Journal Mittwoch, 26. Oktober 2022 – Gemogeltes #Lindwurmessen

Donnerstag, 27. Oktober 2022 um 6:29

Nebenwirkung der spät hellen Tage: Ich bekomme weniger Wetter mit. Gestern war ein mittelschöner Tag vorhergesagt, ich verließ das Haus gedankenlos – und wurde von Regen auf dem Weg in die Arbeit überrascht. (Nicht heftig, trocknete ja wieder.)

Gestern hatte ich besonders viel Freude an meinem Vormittags-Cappuccino mit Hafermilch aus der Cafeteria.

Ausgerechnet um die Mittagszeit wurde es hektisch, ich schaufelte gegen den Hunger Apfel, Granatapfelkerne in mich, dann Chinakohlsalat mit Joghurtdressing – ich hatte nicht vergessen, wie viel Zeit Salatessen beansprucht und musste ihn bis zu einem Termin weghaben. Salat schmeckt geschaufelt nicht besonders gut, übrigens.

Nach Feierabend ein kurzer Abstecher in den Vollcorner.

St. Paul in Rotgold.

Dann marschierte ich zügig nach Hause: Ich hatte Hunger und war mit Herrn Kaltmamsell zum Abendessen verabredet. Wir gingen wieder in die Lindwurmstraße – aber zu einem gemogelten #Lindwurmessen:1 Im Il Ritrovo waren wir nämlich schon vor zwei Wochen gewesen. Gestern wollten wir die dort so attraktiven Pizzen probieren, auf die wir beim ersten Besuch keine Lust gehabt hatten.

Sie schmeckten uns sehr gut; für mich ist ja das wichtigste der Teig, und der war ausgezeichnet. Außerdem nicht zu viel Belag, die Pizza ließ sich mit der Hand essen.

Daheim war sogar noch Platz für Nachtisch: Schokolade.

Es ist weiterhin mild. Wir werden vor November nicht geheizt haben, denn auch an kühleren Tagen wärmte die Sonne durch die großen Süd- und Westfenster die Wohnung. Ich lese ja alle Artikel zu individuellem Energiesparen, immer in der Hoffnung, darin irgendeinen Trick zu finden, den wir nicht eh schon und immer schon anwenden. Aber seit Abschaffung des Wäschetrockners bleibt wirklich kaum etwas. Ich wurde zu Energiesparen erzogen (und erinnere mich an mein Erstaunen als Kind, wenn in den Haushalten von Mitschülerinnenfamilien ohne Deckel auf den Töpfen gekocht wurde, wenn in Küche oder Bad der Wasserhahn länger als unbedingt nötig lief, auf dem Elektroherd die Restwärme nicht genutzt wurde), wir haben keine Elektrogeräte in echtem Stand-by (außer Fernseher), mein Elektrikervater hat schon früh für Ausstattung mit LED-Leuchtmitteln wo immer ging gesorgt. Wir duschen beide so kurz, dass das abschließende Abziehen der Duschkabine deutlich länger dauert. Mittlerweile habe ich mir auch schweren Herzens die geliebte Festbeleuchtung in allen Räumen abgewöhnt.
Am ehesten könnten wir noch am Kochen und Backen schrauben, also künftig Rezepte nach dem Kriterium Stromverbrauch auswählen. (Nicht ganz im Ernst.)

§

In letzter Zeit denke ich wieder viel über das schwierige Verhältnis zwischen veganer Ernährung und Essstörung nach – gerade bei Mädchen und Frauen. Ich stieß auf einen feministischen Essay zum Thema von 2009, den ich schon vor zehn Jahren verlinkt hatte. Und den ich immer noch sehr lesenswert und differenziert finde.
“Mein Körper – Mein veganer Tempel”.

Essstörungen sind immer auch ein Versuch, ein System in die eigene Ernährung zu bringen. Wenn das Gefühl für sich selbst so wenig vorhanden ist, dass ein simples ‘ich habe Hunger – ich esse’ nicht mehr funktionieren kann, dann bietet eine Essstörung eine alternative Orientierung. Das können gezählte Kalorien sein, das Herausspeiben der Nahrung oder der Versuch einfach jeden Tag das gleiche zu essen – in jedem Fall bietet das System Halt. Vegane Ernährung erfüllt die selben Kriterien, auch sie bietet Halt und Orientierung, macht das Angebot, sich mit dem Essen wohl zu fühlen, weil klar ist, welche Nahrungsmittel gegessen werden dürfen und welche nicht – zu wissen, was ist gut für mich und was nicht.

(…)

‘Rein’ zu bleiben ist ein wiederkehrendes Motiv in vielen Frauenleben. In einer Welt die – gerade zu Frauen – oft nicht freundlich ist, in der selbstbestimmtes Leben schon gegen die Mauern im eigenen Kopf rennen muss, scheint die Kontrolle über den eigenen Körper oft der einzige Weg, auf sich selbst aufzupassen. Wenn ich mich vor sexualisierter Gewalt, Zukunftsängsten oder Einsamkeit nicht schützen kann, dann kann ich mich doch immerhin davor schützen, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, kann darauf achten, mir nur gesunde – gute Produkte – zuzuführen, kann aufpassen, dass nichts Schlechtes in mich eindringt.

§

So weit habe ich mich schon von John Irving entfremdet: Bekomme erst eine Woche danach mit, dass es einen neuen Roman von ihm gibt. Zudem: Zwar werde ich diesen gleich als Nächsten lesen (trotz Misstrauen gegenüber dem Titel The Last Chairlift), aber als Datei.

Auf Twitter machte mich @valaki_berlin auf ein aktuelles Lied von Judith Holofernes dazu aufmerksam:

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https://youtu.be/Z95iS3fO7Ck

(“Hans Zimmer, du machst alles schlimmer” fühle ich sehr.)

§

@baldwinvoices spricht die Gedanken von Katzen laut aus – eine Zusammenstellung.

via @DonnerBella

  1. Wir futtern uns nacheinander durch alle Lokale an der Südseite der Lindwurmstraße von Sendlinger Tor westwärts bis Stemmerhof, dann an der Nordseite wieder zurück. []
die Kaltmamsell

14 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 26. Oktober 2022 – Gemogeltes #Lindwurmessen“

  1. Karin meint:

    Sehr interessant der Link zu dem Artikel über den Zusammenhang zwischen Veganismus und Essstörungen. Beobachte so etwas schon seit längerem bei Schüler*innen, ohne bisher die Verbindung wirklich erklären zu können. Dass das ganze aber auch eine gesellschafts– (oder eher Patriarchats–) kritische Komponente hat, war/ist mir klar. Häufig sind das auch gerade besonders intelligente, reflektierte Jugendliche.
    Als Gegengewicht zu diesem ernsten Thema habe ich mich sowohl über den Song von Judith Holofernes als auch über die Katzenstimmen sehr gefreut. Die Ente darin war der erste echte Lacher des Tages!

  2. Croco meint:

    Das Lied spricht mir aus der Seele. Ich kann nicht mehr, kein Irving mehr, kein Roland Emmerich und keine anderen Katastrophen mehr.
    Es reicht mir, mein Bedürfnis nach Schlimmem deckt der Alltag bereits ab.
    Das mit dem Backofen hab ich mir auch schon überlegt. Induktionsherde haben wenig Nachwärme, sind somit energetisch vermutlich günstiger. Ohne Wäschetrockner kann ich leider nicht leben. Ich bin nämlich zu dämlich dazu. Hängt Wäsche draußen, so schaffe ich es selten, sie vor dem Regen wieder reinzuholen. Das Trocknen im Keller funktioniert nur bedingt und im Wohnzimmer mag ich die Wäscheständer nicht sehen.
    In meiner Kindheit galt noch die Regel, dass man in der Dämmerung noch genug sieht und kein Licht braucht. Vermutlich mag ich deshalb Vollbeleuchtung. Die Geschäfte in der kleinen Stadt machen übrigens abends die Schaufensterbeleuchtung aus. Und manche Dörfer schalten um zehn die Straßenlaternen aus.

  3. Anne meint:

    Meiner Erfahrung nach ist vegane Ernährung in erster Linie eine Distanzierung von Massentierhaltung, grausamen Haltungsbedingungen und Schlachtprozessen. Wichtig ist auch Ressourcenverbrauch, Wasser, Fläche usw., die benötigt werden, tierische Produkte herzustellen.
    Der Wunsch, zu diesem System (der Erwachsenen?) nichts beizutragen und einfach nicht mitzumachen.
    Aber all dieses Punkte (inkl. Selbstkontrolle, Selbstschutz) greifen wohl auch ineinander.

  4. Die Toni meint:

    Möglicherweise nur anekdotische Evidenz, aber ich beobachte bei der jungen Generation durchaus vegetarische/vegane Ernährungsfornen aus rein tierethischen und Klimagründen, ganz unabhängig von eigenen Körperfragen.

    So machen das jedenfalls meine Töchter (13 und 16 J.) und beide kochen, backen und essen mit Lust und Wonne (backen vegetarisch, Rest weitgehend vegan). Vielleicht weil Essen in unserer Familie schon immer ein freudvolles Thema war? ‘Kein Fleisch’ essen mein Mann und ich (inspiriert durch die Mädchen) seit drei Jahren auch.

    Und bei manchen ihrer Freundinnen scheint es ähnlich zu sein (es sind oft welche in unserer Küche ;-)).

    Vielleicht entwickelt sich das einfach zu einer modernen Ernährungsweise und damit vielleicht wenigstens manchmal unabhängig von dem ewigen und unsäglichen Körperregime, das es natürlich weiterhin sehr ungut gibt, ist schon klar. Aber eben vielleicht nicht nur.

  5. Susann meint:

    Ich habe lange Jahre vegetarisch gelebt und esse auch heute nur sehr wenig Fleisch (ich mag es einfach nicht besonders gerne). Aber: nichts hat mir jemals so schnell so viel Energie verschafft wie Fleischessen. Nichts. Wenn ich Fleisch esse, habe ich sehr schnell das Gefühl, Bäume ausreißen zu können und habe dann über längere Zeit kontinierlich sehr viel Energie. Vielleicht fällt dieser Effekt weg, wenn jemand ständig Fleisch ist, keine Ahnung, ich habe ja keinen Vergleich. Aber ich frage mich schon, ob sich Frauen, die sich streng vegan ernähren zusätzlich zu all dem anderen baggage noch um das Erlebnis bringen, durch Essen richtig schnell richtig viel Energie zu gewinnen.

  6. Tine meint:

    ich denke momentan noch über die Anschaffung eines Slowcookers nach. Fand ich früher immer überflüssig, das ist auch wieder Geld und Material und Platz. Aber da ich ein Fan von Gulasch, Carbonade flamande, boeuf bourgignon und anderen sehr langsam gegarten Gerichten bin, ist es vielleicht doch eine Alternative. Mir ging es zuerst darum, ein Gericht langsam und kontrolliert lange garen zu können (auf meinem Gasherd kann ich nichts alleine kochen lassen) aber die Energieeinsparung beim Kochen spielt dann doch eine Rolle. Aber noch bin ich nicht soweit.

  7. Grombir meint:

    Mir hat eine Psychiaterin erzählt, dass viele Essgestörte auch Ernährungsberater/in werden. Da können sie sich beruflich den ganzen Tag mit der Ernährung beschäftigen…Hätte ich nie gedacht.

  8. Susann meint:

    @Tine: Ich habe einen älteren “klassischen” amerikanischen Slowcooker, aber ehrlich gesagt bin ich nicht so begeistert. Erstens ist das Ding billig produziert, zweitens muss man trotzdem erst mal alle Zutaten in einem Extratopf anbräunen, bevor man den Slowcooker anwirft, weil es einen besseren Geschmack ergibt. Also keine Ersparnis an Töpfen. Drittens glaube ich nicht, dass das Ding Energie spart, so, wie es konstruiert ist.
    Was mir sinnvoller erscheint, ist ein instapot, der wenigstens noch eine pressure cooker-Funktion hat.

  9. Neeva meint:

    @Susann zu dem Thema schnell und lange Energie aus Essen: Die Kombination Datteln mit Nüssen hat bei mir einen ähnlichen Effekt, wie Sie von Fleisch beschreiben. Also möglich ist es auch mit veganem Essen.
    Wie viele Frauen sich überhaupt den Gedanken erlauben, sie könnten (gar körperlich!) Energie haben und der Low-Level-Erschöpfungsnebel wäre gar kein Normalzustand… Tja.
    Und eine Essstörung kann man super mit bestimmten Ernährungsstilen maskieren. Mir fallen da die Sportler mit ihrem Eiweißtick ein…

  10. Susann meint:

    @Neeva, der Vergleichswert ist sehr interessant für mich – Nüsse und Datteln knallen bei mir lange nicht so rein wie Fleisch. Wäre aber nett, weil mir beides besser schmeckt als Fleisch, von den ethischen Implikationen ganz zu schweigen. *seufz
    Ansonsten haben Sie’s viel besser ausgedrückt, als ich es konnte, vielen Dank!

  11. Lempel meint:

    Ich nutze seit einiger Zeit gerne Omas Schnellkochtopf. Eignet sich hervorragend z.B. für Risotto, Milchreis, Gemüsesuppen und Kartoffeln. Die Kochdauer wird bei mir dadurch sehr verkürzt und Risotto und Milchreis gelingen mir auch besser als auf die übliche Art. Benutzen Sie einen Schnellkochtopf?

  12. Frau Brüllen meint:

    Salat schaufeln: daran musste ich gestern abend denken, als ich ungeplant um 19:08h 7 Minuten hatte, um Abend zu essen, bis das nächste Krisenmeeting startete. Es gab … Salat, und ich habe eh nix geschmeckt, weil ich mit den Gedanken ganz wo anders war, aber: an den Blogeintrag hier habe ich gedacht.

    Ich habe bisher die Verbindung Vegan / Essstörung nicht beobachtet, eher den hier auch schon erwähnten ethischen Aspekt.
    Interessant, though, es passt ja in die eng verbundene Thematik “Kontrolle” (vereinfacht: “wenn schon keine Kontrolle über mein Leben/die Gesellschaft/die Welt, dann wenigstens über meinen Körper” und da legen solche selbstauferlegten Regeln natürlich nochmal eine Schippe drauf)

  13. die Kaltmamsell meint:

    Und wenn DANN noch rohe Karotten im Spiel sind, Frau Brüllen: STUNDEN!

  14. Tine meint:

    @Susann Danke für die Hinweise, ich bleib also beim Drüber-Nachdenken…

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