Archiv für Juli 2022

Journal Sonntag, 24. Juli 2022 – Sommersonntag classic: Balkonkaffee, Freibad, Biergarten

Montag, 25. Juli 2022

Mittelgute Nacht, aber ich bekam genug Schlaf.

Wieder war die Temperatur richtig für Balkonkaffee. Ich bloggte gemütlich, dazwischen flocht und buk ich Sonntagszopf. Schon früh zog Hochsommerhitze auf, ich radelte gegen zehn für eine Runde Schwimmen und Rumliegen ins Dantebad.

Erleichterung 1: Radfahren löste keine neuen Rückenschmerzen aus.

Das vertraute Schwimmbecken war tatsächlich mit wärmerem Wasser gefüllt als das im Schyrenbad. Als ich ankam, wurden die beiden Sportbahnen gerade sehr frequentiert, doch zum einen arrangierte man sich freundlich, zum anderen schwammen die wenigsten lange Strecken, es wurde immer wieder leer. Mich fröstelte erst nach mehr als 1.000 Metern, und selbst das war kein Vergleich zum Schlottern im Schyrenbad. Also schwamm ich vor mich hin, solange es sich gut anfühlte. Das waren dann 2.600 Meter.

Erleichterung 2: Auch das Schwimmen ging schmerzfrei. Würde ich halt Montag in die Arbeit nicht gehen, sondern schwimmen.

Die Liegewiesen des Dantebads zeigten nur noch wenig Grün, waren hauptsächlich gelb und verdorrt. Ich legte mich diesmal eher an den Rand, erkundete bei dieser Gelegenheit das Gelände ein wenig – vertraut ist mir das Bad ja vor allem vom Winter. Bald wurde mir in der Sonne so heiß, dass ich nochmal “ins Wasser ging”, wie das in meiner Kindheit hieß (meiner Erinnerung nach gab es Verhandlungen mit den Eltern, wie oft man “ins Wasser durfte”). Diesmal testete ich das zweite, das Sommerschwimmbecken, das tatsächlich kühler war.

Gemütliches Heimradeln in ziemlicher, aber nicht erschlagender Hitze.

Zu nahezu spanischer Mittagessenszeit servierte Herr Kaltmamsell in der verschatteten und angenehm temperierten Wohnung Tofu mit Lauch und grüner Paprika. Es war der von vielen Seiten empfohlene Tofu des Berliner Herstellers Treiber, der deutlich nach Sojabohnen schmeckte (was ich ja auch an gutem Sojajoghurt mag).

Außerdem aß ich Hefezopf mit Butter (eine Scheibe) und Marmelade (eine weitere Scheibe).

Anschließend Duschen mit ausführlicher Körperpflege. Den Nachmittag verbrachte ich lesend, vor allem Hannah Gadsbys Buch, auch eine Zeit auf dem Balkon – nicht allzu heiß. Gegen sechs eine Runde Yoga, anregend.

Fürs Abendessen steuerten wir den Hirschgarten an. Bereits die wenigen hundert Meter Fußweg zur Straßenbahn riefen die drecks Rückenschmerzen hervor. Und dann kamen wir mit der Tram auch nicht voran: ein Unfall weiter vorn auf der Strecke. Also stiegen wir in eine S-Bahn und gingen vom Bahnhof Hirschgarten zu Fuß. Herr Kaltmamsell erzählte mir zur Ablenkung detailliert von seiner derzeitigen Lektüre. Nach Ausdehnen und Hinsetzen im Hirschgarten beruhigten sich die Rückenschmerzen. Der Herr war so aufmerksam, mir erstmal weiteres Gehen zu ersparen, indem er uns zwei Radlermaß holte, zu Essen Breze und ganz frisch gegrillten (wir mussten darauf warten) Steckerlfisch.

Möglicherweiste die saftigste gegrillte Makrele, die ich je hatte.

Wir saßen wieder direkt am Gehege, Tiere wurden gesichtet (auch ganz kleine superniedliche – aber ich hatte keine Lust, mich auf Fotolauer zu legen). Der Fußweg zur Tram war schmerzfrei, ich habe das Bier im Radler als Medikament im Verdacht.

Steubenplatz um dreiviertel neun, es hatte bereits ein wenig abgekühlt.

Daheim diverses Räumen für Montag, schon beim Zu-Bett-Gehen waren die Temperaturen niedrig genug für Durchlüften über Nacht.

§

Kleinkriminelle Väter, Variante Lorenz Meyer, als Twitter-Geschichte:
“Über das Frisieren von Monatsberichten, eine Teakholzschrankwand voller Musik und den Mann, der mein Vater war…”
via @dieliebenessy

(Küsst euren Vater und macht Scheiß mit ihm, solange ihr könnt.) (Also: Wenn ihr ihn lieb habt. Muss ja nicht so sein.)

Journal Samstag, 23. Juli 2022 – Wettlauf mit dem neuen Rückenschmerz

Sonntag, 24. Juli 2022

Mittelprächtige Nacht, unterbrochen durch Fensteröffnen (als es nach Mitternacht endlich ein wenig abkühlte) und Fensterschließen (als nach drei Gewitterwind aufkam).

Der Morgen war düster und abgekühlt – aber immer noch warm genug für Balkonkaffee, außerdem ergab das ideales Laufwetter.

Gestern nahm ich für meinen Isarlauf eine U-Bahn zum Odeonsplatz, ich hatte das Bedürfnis, mein 9-Euro-Ticket Juli bezahlt zu machen. Dort fädelte ich die Maske in meine Schirmmütze, die ich gegen eventuellen Regen trug (übrigens müssen wir uns mal grundsätzlich über die fehlende Aufbewahrungsfunktion von Sommer-Laufkleidung unterhalten, von einer Laufhose erwarte ich wirklich mehr als ein 2×5 cm großes Fach für den Autoschlüssel). Ich bog ein in den Hofgarten – und lief auf lauten bayerischen Gesang von der Staatskanzlei zu, bis ich an eine überraschende Absperrung kam.

Die Erklärung:

Ich trabte leichtfüßig weiter.

Schon beim Hochlaufen zum Monopteros wurde der Gegener dieses Laufs klar: Der neue Rückenschmerz links oben. Mal wurde er schwächer und ich kam in meine geliebte Laufleichtigkeit, dann wieder so böse, dass ich an Umkehren dachte, nach einer ruhigen Vorbeuge wieder erträglich.

Der Steg St. Emmeram mit Blick in beide Richtungen.

Und einer Bronze des Namensgebers.

Unterm Strich kam ich auf meine knapp anderthalb Stunden, bin aber reichlich irritiert: Was soll das und was kann ich dauerhaft dagegen tun? Denn das ist ja kein Dauerschmerz (zum Glück), und ich kann keinerlei Auslöser/Ursache ausmachen. Kommt aber replizierbar beim Gehen und Stehen.

Auf dem Heimweg in der Tram musste ich wegen vieler Mitfahrender stehen – und der Schmerz wurde ganz schlimm. Drehen, Dehnen, kontrollierte Atmung, ich war froh, als ich es zum Ausstieg und zum Semmelholen schaffte, daheim legte ich mich ohne weitere Umstände hinter der Wohnungstür erst mal flach auf den Boden. Dehnen, Entspannungsübungen für Rücken und Schultern, Faszienrolle – Schmerz weg.

Zum Frühstück gab’s Semmeln mit Käse, außerdem Granatapfelkerne mit Joghurt.

Nach einer ganz kurzen Siesta (Fresskoma) machte ich mich zu einer kleinen Runde in die Innenstadt auf, aber diesmal holte mich der Rückenschmerz schon nach wenigen hundert Metern so böse ein, dass mir leicht übel wurde. Ich kehrte um, Gehen war offensichtlich keine Option.

Bügeln mit Musik auf den Ohnen aber ging; alle zwei Bügelstücke hängte ich mich in einer Yoga-Vorbeuge aus. Draußen kam immer wieder die Sonne heraus, ich setzte mich zum Zeitunglesen auf dem Balkon. Eine Folge Yoga, diese nur mit Entspannung.

Ich setzte Hefeteig für Sonntagszopf an, Herr Kaltmamsell kam von einem Ausflug heim, er hatte zum Abendessen Vichyssoise mit Lauch aus Ernteanteil vorbereitet. Ich hatte sogar Lust auf Alkohol, es gab Moscow Mules.

Journal Freitag, 22. Juli 2022 – Meine gescheiterten Fix und vierzig, jetzt aber wirklich letzter Krankheitstag

Samstag, 23. Juli 2022

Unruhiger Schlaf. Mein Unterbewusstsein machte mir klar, wie sehr mich der Tod des ehemaligen Mitschülers mitnimmt. Außerdem plagten mich die seltsamen oberen Rückenschmerzen links jetzt auch im Liegen. Strecken im Stehen mit anschließender Yoga-Vorbeuge verschaffte immer wieder Linderung.

Noch vor sechs erklärte ich die Nacht für beendet. Und musste einsehen, dass ich halt immer noch nicht gesund war. Gestern gab es nichts Arbeitsseitiges, das mich mehr belastete als das Kränkeln, also meldete ich mich nochmal krank. (Außerdem hatte ich den Arbeitsrechner eingepackt und konnte zu meiner Entspannung immer wieder reinlinsen.)

Ich versuchte es mal wieder mit Milchkaffee auf dem angenehm kühlen Balkon. Und legte mich dann wieder hin, nicht zum Schlafen, sondern einfach zum Liegen. Das tut man nämlich beim Genesen.

Mit Hochsommerausblick hörte ich die aktuelle Podcast-Folge von Fix und vierzig (der Untertitel “für Frauen ab 40 und alle, die es werden wollen” ist allein schon wundervoll), Thema “19. Wie können wir die Diätkultur überwinden, Melodie Michelberger?”. Die Standard-Eingangsfrage an den Gast machte mich wieder traurig, denn wie immer kam als Antwort auf “Was machen die 40er besser als die 30er?” eine Geschichte von Selbstfindung, Selbstverwirklichung, Überwindung falscher Ziele, Finden der richtigen, von Durchstarten in ein erfülltes Leben etc. pp. Und ich denke (mit durchaus gemischten Gefühlen) zurück an die wahnsinns Energie, die ich in den 30ern hatte, die Verve, mit der ich mich in Neues stürzte, die Lust an Einfluss, an der Macht, Dinge zu bewegen, gerade als Frau. Wie ich mich im Agenturleben zunächst geradezu wie von der kurzen Leine gelassen fühlte und vor Power nur so sprühte. Wie ich mich auch auf die Gesellschaft von Menschen stürzte, neugierig war. Was mich dann alles unterm Strich so kaputt machte (inlusive dem einen oder anderen Depressionstief zu viel), dass ich in den 40ern immer kleiner wurde, mich immer mehr zurückzog, bitte nichts mehr bewegenmüssen wollte, kein Potenzial entfalten, sondern einfach meine Ruhe. Mit Mitte 30 hätte ich sehr wahrscheinlich deutlich mehr Leistungen aufzählen können als Mitte 40, als ich gerade alles bisher scheinbar Erreichte hingeschmissen hatte und einer wiedergefundenen Freundin in England mein Leben zusammenfasste: “I’m a complete failure.” ABER! Mein Lidstrich ist heute deutlich sicherer und schöner als in den 30ern.

Dann mein sinkendes Herz beim eigentlichen Thema des Podcasts, “Diätkultur”: I can’t believe I’m still discussing this shit. Meine eigene Blogserie zum Thema Diätterror begann ich vor 19 Jahren, geben Sie einfach mal “Diätterror” links ins Suchfeld des Blogs ein (Achtung: Nicht hinter allen Aussagen stehe ich noch). Es macht mich tieftraurig, dass der Podcast beweist, wie wenig weiter wir hier sind – wahrscheinlich durch instagram und Co. sogar einige Schritte zurück. (Andererseits muss ich ja nur in den Absatz drüber lesen: Warum sollte das Thema besser vorangekommen sein als ich, hahaha, Spässle.)

Selbst bin ich ja gerade aus Versehen so dünn wie möglicherweise erst einmal zuvor in meinem Leben, doch es würde meinem… sagen wir 17-jährigen Ich weder helfen, nicht mal würde es dieses Ich überraschen, wenn ich ihm mitteilte: Dünnsein macht nicht glücklich. Es erweitert die Styling-Optionen, mehr nicht.

Vormittags beschloss ich gegen die Rückenschmerzen eine Runde Yoga – die ganz wunderbar gut tat und den Schmerz linderte. Duschen und Anziehen, ich fühlte mich fit für einen kleinen Spaziergang. Vorher Telefonat mit Neffe 1, vielleicht wird ein sehr lang gehegter Reisetraum nächsten Frühling wahr.

Der Spaziergang in steigender, aber noch gut erträglicher Hitze wurde nicht so lang wie erhofft, weil mich wieder der obere linke Rückeschmerz packte, AUA! Sowas kenne ich ja sonst gar nicht – erinnere mich aber an Kolleginnen, die wegen Beschwerden, deren Beschreibung sehr gut auf meine passten, tagelang krank geschrieben waren.

Zu Hause dehnte ich mich durch alle Übungen, die mir als Schwimmerin und Yoga-nicht-mehr-ganz-Anfängerin zum Oberkörper allgemein und zum Rücken einfielen, das brachte ein wenig Besserung. Zum Frühstück kochte ich mir Porridge; als er noch “Haferschleim” hieß, war das ja magenschonende Krankenkost (und ich mache ihn eh immer mit Wasser). Es gab ihn mit einigen Löffeln Joghurt, gesüßt mit Zuckerrüben-Sirup.

Nachmittags hatte ich nur einmal das Bedürfnis mich hinzulegen. Sonst Zeitunglesen, sonstiges Lesen, das Verdauungssystem schien mir wieder eingerenkt.

Weil’s so gut getan hatte, turnte ich abends die vormittägliche Yoga-Runde nochmal, war ja auch nur ein Viertelstündchen rundum. Direkt danach wieder völlig schmerzfrei – aber nicht lange.

Nachtmahl serviert von Herrn Kaltmamsell:

Erst wurde die erste Aubergine aus Ernteanteil gefeiert: gegrillt mit Safranjoghurt. Dann gab es ein Stückchen gekochtes Rindfleisch mit Kartoffeln und Meerrettich. Endlich konnte ich wieder essen, was Herr Kaltmamsell uns kocht. Die paar Tage mit fast nichts haben mir gezeigt, wie genau kalkuliert wir beide einkaufen, so dass bei uns praktisch nie Lebensmittel verderben: Die Brotzeiten, die ich für die Woche eingekauft hatte, blieben liegen, ich musste Herrn Kaltmamsell um Aufessen bitten.

Abendprogramm: Von Festplatte die Doku von 2018 Depeche Mode und die DDR – endlich mal. Unter anderem weil darin eine Freundin vorkommt, die gestern Geburtstag hatte. (Mein claim to fame: Ich habe einige Goldene Schallplatten von Depeche Mode mit eigenen Augen gesehen. Mehrfach.)

§

Technikgeschichte wie ich sie liebe (ich bin ja der Überzeugung, dass das 20 Jahre, proprietäre und hand-gecodede alte ERP-System in der Arbeit, das am 1. Januar durch ein zeitgemäßes System ersetzt wurde, mindestens eine Doktorarbeit über die Geschichte meines Arbeitgebers und/oder des Programmierens abgeben würde).
“I’ve been sitting on a weird epic ramble about Etsy homepages from the middle 2000’s for the better part of 15 years now so I figured I would write it up as a thread”.

In Wirklichkeit verlinke ich das hier ja nur, weil ich ungemein stolz darauf bin, dass ich ca. ein Drittel davon zur Hälfte verstehe.

Journal Donnerstag, 21. Juli 2022 – Verblüffenderweise immer noch krank, Colson Whitehead, The Underground Railroad

Freitag, 22. Juli 2022

Ich wachte morgens sehr früh auf und erklärte mich für arbeitsfähig. Das Wetter war wolkig und kühl geworden, das kam mir recht.

Den Fußweg in die Arbeit ging ich dann lieber doch eher langsam. Es erleichterte mich sehr, dass ich einige Klöpse abarbeiten konnte, ein weiterer, der mir schwer im Magen gelegen hatte, erwies sich dann als doch nicht so dringend (Wutschnaub-Emoji).

Beim instagram-Druchscrollen gemerkt, dass andere Menschen an den vergangenen Hochsommertagen sich die Zeit deutlich interessanter vertrieben hatten als mit Bettliegen: Überall herrliche Sommerfarben, Blumen, buntes Gemüse und Obst auf Tellern und in Gläsern.

Über den Vormittag ganz neue Beschwerden: Heftige Rückenschmerzen im oberen linken Bereich, teilweise inklusive Brustkorb. Ich wechselte in kurzen Abständen zwischen Arbeit im Stehen und im Sitzen, nichts davon schmerzfrei. Mittags löffelte ich einen Rest Karottensuppe, aß eine Banane – die Schmerzen wurden nicht besser, Bauchweh gesellte sich dazu. Nach einer letzten Besprechung um zwei gab ich auf: Ich meldete mich “mir geht’s scheiße, sorry” ab (Hilfsbereitschaft und Zuspruch von allen Seiten), packte zusammen und nahm einen Bus nach Hause.

Daheim messen von Vitalparametern: Coronatest eines dritten Fabrikats ebenfalls negativ, kein Fieber, Blutdruck sowie Puls normal – und Googlen nach den Rückenschmerzen ergab als eine mögliche und gestern wirklich naheliegende Ursache Darmbeschwerden. Ich legte mich ins Bett, hörte Herrn Kaltmamsell mit Ernteanteil heimkommen, döste.

Bis ich um halb sechs deutlich Hunger spürte, zum ersten Mal seit drei Tagen, zudem riesigen Appetit auf Salat. Also machte ich aus Ernteanteil grünen Salat mit Gurke, zugekauften Tomätchen in einem Joghurt-Balsamico-Walnussöl-Dressing und aß mit Genuss bis zur letzten Gabel eine große Portion davon – durchaus gespannt, was mein Bauch dazu sagen würde.

Mir ging’s SO gut, dass ich kurz mit den Gedanken an Yoga spielte. Bis mir einfiel, dass ich ja einen vollen Bauch hatte und sich das bei mir überhaupt nicht mit Yoga verträgt.

Der Bauch war durch meine Beherztheit eingeschüchtert, ließ später sogar noch eine Handvoll Salzstangen und noch später ein Butterbrot zu.

Nachricht vom (schon länger absehbaren) Tod eines Mitabiturienten, mit dem ich zu Schulzeiten besonders viel zu tun hatte, unter anderem waren wir zusammen SMV-Sprecher*in. Oder erstellten zusammen die Dia-Show der Griechenland-Studienreise. Und organisierten nach dem Abitur die ersten Klassentreffen zusammen. Ich war Gast auf seiner Hochzeit. Beim Erinnern fallen mir immer mehr Stücke Lebensweg ein, die uns verbinden. Sehr traurig.

§

Schon vor ein paar Wochen habe ich Colson Whitehead, The Underground Railroad, ausgelesen und möchte den Roman empfehlen.

Einen Pulitzer Prize bekam er 2016, und diesen kann ich (im Gegensatz zu manch anderem) gut nachvollziehen. Whitehead nimmt den Mythos einer unterirdischen Tunnelanlage in den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts, die Sklaven per Bahn die Flucht ermöglichte (hier eine Zusammenfassung der Legenden und der Faktenlage dahinter, Kurzfassung: “the underground railroad” war eine Metapher für ein Befreiungsnetzwerk, das in erster Linie von befreiten Sklaven betrieben wurde, selbst Tunnel spielten dabei eine lediglich sehr kleine Rolle) und konstruiert daraus die teils märchenhafte, teils historische Geschichte von Cora, einer als Sklavin gefangen gehaltenen jungen Frau auf einer Plantage im Georgia des 19. Jahrhunderts. Cora wurde als Kind von ihrer Mutter verlassen und ist auch unter den Sklaven der Plantage als verrückt marginalisiert. An ihr werden die Grausamkeit und Menschenverachtung der Sklavenhaltung durchgespielt, an ihrer Flucht die zeitgenössischen Spielarten von Rassismus in Nordamerika – es stellt sich heraus, dass auch so manche Abolitionists ihre ganz eigene hatten.

Mir gefiel, dass es keine klaren Grenzen zwischen Gut und Böse gibt und dass die sich schon gar nicht decken mit weißer und nicht-weißer Hautfarbe. Hilfreiches oder schädliches Verhalten ist in The Underground Railroad allerdings fast immer motiviert durch die gesellschaftliche Stellung, die weiße und nicht-weiße Hautfarbe automatisch verschafft (einige Zwischenkapitel erzählen die Biografien von Nebenpersonen). Die Handlung vermittelt viele Details und Hintergründe (zum Beispiel ökonomische Zusammenhänge des Sklavenwirtschaft), die Schilderungen sind lebendig, auch Abolitionists zeigen manchmal lediglich eine andere Spielart von Rassismus (die New York Times nannte den Roman “dynamic”).

Ein wenig gefährlich fühlte sich für mich die romantisch-märchenhafte Seite an. Zwar erinnerte sie mich an das Schweben zwischen Surrealismus und Realismus im Weltliteratur-Meilenstein Beloved von Toni Morrison; doch verführt sie ein wenig dazu, auch die realistischen brutalen Seiten des Lebens in Sklaverei in diese Märchenhaftigkeit zu schieben. Gleichzeitig sorgen die phantastischen Noten des Romans für einen Großteil der Lebendigkeit.

Enttäuscht war ich vom Ende: Es las sich (wie so oft bei besonders lebendig erzählten Roman) wie ein hastiges Aufräumen.

Neben der in der Besprechung in der New York Times (“Review: ‘Underground Railroad’ Lays Bare Horrors of Slavery and Its Toxic Legacy”) empfehle ich auch die Besprechung des Buchs im Guardian:
“The Underground Railroad by Colson Whitehead review – luminous, furious and wildly inventive”.

Journal Mittwoch, 20. Juli 2022 – Hartnäckiger Infekt

Donnerstag, 21. Juli 2022

Das ist aber mal ein hartnäckiger Infekt. Nach unruhiger Nacht mit Kopfweh und Übelkeit war morgens sehr klar: Arbeitsunfähig. Ich meldete das also ans Büro und ging zurück ins Bett – das mich diesmal bis halb sechs abends festhielt. Das hatte ich schon so lange nicht mehr, dass ich mich nicht ans letzte Mal erinnern kann: Dass mich ein Infekt gleich zwei Tage ins Bett warf.

Morgens konnte sich Herr Kaltmamsell kümmern: Er kaufte und kochte nochmal Karotten, holte in der Apotheke Vomex (Übelkeit finde ich ganz besonders schlimm) und Imodium, denn langsam bereitete mir der Durchfall Sorgen. Das Kopfweh führte ich auf Dehydrierung zurück, sehr viel konnte ich in Schlafpausen ja nicht trinken, und das wurde immer gleich wieder durchgeschleust. Koffeinentzug, selbst bei sonst nur zwei Tassen am Tag, könnte das Kofpweh verstärkt haben. Der Mann sorgte auch für Wohnungsverdunkelung und -kühlung, gestern war ein weiterer heißer Tag, bevor er in die Arbeit aufbrach.

Und so schlief ich halt, hatte nicht mal die Energie, im Arbeits-Konto den Abwesenheitsassistenten einzuschalten. Über den Nachmittag ging dank Arznei die Übelkeit weg und der Durchfall versiegte, außerdem wurde das Kopfweh schwächer (Wasser, kalter Schwarztee). Ich schlief immer wieder so tief, dass ich weder die Kirchenglocken hörte noch den heimkehrenden Herrn Kaltmamsell.

Da ich gestern so gut umsorgt wurde, Herr Kaltmamsell sagte sogar seine Abendverabredung ab, versuchte ich es gar nicht erst mit echtem Aufstehen, Duschen etc. Abends verließ ich das Bett dann aber für ein wenig Internetlesen, Zeitungslektüre, zwang mich zum Verzehr von zwei Tellern Karottensuppe, plante den nächsten Tag. Müde früh zu Bett.

Journal Dienstag, 19. Juli 2022 – Krank bei Hochsommerhitze

Mittwoch, 20. Juli 2022

Das war dann leider eine anstrengende Nacht mit Bauchgrimmen und Übelkeit, Schlaf bekam ich nur in Stückchen. Gegen Mitternacht hätte ich mich ganz gerne übergeben, ich war sicher, danach wäre mir besser, doch da ging nichts. Statt dessen Durchfall, das sollte also alles einmal durchs System.

Ich verstellte das Weckerklingeln, sagte dem gestern besonders früh auf eine Geschäftsreise aufbrechenden Herrn Kaltmamsell Bescheid, meldete mich in der Arbeit krank und ging zurück ins Bett.

Wo ich dann mit wenigen Unterbrechungen (Wassertrinken, Klo, Wohnung gegen die Hitze verschatten, Coronatest – wie immer heutzutage, wenn man irgendwelche Infektionsbeschwerden hat) bis 16 Uhr schlief, nach zwei Uhr sogar erholsam und tief. Schlafzimmertemperatur 23 Grad, alles gut.

Immer gleich, immer wieder lustig: Im nächtlichen unruhigen Halbschlaf hatte ich mir die Krankmeldung als etwas Erfreuliches schmackhaft machen wollen, denn dann könne ich den kleinen Wäscheberg wegbügeln, ganz viel in Ten Steps to Nanette lesen. Was ich natürlich nicht machte, weil ich ja krank im Bett lag und schlief. Selbst die gestrige Tageszeitung blieb ungelesen liegen.

Um vier stand ich verhältnismäßig munter auf, tauschte mich per Messages mit Herrn Kaltmamsell aus, duschte und ging in Hitze sehr langsam einkaufen (Karotten für Moro-Suppe, Salzstangen, Käse für Nicht-Kranke). Zurück daheim hätte ich mich gerne wieder hingelegt, aber wer Moro-Suppe essen will, muss sie erst mal kochen – was selbstverständlich Herr Kaltmamsell mir abgenommen hätte, wäre er nicht auf Geschäftsreise außer Haus gewesen. Ich versuchte mir einzureden, dass ich die Stunde Kochzeit doch locker wachbleiben konnte, begann Twitter nachzulesen, knickte aber nach 20 Minuten doch ein und ging zurück ins Bett.

Zum Pürieren stand ich nochmal auf, blieb dann aber im Bett. Eindeutiges Krankheitssymptom: Selbst wenn ich nicht richtig schlief, war mir nicht langweilig.

Mit dem heimgekommenen Herrn Kaltmamsell aß ich zu Abend, brav zwei Teller Karottensuppe, weil Medizin – ich hatte den ganzen Tag kein Hungergefühl gehabt, Appetit eh nicht.

§

Endlich mal Tipps bei Hitze, die bei mir nicht ein augenrollendes D’UH! auslösen.
“This is how we do in India”.

Journal Montag, 18. Juli 2022 – Wie ich als Kind wegen Leseverbots fast in eine Sekte geraten wäre und wie mein Stumpfsinn mich davor bewahrte

Dienstag, 19. Juli 2022

Lese auf vielen Ebenen interessiert Hannah Gadsby, Ten Steps to Nanette: A Memoir Situation, unter anderem weil Gadsby typisch für sie beim Schreiben den Schreibprozess reflektiert. Zum Beispiel lässt sie immer wieder einfließen, wie eine Ghostwriterin das Material sortiert und priorisiert hätte. Auch warum sie das nicht tut. Unter anderem erzählt sie distanziert über die jahrelange sexuelle Gewalt, die ihr als Kind widerfahren ist und die sehr nachvollziehbare Langzeitverletzungen hinterlassen hat – doch sie möchte dem bitteschön aus guten Gründen nur eine Nebenrolle zugestehen.

Es kann schon ein Akt der Überwindung sein, eine Autobiografie zu verfassen: All dieses Nachdenken über sich selbst und die vielen Scham-besetzten Momente. Gadsby hat diese Überwindung allerdings bereits durchlaufen, als sie ihr Programm Nanette schrieb, das sie in Weltruhm katapultierte: Dabei machte sie den schmerzhaften, selbstzerfleischenden Prozess durch sich klarzuwerden, was ihr in ihrem Leben alles angetan wurde, was das mit ihr gemacht hat. Bis dahin war es einfacher gewesen, nur die Resultate Selbstironie bis Zynismus und regelmäßige Flucht in Rückzug für ihre Bühnenshows zu verwenden. Was halt irgendwann nicht mehr ging.

Die allerwenigsten Menschen kommen jemals in die Lage, dass sie ihr Leben als eine Gesamtgeschichte erzählen. Die meisten ganz normalen Lebensgeschichten setzen sich aus mündlichen Einzelanekdoten zusammen, die meist nicht mal alle bei denselben Zuhörer*innen landen, sondern verstreut werden.

Mir fiel nach Langem eine wieder ein, als mir beim morgendlichen Gang in die Arbeit (wolkenloser Sonnenschein, Strickjäckchen-Kühle) drei Personen entgegenkamen, denen ich an Gepäck, Kleidung und Richtung ansah, dass sie sich als Verkünder ihrer Gottesbotschaft am Georg-Freundorfer-Platz im Westend platzieren würden; dort sehe ich immer wieder solche. Die Publikationen der Zeugen Jehovas, Wachtturm und Erwachet!, kenne ich nämlich wahrscheinlich besser als fast alle, die den Zeugen Jehovas selbst nie angehört haben.

Die Ursache liegt darin, dass ich von meiner Mutter “so knapp gehalten” wurde – in diesem Fall aber nicht mit Essen allgemein und Süßigkeiten speziell (nein, das Vorenthalten von Nahrung in meiner Kindheit und Jugend wegen Dauerdiät lasse ich nicht als Trauma-Material gelten, weil meine Mutter es ja nur gut meinte) (Hannah Gadsby, da bin ich überzeugt, würde diese Argumentation verstehen), sondern ab einer bestimmten Zeit auch mit Lesematerial. Sobald ich lesen konnte, also spätestens ab der zweiten Schulklasse, war ich unersättlich. Meine Hauptquelle für Lesestoff, zu Hause gab es kaum Bücher, war die Pfarrbibliothek. Allerdings öffente die nur zweimal die Woche, und der halbe Meter Bücher, den ich sonntags nach der Messe mit heim nahm, war meist schon Montagabend niedergelesen. Ab etwa der dritten Klassen wurde mein komplettes Verschwinden in Büchern daheim nicht mehr gern gesehen: Ich sollte statt dessen rausgehen und “mich bewegen” (es sei kein Wunder, dass ich so dick sei)1 oder für die Schule lernen oder im Haushalt helfen – Geschichtenlesen war in dieser Sicht ledigliche eine Variante von Faulheit.

Ich hatte eine Klassenkameradin, mit der ich in diesen Grundschuljahren besonders viel spielte. Sie wohnte praktischerweise in der Nähe, ich mochte sie, die ebenerdige Wohnung ihrer Eltern verfügte in unserem Wohnblockviertel über einen eigenen Garten. Doch vor allem gab es darin einen Raum (Büro? zumindest stand ein Schreibtisch mit Schreibtischstuhl darin) mit Regalen voller Geschichtenhefterl, in denen ich beliebig lang und viel lesen durfte. Also ganz entspannt und ohne schlechtes Gewissen – zu Hause war ich in dieser Zeit bereits dazu übergegangen, Bücher in der Schmutzwäschekiste auf dem Klo zu verstecken (wie so ‘ne Alkoholikerin) oder unter meinen Heften und aufgeschlagenen Schulbüchern, wenn ich eigentlich Hausaufgaben machen oder lernen sollte. Bei meiner Schulfreundin durfte ich hemmungslos lesen: Die Geschichten waren meiner Erinnerung nach alle sehr dramatisch, irgendwer starb immer fast. Große Gefühle! Unglücke! Viele farbige Adjektive! Dass darin sehr häufig ärztlich verordnete Bluttransfusionen abgelehnt wurden, Patient*in dennoch überlebte – das fiel mir erst mal nicht groß auf.

Durch die Einleitung wird Sie nicht überraschen, dass die Familie dieser Freundin Zeugen Jehovas waren und es sich bei den vielen Jahrgängen Hefterl, durch die ich mich las, um Wachtturm und Erwachet! handelte. Als Kind fand ich nicht mal besonders seltsam, dass die Kinder des Hauses beim Abendessen auswendig Gelerntes abgefragt wurden, das alles irgendwie religiös war (ich glaube, für Kinder ist so viel neu, dass die Seltsamfind-Schwelle hoch ist). Es handelte sich um ein hochritualisiertes Frage-Antwort-Spiel, in dem es halt immer irgendwie um Gott ging; ich habe es als fröhlich in Erinnerung.

Im Nachhinein ist mir klar, dass die Eltern dieser Schulfreundin annahmen, mich auf diese Weise im Sinne der Zeugen Jehovas beeinflussen, wenn nicht sogar akquirieren zu können. Doch schon damals gingen sowohl Menschlich-Befindliches als auch heimliche Hintergedanken gründlich an mir vorbei. Ich bedauerte die Schulkameradin allerdings, weil sie keinen Geburtstag feiern durfte. Sie durfte nicht mal zu meinen Geburtstagsfeiern kommen. Wohl zum Ausgleich gab es einmal im besagten Garten der Eltern ein großes Sommerfest, einfach so, mit Aufblas-Wasserbecken und Wasserschlauch-Gespritze – was ich sehr super fand.

Metaebene: Obwohl das eine lustige Geschichte hergibt und sie mir als autobiografische Episode durchaus präsent ist, habe ich sie heute zum ersten Mal als Geschichte formuliert.

Die zitierte Formulierung “knapp gehalten” basiert auf einer weiteren biografischen Anekdote. An diese erinnere ich mich allerdings nicht selbst, sondern kenne sie nur als eine mütterliche Standarderzählung über meine Kleinkindheit. Im Kindergartenalter soll ich mal in unserem Wohnblock bei einer Nachbarin geklingelt haben, die ich von Besorgungen mit meiner Mutter kannte, und sie gefragt haben, ob sie Süßigkeiten/Schokolade für mich habe, denn: “Meine Mutter hält mich so knapp.” Selbst meine Mutter weiß davon natürlich nur, weil diese Nachbarin petzte – zu ihrer Entschuldigung aber weil sie meinen frühreifen Wortschatz so erzählenswert fand. (Ob ich damit erfolgreich an Schokolade kam, verschweigt die Überlieferung allerdings.)

Uff, genug Überwindung und Abstieg in Schamgefühle. Es ist so viel unbelasteter, meinen schlichten Alltag heute aufzuschreiben: Zu Mittag gab es Walnussbrot und ein großes Glas vorgeschnittener Pfirsiche (bei den Temperaturen nach Steinobst viel Wasser getrunken -> Bauchweh). Lebensmitteleinkäufe auf dem Heimweg, jetzt war es tatsächlich wie angekündigt heiß geworden. Daheim Yoga, Nachtmahl von Herrn Kaltmamsell: Mangold-Quiche aus Ernteanteil.

Schmeckte sehr gut, weil immer noch komischer Bauch danach nur noch wenig Schokolade. Wegen Bauchweh früh ins Bett.

Tag vorbei, wieder einen rumgebracht, nur noch ca. 13.000 zu schaffen.

  1. Spoiler: Ich war gar nicht dick. Ich war lediglich nicht dünn. []