Archiv für April 2022

Journal Samstag, 9. April 2022 – Sportvereinslabyrinth

Sonntag, 10. April 2022

Der Schlaf nach fünf ist bekanntlich der erholsamste, nach einer zerstückelten Nacht profitierte ich sehr davon, dass ich nach dem letzten Aufwachen um fünf bis fast acht schlafen konnte.

Das Wetter war etwa so scheiße wie angekündigt, wir schoben die Wanderpläne auf Sonntag. Auf einen Lauf hatte ich keine rechte Lust, auch schlechtes Wetter gibt es in interessant und uninteressant. Statt dessen ging ich nach Monaten wieder in den Verein auf den Crosstrainer – unter anderem um herauszufinden, wie weit der Renovierungsabschluss der historischen Sportanlagen an der Häberlstraße gediehen waren.

Ergebnis: Das Zugangssystem mit Mitgliedausweis ist in Betrieb, damit kommt man nur in die Räume, für die man berechtigt ist. Diese Räume zu finden, also Umkleide und den Weg zur Galerie mit den Fitnessgeräten, war ein echtes Abenteuer. Beschilderung gab es wenig, und der alte Bau ist auf eine Computerspiel-taugliche Art verwinkelt – nur halt ohne Umschaltmöglichkeit auf Grundriss-Ansicht. Letztendlich fand ich zum Crosstrainer, kann mir aber nicht vorstellen, dass mein Kreuzen diverser Trainingshallen der vorgesehene Weg war.

Strampeln in angenehm weniger Gesellschaft (es gibt keinerlei Zutrittsbegrenzung mehr in Form von Impfkontrolle, um Maskentragen wird lediglich gebeten), ich hörte dabei Musik von Lana del Rey. Draußen hatte der Regen aufgehört, das Wetter beruhigte sich und war lediglich kalt.

Drei Semmeln (ok, große) beim Bäcker: 4,20 Euro.
Sich privilegiert fühlen, weil man sich Semmeln vom Bäcker leisten kann. Die steil steigenden Lebenshaltungskosten sind seit einiger Zeit Medienthema (Energiepreise, Inflation, Lieferkettenprobleme der Pandemie jetzt verschärft durch Ukrainekrieg), für prekär lebende Menschen muss das eine echte Belastung sein.

Zu Hause Körperpflege, Frühstück mit Semmeln (aufs Laugenzöpferl probierte ich einen veganen Aufschnitt, den ich für die Ostertafel testete – gut! mit reichlich unveganer Butter drunter). Statt Wochenendkuchen kochte ich Arroz von leche mit dem bayerischen Reis. Mein Verdacht bestätigte sich, dass er sich dafür besser eignet denn als Beilage aus dem Reiskocher.

Ausführliches Zeitunglesen. Empfehlenswerter Artikel (gegen Abo €):
“Frau Hoffmann erinnert sich”.

Sie ist 91 und hat schon einmal einen Krieg miterlebt. Wenn sie jetzt im Fernsehen die Bilder aus der Ukraine sieht, ist da wieder Angst und Kälte.

Frau Hoffmanns Erinnerungen passten sehr gut zu meiner derzeitigen Lektüre, Hilde Knefs Geschenktem Gaul, die ja auch viele Erinnerungen an Kriegsgräueln enthalten; Knef wurde 1925 geboren.

Die Pflegerin aus dem Stuttgarter Altenheim erzählt am Telefon, wie die Bewohner seit Butscha verstummt sind. Wie es stiller wird im Gemeinschaftsraum. Wie zu Beginn des Krieges erst alles wieder hochkam und die Alten plötzlich erzählten: vom toten Bruder, von den Soldaten, die die Menschen vom Acker trieben wie Vieh. Von der Angst. Nie haben sie so viel von sich erzählt wie in den ersten Kriegstagen, sagt die Pflegerin. Dann kam Butscha.

Im Altenheim stellen sie jetzt das Programm um im Fernsehen, wenn Nachrichten kommen, sie zeigen lieber Heimatfilme, sie singen „Tulpen aus Amsterdam“, sie richten alles hübsch her, für den Osterhasen.

Als speziellen Leserinnenservice für mich empfand ich diese ausführliche Feature (€):
“Im Glashaus”.

Seit 175 Jahren entstehen in der Mayerschen Hofkunstanstalt in München spektakuläre Glasarbeiten und Mosaiken, oft zusammen mit Weltkünstlern. Der jüngste Großauftrag ist gerade fertig geworden. Destination: New York.

Ich wusste sofort, von welchem Hinterhof die Rede ist: Die schöne Fassade mit der Aufschrift “Mayer’sche Hofkunstanstalt” war mir immer wieder beim Radeln durch die Seidlstraße aufgefallen. Ich hatte vermutet, dass sie der dekorative Rest einer längst verblichenen Firma ist, jetzt weiß: Nein, dahinter steckt wirklich, was vorne draufsteht.

In München gibt es nur wenige Meyer’sche Werke zu sehen, zum Beispiel in den Fünf Höfen. Oh – und ein paar der Glaskunstwerke könnte man sogar kaufen.

Aperitif fürs Abendessen wurden Green Monkeys, Herr Kaltmamsell servierte den spanischen Bohneneintopf Fabada, den er über den späten Nachmittag gekocht hatte.

Dazu gab es den restlichen Gemischten Satz aus Niederösterreich, der sehr gut passte. Zum Nachtisch spanischer Milchreis. Im Fernsehen ließen wir Sissi laufen, Teil 3 (“Non compro librusch!”)

§

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (die ich seit vielen Jahren als Internet-Fachfrau und Aktivistin für digitale Bürgerrechte kenne) weist darauf hin:

Und beschreibt dann in einem Thread, wie diese Bearbeitung aussah. Daraus kann man unter anderem lernen, wie wirkungsvoller Aktivismus funktioniert. (Und warum der Bundestag gegen die Impflicht stimmte, obwohl aus allen Umfragen hervorgeht, dass die Bevölkerung sie mehrheitlich will.)

§

Laurie Penny ist derzeit auf Buchtour in Europa – wo sie DIE junge Starfeministin ist, vor allem in deutschsprachigen Ländern, und entsprechend behandelt wird. Doch in ihrem Herkunftsland UK ist das sehr anders, auf Twitter bekomme ich vor allem Pennys Reaktion auf Angriffe aus der untersten Schublade mit. Hier schreibt sie darüber, wie sie diesen Gegensatz in der vergangenen Woche erlebt hat:
“So far, it’s been a strange holiday.”

I’ve got a part to play, and the part seems to be sort of Feminist ratbag rockstar. Which was a thing I always secretly hoped it might be possible for someone to be. But I’m trying to relax and play the part. Feminist rockstar. This was a thing I always secretly hoped it might be possible for someone to be.

Journal Freitag, 8. April 2022 – Abschluss der Arbeitswoche in Regen und Schnee

Samstag, 9. April 2022

Unruhige Nacht, aber ohne Löcher.

Ich wachte zu Regen auf, der blieb dann auch bis Mittag. (Die Bäurin freut sich, die Städterin hatte für Samstag Wandern geplant und fand das nicht so toll.)
Unterm Schirm in die Arbeit, der Sturm hatte sich gelegt.

Dumpfhirniges Werkeln, für volle Leistungsfähigkeit bräuchte ich dann doch mal wieder eine ganze Nacht Schlaf. Für einen Freitag überraschend kurz getaktete Arbeit, ordentlich was weggeschafft.

Mittags gab es Ernteanteil-Apfel (wieder SO gut), Pumpernickel mit Butter, Hüttenkäse.

Ah, dings, positiv sein, blessings counten und so: Ich möchte hier mal festhalten, dass ich keine Krampfadern habe, trotz erheblicher familiärer Vorbelastung und trotz Alter. Und zwar überhaupt keine, null, nada, nicht mal eine Ahnung davon. Dafür kann ich genauso wenig wie für hormonelle Schlafstörungen oder die gestrigen Glutattacken im Stundentakt, finde es aber sehr prima und freue mich darüber.

Pünktlicher Feierabend, der Regen machte Pause, dafür ging wieder heftiger Wind. Ich ging über Lebensmitteleinkäufe heim, außerdem setzte ich eine Geschenkidee um (es kann so schön sein, Ideen zu haben!).

Daheim eine lange Einheit Yoga, aber auch Folge 19 von Adrienes “Revolution” macht mir keine Lust auf Wiederholung.

Jetzt gingen wir das Feiern des Wochenendes an, ich machte Cosmopolitans.

Nach dem hochprozentigen Aperitif war ich so gelockert, dass ich uns für die nächste Woche einen Restauranttisch buchte, trotz Abschaffung des Impfungsfilters.

Zum Abendessen hatte Herr Kaltmamsell italienischen Polenta-Auflauf gemacht, mit Sojahack statt Hackfleisch – und zum ersten Mal erwies sich dieser Tausch als Verschlechterung: Das Sojahack machte das Gericht trocken und fad . Allerdings gilt der Versuch nicht wirklich, weil Herr Kaltmamsell ein anderes Produkt als die sonst immer verwendeten Sojabröckerl genommen hatte.

Dazu gab es einen Wein, den ich im Vorbeigehen beim Basitsch mitgenommen hatte (Wein ist meine Quengelware).

Feinstrick gemischter Satz aus Niederösterreich. Sehr schöne Grafik-Idee, der Gemischte Satz moussierte leicht, schmeckte säuerlich frisch nach Zitrusfrüchten und ein wenig Apfel.

Früh ins Bett zum Lesen, draußen war der Regen zurückgekehrt und hatte ein paar Schneeflocken mitgebracht – es sah schlecht aus für die Wanderpläne.

§

Trailer für The Lost city entdeckt. Welche ein Staraufgebot! Und eine Drehbuchidee, die sehr lustig werden kann – oder fürchterlich daneben gehen.

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https://youtu.be/nfKO9rYDmE8

Journal Donnerstag, 7. April 2022 – Ernteanteilpflichten

Freitag, 8. April 2022

Viel bessere Nacht: Nur einmal aufgewacht, bis kurz nach fünf geschlafen.

Der Tag begann mild und sonnig. Erst am Vormittag wurde es sehr windig.

Arbeit war viel gleichzeitig (wenn man bei einem Online-Meeting eh nur zuhört, kann man ja gleichzeitig Anderes arbeiten und ist ansprechbar für Kolleg*innenfragen, oder?). Spaß mit haarsträubenden Abkürzungen für Forschungsprojekte.

Mittags gab es Pumpernickel mit Butter, ein Schälchen Physalis.

Ein durchgehetzter Arbeitstag, was einerseits damit zusammenhing, dass Krankheit mir fest einkalkulierte Unterstützung entzog, andererseits damit, dass ich früher gehen musste: Herr Kaltmamsell war beruflich am Abholen des Ernteanteils gehindert, ich musste nach Langem mal wieder einspringen. Was nach Murphy’s Law die Arbeitslast sprunghaft steigen lässt.

Um halb fünf warf ich alles hin oder fuhr es runter und ging hinaus in den Sturm. Der Ernteanteil war schnell abgeholt, so sieht er diese Woche aus. Wegen Herrn Kaltmamsells Terminen war ich auch für das Abendessen zuständig. Der Ernteanteil enthielt dafür Salat (Asiasalat und Portulak) sowie Radieserl-Blätter – die arg lätschert und mitgenommen aussahen. Daheim zupfte ich sie ab und gab sie in eine Schüssel Wasser.

Ich plante Linguine mit Champignon-Rahm und frischem Basilikum, für die Zutaten marschierte ich zum Basitsch. Wo es weder Champignons gab noch frischen Basilikum. Also plante ich um auf Kräutersaitlinge und die krause Petersilie aus dem Ernteanteil.

Zurück daheim aber erst mal eine Runde Yoga (Herr Kaltmamsell war erst für acht Uhr angekündigt), diesmal endlich wieder mit ordentlich Bewegung. Dieses “Revolution”-Programm turne ich noch durch, dann vielleicht doch mal wieder eine Yoga-Phase mit Mady. Ich habe nämlich gemerkt, wie mir eine von Adrienes besinnlichen Bemerkungen ungut nachgeht, die auf abstoßende Weise Richtung “positives Denken” als Allheilmittel tendierte: Sie erwähnte eine Freundin mit offensichtlich chronischen Rückenschmerzen, die sie nach einer weiteren Klage über diese Schmerzen darauf hinwies, dass die Schmerzen ja nie besser werden könnten, wenn sie sich so sehr selbst darüber definiere, “just saying.” (Erinnerte mich an den einen oder anderen Selbst-schuld-Kommentar hier im Blog zu meinen jahrelangen und bösen Hüftschmerzen, bevor ich die Diagnose Arthrose hatte.)

Jetzt hatten sich 70 Prozent der Radieserlblätter erholt, sie kamen zum Salat. Insgesamt produzierte ich ein gutes Abendessen.

Es passten nur wenige Süßigkeiten hinterher.

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Anne Wizorek schreibt im Hauptstadtbrief darüber, was Putins Frauenfeindlichkeit und seine systematische Verfolgung von LGTBQI mit dem Ukraine-Krieg zu tun haben.
“Patriarchat auf Speed”.

Sich selbst und Russland als Verfechter der einzig richtigen gesellschaftlichen Werte zu inszenieren, daran arbeitet Putin seit gut zehn Jahren. In dieser binären patriarchalen Denkordnung gilt der Westen mit seinem Einsatz für Frauen- und LGBTQI+-Rechte als schwach und dekadent – als „das verweiblichte Gayropa“. Dagegen stemmt sich Russland, der quasi „letzte starke Mann“. Mutig wehrt er sich – sicher mit nacktem Oberkörper durch die Gegend reitend – gegen sämtliche Emanzipationsbemühungen marginalisierter Menschen, da sie einer vermeintlich „natürlichen Ordnung“ widersprechen und diese demnach gefährden. Es ist da kaum verwunderlich, dass auch Putins Kriegserklärung vom 24. Februar 2022 diese Töne anschlug, die nicht nur misogyn und queerfeindlich, sondern in ihrer Verschwörungserzählung ebenso antisemitisch sind.

Die Sehnsucht nach einer Männlichkeit hart wie Kruppstahl und Militarisierung durch und durch, schwillt uns seitdem auch wieder verstärkt aus deutschen Kommentarspalten, Talkshowsesseln und Meinungsartikeln entgegen. Krieg, das ist das Patriarchat auf Speed. Angesichts rollender Panzer lässt sich eben viel leichter zu den bekannten, rigiden Geschlechterrollen zurückkehren, statt sie infrage zu stellen.

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Hakan Tanriverdi ist Münchner, und ich habe ihn vor vielen Jahren mit seinen wundervollen Texten im Online-Magazin Kleinerdrei kennengelernt, unter anderem über seine Kindheit und Jugend bei mir ums Eck. Inzwischen wird er so eingeführt:

Hakan Tanriverdi ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule. Er hat fünf Jahre für die Süddeutsche Zeitung geschrieben und war Korrespondent in New York. Aktuell ist er Reporter für Cyber- und IT-Sicherheit beim Bayerischen Rundfunk.

WOW.

Zwischen dem einen und dem anderen gibt es viele Verbindungen. Deshalb finde ich diesen Text aus journalist ganz besonders interessant:
“Fünf Dinge, die ich gerne früher verstanden hätte”.

via Draußen nur Kännchen

Besonders aufgefallen ist mir Hakans Aussage:

Wenn Leute sich vorstellen, was investigativer Journalismus ist, dann heißt es oft: Geheime Dokumente besorgen. Ich finde, das ist eine sehr einengende Sicht. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, öffentliche Berichte zu lesen und Dinge zu suchen, die jede:r finden könnte.

Genau das habe ich mir nämlich schon oft zu Geschäftsberichten von Unternehmen gedacht, auch von richtig großen Unternehmen. Mit denen beschäftigte ich mich ein paar Jahre beruflich und fand darin immer wieder überraschende und wirklich wichtige Informationen (zwar nicht superspannend geschrieben, aber verständlich im Lagebericht, einem Pflichtteil von Geschäftsberichten), fragte mich dann, warum die Medien diese nicht aufgriffen.

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Eine großartige Tanzszene aus Sweet Charitiy von 1969, Regie Bob Fosse, die schön zeigt, wie klar zeitgebunden die meiste Choreografie ist (von Bob Fosse kommen unter anderem die ikonischen “Jazz Hands”).

Journal Mittwoch, 6. April 2022 – Suche nach Kindheitsfisch

Donnerstag, 7. April 2022

Das war dann wieder eine beschissene Nacht: Nach dem ersten Aufwachen um halb zwei schlief ich nicht mehr ein. Das wurde mir nach einer knappen Stunde klar, ich stand auf, las ein Stündchen Der geschenkte Gaul im Wohnzimmer, fröstelnd in Hausanzug plus Bademantel. Zum Ausgleich stellte ich meinen Wecker zehn Minuten vor. Das Buch ist noch viel besser, als ich es in Erinnerung hatte, kein Wunder, dass es seit Erscheinen 1970 durchgehend im Druck blieb.

Morgens beim Bloggen erstmals in diesem Frühling bewusst eine Grasmücke singen hören.

Auf der Theresienwiese wurde weiter Frühlingsfest aufgebaut, ich entdeckte eine ganz neue Alligatorenart: Caimaninae Cowboyu.

Die Magnolie beim Hotel Augustin hatte es ordentlich angefroren.

In der Arbeit erst viel Menschliches, dann bis Feierabend Datenbankarbeiten von der fiesligsten Sorte.

Zu Mittag gab es nun wirklich den Rest Buchweizen mit Karotten und eine Orange. Der Schlafmangel führte ganztägig zu Benommenheit und dumpfem Kopfweh, Leistungsfähigkeit ist was Anderes.

Auf dem Heimweg Einkauf fürs Abendessen beim Lidl: Ich suchte nach dem Backfisch meiner Kindheit, trapezförmige Stücke mit glatter und dicker Panade, fand ich damals noch besser als die eh superen Fischstäbchen. In dieser erinnerten Form gibt es die natürlich nicht mehr, wer nicht erst mit Jahrzehnten Abstand danach sucht, wusste das längst. Also kaufte ich etwas, auf dem zumindest “Backfisch” stand, dessen Form und Panade aber wahrscheinlich den “Fish” von “Fish and Chips” imitieren sollte. (80 Prozent der Kund*innen trugen Maske.)

Nochmal Kirschblütenpracht in der Lessingstraße. Es war milder geworden, ich brauchte weder Mütze noch Handschuhe.

Daheim eine Runde Yoga (immer noch aus Adrienes 31-Tage-Programm “Revolution” von 2017), die hauptsächlich aus Schnaufen bestand, die eigentliche Bewegung aus langem Halten. Jetzt wird’s mal wieder Zeit für eine Einheit Action.

Herr Kaltmamsell schob den gefrorenen Backfisch in den Ofen, ich machte dazu Gurkensalat mit Dill-Joghurt. Schmeckte schon gut, war halt nicht der Backfisch meiner Kindheit. (Und auch nicht der Fish von Fish’n Chips.) Nicht schlimm. Nachtisch viel Süßigkeiten.

Früh und erledigt ins Bett zum Lesen, ich schlief ein mit Knefs Bilder der brutalen letzten Bomben- und Kriegsnächte von Berlin.

Journal Dienstag, 5. April 2022 – Wortloses Entsetzen

Mittwoch, 6. April 2022

Diese Nacht nicht mehr so gut: Oft aufgewacht, nur leicht geschlafen. Den Vormittag über entsprechend müde und kopfwehig.

Draußen leichter Regen, der auch noch von heftigen Wind begleitet – ich ließ den Schirm daheim und wurde feucht.

Der Arbeitstag war dicht und enthielt wenig Erfreuliches.

Mittags gab’s den Buchweizen mit Zwiebel und Karotten, den ich mir Montagabend gekocht hatte – zum Teil, so ein “Restl” Buchweizen wird gekocht eine überraschend große Menge. Außerdem eine Hand voll wunderbar aromatische Kumquats.

Der Nachmittag wurde nicht viel erfreulicher. (Wussten Sie schon: Jedesmal wenn jemand hochgestellte/tiefgestellte Ziffern oder Buchstaben in Produkt-/Projekt-/Unternehmensnamen integriert, stirbt irgendwo ein Suchmaschinenoptimierer.)

ABER! Glutattacken derzeit runter auf unter zehn am Tag!

Nach Feierabend marschierte ich durch leichten Regen (aber weniger Wind, Schirm lohnte sich) zum Stachus, im Kaufhaus suchte ich Gürtel. Als ich nach Suche in drei Stockwerken endlich jemanden fand, die ich danach fragen konnte, wies man mich vage in die Richtung von zwei schmalen Regalen mit Glitzergürteln in Schwarz und verschiedenen Grautönen – nichts für mich. Kaufte ich halt wieder bunte Socken und Strumpfhosen. (Wo kaufen Menschen Gürtel?)

Daheim eine Runde Yoga, wieder angenehm anstrengend. Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell eine Lamm-Nudelsuppe (Fleisch mitten unter der Woche!) nach Ottolenghi.

Mit Kreuzkümmel und Koriander, schmeckte sehr gut. Nachtisch Süßigkeiten.

Hier steht die große Lücke, in die mein fortdauerndes Entsetzen über den Ukraine-Krieg gehört und über die Verbrechen russischer Soldaten wie Befehlshaber mit gezielter Zerstörung und Morden in der Zivilbevölkerung. Auch wortloses Entsetzen darüber, wie die russische Propaganda diese Verbrechen dreht: Ich stecke viel Energie in das Vermeiden von Gräuel-Bildern, aber auch in das Lesen von offiziellen russischen Erklärungen/Kommentaren in vertrauenswürdigen Übersetzungen.

§

Zurück zu Heiterem (puh): Sie erinnern sich vielleicht an die drei singenden Georgierinnen? Hier nochmal was von ihnen, nicht den Auftritt der tanzenden Nachbarn im Hintergrund verpassen:

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https://youtu.be/sHMJOK5jLnw

Journal Montag, 4. April 2022 – Noch ein Wochenstart

Dienstag, 5. April 2022

Nochmal eine Nacht mit viel Schlaf, ich genoss es.

Auf dem Weg in die Arbeit klirrte der Frost und biss mich ins Gesicht, knirschte der Raureif unter den Stiefeln.

Auf der Theresienwiese hatte der Aufbau des Frühlingsfests begonnen – die erste Bierzelt- und Fahrgeschäfte-Bespielung der Fläche seit Ausbruch der Seuche.

Vormittags Besprechungen und große Runden online, die länger dauerten als angesetzt. Schnell raus in die Apotheke gewitscht, das Nasenspray aus der Hausapotheke war über dem Verfallsdatum und musste ersetzt werden – neben Pflaster und Herpescreme wichtigster Bestandteil (ich werde wahnsinnig, wenn ich nicht schnaufen kann – egal ob wegen Chlor- oder Infektionsschnupfen, geht bei mir auch sofort auf die Bronchien). Es war sonnig geblieben, wärmer geworden.

Spätes Mittagessen: Sahnequark mit Joghurt, Birne.

Nachmittags Schreibtischarbeit, Jour fixes und Gespräche.

Nach Feierabend machte ich in kräftigem Wind einen Abstecher in den Vollcorner (Schilder baten um Maskentragen, von allen erfüllt), arbeitete die Einkaufsliste ab.

Daheim kochte ich erst mal Brotzeit für Dienstag: Buchweizen mit Karotten und Zwiebeln. Eine Runde Yoga, während der Himmel zuzog – eine Folge mit vielen anstrengenden Halte-Übungen.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell ein Bangladeshi Kurkuma-Tomaten-Kitchari – ein Reis-Linsen-Gericht, das wir so ähnlich als nah-östliches Mejadra von Ottolenghi bereits kannten. Nachtisch: Ein Rest (weniger guter) Zwetschgenkompott vom Sonntag mit Schmand, Schokolade.

§

Ein wichtiger Blogtext über “don´t give up on me”, wie jemand immer wieder Energie in ihr Leben mit psychischen Lasten investiert.
“Never”.

via Joël

ich kämpfe seit jahren mit meinen themen. ich vermeide den begriff dämonen aber eigentlich geht es genau darum – sie sind da, sie sind nicht reparabel. ich kann sie mit honig füttern, wie der buddhismus es mir vorschlägt, ich kann sie verstehen, fühlen, umarmen, ignorieren, sie mit arbeit und ablenkung überdecken. sie bleiben. manchmal gehen sie schlafen, dann hab ich ruhe – einen moment des gefühls von frieden und angekommen sein. dann dreht sich meine lebensspirale weiter und dasselbe thema kommt im neuen gewand zu mir „oh hej! so sehen die dämonen jetzt aus, cool“. aber leider sind sie halt wieder da. es dreht sich alles um bindung und beziehung und wie ich es drehe und wende, ich kriege es nicht so gelöst, dass sie für immer gehen.

(…)

neulich dachte ich mal, dass ich froh bin so abartig viel psychoanalyse und psychotherapie (ja, tatsächlich habe ich alles zusammen ca. 600 stunden therapie auf kosten der krankenkasse gemacht – was mir eigentlich als beweis dienen sollte, dass selbst die kapiert hatten, dass ichs nötig hatte) gemacht zu haben, immerhin kann ich mir eine menge kosten sparen dadurch, dass ich selbst eine wirklich großartige therapeutin bin – zumindest für mich. und es hat nichts mit zusammenreissen zu tun – auch so eine idee im umgang mit psychischer erkrankung, die ich jahrezehntelang selber gemacht habe und gerne auch von meinem umfeld verlangt habe. ich habe das versucht, es hilft nichts. genauso wenig wie ignorieren.

Ganz große Bewunderung, ganz großer Respekt.
(Auch weil ich das nicht schaffe, selbst bei meinen viel, viel kleineren Päckchen. Ich würde mal sagen, ich habe ca. 2012 aufgegeben, spätestens 2016 – u.a. weil ich einfach nicht genug Interesse für mich aufbringe, weil es mich derart anödet, mich mit mir zu beschäftigen, so unglaubwürdig sich das auch von so einer Ego-Bloggerin lesen mag. Statt dessen halte ich irgendwie durch, sind ja nur noch ca. 30, 40 Jahre. Meistens ist das ja ganz gut aushaltbar.)

§

Mist, das war mir nicht klar: Journalistin Melina Borčak versucht in einem Twitter-Thread – offensichtlich zum wiederholten Mal -, ständig wiederholte Falschdarstellungen des Bosnienkriegs zu korrigieren.

Krieg in Bosnien war kein Bürgerkrieg, sondern Angriffskrieg Serbiens +Kroatiens gg Bosnien. Der internationale Charakter des Krieges ist mehrfach vom UNO-Tribunal belegt. “Bürgerkrieg” sagen nur Leute, die milošević +tuđman reinwaschen wollen – ob aus Ignoranz oder Rassismus.

Da sehen Sie mal: Dieser Krieg, diese Kriege fanden zu meinen erwachsenen Lebzeiten statt, und jetzt erkenne ich, dass ich doch mal gründlich nachlesen sollte, was da eigentlich passiert ist. (Habe bis gestern auch immer fälschlich von “jugoslawischem Bürgerkrieg” gesprochen.) Lesetipps dazu von Borčak unter dem eigentlichen Twitter-Thread.

Journal Sonntag, 3. April 2022 – Doch noch ein Schneelauf

Montag, 4. April 2022

Lange und vorwiegend gut geschlafen, ich fühlte mich geradezu ausgeruht beim Aufwachen. Auch gestern schlug ich die Augen zu diesem Anblick auf:

Gemütliches Kaffeetrinken und Bloggen, dann machte ich mich fertig für einen Isarlauf – auf den ich mich besonders freute, weil es ein erster Schneelauf seit Jahren sein würde (erst Hüfte kaputt, dann neue Hüfte zu neu, dann kein Schnee). Er war wundervoll, ich blieb sehr oft zum Fotografieren stehen.

Im Nußbaumpark wurde schon auch mit dem Schnee gespielt, links vom Baum.

Verdutzte Forsythie im Alten Südfriedhof.

Wenig los an der Isar, immer wieder ein paar Schneeflocken.

Der Kiosk konnte wohl nicht schnell genug von Aperol Spritz und Wegbier zurückschalten auf Glühwein.

Eine Ahnung von Sonne und blauem Himmel im Süden hinter der Wittelsbacherbrücke.

Kabelsteg in der Ferne, rechts Müller’sches Volksbad – gestern waren fast keine Radln unterwegs, ich konnte auch hier entspannt laufen

Medusa! Was haben sie dir angetan!

Landende Nilgans, Blick vom Föhringer Wehr nach Norden.

Mehr verdutzte Blüten.

Geheimes U-Boot-Treffen in der Gärtnerei des Englischen Gartens.

Sonne!

Der Kormoran trocknete seine Flügel mit energischem Wedeln.

Unter der Kennedy-Brücke.

Blühende Zierkirsche im Schnee.

Eisbach, hier sieht man im Hochsommer badende Kinder, die sich bachabwärts treiben lassen und dann tropfend mit der Tram zurückfahren.

In einer angenehm leeren Tram fuhr auch ich, aber zum Sendlinger Tor. Körperpflege und Anziehen.

Frühstück ließ ich diesmal wirklich aus, also Semmeln, Kuchen, Porridge oder ähnliche Frühstücksspeisen, um zwei gab es den Borschtsch von Vorabend, und zwar allen restlichen (Herr Kaltmamsell hatte sich schon etwas genommen), ohne Schmand – weil ich keine Lust darauf hatte. Gemüse in Reinform (Salat, Gemüsesuppe, gedünstetes Gemüse) geht wirklich in beliebig großen Mengen in mich rein, bevor ich nicht mehr kann. Schmeckte auch diesmal sehr gut, allerdings vermisste ich in den Texturen etwas Beißiges. Wären klassisch ja Fleischstücke, ich kann mir aber auch gekochte Körndln vorstellen, zum Beispiel Grünkern.

Internetlesen, Zeitunglesen, ich las auch Annie Ernaux, Sonja Finck (Übers.), Das Ereignis aus (ein seltsames Büchlein). Am späten Nachmittag eine Obstmahlzeit: Orange und Trauben.

Es war immer mehr die Sonne herausgekommen, so begann draußen das große Tropfen.

Zum Abendessen gab es Dampfnudeln – aber von Herrn Kaltmamsell. Es gibt ja im Hause Kaltmamsell Dampfnudeln als zwei grundsätzlich verschiedene Gerichte: Von mir leicht und fluffig, auf Kartoffeln gegart, von Herrn Kaltmamsell mit Butterkruste unten.

Im Fernsehen ließen wir Bohemian Rhapsodie laufen, und ich stellte fest, dass ich im Kino nichts verpasst hatte: Die Teile der Band-Geschichte, die für den Film verwendet wurden, interessieren mich nicht. (Aber die BBC-Doku, die ich mal zufällig in Brighton erwischt hatte, mit BBC-Material aus Jahrzehnten: Die war superspannend.)

Im Bett das nächste Buch begonnen, Hildegard Knef, Der geschenkte Gaul – vom ersten Absatz an verliebt. Annie Ernaux, Sonja Finck (Übers.), Das Ereignis hatte ich zwar als historisches Zeugnis interessant gefunden: Wie war das, wenn man im städtischen Frankreich Anfang der 1960er als junge Frau unbeabsichtigt schwanger wurde und eine Abtreibung brauchte. Doch die literarische Seite beschäftigte sich auf seltsam verquaste und mir ganz ferne Weise mit dem Akt des Aufschreibens und Erinnerns und ließ mich daran denken, warum ich mit französischen Filmen so oft nichts anfangen kann.

Die Erinnerungen der Knef hingegen beginnen so:

Liebeserklärung an meinen Großvater

Meiner hieß Karl, er war mittelgroß und genauso kräftig, wie er aussah. Er trug den Kopf sehr gerade, die Wirbelsäule auch, und er hatte einen großen Mund mit vielen Zähnen; er hatte sie noch alle 32, als er mit 81 Jahren Selbstmord machte. Sein Jähzorn war das Schönste an ihm, erstens weil er sich nie gegen mich richtete und weil er so wild und rasch kam, wie er verging, und wenn vergangen, wurde sein Gesicht warm wie ein Dorfteich in der Sommersonne und seine Bewegungen verlegen und einem fischenden Bären gleich.

(Zeichensetzung im Original – ich erinnere mich, dass ich beim ersten Lesen als Teenager ständig stolperte und dann sehr beeindruckt von jemandem war, die sogar Kommas festsetzen durfte.)