Archiv für September 2022

Journal Freitag, 16. September 2022 – Eine klaffende Lücke in der Bloggosphäre / Von Paris nach San Sebastián

Samstag, 17. September 2022

Mühsames Bloggen mit langsamem Hotel-Internet, den Download meiner Zeitung brach ich irgendwann ab.

Der Morgen begann mit der schrecklichen Nachricht vom plötzlichen Tod einer meiner ältesten Internet-Bekanntschaften aus Blogs: @journelle, Elena. Beim Morgenkaffee im Nachbarschafts-Café erinnerte ich mich an so Vieles, was ich von Elena weiß, mit ihr erlebt habe – mal von Ferne durchs Lesen ihres Blogs, mal näher. Auf der Blogmich 2005 lernten wir uns persönlich kennen und unterhielten uns erstmal über schwere Maschinen und Lastwagen. Später erfuhr ich, dass sie an diesem Wochenende ein Paar mit Blogger Sebas wurde – den ich ebenfalls vom Lesen kannte (ihre Blogpost über die erste Zeit dieser beiden sehr unterschiedlichen Verliebtheitskonzepte waren hochkomisch und hinreißend – sie hat ihr Blog später geschlossen). Wie viel ich über ihre Familie weiß, ihre Karneval-Begeisterung, Body Positivity, Sex Positivity, ihre Schwimmleidenschaft! Ich habe alle ihre Vorträge auf der re:publica gesehen, von “Beyond Porn oder Die digitale sexuelle Revolution” über “Fremd gehen immer nur die anderen – Liebe und Beziehung in Zeiten der Digitalität” bis “Das Internet hat mich dick gemacht!” Und jetzt zerriss es mir das Herz, weil ich natürlich auch von ihren zwei Kindern mit Sebas weiß, beide noch in der Schule.

Die Erinnerungen an diese feministische Urgewalt begleiteten mich den ganzen Tag, ich konnte und kann ihren Tod mit gerade mal Mitte 40 einfach nicht fassen. Elenas Bruder kenne ich ja noch länger. Wie wütend und klug und leidenschaftlich sie war. Ich erinnerte mich an immer mehr Einzelheiten. Dass sie im Musikvideo “Courage” von Wahnschaffe die Hauptrolle spielte, passt hunderprozentig zu Elena.

Währenddessen checkten wir aus dem Hotel aus, nahmen eine U-Bahn zum Bahnhof Montparnasse: Von dort fuhr unser Zug nach San Sebastián.

Noch ein verbreitetes U-Bahn-Zeichen.

Der Bahnhof, ein weiterer der Sorte Shopping Mall mit Gleisanschluss, verwirrte mich, doch wir waren mit so reichlich Zeit unterwegs, dass wir uns umsehen und orientieren konnten. Diesmal waren unsere TGV-Plätze im oberen Stockwerk. Wie auch bei den Autofahrten nach Spanien: Hinter Paris wurde es erstmal flach und langweilig.

Ihre Bilder auf instagram erinnerten mich daran, dass ich fast Celeste Barber gesehen hätte: Sie war am Donnerstagabend auf ihrer Welt-Tournee in Paris aufgetreten, doch als ich das am Dienstag mitbekam, war die Vorstellung längst ausverkauft.

Diesmal hatte ich am frühen Nachmittag auch mal Hunger und aß eingesteckte Äpfel und Nüsse (eigentlich für die Fahrt München-Paris gedacht).

In San Sebastián kamen wir an einem anderen Bahnhof an, als Google Maps ausgeworfen hatte, doch das Rollkoffern zur Ferienwohnung war nicht entscheidend länger. Temperaturen mit ca. 24 Grad angenehm; dass es eben noch deutlich wärmer gewesen war, schloss ich daraus, dass die meisten Frauen Sandalen an den nackten Füßen trugen.

Uns empfing eine sehr herzliche Vermieterin in der Ferienwohnung, mir fielen zum Glück fast alle erforderlichen spanischen Wörter ein (aber die Dame war ohnehin ungeheuer erleichtert, dass ich Spanisch sprach). Die Wohnung hat einen noch schöneren Ausblick als erwartet (das war das entscheidende Kriterium gewesen): 7. Stock mit Dachterrasse in zwei Richtungen – zu genau solchen hatte ich in Urlauben immer sehnsüchtig hochgesehen und mich gefragt, wie es wohl wäre, dort zu wohnen. Jetzt finde ich es heraus.

Zur Kaffeebereitung stellt die Küche klassische Kaffeemaschine und French Press zur Verfügung – das ist nicht das Spanien, das ich kenne. Als mir klar wurde, wie sehr mir gewohnter Milchkaffee die Tagesanfänge der nächsten knapp drei Wochen verschönen würde, entschied ich mich kurzerhand, dann doch endlich eine Cafetera für Induktionsherd zu kaufen. Wir hatten ohnehin einen Abstecher in die Innenstadt vor (meine Körperlotion war geplant ausgegangen, ich kaufte Nachschub im örtlichen Body Shop), in einer “Tienda del Café” entschied ich mich nach kürzester Beratung (auf Augenhöhe, die Dame empfahl die günstigste, “las más económica”) für eine Cafetera und ließ mir nach meinen Vorgaben auch gleich Espressobohnen dazu mischen und mahlen (auf meinen Wunsch “dunkel und kräftig für Milchkaffee” gab die Angestellte eine Hand voll torrefacto zur Hausmarke). Also kann ich zurück daheim die Adapter-Platte verräumen, die mir den Weitergebrauch meiner alten Alu-Cafetera auf dem Induktionsherd ermöglicht hatte.

Es bestätigte sich, was wir schon auf dem Weg vom Bahnhof gesehen hatte: Hier sind noch mehr Leute mit Surfboards unterwegs als in München!

Zum Abendessen folgten wir Empfehlungen für Bars mit Pintxos in der Altstadt. Auf dem Weg dorthin passierten wir die Eröffnung der Filmfestspiele von San Sebastián mit übersichtlichem Menschenauflauf.

Die Pintxos-Bars in den Altstadtgässchen waren alle voll, die Kellner wirkten angespannt (lag vielleicht an der Anstrengung der Kommunikation mit hauptsächlich Fremdsprachler*innen). Es gab fast keine Ablage- oder Tischfläche für Getränk/Pinxtos – und wenn ich sowas endlich ergattert hatte, fühlte ich mich unter Druck, so schnell wie möglich zu trinken und zu essen, um Platz für die anderen Wartenden zu machen.

Ich fürchte, das ist für mich ganz persönlich eine zu unentspannte und gehetzte Art der Mahlzeit (wieder entspreche ich nicht meinem Wunschbild, diesmal dem der gelassenen, fröhlichen und feierlaunigen Frau, die sich halt mit Menschenmengen arrangiert und mit Fremden smalltalkt). Nach der zweiten Bar gaben wir auf, ohne wirklich satt zu sein. Zumindest lernte ich, dass mir der heimische junge Wein Txakoli sehr gut schmeckt.

Den Heimweg legte ich über unser Wohnviertel auf der anderen Seite des Flusses Urumea, und sieh an: Hier gibt es auch Bars mit Pinxtos und Raciones, unempfohlen, aber gut besucht von möglicherweise Einheimischen, mit Außentischen. Denen gebe ich die weitere Chance für Abendessen mit Pinxtos. In einem kleinen Supermarkt holten wir uns Süßigkeiten zum Sattwerden, aßen sie in der Wohnung zu spanischem Fernsehen (spannend, vor allem die Werbung!).

§

Auf der viereinhalb-stündigen Zugfahrt bis zur spanischen Grenze (dort Umsteigen nötig, weil die spanische Bahn eine andere Spurweite fährt) las ich Süddeutsche und SZ-Magazin, empfehle daraus jeweils eine Geschichte:
Sogar gratis zu lesen ist der Artikel über die Recherchen von Historiker*innen und Archivar*innen über die NS-Zeit auf lokaler Ebene am Beispiel von Berg am Starnberger See und von Herrsching am Ammersee.
“‘Ich mache die hässlichen Sachen'”.

Auf den meterlangen Tischen in ihrem Archiv liegen gleich mehrere hohe Papierstapel. Friedrike Hellerer, die Archivarin in Herrsching, sitzt seit rund zehn Jahren an ihnen, weil immer etwas anderes dazwischenkommt – hier eine Chronik, da eine Ausstellung. Sie zieht Papiere aus den Stapeln: Statistiken aus der NS-Zeit, Rundschreiben, Rechnungen, Volkszählungen.

Alles, was auf diesen Tischen liegt, wurde jahrzehntelang im Leichenhaus auf dem Dachboden gelagert. Ursprünglich lagen die Papiere im Rathaus der Gemeinde, sie wurden als das Gebäude in den Sechzigern umgebaut wurde in das Leichenhaus gebracht und dort für ein halbes Jahrhundert aufbewahrt. Man könnte auch sagen: aus dem Weg geräumt. Dann, vor rund zehn Jahren, kam man auf die Archivarin zu. Weil das Dach im Leichenhaus undicht war, sei man auf den Speicher gegangen und habe dort lauter Papier gefunden. Für sowas sei doch sie zuständig.

§

Der zweite Artikel ist die Titelgeschichte des aktuellen SZ-Magazins. Patrick Bauer und Roland Schulz schreiben über das Giesinger Bräu, offensichtlich seit Jahren begleitet und recherchiert.

Ich habe ja noch ein paar Flaschen Giesinger Erhellung in der Garage gekauft, als ich vor über zehn Jahren in der Arbeit eine Runde ausgab und auch für die Biertrinker etwas Besonderes anbieten wollte: Die Mini-Brauerei kannte ich, weil ein Freund gegenüber wohnte, und der verwuschelte, alkoholisiert wirkende Kauz in grüner Latzhose und Gummstiefeln, der mir die Flaschen verkaufte, war dann wohl Steffen Marx.

Als ich mit der Lektüre des sehr, sehr ausführlichen und gründlichen Artikels durchwar, immer wieder ungläublig aufgelacht hatte, schloss ich mit: “Vareck.” (Bayerische Respektsbekundung.) Kostet Geld, ist aber die 2,99 Euro eines Tagespasses der Süddeutschen absolut wert.
“Ein Quantum Prost”.

Journal Donnerstag, 15. September 2022 – Paris 3: Dior, Montmartre, gutes Essen

Freitag, 16. September 2022

Etwas matschig aufgewacht. Erstmal war ich eine Weile mit Bloggen beschäftigt.

Als wir loszogen für unseren Morgenkaffee, merkte ich, dass ich mich matt und unfit fühlte – das sollte leider den ganzen Tag anhalten.

Einkehr wieder im Nachbarschafts-Café. Der Kellner wies Herrn Kaltmamsell darauf hin, dass er sich Gebäck zum Café crème beim benachbarten Bäcker holen könne – diese Symbiose ist wohl üblich in Frankreich.

Er frühstückte Croissant und eine Walnuss-Tarte.

Programm für gestern war erst mal ein weiterer Museumsbesuch. Ich hatte mir halb im Scherz gewünscht, Dior zu besuchen – die Bilder im Kopf aus alten Hollywoodfilmen, in denen Kundinnen die Modelle von Mannequins vorgeführt bekommen. Das ist heute natürlich anders, und die Dior-Läden in Paris sehen aus wie die auf der ganzen Welt. Aber Herr Kaltmamsell hatte entdeckt, dass es in Paris im Haus des ersten eigenen Geschäfts mit Werkstatt von Christian Dior ein Museum gibt, eröffnet erst im März dieses Jahres: La Galerie Dior. Dafür hatte er Karten besorgt, wieder mit vorgegebener Zeit.

Wir nahmen eine U-Bahn nach Trocadero und spazierten gemütlich und mit Umwegen zum Museum.

Erst mal von der Baustelle Trocadero runtergucken. (Eine Konstante bislang: Wo auch immer auf Touristenwegen etwas Gitterförmiges ist, werden Vorhängeschlösser drangehängt.)

Damit auch ich ein Foto vom Triumphbogen gemacht habe.

Vor dem Dior-Museum standen wir wieder eine Weile Schlange. Drinnen trafen wir auf eine ausführliche und sorgfältige Ausstellung, verschwenderisch ausgestattet und inszeniert. (Hier schwärmt Silvia Ihring in der Welt anlässlich der Eröffnung der vorhergehenden Ausstellung.)

Es gab viele Informationen zu und Huldigungen an die Person Christian Dior – die mich nicht besonders interessiert. Vor allem aber sahen wir viele sensationelle Kleider und Kostüme von Dior selbst und den nachfolgenden Chefdesignenden des Modehauses: Marc Bohan, Gianfranco Ferré, Yves Saint Laurent, John Galliano, Raf Simons und Maria Grazia Chiuri – mit ihren erkennbaren Handschriften und gleichzeitigem Bezug auf den Gründer. Sie waren thematisch zusammengestellt (z.B. Blumen- und Pflanzenmotive, Einflüsse anderer Kulturen, Filmstars, die Klassiker) und wundervoll ausgeleuchtet. Dazu kamen historische Filmausschnitte, auch Filmdokumentationen aus der Werkstatt. Mich persönlich hätte noch ein bisschen mehr handwerklicher Hintergrund interessiert, allein schon der Raum mit den Erstentwürfen aus Nesselstoff, die auf der Basis von Diors doch eher vagen Zeichnungen gefertigt worden waren, faszinierte mich.

Herr Kaltmamsell fotografierte mich im Treppenhaus, das über vier Stockwerke mit Vitrinen von Miniaturen im Farbverlauf geschmückt ist.

Hier ein kleiner Einblick in die Ausstellung:

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https://youtu.be/9mO_e5ehsfo

Hier hörte ich dann auch endlich auf, auf alle sich selbst oder gegenseitig fotografierenden Menschen Rücksicht zu nehmen: Es waren einfach zu viele, ich konnte mich nie frei bewegen. Ab sofort latschte ich einfach durch jedes Bild, was mich immer noch Überwindung kostet.

Ein aktuelles Schaufenster – ich kriege den Verdacht nicht los, dass Christian Dior zumindest die Schuhe so scheußlich gefunden hätte wie ich.

Nächster Programmpunkt: Stippvisite in Montmarte. Wir nahmen eine U-Bahn zum Place de Clichy und spazierten zu Sacre Coeur – Stadtplan überflüssig, wir mussten uns nur in den immer dichteren Touristenstrom einreihen.

Übergang (!) über den Friedhof Montmartre.

Eingereiht in die Fotografinnen der Kirche.

Wirklich faszinierend: Die 50 Meter blickdichte Besetzung mit Vorhängeschlössern allein schon auf dieser Ebene. Die Gitter auf den unteren Ebenen waren etwas lockerer behängt.

Hier lernte ich, dass die am Vortag entdeckte Touristinnen-Selbstinszenierung mit Baskenmütze auch mit Hijab funktioniert. (Bezieht sich das auf eine bestimmte Fernsehserie oder imitieren Instagrammerinnen einfach einander?)

Auch Herr Kaltmamsell war mittlerweile erschöpft, meine Schlappheit hatte sich nicht legen wollen: Wir machte uns auf den Weg Richtung Hotel – allerdings mit ein paar Umwegen durch Montmarte. Wenige Schritte abseits der Tourismusströme wurde es sofort interessant: Wir kamen an vielen riesigen Stoff- und Füllmaterialläden vorbei (Groß- und Einzelhandel), in Gastronomie und Bekleidungsgeschäften war der nordafrikanische Einfluss unverkennbar.

Und ich lernte, dass Kammerjäger keineswegs überall auf der Welt auf Diskretion setzen, manche sogar ordentlich Werbung für sich machen.

U-Bahn von Gare de l’Est, im Hotelzimmer erst mal ein wenig hingelegt.

Zum Nachtmahl (ich hatte wieder den ganzen Tag nichts essen mögen) wollten wir nicht durch die Stadt gondeln und gingen zweimal ums Eck: Das Restaurant L’Avant-Goût hatte gut ausgesehen – und wir aßen gut.

Vorpeise bei Herrn Kaltmamsell Oktopus mit Auberginenpüree, bei mir Tomaten mit paniertem Brie. (Wenn ich mir die Speisenkarten der Lokale hier ansehe, haben Vegetarier*innen es beim normalen Essengehen in Paris schwer.)

Hauptspeise bei mir geschmortes Lamm, gegenüber Schweinekotelett mit Mais und Zucchini. Von der Weinkarte suchte ich uns dazu einen Biowein Crozes Hermitage Les Pitchouettes aus, passte gut.

Als Dessert einmal Käseteller, und für mich Blätterteig mit Matcha-Crème und Aprikosenpüree, außerdem Himbeereis. Dann war ich sehr voll.

§

Nachgereichte Musik zu Moulin Rouge.

Zum einen war ich an eine alte spanische copla erinnert: “Si vas a Paris, papa”. (Die erwähnten “abaches”, vor denen gewarnt wird, sind wohl Pariser “Apaches”: “Les Apaches war eine gewalttätige kriminelle Unterwelt-Subkultur der Pariser Belle Époque von Hooligans, Nachträubern, Straßengangs und anderen Kriminellen des frühen 20. Jahrhunderts.”)

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https://youtu.be/ew4l426DhrA

Außerdem trat der erste Artist der Show zu “Roxane” in der Tango-Version auf – aus dem Film Moulin Rouge von 2001.

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https://youtu.be/FHVByhErU8E

Journal Mittwoch, 14. September 2022 – Paris 2: Seine-Fahrt, Louvre, Moulin Rouge

Donnerstag, 15. September 2022

Nach guter Nacht früh und erfrischt aufgewacht. Wie erwartet wurde es in Paris deutlich später hell als in München. Ein bewölkter, milder Morgen.

Ich postete den am Vorabend erstellten Blogpost – mit Mühen, denn die Internet-Verbindung des modern daherkommenden Hotels ist ausgesprochen wackelig. Das Zimmer wiederum ist so klein, dass ich mich zu komplettem Aufräumen aller meiner Dinge genötigt sah (inkl. Rechner und aller Kabel), damit das Personal überhaupt eine Chance zum Reinigen bekam.

Draußen kündigte sich wieder größere Wärme an, ich verließ das Hotel in kurzen Ärmeln. Erst mal Morgenkaffee in einer vertrauenswürdig aussehenden Kneipe ums Eck.

Foto: Herr Kaltmamsell.

Wir saßen ein wenig herum und sahen zu, wie hier Nachbarschaftsleute auf dem Weg zur Arbeit ihren Morgenkaffee tranken, einige im Stehen halb im Freien, man kannte und grüßte sich, es war viel Plauderns. (Und der mittelalte, weiße Wirt erfüllte mit seinem schwarzen Schnauzbärtchen ein weiteres meiner Paris-Klischees.)

In Montparnasse hat’s natürlich überall Kunst.

U-Bahn zum Eiffelturm. Von dort startete die von Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch gebuchte Seine-Fahrt: Wenn eine große Stadt schon einen Fluss hat, verschaffe ich mir mit einer Touri-Fahrt darauf gerne Überblick.

Erst mal ein wenig Eiffelturm geguckt. Ganz schön groß – aber in augenscheinlich erbärmlichem Zustand. Ich möchte wirklich nicht für die Rostlaube zuständig sein.

Vom Schiff aus sah ich nochmal einen inszenierten Heiratsantrag mit Profifotograf: Das war der dritte innerhalb einer halben Stunde. Aber wie jede Influencerin weiß: Authentizität erfordert halt sorgfältige Inszenierung. (Später sahen wir auf unserem Spaziergang entlang der Seine noch einige Foto-Situationen mit Paaren in Hochzeitskleidung.)

Die Erklärungen zu den Aussichten unserer Seine-Fahrt kam über WLAN aufs Handy: Die Informationen waren eingebettet in einen fiktiven Dialog zwischen der Stadt Paris (Schauspielerstimme) und der Seine (Schauspielerinnenstimme) – gewöhnungsbedürftig. Es kam dennoch genug Info rum.

Île de la Cité mit schwer baubearbeiteter Kathedrale Notre-Dame de Paris. Sobald die Sonne herauskam, wurde es sehr warm.

Wasserpolizei mit Taucher.

Interessante Vogelsichtung: Fliegende Kormorane.

Auch sehr interessant: Zwei Passagierinnen inszenierten sich (unabhängig voneinander) für Fotos auf dem Schiff mit schwarzer Baskenmütze und großer Sonnenbrille, eine davon zudem im Trenchcoat.

Auf unserem anschließenden Spaziergang zum Louvre kamen wir auch an einem großen professionellen Fotoshooting auf einer Brücke vorbei, drei Frauen in Abendkleidern hielten dabei schicke Vorhängeschlösser hoch – Werbeaufnahmen?

Herr Kaltmamsell war ja fürs Parisprogramm zuständig, ich hatte einige Wünsche geäußert – die er mir alle erfüllt. So hatte er uns Eintrittskarten für den Louvre reserviert (man bucht für bestimmte Zeiten): Ich hatte mir einmal Reinschmecken gewünscht, eher erste Orientierung für einen ausführlicheren Besuch.

Zu unserer Überraschung war die Schlange von Menschen, die Tickets für denselben Zeit-Slot hatten wie wir (ein Angstellter ging durch und versicherte sich), ganz schön lang – wir warteten mehr als 20 Minuten am Eingang.

Endlich drin bewunderte ich die Eingangshalle unter der Glaspyramide (ich erinnere mich noch an die Berichterstattung über den großen Umbau), dann holte ich uns erst mal noch einen Kaffee und für Herrn Kaltmamsell Croissant. Weitere Orientierung anhand des Gebäudeplans.

Wenn ich schon mal da war, wollte ich etwas für mich Neues sehen, nicht ohnehin Bekanntes. Plan war, den Gebäudeteil mit der Mona Lisa und seinen Menschenmassen weiträumig zu meiden (zumal ich, hier unter uns kann ich’s ja zugeben, dieses Renaissance-Poträt nie außergewöhnlich interessant fand – schon gar im Vergleich zu niederländischen Porträtknallern wie “Bildnis einer jungen Frau” von Rogier van der Weyden).

Neu war mir die große Abteilung mit islamischer Kunst aus fast allen historischen islamischen Gebieten der Erde und aus mehreren Jahrhunderten – von der mir eine Fachfreundin bereits erzählt hatte.

Hier sahen wir uns ausführlich um (konnten allerdings nur einen Bruchteil der riesigen Sammlung würdigen). Die Beschilderung lieferte Informationen in Französisch, Englisch und Spanisch.

Das erste Mal, dass ich einen Ameisenbären (Aardvark) künstlerisch umgesetzt sah.

Ich beobachetet (und fotografierte, aber nicht für hier) einen jungen Touristen, der seiner Begleiterin eine arabische Inschrift auf einem Grabstein vorlas, und war schwer beeindruckt. Er musste sich schon anstrengen und stückeln – so wie wir Ex-Lateinerinnen vor einer lateinischen Inschrift halt.

Um unser Wahrnehmungszentrum zu beruhigen, gingen wir abschließend zu Vertrautem: Im obersten Stock eines anderen Gebäudeteils hingen Alte Niederländer, einmal Queren des gesamten Museums gab einen winzigen Einblick, WIE riesig und ausgedehnt der Louvre ist. Kam gleich mal auf die Liste für einen richtigen Paris-Urlaub: Ein Tag im Louvre, von früh über Mittagessen bis spät.

Durch das hochpreisige Einkaufszentrum unter dem Louvre (?) gingen wir zur U-Bahn und fuhren ins Hotel. U-Bahn-Durchsagen übrigens auf Französisch, Englisch und Spanisch.

Kurzes Ausruhen (ich hatte immer noch weder Hunger noch Appetit), dann machten wir uns fertig fürs Abendprogramm: Ebenfalls auf meinen Wunsch hatte Herr Kaltmamsell Karten für eine Vorstellung im Moulin Rouge besorgt, volles Programm inklusive Abendessen und Champagner. Nach der atemberaubenden Show im Friedrichstadtpalast hatte ich etwas Vergleichbares sehen wollen, außerdem mal wieder alte Hollywoodfilme voller Klischees im Kopf, vor allem aber schöne Frauen mit endlosen Beinen und Federschmuck auf dem Kopf.

Wir nahmen die U-Bahn zum Place de Clichy. Die U-Bahn-Ausschilderung in Paris macht mich ja schon wuschig: Ich bin gewohnt, nach klaren, wiedererkennbaren Zeichen für U-Bahn-Stationen Ausschau halten zu können – hier ist nichts wiedererkennbar, selbst die zeitgenössische Ausschilderung (ein großes M) entscheiden sich nicht für eine klare Gestaltung.

Wir verbrachten einen sehr schönen Abend mit der Show Féerie. An unseren langen Tisch direkt vor der Bühne wurden wir von einer Angestellten gebracht; wir teilten ihn uns mit weiteren Paaren, Beleuchtung Nachtischlampen mit roten Schirmen. Es gab Champagner (ich hatte mich sehr auf Alkohol gefreut), zur Vorspeise aromatische Melone mit Rinderschinken (und einem Hauch frischen Muskat, gute Idee), als Hauptspeise Hähnchenbrust mit Hummer-gefüllter Zucchini und Gemüse, zum Dessert Tiramisu.

Dazu spielte eine kleine Band amerikanische Standards, ebenso aus der Zeit gefallen wie der Rest der Veranstaltung. Das Publikum (der Saal mit zwei Rängen fast ausgebucht) ähnelte dem im Friedrichstadtpalast (minus Kinder und Teenager): Ältere, konservativ aussehende Herrschaften, ganz klar Touristen (einige Gruppen kamen mit Reisebussen), keine Einheimischen.

Und ich bekam, worauf ich gehofft hatte: Viele wunderschöne Frauen (deutlich weniger Männer) mit endlosen Beinen, die in sensationellen Kostümen tanzten, oft mit Federn auf dem Kopf. Auch hier genoss ich es, so nah an der Bühne viele Details sehen zu können, die Unterschiede zwischen den wunderschönen Frauen – und wie die gelenkigsten von ihnen beim Beinehochschleudern ihren Kopf leicht zu Seite drehten, wohl um zu vermeiden, sich mit der eigenen Kniescheibe die Zähne einzuschlagen.

Die Show im Vergleich zum Friedrichstadtpalast: Viel kleinere Bühne mit entsprechend weniger Möglichkeiten, kein Live-Orchester, keine durchgängige Geschichte, sondern reine Nummernrevue (darin wie im Friedrichsstadtpalast drei akrobatische Einlagen). Die schönen Frauen waren meist barbusig, es gab ohnehin viel mehr sichtbare Haut – was zur Folge hatte, dass ihre Körper nicht nur normschöne Formen hatten, sondern zudem die Haut makellos sein musste, ohne Narben, Risse, Muttermale. (Umso mehr entzückte mich, dass eine der Damen, und zwar die, die beim Cancan am atemberaubendsten Räder schlug und Überschläge hinlegte, auf dem linken Oberschenkel zwei beachtliche blaue Flecken trug – das lässt sich halt dann doch nicht vermeiden). Die große Cancan-Nummer ist wahrscheinlich, was “die Reihe” für den Friedrichstadtpalast ist.

Späte U-Bahn-Fahrt zurück nach Montparnasse.

Journal Dienstag, 13. September 2022 – Mit dem Zug nach Paris

Mittwoch, 14. September 2022

Mein Wecker klingelte um fünf, denn die Direktverbindung München-Paris fuhr deutlich vor sieben vom Münchner Hauptbahnhof ab.

Reisefertig.

Wir waren so früh aufgebrochen, dass wir uns noch zum Starbucks auf einen Cappuccino setzten (zumindest hatte ich einen kleinen solchen bestellt; in der heißen Milch erahnte ich den Espresso lediglich vage), Herr Kaltmamsell frühstückte Croissant.

Pünktliche Abfahrt, mein erstes Mal TGV.

Herr Kaltmamsell döste, ich gucke Morgennebel, las auf meinem Smartphone die Zeitung, dann Roman. Ein wenig aufregend wurde es doch: Die Zugchefin fragte über Lautsprecher nach einem Arzt oder Sanitäter, ein Fahrgast brauche medizinische Hilfe. So jemand fand sich dann auch (erneute Durchsage), dennoch musste der Zug außerplanmäßig in Göppingen anhalten, um diesen Fahrgast zu versorgen.

Gegen zehn ging ich auf einen weiteren Cappuccino in den Speisewagen, der hier “Bar” hieß. Ich genoss über meinem Kaffee die Aussicht vom oberen Stockwerk, unsere Plätze waren im unteren. (Zweigeschoßige Schnellzüge, das ist aber mal eine gute Idee!)

Amüsement im Abteil, als bei Überqueren der Grenze die Marsellaise über die Lautsprecher ertönte. (Ich bin jetzt SEHR gespannt auf die Rückfahrt.) Bis Paris war die Verspätung wegen des medizinischen Notfalls wieder eingeholt, wir kamen pünktlich nach nicht mal sechs Stunden Fahrt gen Westen in Paris Est an. (Papierlose und halb kaputte Zugtoiletten kann aber auch die französische Bahn.)

Sogar die Bahnhofsuhren sehen in Paris anders aus!

Das Wetter war beim Aussteigen bewölkt, zudem überraschend warm und schwül, ein Apotheken-Thermomenter zeigte 29 Grad an. Ich steckte meine Jacke schnell weg.

Herr Kaltmamsell ist für den Paris-Teil unserer Reise zuständig, also bis Freitag. Er lotste uns zu unserem Hotel in Montparnasse (U-Bahn-Tickets kaufen, U-Bahn finden, von der Haltestelle zum Hotel finden) – in Montparnasse, weil ich meine inneren Bilder von der Hemingway-in-Paris-Zeit zum Leben erwecken wollte.

Einer der Wallace-Brunnen aus dem 19. Jahrhundert (von einem Engländer errichtet). Was eine gescheite Großstadt ist, hat öffentliche Trinkwasserbrunnen.

Unser Zimmer war noch nicht bezugsfertig, also stellten wir lediglich unser Gepäck ab und zogen los (kurze Überforderung, weil ich mit Ausruhen und geruhsamem Plänemachen gerechnet hatte). Erst vor einer Woche hatte mir eine Freundin von einer kunsthistorischen Exkursion nach Paris zur Großen Moschee erzählt. Bis dahin hatte ich nicht mal von deren Existenz gewusst, aber gleich mal gesehen, dass sie in Fußnähe unseres Hotels lag. Also spazierten wir dorthin.

Diese Mitte der 1920er Jahre im maurischen Stil erbaute Moschee war den französischen Muslimen als Ausdruck des Dankes für die Beteiligung der nord- und westafrikanischen Kolonial-Soldaten islamischen Glaubens am Ersten Weltkrieg gestiftet worden.

An den Wänden Steinschneidekunst und Kacheln.

So sieht also ein Minarett mitten in einer westeuropäischen Stadt aus.

Ein sehr interessanter Bau. Im großen Gebetsraum (für Besucher gesperrt) sahen wir durch die offenen Türen einzelne Männer beten, sehr verschiedene – klar, ebenso halt, wie in Kirchen Menschen beten.

Von dort mäanderten wir ein wenig durch die Straßen. Herr Kaltmamsell bat um eine Pause in einem Café, dort trank er ein Glas Bier und aß eine Schale Pfirsich-Crumble, ich trank meine erste Orangina (gut!).

Auf der Karte sah ich, dass der Pantheon nicht weit war; wir beschlossen einen Spaziergang dorthin. Google Maps lotste uns durch besonders malerische Gassen, unsere Paris-Klischees kamen ganz auf ihre Kosten.

Auf eine Besichtigung des Pantheon hatten wir dann doch keine Lust (sahen hier aber von der Ferne sowohl Eiffelturm als auch Notre-Dame, hatten damit Paris praktisch durch), viel interessanter fand ich die benachbarte Kirche St-Étienne-du-Mont.

Die sahen wir auch von innen an.

Genug gesehen für einen Tag, wir waren erschöpft. Also Spaziergang zurück zum Hotel in Montparnasse. Unterwegs wurde ein weiteres meiner Paris-Klischees erfüllt: Wir begegneten zahlreichen Menschen (Frauen) mit Baguette unterm Arm, wohl frisch fürs Abendessen in den auffallend zahlreichen Bäckereien besorgt.

Wir bezogen unser kleines Hotelzimmer und ruhten uns aus. Hunger hatte ich auch nach dem bisherigen Tag ohne Essen nicht, aber Lust auf Essengehen. Zwar hatte ich einige Restaurantempfehlungen notiert, doch die lagen uns alle zu weit entfernt. Wir ließen uns gleich ums Eck von Sympathie leiten und aßen draußen vor einer Brasserie Onglet de boeuf (Herr Kaltmamsell) und Rindertartare jeweils mit Fritten – schmeckte uns jeweils gut.

Dazu trank ich Citrone pressé, weil das irgendwelche literarischen Erinnerungen auslöste. Es erwies sich als frisch gepresster Zitronensaft, der mit Zucker und Wasser zum Selbermischen serviert wurde.

Anschließend spazierten wir noch ein wenig durchs Viertel, Herr Kaltmamsell kaufte uns zum Nachtisch gefüllten Brandteig: Ein Nougat-Eclaire für mich, ein Religieuse au café für ihn. Es wurde deutlich später dunkel als in München, wir waren halt weiter westlich.

Journal Montag, 12. September 2022 – #12von12 und Rentengedanken

Dienstag, 13. September 2022

Was #12von12 ist.

Aufgeweckt von Weckerklingeln, schließlich hatte ich einen Beratungstermin bei der Deutschen Rentenversicherung DRV.

1 – St. Matthäus. Start in einen herrlich sonnigen Tag, der erst mal sehr frisch war.

2 – Morgenkaffeesituation mit aufgeschlagenem DRV-Ordner. (Und Coronatest – auch wenn ich nicht sagen könnte, was ich bei überraschendem Positiv-Ergebnis getan hätte.)

3 – Selbstauslöserfoto: Vor dem Duschen und Anziehen meine allmorgendliche Runde Unterarm- (mit Fußheben) und Seitstütz (mit Beckenheben).

Dieser DRV-Beratungstermin per Online-Video (superbequem – allerdings hatte ich einige Male auf der Website nachsehen müssen, bis ich endlich einen Slot mit für mich machbarem Datum mit passender Uhrzeit erwischte) ergab: Ich könnte sogar schon mit 63 in Rente gehen. Bis dahin war ich davon ausgegangen, dass ich dafür nicht genug Jahre gearbeitet habe, doch jetzt weiß ich, dass Ausbildungsjahre mitgerechnet werden. Derzeit haben Rentenversicherte über 50 die Möglichkeit, mit einer sogenannten Abschlagsausgleichzahlung auf die gleiche Rentenhöhe wie bei Arbeiten bis 67 zu kommen – das wiederum wusste ich, deshalb der Beratungetermin mit Berechnung der Höhe meiner solchen Zahlung. Werde ich mir meine Ersparnisse also doch nochmal genauer ansehen, das wäre doch ein erfreulicher Einsatz für sie. Diese Abschlagsausgleichzahlung bedeutet nichts anderes, als dass ich jetzt das Geld einzahle, das ich in Form eigener Rente zurückgezahlt bekomme – also anders als die regulären Abzüge für Rentenversicherung vom Gehalt, mit denen ich jetzt die Renten der aktuellen Renter*innen finanziere. (Sieh an, so weit lässt sich mein Hirn also zum Thema Geldanlage zuschalten – sonst geht es dabei in Bruchteilen von Sekunden auf Stand-by-Modus.)

Ganz egoistisch könnte ich so die Gunst einer vergangenen Stunde nutzen, in der es politisch opportun war, Arbeitnehmer*innen die Chance eines möglichst frühen Ruhestands zu bieten, ohne gleichzeitig die Staatskasse zu belasten. Obwohl schon damals der “Fachkräftemangel” beklagt wurde – während allerdings auch damals Arbeitskräfte ab 45 fast keine neue Chance auf spannende Jobs mehr bekamen. Mal sehen, ob und wie sich diese Politik wandelt, wo doch alle Branchen auf allen Ebenen ihre offenen Stellen nicht mehr besetzt bekommen, schon gar nicht Vollzeitstellen. Ob wohl demnächst Maßnahmen ergriffen werden, um meine (in etwa) Generation, für die Vollzeitarbeit die Werkseinstellung ist, länger im Arbeitsleben zu halten?

4 – Nach einer Runde Yoga mit eingewickelter Entspannungsphase.

Elektronisches Zeitunglesen (ich habe die Papierausgabe für die nächsten vier Wochen umbestellt), dann überließ ich dem Putzmann das Feld.

5 – Ich folgte der Empfehlung für guten Cappuccino und ging zur Kaffeerösterei am Viktualienmarkt. Ja, sehr gut!

Von dort spazierte ich übers Isartor an die Ludwigsbrücke, um nach dem Stand der Renovierungsarbeiten zu sehen.

6 – Alles noch sehr eingerüstet und baustellig. Mir als Laie fällt es schwer, an den angekündigten Abschluss noch dieses Jahr zu glauben.

Weiterspaziert Isar-abwärts. Bald war es warm genug für kurze Ärmel, ich schlüpfte aus meiner Jeansjacke und verstaute sie im Rucksack. Ich sah ein wenig den vielen Forellen im klaren, niedrigen Wasser zu.

7 – Blick von der Maximiliansbrücke. Am Friedensengel kreuzte ich die Isar wieder, um einem beliebten Münchner*innen-Hobby nachzugehen: Touristengucken.

8 – Hier an der Eisbach-Welle.

Von hier spazierte ich durch den Englischen Garten, die Königinnenstraße entlang, an der Uni rüber in die Maxvorstadt, um im Lieblingscafé Puck zu frühstücken. Auch hier gibt es jetzt einen ausgedehnten Außenbereich (auf die Türkenstraße), doch es ist ja das Drinnen des Cafés Puck, das ich so gern mag.

9 – Bagel & Eggs, dazu eine Rhabarberschorle. Zeitung ausgelesen, dann meine derzeitige Romanlektüre (Khuê Pham, Wo auch immer ihr seid – eher informativ als literarisch) auf der Kindle-App des Smartphones.

10 – Kunst mit Humor vorm Museum Brandhorst.

11- Auf dem Heimweg machte ich unterm Hauptbahnhof mal wieder Automatenfotos – mittlerweile ist auch dieser Automat untauglich.

Daheim weitere Reisevorbereitungen: Pediküre (GNA!), Maniküre, Bügeln.
Bei Letzterem endlich das WDR-Hörfeature über Street-Tischtennis gehört.

Nun aber ernsthaftes Kofferpacken. Die größte Reise seit einigen Jahren, ich hatte mir seit Langem mal wieder Listen gemacht. Diese hakte ich durch Rauslegen der Dinge auf mein Bett ab, als Letztes legte ich sie in den Koffer – und packte gleich mal einige Sache wieder zurück in den Schrank: Obwohl ich mich mit Aussicht auf Waschmaschine im Ferienappartment eingeschränkt hatte, füllten sich die Koffer überraschend schnell.

12 – Beide Koffer mit meinem Zeug, vor dem Befüllen mit Zeug von Herrn Kaltmamsell und noch ohne Kulturbeutel und Elektronik. Die Aufteilung: Vorne der Koffer für die ersten Tage in Paris, hinten der Koffer für San Sebastián.

Jetzt machte ich mir eine Tasse Tee und hoffte auf das Einsetzen von sowas wie Entspannung. Nicht mal um unsere Pflanzen musste ich mir doch Sorgen machen: Meine Mutter kommt wieder “zum Wohnungaufpassen”.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die restlichen Reste des Ernteanteils: Persischer Stangensellerie-Eintopf mit weißen Bohnen, sehr gut! Dann noch reichlich Süßigkeiten.

Mehr #12von12 vom September 2022 gibt es hier.

Journal Sonntag, 11. September 2022 – Familienlamm und Her Majesty’s Revenue & Customs

Montag, 12. September 2022

Wecker auf sieben, damit ich vor unserer Abfahrt zu meinen Eltern nicht ins Hetzen kam.

Nach Bloggen und einer Tasse Tee passierte das dann doch, denn ich hatte mich beim dreimal ums Eck Denken dann doch in meiner Planung verrechnet. Also im gestreckten Galopp zum Hauptbahnhof. Wo wir erst mal eine halbe Stunde im stehenden Zug warteten: Ich hatte schon beim Recherchieren der Verbindung die Info gesehen, dass das Stück hinter Dachau “wegen Notarzteinsatz” gesperrt war – allerdings hatte ich gehofft, dass es mittlerweile wieder frei sein würde. Das zog sich ein wenig. (Klar ärgert mich sowas, ist aber der Bahn so wenig anzulasten wie eine Autobahnsperrung wegen Unfalls dem Verkehrsministerium.)

Daheim große Familienzusammenkunft, die Bruderfamilie war auch da. Und auf meinen nachgefragten Wunsch gab es (nach Sherry oder Vermuth mit Oliven als Aperitif und einer großartigen Brätklößchensuppe als Vorspeise) Lammbraten.

Sensationell zart, mit Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen und Erbsen, im Glas ein schöner spanischer Rotwein. Für die Vegetarier*innen Veggie-Braten. Nachtisch Zitronencreme.

Vor allem aber Austausch mit der Familie, inklusive Foto-Show (Laptop auf riesigen TV-Monitor) vom kürzlichen Urlaub an der Côte d’Azur (so schön!). Herr Kaltmamsell und ich wurden mit allerbesten Wünschen in unseren Urlaub geschickt.

Zurück in München schaltete ich nochmal auf Tüchtig:

  • Kreditkarten-PIN gesucht – diesmal klappte meine Haufenordnung: Sie war ganz unten in genau dem Haufen, in den sie gehörte.
  • Unterlagen durchgearbeitet in Vorbereitung auf die montägliche Videoberatung bei der Deutschen Rentenversicherung – es stellte sich heraus, dass meine angebliche Arbeitstätigkeit in Großbritannien zwischen 1983 und 1986 samt Rentenversicherungspunkten doch bereits 2012 geklärt wurde: “Wir möchten Ihnen mitteilen, dass es sich bei den folgenden Zeiten um so genannte ‘pension credits’ handelt, die gewährt werden, obwohl Sie sich zu dieser Zeit weder in Großbritannien aufgehalten noch dort gearbeitet haben (…) Den rechtlichen Hintergrund für die Gutschrift solcher Zeiten erläutert Ihnen auf Wunsch der nachfolgend genannte britische Versicherungsträger:
    Her Majesty’s Revenue & Customs
    Centre for Non-Residents”
    Na gut, wenn man mir trotz telefonischem und schriftlichem Widerstand diese Entgeltpunkte unbedingt zuschreiben möchte, wehre ich mich nicht weiter. (Und mit Hinterlegung hier im Blog merke ich mir’s hoffentlich auch.)
  • Wanderstiefel gereinigt und gefettet.

Währenddessen hatte Herr Kaltmamsell Abendessen zubereitet – nicht weil wir echten Hunger gehabt hätten, sondern weil Ernteanteil wegmusste: Ein Haufen Mangold aus der Pfanne mit selbstgezogener Chilischote, heimischem Ingwer und indischen Gewürzen, ganz ausgezeichnet. Und der Zwetschgenkuchen musste auch weg.

Daneben lief die allerletzte Maschine Wäsche vor Urlaub.

Journal Samstag, 10. September 2022 – Emsiger Samstag mit Schlechtwetterlauf

Sonntag, 11. September 2022

Klogang um sechs, ich legte mich nochmal hin, wurde mit einem interessanten Traum (endlich mal wieder spannende Gebäude, wenn auch diesmal eine Mischung aus Büro- und Schlafräumen, aber Aussicht auf eine Flusslandschaft) und zusätzlichen anderthalb Stunden Schlaf belohnt. In der Nacht nach Langem mal wieder eine Krampfattacke in den Unterschenkeln, wieder ließ sie sich durch Aufstehen und Yoga-Vorbeuge lösen, also durch Lockerung der LWS-Muskulatur.

Vor den Morgenkaffee hatten meine Pläne Brotteigkneten gesetzt, es wurde wieder Häusemer Bauerekrume, aber diese zum Mitbringen am Sonntag für meine Eltern.

Draußen kamen energische Regenschauer herab, doch meine Freude auf den geplanten Isarlauf hielt an.

Auch draußen: Die Kabelgerüste für den Pop-up-Biergarten im Nußbaumpark wurden abgebaut, ein weiteres Sommerende.

Nachdem ich mir ausdauernd gewünscht hatte, dass wir gestern Kühl- und Gefrierschrank abtauten und putzten (ja, auch dieses Produkt eines, das angeblich nie abgetaut werden muss, aber auch hier hat die zentimeterdicke Eisschicht im Gefrier-Teil die Gebrauchsanleitung offensichtlich nicht gelesen), legte ich meine Tagespläne so geschickt, dass Herr Kaltmamsell diese Hausarbeit übernahm. Ich überließ ihm auch das Entnehmen des fertig gebackenen Brotlaibs aus dem Ofen und verschwand 20 Minuten vor Backende zur U-Bahn, die mich zum Odeonsplatz fuhr. Von dort lief ich in den Hofgarten.

Ich trug zur halblangen Laufhose Regenjacke und Schirmmütze, band die Jacke aber bald um die Körpermitte und wurde dann nur einmal ganz am Ende meiner Strecke angeduscht. Ein Lauf mit vielen schönen Anblicken, viel Muße für Nachdenken, aber nicht so vergnüglich wie möglich, da schon bald beide Unterschenkel schmerzten (Zusammenhang mit nächtlichem Krampf?).

Viele Gänse im Englischen Garten, Streifen-, Kanada- und Graugänse.

#partyhauptstadtmuenchen – und offensichtlich auch Deppenhauptstadt.

Das Schöne am Laufen bei scheinbar schlechtem Wetter: Fast niemand sonst unterwegs.

Oberföhringer Wehr.

Ich sah sehr viele Herbstzeitlose. Blicke von der St.-Emmeramsbrücke:

Am Isarkanal, angeherbstelt:

Von dieser Seite war das Oberföhringer Wehr frisch bemalt:

Heimfahrt mit der Tram.

Ich stieg schon in der Müllerstraße aus und ging beim Bäcker vorbei. Meilenstein meiner persönlichen Entwicklung: Ich schaffte, eine einzelne Semmel zu kaufen. Herr Kaltmamsell hatte auf Nachfrage keine gewollt, für mein Frühstück plante ich zudem Zwetschgenkuchen ein – eine Semmeln genügte.

Auf dem Stephansplatz entdeckte ich neue Möblierung:

Frühstück war nach dem Duschen also die Körnersemmel mit Frischkäse und Tomate, dann Zwetschgenkuchen mit Schlagsahne.

Das Brot war recht organisch geraten, schadet dem Geschmack sicher nicht.

Wäsche aufgehängt, dann radelte ich zum Mittemeer am Ostbahnhof: Wer von ihren Eltern selbstgemachten Pacharán erhofft, muss diese Eltern mit süßem spanischen Anís versorgen. Doch zu meiner Enttäuschung war nur noch eine Flasche da. Ich werde nach dem Urlaub nochmal herkommen müssen.

Zurück daheim kochte ich Zwetschgenröster – was sich mit gekauftem Obst seltsam anfühlte. Das Entsteinen war harte Arbeit: Wie schon am Vorabend, als ich die Zwetschgen mit einem Messer halbierte und entsteinte, kämpfte ich jetzt auch mit dem Zwetschenentsteiner – ich habe noch nie derart schwer zu entsteinende Früchte erlebt.

Zeitunglesen, dann tat eine Runde Yoga gut.

Ich hatte wieder Lust auf Alkohol und mixte Herrn Kaltmamsell und mir Negronis. Es war schmerzlich frühes Lichtanschalten nötig.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Lauch-Kohlrabi-Risotto, angegossen mit selbst gekochter Gemüsebrühe aus Gemüseresten, die wir in einer Tüte im Gefrierschrank sammeln und die er vor dem Abtauen verwertet hatte.

§

Wir verarbeiten weiter den Tod von Queen Elizabeth II. In der Süddeutschen mit einer klarsichtigen Analyse von Nele Pollatschek (€):
“Die Queen als Symbol
Die Rührende”.

Etwas, das wir alle die ganze Zeit machen: uns selbst in unserer ganzen eigenartigen Individualität zu erklären, indem wir auf allgemeinverständliche Muster zurückgreifen. So wie man sagt, “ich hatte eben eine dominante Mutter”, oder “ich bin halt ein Mann”, oder “in der Schule wurde ich gemobbt”. Sätze, die man sagen kann, in dem Wissen, dass, auch wenn der andere sie nicht teilt, jeder Mensch doch genug Erfahrungen mit “solchen Menschen” hat, als dass sich darüber Empathie erzeugen lässt – ach, deshalb bist du so. Ich verstehe. Ich vergebe. Solche Sätze sagen: Ich gehöre zu dieser Gruppe, und als Mitglied dieser Gruppe kannst du mich begreifen. Sie erzeugen “Identität”, wörtlich: Ich bin derselbe – genau wie jener, den du schon kennst.

(…)

Aber “Queen” ist keine seltene Schnittstelle, ist nicht “ältere, sehr reiche Frau, mit schwieriger Familie”. Queen Elizabeth II. sein ist nicht mal Staatsoberhaupt sein, ist in seinem Absolutheitsanspruch absolut singulär. Es ist eine identity of one, eine Privatsprache, die sich höchstens sich selbst erklären kann, also gar nicht.

(…)

Man weiß einfach nicht, ob es möglich ist, geheime Gelüste zu hegen, wenn man 96 Jahre lang, “such a life” führt. Wenn man wirklich jeden einzelnen Tag, dieses eine Ding ist “Queen Elizabeth II.”, davon wirklich niemals Pause hat, weil man selbst zu Hause im Schlafanzug noch umgeben ist von Menschen, die einen mit “Your Majesty” ansprechen. Weil man nicht mal fünf Minuten zum Kiosk um die Ecke gehen kann, um sich ein Päckchen Kippen zu kaufen, ohne dafür mit dem eigenen Abbild zu bezahlen. Weil man keinen geheimen Brief schreiben kann, ohne dafür ein Bildnis des eigenen Gesichts abzulecken und es in einen Kasten zu werfen, auf dem der eigene Name steht.

(…)

Was nun kommt, wer was daraus macht, was aus dem Commonwealth wird, ob Schottland jetzt doch noch unabhängig wird, welcher englische Politiker sich wie inszenieren kann, was die Oberhäupter anderer Staaten tun werden, während die Atommacht England abgelenkt ist, noch wissen wir es nicht. Es ist etwas passiert. Etwas, das sehr wenig mit dem Tod einer rüstigen 96-Jährigen zu tun hat. Und sehr viel mit Traditionen und mit Pflichtergebenheit, mit Symbolen und mit Geschichten.

Queen Elizabeth II. ist gestorben. Sie war die Letzte, die Einzige, vielleicht die Einsamste ihrer Art.