Journal Samstag, 7. Januar 2023 – Vaterspaziergang ums westliche Ingolstadt

Sonntag, 8. Januar 2023 um 8:08

Wecker auf sechs: Teil des Weihnachtsgeschenks für meinen Vater war ein Spaziergang gewesen, und zwar die Strecke im Westen Ingolstadts, die er seit Jahren einmal wöchentlich mit seinem besten Freund als Sport marschiert (er nennt regelmäßig die Zeit, die sie dafür brauchen).

Die Wettervorhersage hatte eher Hochnebel angekündigt, doch schon auf der Zugfahrt durch die Holledau vergoldete die Morgensonne meine Ausblicke.

Mein Vater holte mich mit dem Auto am Ingolstädter Nordbahnhof ab, wir fuhren zum Parkplatz des Nordfriedhofs, von dem aus er auch sonst immer startet: Sein Freund wohnt in einer angrenzenden Reihenhaussiedlung, dort holt er ihn sonst ab.

Wir spazierten durch die Siedlung, in der ich meine ersten neun Lebensjahre verbrachte, tauschten Erinnerungen aus – und begegneten einer Nachbarin von damals, die gerade vom Einkaufen kam. Großes Hallo, mit ihrem Sohn in meinem Alter habe ich seit einem zufälligen Wiedersehen in München vor über zehn Jahren lose über Facebook Kontakt (jetzt erst fällt mir ein, dass das EINMAL ein wirklich angemessener Anlass für ein Selfie gewesen wäre, zur dritt und für die Nachwelt – vorbei).

Nach kurzem Plaudern gingen wir durch die Wohnblöcke des nordwestlichen Piusviertels (mehr Erinnerungen) und über das damalige Donaucenter (immer noch ein Einkaufszentrum) durch die seit meiner Kindheit neu errichteten Wohn- und Einkaufsviertel mit neuem Piuspark. Ab hier erläuterte mein Vater, ich hatte diese Gebiete nur als Felder in Erinnerung.

Weiter über die Degenhartstraße Richtung Antoniusschwaige, wir begegneten einer Sportstudio-Bekanntschaft meines Vaters, weiteres kurzes Plaudern. Nicht nur hier wurde mir mal wieder bewusst, wie eng und dicht eingebunden meine Eltern menschlich und historisch in Ingolstadt sind, wie vielfältig vernetzt: Zu so vielen Häusern hatte mein Vater eigene Erlebnisse zu erzählen, hatte mit den elektrischen Installationen zu tun, kannte Bewohner*innen, hatte eine*n davon kürzlich besucht.

Die Antoniusschwaige kannte ich von Feiern auch in ihrer jetzigen Funktion, überrascht werden konnte ich aber von den beiden Straußen auf dem Grundstück gegenüber.

Übers Fischerheim gelangten wir an den Baggersee, der eine zentrale Rolle in meiner Kindheit und somit in der Vaterschaft des Herrn neben mir gespielt hatte: Wir verbrachten dort viele Wochenenden im Sommer, in den Sommerferien auch Wochentage (für ihn die Feierabende nach Frühschicht).

Gegenüber, links vom roten Wasserwacht-Häusl mit Kiosk war unser Stammplatz vor 40 bis 50 Jahren.

Diese Bedeutung hat der Baggersee schon seit Jahrzehnten nicht mehr, heute liegt er auch im Sommer nahezu verlassen.

Über den Baggersee-Zufluss spazierten wir weiter zum benachbarten Stausee, mein Vater zeigte mir die neu gebaute Fischtreppe, die die beiden Gewässer verbindet. Auch der Damm, auf dem wir gingen, wurde kürzlich erneuert, wir sahen die letzten Bauarbeiten – immer noch Nacharbeiten nach dem Pfingsthochwasser von 1999, das den Donaupegel auf einen historischen Höchststand gebracht hatte, gefolgt von weiteren Hochwassern 2002 und 2005.

Wir kreuzten über das Stauwehr, gingen an der nördlichen Donauseite bis zur Glacisbrücke – die dritte Donaubrücke, um die viele Jahre lokalpolitisch gerungen worden war, bis sie 1994 endlich genutzt werden konnte.

Blick von der Glacisbrücke Richtung Neues Schloss.

Über diese ganze Zeit erzählte mein Vater dies und das, wir sahen erste Schneeglöckchen (viel zu früh!), außerdem Kormorane, Gänsesäger, vorm Baggersee flog eine vielköpfige Phalanx Gänse recht niedrig über uns hinweg.

Abgeschirmt von einer Lärmschutzmauer spazierten wir die Westliche Ringstraße entlang, gingen über ein Stück Westfriedhof zu einem Seitenausgang, der uns über die Gerolfinger Straße hinüber durch ein Einfamilienhausgebiet zur Neuburger Straße brachte. Nach der Überquerung lotste mein Vater uns über Fußgängerwege zu einem weitere wichtigen Gebiet meiner Kindheit: Hier hatten spanische Freunde gewohnt, taten das zum Teil immer noch. Auch hier hatte sich natürlich sehr viel verändert.

Jenseits der großen Ausfallstraße Richard-Wagner-Straße tauschten wir weitere Kindheitserinnerungen unter anderem an Wochenmarktbesuche mit meiner Mutter aus – und nahezu genau an der Stelle wie eben vor zweieinhalb Stunden begegneten wir derselben Nachbarin von damals nochmal, viel Gelächter.

Mit meinem Vater fuhr ich zum Elternhaus, meine Mutter wartete mit Mittagessen auf uns. Eigentlich war geplant gewesen, dass zwei spanische Freunde der Familie seit schon immer dabei sein würden, doch leider war einer davon in der Woche davor an Corona erkrankt. So gab es nur für uns drei fränkischen Krautbraten, meine Mutter hatte das Rezept von einer fränkischen Freundin: Ein Gericht aus Weißkraut und Hackfleisch aufs Blech gestrichen und aus dem Backofen, optisch wirklich nicht attraktiv, aber ausgesprochen wohlschmeckend.

Ich machte mich auf den Weg zurück zum Nordbahnhof. In der Sonne und bei 10 Grad roch es überhaupt nicht nach Winter, am ehesten noch nach Fasching.

Gemütliche Zugfahrt, ich las die Wochenend-Süddeutsche aus. Auch in München war es sonnig und mild.

Vor dem Abendessen turnte ich nochmal die Folge 3 von Adrienes “Center”, am Vorabend war ich sehr abgelenkt von Kreislaufkapriolen gewesen. Nachtmahl (Aperitif Manhattans) bestand zum einen aus Resten: Herr Kaltmamsell briet Scheiben vom freitäglichen Hackbraten, wir aßen sie auf selbstgebackenem Bauernbrot. Zum Nachtisch hatte ich Vanillepudding gekocht, den gab es mit Rumtopf, Geschenk von Freunden. Danach noch Pralinen und spanischen Turrón.

§

Sehr gut recherchierter und geschriebener Langtext in der Süddeutschen zum Thwaites-Gletscher (€).
“Dieser Gletscher bestimmt die Zukunft der Menschheit”.

Alle Forschenden müssen

ein von den Amerikanern vorgeschriebenes Antarktis-Überlebensprogramm absolvieren: Wie baue ich im Schneesturm ein Zelt auf? (Schwierig.) Wie rette ich jemanden aus einer Gletscherspalte? (Superschwierig.) Wie finde ich zur Basis zurück, wenn ich mich mit dem Schneemobil verfahren habe? (Unmöglich.)

(Typisch für den Tonfall des Artikels. Hatte ihn zunächst für eine Übersetzung aus dem Englischen gehalten.)

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Samstag, 7. Januar 2023 – Vaterspaziergang ums westliche Ingolstadt“

  1. rum meint:

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    Gerne gelesen

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  2. mareibianke meint:

    Ein schönes Beispiel dafür, dass gemeinsam verbrachte Zeit das schönste Geschenk ist! Und sie schafft Erinnerungen…

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