Archiv für April 2022

Journal Samstag, 2. April 2022 – Schnee. Und noch mehr Schnee

Sonntag, 3. April 2022

Eine gute Nacht. Ich wachte zwar ein paar Mal auf, was ja immer von der Beklemmung gefolgt ist, ob ich wieder einschlafen können werde, doch tatsächlich funktionierte das Wiedereinschlafen – und ich musste ja nicht früh raus. Das hellte meine Grundstimmung deutlich auf.

Erster Anblick beim Aufwachen:

Eigentlich kann ich die Winterrückkehr gerade auch nicht brauchen, doch ich sehe den Schnee in erster Linie als dringend nötigen Niederschlag. Und richtig frostig war es ja nicht.

Über den Tag machte ich noch viele Schneefotos, es schneite durchgehend leicht, in Flocken verschiedener Größe. Schließlich war das in diesem Winter erst der zweite ernsthafte Schneefall. (Sie werden jetzt sagen “Aber 2. April ist doch nicht mehr Winter?”)

Telefonat mit meiner Mutter. Unter anderem erfuhr ich zu meiner Beruhigung, dass meine Eltern bereits viertgeimpft sind. (Ich habe mir das für Mai vorgenommen, für sechs Monate nach Booster.)

Lange wägte ich ab, was mir mehr Freude bereiten würde: Radeln durchs weiße München zum Schwimmen, durch winzigen Schneefall? Oder Fahrt mit der Tram?
Ich entschied mich für Tram, um nicht schneenasse Kleidung in den Spind sperren zu müssen. Die Straßenbahn war auf der Hinfahrt so leer wie erwartet.

Im Dantebad der wahrscheinlich letzte Öffnungstag mit Check des Impfstatus und mit Maskenpflicht in den Innenräumen. Ich bin gespannt, ob ab Sonntag der Betrieb wirklich läuft, als gebe es kein Corona mehr.

Schwimmen im Schneefall war schön, die kalten Flocken bitzelten auf meinen Armen und Schultern. Rechte Zehen und linke Wade immer ganz kurz vorm Krampfen, erst auf den letzten 300 von meinen 3.000 Metern machte die Wade eine Runde ernst, kriegte sich aber wieder ein.

Auf der Rückfahrt war die Tram leider nicht mehr leer, und die Leute hielten keinen Abstand. Ich verließ an der zweiten Station meinen Sitzplatz und floh in eine Steh-Gegend, in der ich Raum hatte.

Einkäufe in einem sehr großen Edeka – und ich bekam tatsächlich kein Weizenmehl, das Herr Kaltmamsell für die geplanten Dampfnudeln auf die Einkaufsliste geschrieben hatte, stand vor leeren Regalen. Bis dahin hatte ich die Berichte von Hamstergekäufen aus Angst vor bevorstehenden Lieferengpässen (die Ukraine ist ein wichtiger Weizen-Exporteur) für übertrieben gehalten. Haben die Leute tatsächlich ihre Hamsterkäufe vom Pandemiebeginn vor zwei Jahren schon aufgebraucht oder weggeworfen? Nun, noch können wir auf nicht ganz so perfekt geeignete Weizenmehlsorten im Schrank zurückgreifen (00 und 550 statt 405).

Frühstück um halb drei: Semmeln und eine reife Birne. Das machte mich bettschwer, ich legte mich zu einem Nickerchen hin.

Herr Kaltmamsell hatte bereits vor einer Weile verkündet, er wolle jetzt auch backen. Er ließ sich meine anspruchsvollen Tortenbackbücher geben (aus der Phase zwischen 16 und ca. 26), doch gestern wurden es dann doch erstmal Mandelkekse. Ich probierte gleichmal zwei: Sehr gut!

Draußen schneite es weiter, die Farbkombination Weiß mit dem Neongrün der Ahornblüten fand ich besonders reizvoll.

Zeitunglesen, eine Runde Yoga – anstrengend allein durch das lange Halten von Positionen.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell ein Rezept aus einem besonderen Kochbuch ausprobiert, dass der Gast vom Donnerstag uns geschenkt hatte – ganz in der Tradition der 1980er-Vollwertbewegung.

Es gab daraus den Borschtsch, weil der zum Bestand in unserem Gemüsefach passte.

Schmeckte hervorragend, der von Buhl Riesling Deidesheimer Herrgottsacker 2017 passte nicht nur vom Namen gut dazu. Dann gab es noch Käse, abschließend Schokolade.

Im Fernsehen ließen wir Hancock dazu laufen, einer meiner liebsten Superheldenfilme. Ich stellte fest, dass ich das Ende wohl nur einmal gesehen hatte, nämlich damals im Kino, sonst immer vor Ende ins Bett gegangen war. Es ist auch die Schwachstelle des Films.

§

Tobias Kniebe schreibt in der Süddeutschen über den Krankheits-bedingten Abschied von Bruce Willis (nur gegen Abo €):
“Nichts zu bedauern”.

Aus allem, was Bruce Willis damals [ca. 1998] sagte und was in der Tat eher beiläufig und genervt klang, ließ sich am Ende eine Botschaft herauslesen, die voll überraschender Demut war – fast fatalistisch.

Es liegt nicht in meiner Hand, war der Subtext seiner Antworten. Ich kann nicht beeinflussen, wie ihr mich seht, welche Fantasien ihr mit mir entwickelt, welche Rollen unsere besten Geschichtenerzähler sich ausdenken, die ich ausfüllen kann. Ich kann mich nur bereithalten. Ich kann mich nur fit halten für den Moment, wenn wieder ein guter Anruf kommt. Ich kann dieses Gesicht, an dem ihr euch alle nicht sattsehen könnt, nur formbar halten für eure Ideen. Und das tat er. Kurz nach jenem Treffen holte ihn M. Night Shyamalan für “The Sixth Sense”, da war er ein stiller Kinderpsychologe, der unerklärliche Dinge verstehen muss, und selten war er so gut.

Kniebe beschreibt einige Rollen, in denen Willis Kinogeschichte schrieb – und lässt doch zwei meiner Lieblingsfilme mit ihm aus:
Death becomes her (dt. Der Tod steht ihr gut), in dem er ganz gegen Image in einer komischen Spießerrolle besetzt ist
Hudson Hawk – in dem er nämlich singt (mit Danny Aiello!)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/I6WXVqg48Qs

Der Film wurde damals mit Goldenen Himbeeren überschüttet – was lediglich beweist, dass die alle keine Ahnung haben.

Tanzen sehen können Sie einen Bruce Wills aus Moonlighting-Zeiten (mangels Ferseher damals nie gesehen, von einem Freund aber sehr detalliert vorgeschwärmt bekommen) hier, Regie der Szene Stanley Donen (der unter anderem Singing in the rain gemacht hatte):

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/HXvki5MKPAI

Mein allerliebster Bruce-Willis-Film wird aber The Fifth Element bleiben. (Weil Milla Jovovich. Gary Oldman. Chris Tucker. Ian Holm. Und in der Hauptrolle: Das Drehbuch von Luc Besson und Robert Mark Kamen.) (“Multipass!”)

Journal Freitag, 1. April 2022 – Schnee und Dunkelgraues vorm Wochenende

Samstag, 2. April 2022

Die Nacht begann gut mit fünfeinhalb Stunden Schlaf ohne Unterbrechung – doch danach war nur noch unruhiges Dösen und Ängstigen. Wieder stand ich übernächtigt auf.

Aus dem nächtlichen leichten Regen wurde bei Tagesanbruch erst Schneeregen, unterm Schirm auf dem Weg in die Arbeit Schnee: Die Wettervorhersage hatte richtig gelegen. Ich trug wieder Mütze und Handschuhe.

Das alles reichte aber nicht als Erklärung für mein dunkelgraues Gemüt, ich brachte nicht mal Vorfreude auf den Freitagabend oder das Wochenende auf. Echt kein’ Bock mehr.
Ich ahne Ursachen, beantrage aber Beschuldigung des Klimakteriums weil viel praktischer.

Zumindest (wenn ich mich schon an Zumindest entlang hangle) schaffte ich in der Arbeit zwei unangenehme Blöcke weg, machte nicht schon wieder bescheuerte Fehler. (Hoffentlich.)

Mittagessen: Banane, Granatapfelkerne mit Joghurt, Trauben. War ein bisschen zu viel.

Es schneite den ganzen Tag leicht und nass, auch für den Heimweg brauchte ich meinen Schirm. Kurze Wochenendeinkäufe beim Vollcorner. Daheim eine Runde Yoga, die gut tat. Noch besser tat das Glas Manhattan zum Einläuten des Wochenendes, jetzt wollte ich nicht mehr bitte heute jemanden umbringen, am liebsten mich, sondern sah die Möglichkeit, dass morgen reichen könnte. Alkohol ist toll.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch wieder Flat Iron Steak erjagt, er servierte es mit Ernteanteil-Spinat, ich machte aus Ernteanteil-Chicoree und -Kresse einen Salat dazu.

Ausgesprochen köstlich, Flat Iron Steak wollen wir dringen mal zum Grillen bei meinen Eltern mitbringen. Dazu gab es einen württemberger Acolon – die Rebsorte ist eine Neuzüchtung aus den 1970ern: Passte gut, wird aber nicht mein Lieblings-Roter, weil mir zu glatt. Nachtisch war ein Restl Schwedenspeise, Schokolade.

Am Sonntag enden nahezu alle Vorgaben zum Pandemieschutz (trotz immer neuer Spitzenwerte der Ausbreitung), jede muss selber schauen, wie sie sich (und damit indirekt auch Risikogruppen) vor einer Infektion mit Corona schützt. Tipps aus der Zeit, was wie wichtig ist:
“Wie kann man sich jetzt noch vor Corona schützen?”

Meine geliebten Restaurantbesuche verschiebe ich auf Zeiten, in denen ich gezielt Lokale mit hohem Hygieneschutz ansteuern kann, die z.B. weiterhin Impfnachweise verlangen.

§

Geniale Fernseh-Ideen, Teil 8 (gibt nicht so viele): Ein Dutzend Menschen mit ungewöhnlichem Lachen einladen und nebeneinandersetzen. Fertig, bitteschön.
Ich empfehle mehrfaches Gucken: Das sind tatsächlich alles Lachgeräusche.

Journal Donnerstag, 31. März 2022 – Ausgewanderter Gast und Beifang aus dem Internetz

Freitag, 1. April 2022

Unruhige Nacht, aber ohne große Löcher, im Halbschlaf wälzte ich Arbeitsaufgaben der kommenden Tage, alles, mit dem ich auch nur ein bisschen feststecke, beunruhigte mich bis zum Herzklopfen. Ich startete den Tag mit einer Stimmung, die zum düsteren Himmel passte, Katergefühl. Einer von wöchentlich mindestens zwei Corona-Selbsttests zum Morgenkaffee, weil abends ja ein Gast angekündigt war.

Auf instagram aus Hamburg beeindruckende Schneebilder. In München blieb es den ganzen Tag verheißungsvoll düster, aber Regen fiel erst am späten Abend und wenig.

Mittags Banane, Brot (Roggen-Dinkel vom Wimmer: gut – aber warum schokoladenbraun eingefärbt?), Trauben.

Kreislaufkapriolen mit ordentlich Schwindel (interessanterweise gut von klimakterischem Temperaturkarussel unterscheidbar).

Nach Feierabend nur ein kurzer Einkaufs-Abstecher in den Drogeriemarkt, daheim Lieblingstweets zusammengestellt, dann Tischdecken und Vorbereiten fürs Abendessen: Es kam ein ausgewanderter Freund, der beruflich in München zu tun hatte.

Herr Kaltmamsell hatte aus frischem Ernteanteil Topinambursuppe gekocht, außerdem briet er aus Weißkraut Okonomiyaki, zum Nachtisch hatte ich Schwedenspeise mit Trockenobst vorbereitet. Wir ließen uns aus dem neuen Leben des Freundes erzählen und planen jetzt ein Wanderwochenende in seiner neuen Heimat im Harz.

§

Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat die rumänische Diktatur noch in den Knochen. Ihre Einordnung des russischen Angriffs auf die Ukraine – und wie der Westen es dazu kommen ließ:
“Nobelpreisträgerin Herta Müller: ‘Diktatoren wissen, was sie ihrem Land antun'”.

Ich hoffe, dieses Fiasko auch in Bezug auf den Umgang mit Putin lässt uns merken, wie leichtsinnig wir waren. In der russischen Gesellschaft besteht keine Möglichkeit auf Opposition, bis hin zu Morden und Vergiftungen, was für gruselige Dinge! Putin hat sein eigenes Land ausgeraubt und völlig kaputt gemacht. Und entsetzlicherweise gibt es in Westeuropa Leute, die das nicht wissen wollen oder sich einen Despoten wünschen. Wie kann man in einer Demokratie so verwahrlosen?

(…)

Es gibt immer zwei Sprachen: die Staatssprache, die leere, nach Blech scheppernde Ideologie, die man fast nicht aushält; und es gibt die Sprache der Menschen. Die banatdeutsche Minderheit, aus der ich komme, war sehr reaktionär, das Nachdenken über den Nationalsozialismus haben sie nicht ertragen. Rumänien hat seine Geschichte gefälscht, es ist ja erst am vorletzten Kriegstag auf die Seite der Sowjetunion gewechselt. Man musste ständig darauf achten, dass man Ideologiesprache nicht nachbetet. Ich habe auch nie gesagt, dass mir die deutsche Sprache gefällt. Ein Wort von Jorge Semprún hat mich begleitet: Nicht Sprache ist Heimat, sondern das, was gesprochen wird.

§

Dina Litovsky ist Fotografin, Fotojournalistin, Gewinnerin des Nannen-Preises 2020. Hier schreibt sie ihre Überlegungen zum Dokumentieren von Demos auf – solche Reflexionen finde ich immer sehr aufschlussreich.
“What The Women’s March Taught Me About Photographing Protests”.

Protests are a visual trap. They seem relatively straightforward to shoot — lots of people, colorful signs, high emotions — but that’s an illusion. Images of protesters posing with their signs or screaming become really redundant really fast. The intensity of being in the middle of a crowd gets lost in translation and, inexplicably, the photos come out boring. I found that out the hard way. My archives are full of remarkably dull images from all kinds of protests.

(…)

The trick to photographing protests is picking out which individuals most effectively translate the mood of the particular gathering. People with the biggest signs or loudest insignia don’t necessarily make the strongest impact. The people in the flashiest attire come there to be seen and attract the most attention from photographers, but I find that more often than not they diminish the mood of images. Instead, I look for those on the sidelines, protesters who represent the zeitgeist in a more subdued but powerful way.

Und genau das ist der subjektive Filter der Fotos: Litovsky muss beurteilen, welche Individuen diese konkrete Demo am besten repräsentieren. Es gibt keine objektive Berichterstattung.

§

Eine Antwort auf die Frage, ob Handystrahlung Tumore verursacht, scheiterte lang an der Verfügbarkeit von Daten: Handys waren schlicht noch nicht lange genug verbreitet. Doch das sind sie jetzt, und es stellt sich heraus:
“No increased risk of brain tumours for mobile phone users, new study finds”.

The researchers used data from the UK Million Women Study: an ongoing study which recruited one in four of all UK women born between 1935 and 1950. Around 776,000 participants completed questionnaires about their mobile phone usage in 2001; around half of these were surveyed again in 2011. The participants were then followed up for an average of 14 years through linkage to their NHS records.

(…)

• There was no significant difference in the risk of developing a brain tumour between those who had never used a mobile phone, and mobile phone users. These included tumours in the temporal and parietal lobes, which are the most exposed parts of the brain

• There was also no difference in the risk of developing glioma, acoustic neuroma, meningioma, pituitary tumours or eye tumours

• There was no increase in the risk of developing any of these types of tumour for those who used a mobile phone daily, spoke for at least 20 minutes a week and/or had used a mobile phone for over 10 years

• The incidence of right-sided and left-sided tumours was similar in mobile phone users, even though mobile phone use tends to be considerably greater on the right than the left side

Auf Deutsch gibt es einen Artikel über die Studie in der Süddeutschen, allerdings nur gegen Abo (€):
“Keine Hinweise auf Hirntumore durch Mobiltelefone”.