Journal Donnerstag, 9. Juni 2022 – Berlin 5, re:publica 2 mit Besserung
Freitag, 10. Juni 2022Sehr gut geschlafen, und zwar durch (!) bis sechs, dann nochmal ein Stündchen. Duschen, Bloggen, Morgen-Cappuccino in einem weiteren kleinen Nachbarschafts-Café, dieses mit deutlichem italienischen Einschlag.
Zurück in der Wohnung noch ein wenig lesen bis es Zeit war zum Aufbruch. Der Tag war kühler und düsterer als der Mittwoch, über den Tag regnete es immer wieder ein paar Tropfen. Ich fühlte mich deutlich besser, freute mich über einige Gespräche mit alten Internet-Bekannten.
Unabhängig voneinander steuerten Herr Kaltmamsell und ich als erste Session des Tages an: “Desinformation: Haben wir die gemeinsame Basis verloren? – Herausforderung für die Demokratie”. Die zentrale Teilnehmerin der Podiumsdiskussion, Pia Lamberty, fiel zwar wegen Krankheit aus, doch von den anderen erfuhr ich Hochinteressantes über den derzeitigen Stand der Forschung zu Desinformation.
Meine Güte: We’ve come a long way. Ich erinnere mich noch an re:publica-Sessions, in denen dieses Internet-Phänomen – wie so manch andere, Hassrede zum Beispiel, anfangs noch “Trolltum” genannt – identifiziert und benannt wurde, wie in anderen Gegenmittel diskutiert wurden. Und jetzt gibt es Institutionen und seriöse Forschung dazu, die fundierte Daten liefern. (Ja, ich fühle mich dabei auch alt – mehr aber noch privilegiert, dass ich das alles in Echtzeit miterleben durfte und darf.)
Ich verabschiedete mich von Herrn Kaltmamsell, holte mir nochmal einen Cappuccino. Für mich gab es jetzt auf der großen Stage 1 “Das Coronavirus-Update – Wenn Wissenschaftsjournalismus auf einmal cool wird”: Die beiden Macherinnen des meistgehörten Podcasts während der Pandemie, Korinna Hennig und Katharina Mahrenholtz, ließen sich ausfragen und erzählten Hintergründe aus erster Hand. Gerade diese Infos aus erster Hand machen für mich immer wieder mein re:publica-Erlebnis aus.
https://youtu.be/Yc8Q38dbOi8
Auf jeder re:publica profitiere ich von Sessions zu Themen, die mich überhaupt nicht interessieren. In die diesjährige zu Fernsehserien (die mich ja gar nicht interessieren) geriet ich durch ein Missverständnis: Weil ich die genaue Beschreibung nicht gelesen hatte, hielt ich “Expect the unexpected – Wie Serien improvisieren” für eine Session zu den Auswirkungen der Pandemie auf Serien-Drehbücher. Doch in Wirklichkeit ging es um drei aktuelle TV-Serien, die auf Improvisation statt klassischen Drehbüchern basieren – alle drei auf komplett unterschiedliche Weise. Vor allem das Rap-Musical Hype will ich jetzt unbedingt sehen (Laiendarsteller*innen aus Köln, die ihren Alltag spielen und sprechen), aber auch Das Begräbnis von Jan Georg Schütte (alter Mann, der seit 15 Jahren solche Impro-Sachen fürs Fernsehen macht) sieht sehr spannend aus. Extrem respektabel wirkte auf mich die Arbeit von Emil Belton: Die Discounter bei Amazon Prime. Die drei Macher*innen erzählten detailliert von ihrer Arbeit (Drehbuch, Casting, Drehen, Schnitt) – superinteressant.
Gestern kein Badewetter.
Die Session “Follow the dark Rabbit!” zu Science Fiction, die sich mit digitalen Zukunftswelten beschäftigte, war dann auch sehr interessant, unter anderem weil die Science Fiction schaffenden Podiumsdiskutant*innen partout nicht sagen wollte, was die Initiatorin und Moderatorin ihnen durch Fragen in den Mund legte. (Am Schluss sagte sie es dann halt selbst.)
Jetzt hatte ich richtig Hunger und aß mitgebrachten Apfel und Pumpernickel. Mittlerweile hatte Bundeskanzler Scholz irgendwas auf Stage 4 gesagt – ich war vor allem froh, dass die Security um die Anwesenheit von Spitzenpolitik diesmal nicht die gesamte Veranstaltung dominiert hatte.
Danach schaffte ich es nur noch zu einer Session: “Gesellschaft in der Dauerkrise: Carolin Emcke und Ottmar Edenhofer im Gespräch”. Da sich Ottmar Edenhofer verspätete, begannen Moderatorin Geraldine de Bastion (über die Jahre habe ich dieses re:publica-Urgestein als exzellent vorbereitete, umfassend gebildete und immer konstruktiv steuernde Moderatorin ungemein zu schätzen gelernt) und Caroline Emcke schon mal ohne – wie immer mit sehr klugen Gedanken. Doch Edenhofer war tatsächlich der interessante Inputgeber: Der Direktor und Klimaökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels an der TU Berlin (unter anderem) konnte sehr präzise Aussagen machen zur Auswirkung des EU-Beschlusses gegen eine Erweiterung des Emissionshandels (verheerend) und zu nötigen weltweiten Kooperationen. Eigentlich wäre ich aus dieser Session völlig niedergeschlagen gekommen, wenn ich mich nicht daran festhalten hätte können, dass so jemand Superschlaue wie Caroline Emcke immer noch Licht am Horizont sieht.
Ich nahm eine S-Bahn zurück, erfuhr unterwegs, dass Herr Kaltmamsell erst eine Stunde nach mir in der Ferienwohnung eintreffen würde. Diese Zeit nutzte ich für eine Runde Yoga auf dem Küchenteppich aus Kunst-Bast, der dafür griffig genug war. Mit Herrn Kaltmamsell spazierte ich zu einem brasilianischen Restaurant in der Nähe, das online spannend ausgesehen hatte – aber geschlossen war (sah recht dauerhaft aus). Also aßen wir zu Abend in einer spanischen Tapas-Bar ums Eck und teilten uns: Boquerones (sehr gut), Patata Brava (eher Bratkartoffeln), Chipirones (gut), gebratenen Chorizo (gut!) mit Salätchen (hochwillkommen), dann noch einen großen Teller Lammbraten (sehr gut) mit Kartoffelgratin. Dazu ein Glas Rosé für mich und Bier für Herrn Kaltmamsell. Wir wurden sehr satt, waren aber auch sehr hungrig gewesen.
Abstimmungen für den Freitagabend: Wir werden bei einer Berliner Freundin Show-kochen.