Journal Donnerstag, 20. Oktober 2022 – Kurze Haare, Start der Meyer-Lemons-Saison
Freitag, 21. Oktober 2022 um 6:11Also mal wieder eine Nacht mit Schlafpause, nach einem Klogang um zwei schlief ich erst mal lang nicht wieder ein; mein Hirn sorgte sich selbsttätig um Einkaufslisten für die Einladung am Samstag. (Das liegt übrigens am Melatonin, hier ein Hintergrundartikel von 2017: “Warum erscheinen uns Sorgen nachts schlimmer?”)
Mittags verschwand der Hochnebel und ließ Sonne durch. Ich nutzte die Mittagspause für einen Haarschnitt ums Eck, er ist seit Wochen dringend nötig. Eigentlich hatte ich das Abenteuer “Haareschneiden im Urlaub” geplant, konnte mich in San Sebastián letztlich doch nicht aufraffen.
Alles ging gut und flößte mir Vertrauen ein, bis sich die junge Handwerkerin mit einer Rundbürste an meinem Hinterkopf zu schaffen machte. Ich erklärte ihr lachend, dass meine Haare sowas seit mindestens 20 Jahren nicht mehr erlebt hätten, sie möge sich nicht über ein gewisses Sträuben wundern. Abschließend wurde mir “der Studententarif” berechnet, weil das Föhnen ja praktisch weggefallen sei. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden, mal sehen, wie es sich über die Wochen entwickelt.
Mittagessen am Schreibtisch: Laugenzöpferl, Banane, Dickmilch.
Sehr freudiges und unerwartetes berufliches Wiedersehen mit der Frau, deren Erzählungen in der Teeküche vor Jahren mein Vietnam-Bild mehr geprägt haben als jeder Artikel oder Podcast. (Größte bisherige Motivation, je einen Roman zu schreiben: Um ihr ein Denkmal zu setzen, Stichwort “Singe, esse Keks”. Die Geschichte gibt’s nur mündlich und direkt von mir.)
Ich ließ mich breitschlagen, als Kontakt unter einem Online-Bestellformular zu stehen, inkl. Telefonnummer. Zur Not kann ich meinen Namen (“Und woher kommen Sie?”) immer noch für die Ausländerinnenkarte ausspielen und in gebrochenem Deutsch nahezu unverständlich rangehen. (Scherz.) (Oder doch nicht?)
Auf dem Heimweg in milder Luft Einkaufsabstecher im Vollcorner. Schöne Entdeckung:
Die diesjährigen Meyer Lemons sind da.
Zuhause Yoga, dann in Gemeinschaftsarbeit mit Herrn Kaltmamsell den Ernteanteilsalat (Endivie) mit Tahini-Dressing und zugekauften Tomaten zu Abendbrot verarbereitet. Dann gab’s noch ein wenig Käse und viel Schokolade.
24 Stunden folgte ich auf Twitter Annette Dittert, der bewunderten und ausgesprochen fachkundigen Büroleiterin ARD London. Zum Erhalt von zumindest Fragmenten meiner geistiger Gesundheit hörte ich wieder damit auf. (Liz Truss ist gestern nach sechs Wochen als Premierministerin zurückgetreten, ich guck erst wieder hin, wenn der Trümmerhaufen nicht mehr so stark raucht.)
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Kim de l’Horizon hat den Deutschen Buchpreis erhalten. De l’Horizont sieht sich als nicht-binär männlich oder weiblich (und bewies bei der Preisverleihung sensationellen Styling-Geschmack, meine Verbeugung). Doch das überfordert sehr viele Menschen so sehr, dass de’Horizont kontinuierlich bedroht und angegriffen wird – wegen dieser Nicht-Binärität, die, möchte man meinen, doch überhaupt niemanden bedroht oder einschränkt.
In der Neuen Züricher Zeitung (ausgerechnet) schreibt d’Horizont ruhig und klug über dieses Phänomen:
“Kim de l’Horizon: ‘Lieber John Unbekannt, lieber Ueli Maurer, ihr habt mich geschlagen. Aber ich vergebe euch'”.
Was euch eint, ist das Feindbild. Was euch eint, ist der Hass auf Körper wie den meinen. Was, frage ich euch, ist so schlimm an meinem Körper, dass ihr ihn schlagen und aktiv von politischer Führung ausschliessen möchtet? Was habe ich euch getan? Was, ihr um euch schlagenden Männer, seht ihr in mir, das euch dermassen bedroht?
(…)
Wieso also wird dermassen viel über «uns» gesprochen? Wieso gibt es mehr Artikel über trans* Menschen als trans* Menschen? Wieso spricht auch diese Zeitung hier mehr über als mit trans* Menschen? Und wenn, dann lässt sie nur trans* Menschen zu Wort kommen, die ihre Transition bereuen – was nur drei Prozent tun, wie neue Studien belegen, und das meistens, weil sie stark an der Diskriminierung leiden, und nicht, weil der neue Körper «nicht passt». Wieso bin ich die erste nonbinäre Person, die hier über ihre Erfahrungen schreiben darf? Let’s cut the crap. Ihr fühlt euch nicht von so was Munzelimäusligem wie einem * bedroht. Es geht um Macht. Um Macht und um die Wunden, die wir alle tragen.
die Kaltmamsell
6 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 20. Oktober 2022 – Kurze Haare, Start der Meyer-Lemons-Saison“
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21. Oktober 2022 um 9:31
Herzlichen Dank für den “Melatoninlink” – er kommt zur rechten Zeit.
Ein lieber Freund ist aktuell sehr schlafgestört durch permanente “Verschrecklichung” und “Katastrophisierung” noch so nichtiger (jedenfalls in meinen Augen, aber für ihn ist es ja nicht nichtig!) Anlässe, dass ich ihm gerade alles an die Hand gebe, was ihm ein Werkzeug sein könnte, da herauszufinden …
21. Oktober 2022 um 19:11
Ich zitiere F. Scott Fitzgerald: „In a real dark night of the soul it is always three a clock in the morning“.
21. Oktober 2022 um 19:18
Oh, man könnte fast meinen, wir hätten denselben Friseur. Bei mir ist es vllt. noch einen Hauch kürzer. Wächst nur leider immer viel zu schnell nach.
Darf ich fragen, ob sie auch immer so viele Kommentare angesichts der ungefärbten Haare bekommen? Ich bin es manchmal leid zu erklären, weshalb ich mir kein Gift auf den Kopf schmieren möchte.
21. Oktober 2022 um 20:24
Tatsächlich nicht, Simone. Und wenn, dann bekomme ich Komplimente für meine besonders schöne Haarfarbe. Liegt vielleicht an München?
21. Oktober 2022 um 22:22
Könnte an München liegen, ja.
21. Oktober 2022 um 23:01
Es ist nicht nur die schöne Farbe, es sind die wunderschönen Haare. Ich habe nur so weichen Fusselkram auf dem Kopf und seit den Wechseljahren verliere ich gefühlt mehr Haare als ich jemals hatte. Leider nur vom Kopfhaar…