Journal Freitag, 1. Juli 2022 – Getrennter Freitagabend, Beifang aus dem Internetz

Samstag, 2. Juli 2022 um 7:53

Luxuskummer: Herr Kaltmamsell hatte vor zwei Monaten für gestern Abend einen Tisch im Dantler reserviert – den er am Montag nach Positiv-Testung absagen musste. Und auch wenn wir durch die geschlossene Tür seines Zimmers am Morgen die freitägliche Kuh auf Wiese zum Nachtmahl absprachen, konnte ich mich nicht so recht auf das getrennte Essen freuen.

Ich war ein gutes Stück vor Weckerklingeln aufgewacht, weil wirklich munter aber gleich aufgestanden. Kühles, düsteres Wetter, aber nicht unangenehm.

Im Büro emsiges Werkeln, was gelernt, was beigebracht.

Vormittags gab’s ein bisschen Regen, bei Aussicht auf ein heißes Wochenende besonders begrüßt.

Mittags Rest des Bohnenbratenbrots, Banane, Flachpfirsich.

Nachmittags mal wieder die Illusion von Hals- und Luftröhrenschmerzen, Druck in den Nebenhöhlen sowie ein wenig Schwäche – wie ich sie in diesen Corona-Jahren schon mehrfach gehabt hatte, und nie war was gewesen. Damit ich mir glaube, dass ich krank bin, muss es mich schon ins Bett werfen. Oder es muss mich ununterdrückbar hinken lassen. Oder zwei Striche anzeigen.

Blick aus dem Bürofenster ergab: Der Kran beim Neubau am Heimeranplatz war weg.

Im Nieselregen (in einer Regenwoche in Brighton einst als “Gischt” definiert) ging ich fröstelnd unter Schirm nach Hause, unterwegs Einkäufe in Drogerie (große Mengen Schnelltests) und Lebensmittel für die nächsten Tage beim Vollcorner.

Daheim eine Runde Yoga mit viel Hüftöffnung, ging gut.

Ich hatte schönes Entrecôte gekauft, Herr Kaltmamsell schloss sich in der Küche ein, um es mit Ernteanteil-Mangold zu braten. Im kühlen Wetter hatten wir beide Lust auf ein Glas Rotwein dazu.

Ich ließ Iron Man 3 im Fernsehen laufen. Die abfälligen Bemerkungen musste ich in Abwesenheit von Hern Kaltmamsell selbst machen – mangels Fachkenntnis schnaubte ich halt hin und wieder missbilligend. (Dabei war der gar nicht so schlecht.)

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Männer haben bei Depressionen oft andere Symptome als Frauen.
(Möglicherweise ist meine ja gar keine agitierte Depression, sondern einfach eine männliche?)

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Sonst kippt Kurt Kister in seinem SZ-Newsletter “Deutscher Alltag” ja manchmal in die Sorte Veränderungs-Gemäkel, die an fehlenden Respekt gegenüber Andersartigkeit grenzt, aber der aktuelle war ein Glanzlicht. Kister hatte sich den G7-Gipfel in Elmau aus historisch-bayerischer Sicht vorgenommen.

Söder trug bei dem Flughafenempfang jene Art des Lodenfrey-Spitzensteuersatz-Trachtenoutfits, das bei Traditionsbewussten als Raiffeisenanzug belächelt, von Unkundigen aber für bayerische Tracht gehalten wird. Dagegen ist prinzipiell wenig zu sagen, außer vielleicht, dass ein Funktionsträger in oder aus Bayern fast keine Möglichkeit hat, kein solches Raiffeisensakko zu besitzen. Für Funktionsträgerinnen trifft das ebenso zu, da ist es dann das Dirndl. Wie das Raiffeisensakko hat sich das Business-Dirndl längst kommerziell von ernst zu nehmender Tracht erfolgreich emanzipiert. Es gibt immer irgendeinen Termin, und sei es die Kundenbetreuung auf dem Plärrer oder dem Oktoberfest, bei dem selbst Schwaben, Franken, Sachsen und sogar Preußen aller Art Hirschhorngeknöpftes anlegen.

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Ich mag Friedhöfe, weil sie so viele interessante Informationen bieten, ich mag Rezepte. Dieser Artikel in der New York Times (via @ankegroener) passt perfekt:
“Family Recipes Etched in Stone. Gravestone, That Is.”

Unter anderem lernte ich, dass man heute problemlos QR-Codes auf Grabsteine ätzen kann: Sollte ich in absehbarer Zeit einen benötigen, möchte ich auf meinem bitte einen QR-Code zu diesem Blog.

In diesem Zusammenhang eine Bitte der Nebenfach-Historikerin in mir: Auch wenn ich die vielen Vorteile anonymer Bestattungen kenne und verstehe – möchten Sie sich nicht vielleicht doch mit einem schönen Grabstein beerdigen lassen? Auf dem nicht nur Geburts- und Sterbedatum zu lesen sind, sondern auch Geburts- und Sterbeort? Beruf? Ein Satz zur Person (“bewunderte Ukulele-Virtuosin”)? Auch hier mal an die Nachwelt denken, nicht nur beim Umwelt- und Klimaschutz.

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@engl ist auf Reisen, zu meiner Freude setzt das ihre Schreibenergie frei. Inklusive Verarbeitung von Armutserfahrungen. Ich weiß ja nicht, ob es dazu Analysen gibt (methodisch schwierig), wage aber zu behaupten: Für jede “Erschleichung” von Sozialhilfe gibt es 10 bis 20 Menschen, die aus Scham nicht in Anspruch nehmen, was ihnen rechtlich an finanzieller Hilfe zustünde. (Nicht gerechnet die Menschen, die sich dafür zu wenig im System auskennen.)
“schlecht reisen”.

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Dass Ehemänner sich von ihren Frauen mit Kleidung versorgen lassen und selbst die alltägliche Entscheidung “was ziehe ich an?” nicht selbst treffen, höre ich ja immer wieder. Nach Gucken dieses Filmchens frage ich mich, warum die Frauen das nicht viel häufiger für Schabernack nutzen.
(Kann mir jemand mit Türkisch-Kenntnissen die Unterhaltung übersetzen?)

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Aurel Mertz ist hübsch, Schwabe, aber auch sehr lustig. So war er auf der re:publica lustig:
“Wie Aurel Mertz der mächtigste Pferdeinfluencer der Welt wurde”. (Ich saß rechts vorne.)

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https://youtu.be/0f4az2nOvDQ

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Freitag, 1. Juli 2022 – Getrennter Freitagabend, Beifang aus dem Internetz“

  1. scheues.alien meint:

    Jetzt muss ich als Küstenbewohnerin doch heftig widersprechen! Gischt ist kein Regen, Niesel- oder nicht. Gischt ist ein Sprühnebel, der entsteht wenn (schnelles) Wasser auf etwas hartes trifft.

    Jetzt habe ich endlich mal eine Gelegenheit, mich Ihnen vorzustellen: ich bin eine langjährige Leserin ihres Blogs, dessen Lektüre mir große Freude bereitet. Aber immer wenn ich mal etwas kommentieren wollte, hatte es schon mindestens eine Person getan.

    Grüße von ihrer Leserin
    scheues.alien

  2. Tine meint:

    Fragen Sie mal Frau Herzbruch, die Jungs sprechen Niederländisch. Ich versteh es nicht komplett, aber der zweite sagt sofort: Ich wusste es! und ihm war dann gleich klar, dass die Frauen das eingefädelt haben und die anderen auch alle mit den gleichen Klamotten ankommen.

  3. Croco meint:

    Das mit dem QR-Code auf dem Grabstein ist genial.
    Meinen Großvater habe ich nie kennen gelernt, doch weiß ich von einigen seiner Werke. Es war nämlich Bildhauer und Steinmetz. Auf dem Friedhof der sehr selbstzufriedenen Stadt stehen immer noch seine Engel an Grüften rum.
    Mit den Gesichtern all seiner Kinder. Und Kriegerdenkmäler konnte er auch. Seine sterbenden Soldaten sind die freundlichsten sterbenden Soldaten die ich kenne.
    Und auf den Grabsteinen steht dann unter dem Namen: Oberlokführerswitwe als Beruf. Ich liebe das.
    So habe ich immer noch einen speziellen Blick für Grabsteine, in meiner Kindheit standen immer noch welche auf dem Hinterhof der Tanten.

  4. mareibianke meint:

    Ähnlich wie mit den Grabsteinen verhält es sich mit den Kirchenbüchern. Ich bin gelegentlich mit Ahnenforschung betraut und freue mich über sehr informative Einträge aus früheren Zeiten. Da findet sich neben den üblichen Namen, Geburts- und Sterbedaten auch die Anzahl der Hinterbliebenen “× Söhne, x Töchter, davon x minderjährig”, der Beruf und die Todesursache.
    Die heutige digitale Kirchbuchführung lässt nur noch die Eintragung der Personendaten zu.
    In der Zukunft wird Ahnenforschung mit derartigen Einträgen keinen Erkenntnisgewinn bringen und keine Freude mehr machen, leider.
    Genau wie der Gang über anonyme Gräberfelder.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Die Gruftengel mit echten Kindergesichtern der Verwandtschaft sind aber eine besonders schöne Geschichte, Croco.

    Ein Grund, warum ich keine Chance auf Ahnenforschung bei spanischer Familie habe, mareibianke, ist die nahezu komplette Abwesenheit von Kirchenbüchern in Spanien: Wurden im Bürgerkrieg verbrannt. Vielleicht finde ich deshalb anderer Leut’ Ahnen so interessant, vor allem auf Friedhöfen.

  6. mareibianke meint:

    Wie traurig, dass die Kirchenbücher verbrannt wurden!!! In unserer Gemeinde fehlen tatsächlich die 1000 Jahre Kirchbücher der “Deutschen Christen”, sie wurden nach Kriegsende vernichtet.

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