Archiv für April 2022

Journal Samstag, 23. April 2022 – Isarlauf statt Wandern

Sonntag, 24. April 2022

Nur mittelunruhig geschlafen, mittellang.

Noch vor dem Kaffeekochen knetete ich den Teig fürs 7-Pfünder Hausbrot. Es gelang hervorragend.

Auf Theresienwiesen-Flohmarkt hatte wir keine Lust. Korrektur: Er findet erst am 30. April statt! (Geplant war gestern trotz angekündigt trübem Wetter eine Wanderung, bevor Herr Kaltmamsell von Arbeit, darunter Abiturkorrekturen, wochenlang verschlungen würde. Doch der Herr fühlte sich nicht recht: Erst bat er um eine kürzere Tour als die geplante, und als ich das nächste Mal nach ihm sah, lag er in seinem Bett. Das ist unerhört, auch bei negativem Coronatest sah das sehr nach Krankheit aus. Wir bliesen das Wandern ab, ich versorgte ihn mit Tee sowie Wärmflasche und ließ ihn schlafen (dass er sich so von mir pflegen und umsorgen ließ, beunruhigte mich fast am meisten).

Ich plante um auf einen Isarlauf und nahm eine U-Bahn zum Theatinerplatz. Zeichen einer Rückkehr zu Prä-Seuchen-Zeit (die wir nicht haben, laut RKI-Wochenbericht von 21.4.2022 sind in Deutschland “etwa 900.000 bis 1,7 Millionen Menschen (…) in KW 15/2022 neu an einer COVID-19-bedingten ARE erkrankt”, saublöderweise gehören dazu vier Personen aus meiner engsten Familie): alkoholisierte Fußballfans in der U-Bahn, Wege blockierende Touristengruppe.

Vom Odeonsplatz lief ich über Hofgarten, Englischer Garten an die Isar nach Norden und zurück. Trotz bedecktem Himmel ein schöner Lauf, ich trabte leicht und unbeschwert – und erstmals seit langer Zeit die ganzen anderthalb Stunden ohne Schmerzen in der den Waden.

Neues zur Vogelschau: Ich verifizierte, dass der schnarrende Laut, der typisch für die Isarauen ist, von Wacholderdrosseln stammt, sah sie auf Wiesen und in Bäumen. Vor der Kennedybrücke viele Schalben in der Luft, Rauch- und Mehl, dazwischen flitzte ein rotbrauner Turmfalke nach Osten. Dominierende Blüte: Felsenbirne.

Laufkleidung gestern: Winterlaufhose, lange Ärmel und hoher Reißverschluss am Hals, drüber Weste; anfangs sehnte ich mich nach Handschuhen. Doch ich bekomme (im Gegensatz zu Buchautorin Jen Gunter laut ihrem Menopause Manifesto) auch beim Sport Glutattacken, und eine davon wärmte mich bis in die Fingerspitzen.

Auf dem Heimweg machte ich einen Abstechter beim Basitsch: Die Maladität von Herrn Kaltmamsell rief nach Hienebriehe, ich besorgte ein glückliches Huhn. (FFP2-Maskentragen in den Läden, in denen ich einkaufe, bei ca. 80-90 Prozent, unter den Angestellten nahezu 100 Prozent, manche allerdings mit OP-Masken.)

Zu Hause Körperpflege. Zum wiederholten Mal der innige Wunsch, man könnte auf Vorrat Nägelschneiden und Rasieren. Zum Beispiel an einem trüben, kühlen Samstag wie gestern für die nächsten vier Wochen vorarbeiten.

Frühstück um halb drei: Frisches Brot mit Butter und der letzten Scheibe Osterschinken. Noch immer schmeckt das selbst gebackene Brot enorm viel besser als alles gekaufte Brot, das ich in den vergangenen Back-losen Monaten gekauft habe. Dazu die Verwunderung, dass Bäckereien Brotteige dunkelbraun färben, ich nehme an mit Zuckercouleur – so wie da oben sieht ein Roggenmischbrot ohne aus, das ist doch hübsch genug? Ebenfalls Frühstück: Zwei Orangen vom adoptierten Baum.

Herrn Kaltmamsell versorgte ich mit Butterbroten und mehr Tee, er lag immer noch im Bett.

In der gestrigen Post waren zwei Briefe vom Amtsgericht München. Im ersten stand, dass ich “wegen Bildung eines weiteren Spruchkörpers nach § 46 GVG” aus der Ersatzschöffenliste zur Hauptschöffin gewählt wurde. Es folgte die Liste von Sitzungstagen für das laufende Jahr. Aus dem angeführten und verlinkten Paragraphen wurde ich nicht schlau: Ist das vergleichbar mit der Einrichtung einer weiteren Abteilung in einem Unternehmen?

Der zweite Brief vom Amtsgericht sagte gleich mal den Mai-Termin von der Sitzungsliste ab. Ich wiederum entschuldigte mich per E-Mail für den September-Termin: Da bin ich im Urlaub, Unterkunft ist bereits gebucht.

Zeit für eine Siesta, die ich sehr genoss, dann setzte ich die Hühnersuppe auf – wie von Oma gelernt mit Zwiebel, Lorbeerblatt, Pfeffer- und Wacholderkörnern, außerdem kamen Ernteanteil-Karotten rein.

Vor dem Nachtmahl gab es als Aperitif Grasshoppers (ein Rest Sahne musste weg). Abendessen war dann Hienebriehe (Herr Kaltmamsell nahm einen zweiten Teller, “Das tut mir richtig gut.”, Sonntag gibt es Hühnereintopf), zudem frisches Brot mit Käse und Aufstrichen, zum Nachtisch ein Stück Schoko-Tahini-Tarte vom Vorabend.

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Der Ukraine-Krieg droht wie schon vorher die Corona-Seuche das global größte Problem zu verdrängen: Den Klimawandel und seine bedrohlichen Folgen. Oder hatten Sie auf dem Schirm, was ein Artikel im National Geographic aufdröselt:
“Hydrologen warnen: Deutschland trocknet aus”.

Deutschland gehört zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust pro Jahr weltweit. Um eine positive Kehrtwende einzuläuten, müsste sofort gehandelt werden.

Lange Zeit hat man die Wasserthematik in Deutschland vernachlässigt, sagt Pahl-Wostl [Leiterin des Instituts für Umweltsystemwissenschaft und Experte für Water Governance an der Uni Osnabrück und Co-Chair des GIWS]: „Man ist davon ausgegangen, dass die Qualitätsprobleme gelöst sind und Mengenprobleme in Deutschland keine große Rolle spielen. Das hat sich aber letztes Jahr geändert, als erstmals eine nationale Wasserstrategie von Ministerin Schulze der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.” Diese stelle erstmals einen systemischen Ansatz dar. Zwar könnten Dinge konkreter benannt werden, es sei aber ein Schritt in die richtige Richtung, so Pahl-Wostl.

Auch gestern auf meinem Lauf entlang der sehr niedrigen Isar staubte es bei jedem Windhauch, weil die Wege und Wiesen so trocken sind. Dieses Jahr sah ich auch keine Schneeschmelze, die die Isar milchig färben würde: Es hat in den Bergen viel zu wenig geschneit.

Journal Freitag, 22. April 2022 – Herausgeforderte Professionalität

Samstag, 23. April 2022

Wieder eine Nacht mit nur zweimal Aufwachen und dazwischen gutem Schlaf – das darf bitte so bleiben.

Gestern trug ich einen der angepassten Röcke. Leider fielen der Änderung die beiden geschätzten Taschen zum Opfer – wäre vermutlich noch mehr Arbeit als eh schon bei einem Faltenrock gewesen. (Hier zum Vergleich das Vorher-Foto 2018.) Mir wurde klar, dass das Ändern eines Rocks um zwei Kleidergrößen im Grunde ein neues Kleidungsstück erzeugt.

Stand des Frühlings im Bavariapark. Es war auf meinem Weg in die Arbeit wieder zapfig kalt, ich hätte eine Mütze vertragen.

Arbeit in der Arbeit gestern ohne Druck. Außer dem, dass die Jobs nicht von allein weggehen, sondern weggearbeitet werden müssen.

Mittags Sahnequark mit Joghurt, Orangen.

Nachmittags verschärfte sich der Telefonterror aus UK: Auf der Hotline, die ich betreute, riefen eine Stunde lang von verschiedenen Nummern pausenlos Maschinen an, nach Abheben folgte entweder eine Bandansage oder ein Besetzt-Zeichen. Die ersten beiden echten Menschen aus UK-Call-Centern bekamen die entsprechende Laune ab, bis dahin hatte ich immer versucht, so britisch wie möglich um Löschung der Nummer aus der Datenbank zu bitten. (Und wenn dann dazwischen jemand von der Botschaft einer befreundeten Nation – ebenfalls falsch, können die Leute nicht lesen? – auf dieser Nummer anruft, braucht es wirklich Professionalität für Fortgeschrittene, um rechtzeitig den Tonfall zu wechseln.)

Nach Feierabend spazierte ich in angenehmer, kühler Luft Richtung Marienplatz, um die Theresienwiese herum ballten sich Bayern-Cosplayer*innen auf dem Weg zum Frühlingsfest, Männer interessanterweise konsequenter verkleidet als Frauen. Im Hofbräuhausmühlenladen besorgte ich Roggen- und Weizenmehl (letzteres auch in der Type 405 für Kuchen reichlich vorhanden), dann auf dem Viktualienmarkt Käse im Tölzer Kasladen fürs Abendessen, Feinkost-Brotaufstriche fürs Wochenende.

Daheim wartete ein Päckchen aus Spanien auf mich: Käse von meinem adoptierten Crowdfarming-Schaf des Betriebs Marqués de Mendiola, jung, semi-curado, curado sowie ein Stück in Olivenöl eingelegt. Außerdem hatte meine Mutter die Osterschokolade per Post nachgeschickt, die wir am Ostermontag vergessen hatten.

Erst noch eine kurze Runde Yoga, Vorteig fürs Brotbacken am Samstag angesetzt, dann machte ich das Abendessen an: Es gab den großen Salatkopf aus Ernteanteil mit Zitronen-Knoblauch-Vinaigrette, die schönen Blätter des Bundes Radieserl hatte ich ebenfalls verwendet. Außerdem gab es Käse. Als Aperitif Negronis, zu Salat und Käse Pouilly Fumé. Der Knaller des Abends aber war der Nachtisch, den Herr Kaltmamsell am Nachmittag zubereitet hatte:

Eine vegane Chocolate and Tahini Cream Tart mit Keksboden, darauf einer Schicht Schokolade und einer abgefahrenen Füllung aus Kokos-Kondensmilch, Kokos-Joghurt und Tahini. Ein wirklich neues Geschmackserlebnis. Herr Kaltmamsell war nicht ganz zufrieden – was leider die Gefahr birgt, dass er sie nie wieder macht.

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Frau Casino erzählt von der Begegnung mit einem jungen Musiker aus Venezuela:
“caracas-berlin, einfach”.

Unvorstellbare Lebensumstände – aber halt auch Heimat.

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Warum es eine gute Idee sein kann, die Pille danach auf Vorrat daheim zu haben – und was man sich beim Kauf in der Apotheke nicht gefallen lassen muss: ein Twitter-Thread.

Journal Donnerstag, 21. April 2022 – Yoga-Wirkung

Freitag, 22. April 2022

Der Wecker klingelte zu früh fürs Ausgeschlafensein, aber die Nacht davor war gut gewesen.

Weiterhin sonnig und kühl, ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass das die richtige Temperatur für April in unseren Breiten ist. Auf der Theresienwiese sah ich aufgesprühte Bodenmarkierungen: Der Flohmarkt am Samstag findet nach zwei Jahren Pause wirklich statt.

Arbeit sehr kleinteilig, aber große Brocken wären eh nicht zu schaffen gewesen: Ich betreue turnusmäßig eine Hotline, deren Telefonnummer wohl in diverse britische Callcenter-Datenbanken geraten ist; täglich rufen dort mehrere Dutzend Menschen an und wollen irgendwelche random Namen sprechen, gerne nur Vornamen, “May I speak to Sarah?”. (Gibt es DDos per Telefon?)

Mittags gab es Kürbiskernbrot mit Butter und eine große Orange.

Nachmittags Abstimmungen, Schulung (ich parallel, sagen Sie’s nicht weiter, bis über beide Ellenbogen in einer Datenbank), manuelles Basteln.

Ich beendete den Arbeitstag mit dem Gefühl, dass ich nie mehr im Leben entspannt sein werde. Der sonnige Tag hatte sich nur wenig erwärmt, ich brauchte neben der Jacke auch mein Halstuch.

Daheim meine fast tägliche Runde Yoga, mittelanstrengend.

Jetzt, nach über zwei Jahren Yoga, kann ich nicht umhin zu gestehen: Doch, ich merke eine Wirkung. Schnaufen und Besinnlichkeit sind zwar immer noch nicht angekommen – andererseits hatte ich Schnaufen bereits als Teenager im Chor gelernt, inklusive Hecheln und anderen Zwerchfell-Übungen; ich vergesse gerne, dass viele Menschen erst in spätem Erwachsenenalter Bauchatmung kennenlernen. Doch als ich mich vergangenen Samstag auf der Rückfahrt vom Wandern im überfüllten Zug einfach im Schneidersitz auf dem Boden niederließ und in dieser Haltung gemütlich las, als ich auf den Boden und wieder ins Stehen schnell und nahezu elegant kam – da war mir klar, dass ich das mit 55 Jahren und meiner Hüft-Vorbelastung ziemlich sicher ohne Yoga nicht könnte. Zumal ich von Natur aus wirklich nicht gelenkig bin. Ebenso wenig könnte ich mein halb spaßig gemeintes Trainingsziel “Socken im Stehen anziehen” nicht so weit übertreffen: Ich kann auch Hosen und sogar Strumpfhosen im Stehen anziehen, langsam und sorgfältig. Der kindliche Stolz, etwas “schon” zu können, wiederholt sich halt seit einigen Jahren rückwärts: etwas “noch” können. Gleichzeitig ist mir sehr bewusst, dass das meiste davon Veranlagung und Glück ist, keineswegs eigene Leistung.

Zum Nachtmahl kombinierte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch aus Ernteanteil Sauerkraut, Kartoffel, Äpfel mit zugekauften Leber- und Blutwürsten (mit Speckwürfeln) zu einer Art Himmel und Äd. Nachtisch sehr viel Osterschokolade.

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Über Soziologie von Nahrungsmittel-Hierarchien und warum auch die Unterscheidung von “gesundem” und “ungesundem” Essen in den vergangenen Jahrzehnten Moden unterworfen war:
“There Is No Such Thing as ‘Junk’ Food”.

Many people’s reaction to this confusion is to refine the category of “healthy” until it’s full of foods essentially available only to people who live on a farm, as well as close to other farms, with the ability to spend every day prepping fresh farm-sourced food for themselves. They also boast no limits on expenditures, no health conditions that would limit what they can consume, and no picky eaters on the premises. The number of people who can live this way is vanishingly small, which means that actually adhering to the Platonic healthy diet becomes entirely aspirational.

(…)

Whatever the reason you eat what you eat—and no reason is more valid than any other, including and especially deliciousness—it has no correlation with your value as a person. It does not make you a worse person to eat “junk food,” and it certainly doesn’t make you a better person to eat whole grains. Contrary to what those worksheets might tell us, food does not have moral character, and consuming it does not influence or infect our own character. Food is delightful, and food is fuel, and food is culture.

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@miriam_vollmer war im Zug langweilig.

Die Ergebnisse will ich praktisch durchgehend nachkochen (zumindest nachessen, Augenzwinkern Richtung Herrn Kaltmamsell), alles unkomplizierte, traditionelle Gerichte aus der Generation deutscher großbürgerlicher Großmütter.

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Michelle Yeoh, in die ich mich 2000 in Crouching Tiger, Hidden Dragon verliebte (dabei hatte ich sie vorher schon als völlig anderes Bond-Girl in Tomorrow never dies bewundert), ist eine der wenigen weiblichen Action-Weltstars und möglicherweise die einzige mit einer gleichzeitigen ernsthaften Schauspiel-Karriere in Drama und Komödie. Hier erzählt sie aus ihrem Berufsleben.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/DHOSiFzcHJ8

Superspannende Einblicke, unter anderem wie ein (Hongkong) Stunt-Team denkt und arbeitet, wie eine gute Kampfszene funktioniert. Ich bin sehr beeindruckt von ihrem Selbstbewusstsein – und ihrer Schönheit. Allein schon auf Basis des Trailers erkenne ich, dass ihre Rolle im anstehenden Everything Everywhere All At Once niemand andere auch nur spielen könnte als Michelle Yeoh.

Journal Mittwoch, 20. April 2022 – Seltener Kinobesuch: The Lost City

Donnerstag, 21. April 2022

Wieder eine Nacht genug Schlaf bekommen, beim Aufwachen lachte mich schief der Dreiviertel-Mond an.

Auch gestern war ein zackiges Tempo beim Fußweg in die Arbeit nötig, um nicht zu frieren.

Frühlingsfest auf der Theresienwiese so gut wie startklar, am Freitag geht’s los.

Arbeit in der Arbeit, viel Gezicke von außen.

Mittags gab es Hüttenkäse mit Dickmilch, viel Orange.

Nachmittags musste ich mich noch ein paar Mal von Fremden anblaffen lassen. Ich weiß ja, dass die nicht mich meinten, es war trotzdem unangenehm.

Nach Feierabend erledigte ich im Vollcorner die dringendsten Einkäufe, dann holte ich endlich beim Schneider vier geänderte Sommerröcke ab.

Daheim nahm ich mir nicht mal die Zeit zum Aufhängen der Röcke, denn wir hatten Abendpläne: Kino. Davor passte noch eine Runde Yoga, zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell eine wunderbare Tomatensoße gekocht, die es mit apulischen Cicatelli gab. Nach dem letzten Bissen schnelles Anziehen, U-Bahn zum Stiglmaierplatz.

Im nicht sehr vollen Kino sahen wir The Lost City. Nette Komödie, Erinnerungen an all die Indiana-Jones-Abklatsche der 1980er. Sehr abgelenkt war ich allerdings durchgehend vom tot-operierten Gesicht der so geschätzten Sandra Bullock. Ich hatte mich für vorbereitet gehalten, weil ich es vor ein paar Monaten schon mal in einer Talk-Show gesehen hatte. Doch der Schaden geht weit darüber hinaus, dass ich mich um die Erfahrung gebracht fühle, sie altern zu sehen: Komikerin Sandy kann dieses einst so effektvoll eingesetzte Gesicht nicht mehr bewegen als Mundöffnen und -schließen (mit starr breitgezogenen Lippen), sie kann nicht mal mehr eine Augenbraue heben. Das muss ich erst einmal verarbeiten.

Lustig eingesetzt: Brad Pitt. Und wie schrieben die Fugly-Damen:

Channing is very good in the movie; he is excellent at the Hot Doofus With a Heart of Gold — and of course he is excellent at physical comedy; they also briefly let him dance because when you have Channing Tatum, you let him dance.

Vor dem Film ein paar interessante Trailer:

Everything Everywhere All At Once sieht aus, als machte endlich mal jemand was Gutes aus dem Multiverse-Konzept (Michelle Yeoh! Jamie Lee Curtis!)

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https://youtu.be/wxN1T1uxQ2g

Und beim Trailer von The Unbearable Weight of Massive Talent musste ich laut auflachen: Nicolas Cage spielt sein eigenes Image:

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https://youtu.be/x2YHPZMj8r4

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Seit Tagen ein offener Tab, jetzt endlich gelesen. Constantin Seibt schreibt in republik.ch sehr lang und ausführlich:
“Russisches Kriegsschiff, fick dich!”

Der russische Präsident Wladimir Putin hat zumindest ein Ziel erreicht: eine neue Weltordnung. Der Kampf der Systeme ist zurück. Und es ist Zeit, das Lager zu wählen.

Detail- und faktenreiche Analyse der russischen Autokratie Putins, sehr spannend zu lesen.

Auch deshalb ist Putin der Held: Er hat die autoritäre Propaganda perfektioniert und weltweit finanziert.

Die neue Propaganda funktioniert sehr anders als im 20. Jahrhundert, als es vor allem darum ging, den Gegner von seinem System zu überzeugen. Sie ist weitgehend von jeder Substanz abgekoppelt: eine Mutation, die sie extrem automatisierbar, extrem anpassungs­fähig, kurz: extrem viral macht.

Ihre Rezepte sind im Groben:
– Sie ist laut. Sie läuft auf möglichst vielen Kanälen – von Social Media bis zum eigenen News­sender bis hin zu Studien und Kongressen. Was zählt, ist die Quantität. Je öfter jemand dieselbe Aussage hört, desto plausibler wird sie.
– Sie ist schnell. Menschen tendieren dazu, an der ersten Information festzuhalten, die sie zum Thema gehört haben.
– Sie ist unabhängig von Fakten. Der Verzicht auf Recherche, sogar auf Plausibilität, ist ein entscheidender Vorteil, wenn es um Quantität und Tempo geht. (Und nie ist man schneller, als wenn man das Ereignis selbst erfunden hat.) Wobei auch Fakten nicht verschmäht werden. Wichtig ist nur, im Publikum permanent Zweifel zu säen. Und seine Feinde andauernd mit den eigenen Dingen zu beschäftigen.
– Sie pfeift auf Konsistenz. Was heisst, dass man unbelastet von den eigenen Argumenten losschlagen kann. (Etwa die Weltverschwörung der Juden beklagen und zehn Minuten später jemandem Antisemitismus vorwerfen.) Sodass man jede Beliebige mit jedem beliebigen Vorwurf vor sich hertreiben kann.

Steve Bannon, der ehemalige Trump-Wahlkampfleiter, fasste seine Strategie so zusammen: «To flood the zone with shit.»

Journal Dienstag, 19. April 2022 – Osterschokolade-um-die-Hälfte-Tag!

Mittwoch, 20. April 2022

Eher unruhige Nacht, aber erträglich.

Morgens in Turbotempo den Blogpost nachgeholt (der normalerweise zu 75 bis 90 Prozent am Vorabend erstellt ist, doch Ostermontagabend war es mir dafür zu spät), auch das sonstige Morgenprogramm verlief extra zackig, damit ich rechtzeitig in die Arbeit loskam. Es war weiterhin frisch.

Ein Impfzentrum wird abgebaut.

In der Arbeit merkte ich, dass die vier freien Tage am Stück in den Schulferien gelegen hatten, und dass alle sie frei gehabt hatten: Keine überwältigenden Mailbox-Inhalte, alles machbar.

Mittags gab es Sahnequark mit Dickmilch und viel vorgeschnittene Orangen: Am Samstag war die letzte Kiste meines adoptierten Crowdfarming-Orangenbaums eingetroffen.

Den ganzen Tag über hatte ich das eigenartige Gefühl, mich über die vier freien Ostertage überhaupt nicht bewegt zu haben. Was halt nicht stimmt: Nur am Sonntag war ich für meine Verhältnisse unbewegt, doch Freitag Schwimmen, Samstag Wandern, Ostermontag zweieinhalb Stunden Spaziergang. Was will er nur, der seltsame Körper? (Und deshalb kann er nicht verlangen, dass ich “auf ihn höre”.) Schwindlig war mir auch wie schon lange nicht mehr.

Meinen Heimweg lenkte ich für den traditionellen Großeinkauf Osterschokolade-um-die-Hälfte zu einem kleinen Edeka, bei dem ich eine Woche vor Ostern zufällig fast unangetastete große Menge Osterschokolade gesehen hatte und gedacht: Das kriegen die nie bis Ostern los. Ich hatte richtig kalkuliert.

(Zur Erinnerung: Das Feiern/Nutzen des Dienstags nach Ostern, um mich mit hochwertigen Süßigkeiten für wenig Geld auszustatten, begann ich als Studentin – ah, selige Erinnerungen an die riesigen Pasteten-Eier aus Nougat und verschiedenem Marzipan, die es ein paar Saisonen lang von Milka gab. Heute bin ich finanziell nicht mehr darauf angewiesen, doch Rituale soll man nicht brechen.)

Zu Hause erst mal eine Runde Yoga. Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich stellte mir zum Abendessen Schinken und Wurst vom Osterfrühstück zusammen, eine Scheibe Brot dazu. Nachtisch Mutters Osterzopf mit Quark und natürlich Osterschokolade.

Meine Frage nach den tatsächlichen christlichen Glaubensinhalten in Deutschland ist zum großen Teil beantwortet: Gaga Nielsen wies mich auf eine Studie der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland von 2019 hin, die christlichen Glauben in Deutschland untersucht hatte. Die Ergebnisse überraschten mich in vielerlei Hinsicht; unter anderem hatte ich wirklich nicht erwartet, so viel Ungläubige in den Kirchen anzutreffen, also Menschen, die auf die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“ mit „Nein“ antworteten. Das geht weit über meine Annahme hinaus, dass Gläubige mit der offiziellen Linie ihrer Konfession nichts am Hut haben.

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Eine Bekannte (heißt bei mir fast immer: jemand, die ich aus dem Internet kenne) bittet um Teilnahme an ihrer Studie an der Uni Mainz, in der Veränderungen des psychischen Wohlbefindens über die Zeit erhoben werden. Arbeit kostet nur das Ausfüllen des ersten Fragebogens, dann gibt es kurze Fragen übers Smartphone. Hier geht es zur Studienteilnahme. (Start am besten über Rechner.)

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Wie verschiedene Sorten Dübel funktionieren, live vorgeführt.
via @ankegroener

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Ich hatte angenommen, Filme mit Charly Chaplin sehr gut zu kennen – diese hinreißend komische Tanzszene mit ihm von 1918 war mir neu.

Und dann noch ein GANZ anderes Tanzvideo. Statt Schwanensee: Echtes Lernen von der Natur. (Ich weiß nicht, wie oft ich das gestern angeschaut habe.)
via @klugscheisser

Journal Ostermontag, 18. April 2022 – Großes Frühstück in kleinem Kreis, Sonnenspaziergang

Dienstag, 19. April 2022

Gut geschlafen, zu einem weiteren herrlich sonnigen und ziemlich kalten Tag aufgewacht.

Wir nahmen einen recht frühen Zug nach Ingolstadt, Ostermontag bei meinen Eltern. Mein Beitrag zur großen Osterfrühstückstafel war lediglich ein polnischer Osterkuchen, Mazurek.

Meine Mutter war noch bekümmerter als ich über den Ausfall der Bruderfamilie wegen Corona-Erkrankung/-Quarantäne – aber dieses Risiko werden Pläne noch eine ganze Weile einkalkulieren müssen.

Dezimierte Ostertafel.

Das Osterfrühstück polnischer Art mit viel Schinken (geräuchert und gekocht), Wurst, mit Eiern, Rote-Bete-Mus und frisch geriebenem Meerrettich, mit Tee und Weißwein, Brot und Butter, schmeckte dennoch ganz hervorragend, ich aß reichlich. Zum Abschluss ein Stück Mazurek.

Wir waren voll und angeduselt, allgemeiner Rückzug zu einem Verdauungschläfchen (wie in Gabriele Tergits Effingers). Dafür fehlte mir die Bettschwere, ich setzte mich in den frühlingserwachenden Garten und las in der Sonne Zeitung, die SZ-Feiertagsausgabe.

Schon vormittags hatten wir den Osterspaziergang vereinbart: Wir wollten mit Osterköstlichkeiten inklusive Schokoladeneiern (die für die Nifften waren für ein Verstecken im Garten vorgesehen gewesen – zum dritten Mal ausgefallen) über die Felder zur Quarantäne-Familie gehen. Dafür wechselte ich in Turnschuhe, meine Eltern kannten einen schönen Feldweg. Und so spazierten wir zwischen erblühenden und ergrünenden Bäumen und Büschen und Felder, links das alles dominierende Audi-Werk, rechts der Nordrand des Donautals mit Bächen/Gräben.

Rohrmühle. Darüber und darum flitzend: Die ersten Schwalben!

Im Hintergrund Etting mit Kirchturm St. Michael.

Ich plauderte abwechselnd mit Mutter und Vater, bekam von Papa Aussichten und Wegmarken erklärt, einige hochinteressante Geschichten aus seinen Jahrzehnten als Elektriker in der Instandhaltung der Fabrik erzählt.

Treffen im Garten der Bruderfamilie mit Masken und Abstand (ich sah den Kirschbaum, dessen Früchte ich so oft genossen habe, zum ersten Mal in Blüte), Übergabe der Oster-Köstlichkeiten. Munteres Geplauder, doch auch hier hängende Flügel wegen vieler geplatzter Pläne. Dazu die Sorge um den Erkrankten und vor möglicher weiterer Verbreitung des Virus in der Familie.

Spaziergang zurück in noch mehr Sonne, aber warm war es nicht.

Am Himmel ein Thermik-kreisender Greifvogel, im Schilf eines Grabens ein Reiher.

Zurück bei meinen Eltern gab es zum Aperitif Aperol Spritz, dann zum frühen Abendessen Lammschulter aus dem Ofen mit breiten Bohnen und einem Glas Chianti. Nachtisch ein Stück klassische Philadelphia-Torte.

Mein Vater öffnete den über hundertjährigen Brandy Gran Duque de Alba, den er eigentlich zur großen Feier seines 80. Geburtstags ausschenken wollte – die von Corona verhindert wurde. Doch er meinte, es würde ihn doch zu sehr ärgern, wenn der in die Erbmasse käme und wir ihn ohne ihn tränken. Schmeckte ganz hervorragend.

So viel habe ich schon sehr lange nicht mehr an einem Tag gegessen und getrunken. Entsprechend voll und beduselt spazierten wir zum Zug zurück nach München. Zurück daheim war noch einiges für den nächsten Tag und meinem Arbeitstag vorzubereiten, ich hätte gerne noch einen Tag frei gehabt.

Journal Ostersonntag, 17. April 2022 – Nachdenken über tatsächlichen religiösen Glauben

Montag, 18. April 2022

Beim Einschlafen österlicher Glockendonner von St. Matthäus, ich schloss mal lieber das Fenster. Nachts hatte ich Gelegenheit, es wieder zu öffnen (aber insgesamt eine gute Nacht), nächster Glockendonner vor sechs, Fenster zu.

Ich wachte zu herrlichem Sonnenschein auf, der den ganzen Ostersonntag anhielt – allerdings auch zu bleibender Kälte. Vermutlich sind 12 Grad Höchsttemperatur genau richtig für April, und ich bin das nach all den Jahren mit Talmi-Sommer im Frühling nicht mehr gewohnt.

Ostern mag ich und feiere es gern – auch als Ungläubige kann man Traditionen pflegen, und zu meiner Kultur gehört halt dieses Frühlingsfest mit Eiern, Schokoladenhasen, Glockengebimmel, weil viele Menschen feiern, dass ihr Gott einen – ebenfalls göttlichen – Sohn (von dem sie glauben, dass er gleichzeitig ein Mensch und ein Gott war) geopfert hat und der von den Toten auferstanden ist.

Sollte man mich jemals mit vorgehaltener Waffe zwingen religiös zu werden, nähme ich allerdings lieber eine Religion mit vielen Göttern und Göttinnen, vielleicht die super-integrative des antiken Roms? Sie scheint mir eine erträglichere Erklärung für das Leid in der Welt anzubieten als ein allmächtiger Gott. Auch wenn ich den Katholizismus mit drei Obergöttern und unzähligen Untergött*innen für den Volksglauben namens “Heiligen” ethnologisch nicht so recht als Monotheismus einsortieren kann.

Heutzutage aber haben zumindest in Deutschland die Heiligen ihre Bedeutung wohl verloren – zumindest wenn ich mir die offiziellen Predigten ansehe, die es in die Medien schaffen. Bei dieser Gelegenheit: Ich habe ja gelernt, dass gläubigen Christen und Christinnen die offizielle Glaubenslinie ihrer Religion meist weitgehend egal ist – wenn sie diese überhaupt kennen (fragen Sie eine durchschnittliche Katholikin mal nach ihrer Haltung zur Transubstantiation – gerne auch ohne diesen Begriff zu verwendet). Was mich wirklich interessieren würde: Was ist die tatsächliche Glaubens-Schnittmenge von Christ*innen, gerne auch aufgeteilt in Katholik*innen und Protestant*innen heute? Gibt es solche Erhebungen vielleicht sogar von den Kirchen? In Deutschland wäre eine repräsentative Auswahl für eine Umfrage ja durch die Kirchensteuer besonders leicht. Woran glauben wirklich alle oder die meisten? In welchen Punkten unterscheiden sich die Gläubigen am weitesten? Das Ergebnis wäre wahrscheinlich auch eine relevante Aussage über unsere heutige Kultur.

Gestern testeten wir unsere Idee für künftige Familientreffen bei Schwiegers aus: Herr Kaltmamsell und ich sorgten bei ihnen fürs Essen, damit die lieben und gastfreundlichen, aber halt schon nicht mehr so fitten Schwiegers weniger Mühen haben. Herr Kaltmamsell hatte Fleisch für eine Lammkrone besorgt und eine Sauce gekocht, ich brachte für die Vorspeise Räuchersaibling und Chicoree mit, das Dressing in einem Schraubglas. Und in einem Korb transportierten wir vorsichtig Schälchen mit Crème brûlée. Küche, Getränke, Geschirr stellten die Schwiegers.

Am Augsburger Zielbahnhof stellte sich heraus, dass Herr Schwager jr. tatsächlich wie verabredet im selben Zug wie wir angereist war, wegen kompletter Überfüllung der Bahn (u.a. mit reichlich Radausflügler*innen samt Gerät) waren wir nicht zueinander gekommen. Dabei war anscheinend sogar ein zusätzlicher Zugteil angehängt worden.

Herr Schwieger holte uns ab, Frau Schwieger wies uns in ihre Küche ein (Herr Kaltmamsell ist vor Jahrzehnten ausgezogen und kennt sich natürlich nicht mehr dort aus). Und so gab es nach einem Gläschen Sekt Chicoreesalat mit Räuchersaibling und Orangendressing, Brot dazu hatten wir noch am Münchner Hauptbahnhof besorgt, der württemberger Riesling kam aus den örtlichen Beständen. Herr Kaltmamsell servierte eine wunderbar zarte Lammkrone mit Ofenkartoffeln und grünen Bohen, dazu die extra zubereitete Sauce (“Wir sind eine Saucenfamilie.”). Im Glas ein schöner Lemberger. Zum Nachtisch fackelte ich mit dem mitgebrachten Tchibo-Flammenwerfer die Crème brûlée mit Puderzucker ab.

Alle waren sich einig, dass der Test gelungen war. Das nächste Mal trauen wir uns eine große Familienfeier zu bekochen, gewünscht wurde bereits ein “Schweinsbraten mit schöner Kruste”.

Ich hörte schöne Familiengeschichten, außerdem Aktuelles.

Wirtshausrechnung einer Leich’ 1917, die Schwester von Herrn Kaltmamsells Großvater war jung gestorben.

Kaffeeundkuchen (Osterfladen) gab es auch. Schlechte Nachrichten währenddessen: Aus meinem ersten großen Familien-Osterfrühstück seit 2020 am Montag wird nichts – Corona has landed, hoffentlich muss niemand sehr leiden. Also zum dritten Mal nur in kleinem Kreis.

Auf der Rückfahrt war der Zug deutlich leerer, um fünf waren die Ausflügler wohl noch unterwegs.

Daheim backte ich wie geplant für Ostermontag polnischen Mazurek. Es war noch Zeit für eine kurze Runde Yoga.

Für Abendessen hatte ich wieder Hunger, es gab gekochte Eier (eh), Cornichons und Butterbrot.