Journal Samstag, 15. Oktober 2022 – Konfrontation mit meiner Chorvergangenheit
Sonntag, 16. Oktober 2022 um 14:27Wieder erst nachmittags fertiggestellt und gepostet – dafür mit Zusatzerkenntnissen.
Doofe Nacht: Das Kopfweh vom Freitagmorgen kam mit Verstärkung wieder, ich wachte mehrfach auf. (Ziemlich sicher keine Migräne.)
Ein regnerischer und grauer Tag, sowieso angeschwächelt zog es mich nicht zu einem Isarlauf. Morgens packte ich statt dessen, um meinen monatelang ungenutzten Mitgliedbeitrag an den MTV für Crosstrainerstrampeln und Rudermaschine einzusetzen. Doch noch vor dem Umziehen entschied ich, dass es mir zu schlecht dafür ging, und jemand, die sich so gern bewegt wie ich, Bewegungsunlust ernst nehmen sollte. (Das resultierende Versagensgefühl packte ich halt zu den vielen anderen solchen.) Ich legte mich letztendlich ins Bett und schlief nochmal eine gute Stunde (doch Migräne?).
Zum Frühstück schnitt ich (nach Äpfeln und Pumpernickel) den baskischen Käsekuchen an.
Er schmeckte ganz hervorragend, könnte man so lassen. Dennoch werde ich auch ein einfacheres Rezept ohne Crème fraîche testen.
Am frühen Nachmittag packte ich Mitbringsel für meine Eltern ein (süßen Anis, Käsekuchen, galicischen Käse, nachgetragene Geburtstagsgeschenke für meine Mutter) und stieg in den Zug nach Ingolstadt: Mein einstiger Jugendchor, der Jugendkammerchor Ingolstadt (ich sang zwischen 1984 und 1987 mit), feierte sein 40-jähriges Bestehen mit einem Konzert im Festsaal des Stadttheaters und mit anschließender Party. Die Ehemaligen waren zu aktivem Singen eingeladen worden, doch unter anderem jahrzehntelanges Nichtsingen machten mich dafür ungeeignet.
Zu Beginn sang der aktuelle Jugendkammerchor geleitet von Eva-Maria Atzerodt (die zu meiner Chorzeit auch darin sang, Tochter meines gymnasialen Musiklehrers), unter anderem Orlando di Lasso, Clara Schumann, Hugo Distler, Benjamin Britten, alles sehr hörenswert.
Jetzt kam der Ehemaligenchor dran, einstudiert und geleitet von Chorgründer Felix Glombitza. Die farbigen Accessoires bezeichneten die Epoche der Chormitgliedschaft – eine zauberhafte Idee. Das Programm: Ernst Pepping, Gerald Kemner (“Now Shout!” – viele Erinnerungen, das Viech ist schwer), Felix Mendelssohn Bartholdy, vom Chorleiter arrangiertes “Wade in the Water”. Da war ordentlich Dynamik und Schmiss drin, richtig gut und machte Spaß.
130 Sängerinnen und Sänger waren es im dritten Teil mit einmal alles: Rachmaninow, Mendelssohn Bartholdy, Jack Halloran, zum Abschluss Rheinberger (“Abendlied”, eh klar). Das war herrlich voll und laut und schön und herzhaft. Die Bruderfamilie insgesamt mit fünf Sänger*innen am stärksten vertreten – und der Nachname im Programm konsistent falsch geschrieben (alles sollte Korrektur gelesen werden).
Feier gab es wenige Meter weiter im Obergeschoß der VHS, altes Feuerwehrhaus. Viele Stunden Wiedersehen, Wiedererkennen, Fotosgucken, (Essen und Trinken), Gespräche, Hallo! – und zu meiner Überraschung Programm: Gesangseinlagen, ein Quiz. Ich nutzte die Gelegenheit auch für Gespräche mit meinem Bruder und Neffen 1 – Letzterer erlebt gerade in einem Praktikum Berlin, und ich war ungeheuer gespannt, wie es ihm dabei ging (Kurzfassung: sehr gut).
Um Mitternacht war ich eine der ersten, die nicht mehr konnte und das Fest verließ. Ich freute mich sehr über den Fußmarsch zu meinen Eltern in einer jahreszeitlich unpassend milden Nacht. Allerdings reichte er nicht für Runterkommen, völlig überdreht schlief ich nur schwer ein, auch wenn ich vorsichtshalber gar keinen Alkohol getrunken hatte.
Erst am nächsten Tag und bei weiteren Spaziergängen begann ich mit der Verarbeitung all der Wiedersehen vom Vorabend. Und mit sinkendem Herzen wurde mir klar, dass ich zwar nicht in der Schule, aber in meiner Jugendchorzeit klassische jugendliche Ausgrenzungsmechanismen erlebt habe: Bewertungen, Abwertungen, Verurteilungen, Nicht-Mitspielen-Lassen. Und dass ich zu den Täterinnen gehörte, ganz klar zu den Bösen. Das tut mir sehr leid. Hätte ich mal rechtzeitig „with great power comes great responsibility“ gelernt – aber Comics durfte ich ja nicht. (Scherz, ich hätte diesen Hinweis nicht verstanden, schon gar nicht auf mich bezogen.) Dass eine damalige Mitsängerin, zu der ich lang rübersah, um mich endlich an ihren Namen zu erinnern (erfolgreich), nicht zurückguckte, aber immer panischer wurde – das wird mir noch lange nachgehen, geschieht mir recht. Dass es mir erst viel zu spät am nächsten Tag bewusst wurde (in Zwischenmenschlichem bin ich eine erbärmliche Spätcheckerin), ließ die Gelegenheit für eine Besänftigung welcher Art auch immer am eigentlichen Abend ungenutzt bleiben.
§
Margarete Stokowiski ist seit Anfang des Jahres an Long Covid erkrankt. Am Freitag berichtete sie darüber in der Bundespressekonferenz sachlich und gleichzeitig persönlich. Ansehenswert.
https://youtu.be/wADUEtHedHo?t=788
(Dass sich danach die Hater-Attacken auf Twitter auf sie vervielfachten, erzähle ich nur der Vollständigkeit halber.)
die Kaltmamsell4 Kommentare zu „Journal Samstag, 15. Oktober 2022 – Konfrontation mit meiner Chorvergangenheit“
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16. Oktober 2022 um 15:30
https://youtu.be/7TjRoI8uGIg
Vielleicht finden sie ein Rezept in diesem Video.
Falls der link nicht funktioniert: “el comidista – tarta de queso” suchen.
Rezepte der L Viña, el Canadío und andere berühmte spanische Käsekuchen, leider keiner mit Idiazabel
16. Oktober 2022 um 17:16
Vielen Dank, Cornelia! Wie bereits geschrieben, werde ich dieses Rezept verwenden, weil die Zutaten genau denen unseres tarta de queso-Lieblings vom Merdadillo entsprechen (mit Idiazábal):
https://madrinatapas.com/posts/19935/basque-cheesecake
16. Oktober 2022 um 17:47
Ich war schwer erschüttert, als ich erlebte, dass ein Mitschüler aus meiner Grundschulzeit von 1977-1981 bis heute deshalb einen tiefen Groll gegen die ganze Klasse mit sich trägt.
In meiner subjektiven Erinnerung habe ich damals wenig davon wahr genommen … aber das heißt nicht, dass ich nicht daran beteiligt gewesen sein kann.
Ein sehr beklemmendes Gefühl, indeed.
16. Oktober 2022 um 23:06
ich möchte diesen kuchen essen, jetzt!