Erwachsenenalter Bauchatmung kennenlernen.”

    Das hat mich getroffen, denn genau da bin ich gerade. Haben Sie eine Idee, warum das so ist?

  2. die Kaltmamsell meint:

    Die übliche Umgebung für das Lernen von Bauchatmung, Alexandra, ist Musikunterricht (vor allem Blasintrumente und Singen) oder Sporttraining. Wer das nicht erlebt hat (oder wessen Lehrer*innen das vergaßen), hört davon vermutlich nur zufällig.

  3. Frau Klugscheisser meint:

    Und man zieht doch immer den Bauch ein (Bauch rein, Brust raus). Da bleibt nur noch der obere Brustkorb zum Atmen.

    Vielleicht ist das ein bisschen Veranlagung mit der Dehnbarkeit aber auch sehr viel Fleiß, wenn ich diverse Dinge mit durchgestreckten Beinen tun kann. Ich merke immer wieder, wie viele Leute meinen, diese Fertigkeit sei mir angeboren. Nein, ich arbeite dafür jeden Tag 20-30 Minuten lang, damit sich die Muskeln nicht verkürzen. Und nein, das macht mir auch keinen Spaß aber ich will mich noch sehr lange in alle Richtungen bewegen können.

  4. Alexandra meint:

    Danke!

    Nicht richtig zu atmen kann biographiebedingt so gravierend sein, dass es den Körper schädigt, lerne ich soeben.

    Bauchatmung sollte normal sein, dass sie “extra” erlernt wird, spricht doch für ein Defizit?

    Musikalische Bildung kam in meiner Kindheit nicht einmal am Rand vor.

    Einer meiner Söhne fing sehr früh mit der B-Trompete an.

    Das erklärt jetzt einiges.

  5. die M. meint:

    Liebe Frau Klugscheißer,
    haben sie für die Übungen eine Anleitung oder Tipps?
    Herzliche Grüße,
    die M.

  6. Frau Klugscheisser meint:

    Hallo M., ja die habe ich:
    1. beim Dehnen nie komplett kalt sein – erst aufwärmen (Ausdauersport, oder Hüpfen oder anderes)
    die Dehnung im kalten Muskel funktioniert nur bei Profis mit sehr gutem Körpergefühl
    2. Nie “in das Gelenk” hineindrücken, sondern erst ausziehen. Das bedeutet die Gliedmaßen nicht einfach abknicken, sondern erst lang machen. Arme aus der Schulter herausziehen bevor die Hände beispielsweise hinter dem Rücken von oben und unten zusammengeführt werden.
    3. Weil es so wichtig ist: nicht wippen, das drückt in’s Gelenk. Ich sehe oft Joggende, die zum Aufwärmen versuchen die Zehenspitzen zu berühren, gerne mit hochgelegtem und gestrecktem Bein. Das schädigt das Gelenk. Oder auch Menschen, die in die Beingrätsche und mit nach vorne abgestützten Händen nach unten wippen – das kann zu Langzeitschäden führen.
    4. Nicht gewaltsam dehnen, sondern sanft und dem Muskel Zeit lassen, sich an die Dehnung anzupassen. Ich habe einen Sekundenzähler und halte jede Pose für 30sec an dem Punkt, wo es nicht weh tut aber ein wenig unangenehm ist. Die Position variiert mit Tagesverfassung, d.h. manchmal ist es schon sehr weit, am nächsten Tag wiederum nur die Hälfte der Bewegung vom Vortag. Fortschritt ist nicht linear. Mit der Zeit spürt man, wie der Muskel nachlässt. Wenn er zu schnell gedehnt wird, besteht die Gefahr von Überdehnung oder gar Muskelfaserrissen.
    5. Beim Dehnen den Muskel aktiv anspannen statt komplett locker zu lassen. Dann lernt er, dass er auch bei Anspannung nicht verkürzen muss und wird flexibler.
    6. Atmen! Die Muskulatur braucht Sauerstoff, weshalb es kontraproduktiv ist, die Luft anzuhalten. Ich stelle mir immer vor, ich atme in den zu dehnenden Muskel.

    Eine bekannte Übung: mit nach vorne gestreckten Beinen auf den Boden sitzen. Jetzt das Becken nach vorne kippen, das richtet den Oberkörper auf. Einen Punkt auf Augenhöhe fixieren und mit den Armen nach vorne imaginär “danach greifen”. Dabei die Knie auf dem Boden lassen und den Rücken immer gerade halten. Das Ziel ist NICHT, mit den Händen die Zehenspitzen zu erreichen (das dehnt vielleicht den oberen Rücken, nicht aber die hintere Oberschenkelmuskulatur). Das Ziel ist, mit dem Körper einen Winkel (>) darzustellen. Dort anhalten, wo die hintere Oberschenkelmuskulatur unangenehm zieht und halten. Nach 30sec zurück, entspannen und erneut 30sec halten, diesmal mit gestreckten/angezogenen Füßen (je nach Fortschritt). Die Oberschenkel dabei anspannen.
    Es wird – je nach Übung – bis zu 8 Wochen dauern, bis minimale Fortschritte sichtbar werden. Fachleute erzählten mir, dass ein Muskel erst mal 6 Wochen braucht, um zu kapieren, was man von ihm überhaupt will. Diese Formulierung fand ich witzig und hilfreich.

    Zwei Videos: (die beiden Damen sind sehr beweglich, davon bitte nicht irritieren lassen)
    https://www.youtube.com/watch?v=1K-TyBctOok (schön gehaltene Dehnungen für Hüfte)
    https://www.youtube.com/watch?v=I9ZRSpLTSu8 (obwohl ich diese 21 Tage blabla erreichen Videos hasse, sieht man hier schön, wie sie beim forward fold die Bewegung nach oben betont)

  7. die M. meint:

    Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, so ausführlich zu antworten, Frau Klugscheisser. Das schätze ich sehr. Und meine stark verkürzten Oberschenkelmuskeln sicher auch…
    die M.

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