Archiv für Januar 2023

Journal Dienstag, 10. Januar 2023 – Wir lernen Lindy Hop

Mittwoch, 11. Januar 2023

Diesmal wieder eine Nacht mit normal gutem Schlaf.

Das Draußen war düster und kalt.

In der Arbeit weiter einiges Tempo und viele Menschen. Späte Mittagspause mit Clementine, außerdem Granatapfelkerne (ich habe meine Energie fürs Puhlen zurück) in Mandeljoghurt (ausprobiert, weil es keinen Sojajoghurt gab – schmeckt mir nicht so gut).

Sah aus wie Bubble Tea.

Leider fror ich wieder den ganzen Tag im Büro, trotz Kaschmipulli mit Untershirt. Ich werde also wieder zu den dicken Pullis greifen müssen.

Recht pünktlicher Feierabend, ich hatte ja noch etwas vor. Und besuchte davor nochmal den Leder Baumann beim Sendlinger Tor, um einen Gürtel anfertigen zu lassen – jetzt ist aber die halbe Familie versorgt.

Eine der selten besungenen Eigenheiten des südlichen Bahnhofsviertels von München ist seine absurd hohe Dichte an Tanzschulen, je näher am Deutschen Theater, desto dichter (es gibt auch eine im Deutschen Theater). Vor allem an der Sonnenstraße und der Schwanthalerstraße stapeln sich die Tanzschulen und -studios, ob Salsa, Flamenco, Step- oder Turniertanz. (Mag vielleicht mal eine Lokaljournalistin herausfinden, woran das liegt?) In einer davon, einer klassischen Tanzschule, hatte ich vor zehn Jahren schon mal Zwiefachen gelernt. Mit Herrn Kaltmamsell ging ich gestern Abend in eine Tanzschule im Gebäudekomplex des City-Kinos: Wir wollten endlich Lindy Hop lernen. Die Tanzschule Vintage Club, bei der wir uns angemeldet hatten, sitzt im 3. Stock, wir passierten auf dem Weg hinauf den Tanzsportverein Gelb-Scharz-Casino im 2. Stock.

Wir tanzen ja beide gern, und Lindy Hop hatten wir seit Jahren lernen wollen – Herr Kaltmamsell besitzt sogar das passende Outfit. Doch erst kam Corona, dann musste ich eine Weile stupsen, Ende letzten Jahres musste Herr Kaltmamsell stupsen, jetzt waren wir endlich beisammen. Und mit uns sehr, sehr viele andere Tanzwillige – ich hatte mal wieder den Neujahrsimpuls unterschätzt.

Überrascht war ich auch davon, dass wir von eher jungen Leuten umgeben waren, bei der Anmeldung wurden viele Studierdendenausweise gezeigt, diese Leute sprachlich sehr international (auf die Frage des Tanzlehrers, ob jemand kein Deutsch spreche, meldete sich aber niemand) – ich hatte nicht erwartet, dass wir zu den ältesten zählen würden. Der Tanzsaal aber sah gar nicht überraschend aus: Ein wenig Flitter und eine Diskokugel an der Decke, Spiegel an einer Wandseite, Tanzboden aus Parkett (“Keine Straßenschuhe!”), eine kleine Bar, darin die Quelle der Musik. Die Gestaltung eher auf Arbeitsebene, ein sehr großer Unterschied zu dem feinen und durchgestylten Plüsch meiner Tanzkurse als Teenager (Tanzschule Fischer in Ingolstadt, “Tanz mit dem Weltmeister”).

Wiederum erwartungsgemäß wurde in Leader und Follower unterteilt (auf einem großen Fest vor ein paar Jahren hatte ich meine erste Lindy-Hop-Einführung bekommen und das bereits erlebt), wobei die Follower ausschließlich Frauen waren, die Leader zu 90 Prozent. Und dann lernten wir 6 count, 8 count und 10 count Grundschritte – beim Lindy Hop muss der Leader sogar den Grundschritt bestimmen und führen. Das Ganze involvierte regelmäßige Partnerwechsel, auch darauf war ich vorbereitet; und obwohl ich innerlich davor zurückschrecke (-> fremde Menschen), weiß ich aus Erfahrung (Volkstanz, Zwiefachen-Tanzkurs), dass ich bei jedem Partner etwas dazulerne. So auch diesmal, als mir einer der ersten Wechselpartner einen Trick in der Tanzhaltung verriet – er war kein Neuling. Mein letzter Leader war eine Frau, mit ihr tat ich am Ende der Stunde bereits etwas, was man “Tanzen” nennen könnte.

Entsprechend spät servierte Herr Kaltmamsell Abendessen: Kurz vor neun gab es den Linseneintopf mit Trockenpflaumen, den er vorbereitet hatte. Rezept aus dem Gethsemanekloster-Kochbuch:

(Leicht variiert.) Schmeckte sehr gut. Nachtisch Schokolade.

§

Eine Folge des Klimawandels: Schneemangel in Skigebieten. Am Sonntag kam in der Tagesschau (ab min. 13:20) ein trauriger Hüttenwirt zu Wort, zwischen leeren Tischen, im Hintergrund grüne Skipisten. Zu Wort kam auch Klimaforscher Reto Knutti von der ETH: Das bleibt jetzt so. Während ich darin die politische Notwendigkeit sehe, für Skigebiete Strukturwandel-Konzepte zu erarbeiten, steckt mein bayerischer Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger das Geld lieber in noch mehr Schneekanonen und noch mehr Skilifte (€):
“Wenn selbst Schneekanonen nicht mehr helfen”.

Bitter ist das auch, weil Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) vor nicht einmal einem Jahr dort eine Millioneninvestition verkündete: Knapp 5,8 Millionen Euro möchte Aiwanger dem Landkreis Freyung-Grafenau für den Bau von Sesselbahnen zuschießen. Auf sogar 20 Millionen Euro soll die staatliche Unterstützung in den nächsten Jahren anwachsen. Kritik, wonach in Zeiten des Klimawandels solche Investitionen fehl am Platz seien, wischte Aiwanger damals bei Seite. Was in fünfzig Jahren sei, wisse niemand. “Aber man sollte keine Weltuntergangsstimmung verbreiten”, sagt Bayerns Wirtschaftsminister.

Aiwanger hat die Rückendeckung von Landtag und Staatsregierung, im Zuge des bayerischen Seilbahn-Förderprogramms weitere Millionen Euro in neue Skilifte und Schneekanonen zu pumpen. “Die Verlängerung der Seilbahnförderung ist bereits beschlossen, die Freigabe erfolgt voraussichtlich noch im Januar”, sagt eine Ministeriumssprecherin. Für dieses Jahr können die Skigebiete mit Zuschüssen in Höhe von zehn Millionen Euro rechnen. Seit 2009 schon leistet sich der Freistaat das Programm. Insgesamt sind seither gut 90 Millionen Euro Fördergeld in Bayerns Skigebiete geflossen.

(Am End’ entwickelt sich The Last Chairlift von John Irving in der zweiten, nicht gelesenen Hälfte zum Klimakatastrophen-Roman?! Spass.)

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Außerdem gebe ich hier einen Lesetipp von Buddenbohm & Söhne weiter: Biologin Meike Stoverock prüft die These, der Mensch könne sich dem Klimawandel biologisch anpassen.
“Klimakrise: Macht nix, wir passen uns an!”

Als tl;dr ihre Schlussfolgerung:

Alles passiert viel schneller, als dass Wirtschaft, Politik oder Technik friedliche Lösungen erarbeiten könnten. Während Bauern irgendwo in ärmeren Regionen an klimabedingten Ernteausfällen verzweifeln, diskutieren wir hier noch über Tempolimits und Kohlebergbau. All das muss man bei dem vagen und oft sehr naiven Geschwurbel über Anpassung vielleicht mal mitdenken.

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Eine ganz andere Sicht aufs Fleischessen, nämlich eine historische und auf die westliche Welt ab dem 16. Jahrhundert. Mit vielen überraschenden Informationen, unter anderem wie lange schon an Fleischersatz geforscht wird.

“Fleisch im 19. und 20. Jahrhundert – Ein Längsschnitt in Thesen”.
via Link von Herr Kaltmamsell

Journal Montag, 9. Januar 2023 – Zweiter Arbeitsanfang

Dienstag, 10. Januar 2023

Ächz. Vergangene Woche war wohl nur eine Übung, die große Arbeits-Neujahrswelle kam erst am gestrigen Montag.

Mein Nachtschlaf schien das geahnt zu haben: Nach Langem wieder eine wirklich schlechte Nacht mit vielfachem Aufwachen (allerdings nicht das klimakterische ZACK!), üblen Gefühlen, Schlaf nur bis fünf. Düsterer Himmel, nasskalte Luft. Seit Sonntag ging mir eine wunderbare Formulierung auf Hotel Mama durch den Kopf:

januar ist wie nachts losfahren, um irgendwann im tag anzukommen, man muss da halt durch, die langen dunklen stunden ohne anfang und ende, ich mag das eigentlich, aber der weg ans licht ist im allgemeinen und besonders in berlin viel zu weit, es wird wieder dunkel, wenn ich gerade wach geworden bin, und danach ist dann februar.

Im Büro hatte ich eine hocheffiziente halbe Stunde (Privileg von uns Lerchen), bevor das ganze Haus sein Arbeitsjahr startete, “gutes neues Jahr”. Mit hoher Schlagzahl, “ein gesundes neues Jahr!”, auch menschlich, “erst mal ein gutes neues!”, ging es durch bis vier, “frohes neues!”, allerdings hatte ich eisern fast eine halbe Stunde Mittag gemacht, mit einer Mandarine, einem Kanten Brot, einem Becher Hüttenkäse, der Süddeutschen vom Tage. Dann erst kam ich wieder zu mir und konnte mich sortieren.

Dabei hatte ich gestern extra dieses Outfit gewählt.

Ich bin draufgekommen, warum ich mit steigendem Alter immer mehr Vergnügen an auffallend albernen Outfits habe (die Neigung war allerdings schon immer da): Ich bilde mir ein, dass bei deutlich nicht-jungen Frauen nicht Hübschizität oder Attraktivität als Ziel unterstellt wird.
Gestern freute mich, dass ein Stadtwerke-Handwerker, mit dem ich in der Teeküche ein wenig plauderte, mich komplimentierte: “Guad schaung’S aus!”. (Noch mehr freute mich, dass er auf meine Reaktion “Danke schön! Ist Absicht.” herzlich lachte.)

Auf dem Heimweg, es war fast schon winterkalt, ging ich im Vollcorner vorbei – wo ich überraschend wenig von meiner Einkaufsliste bekam. Zu Hause erst mal eine Runde Yoga, sie tat gut.

Als Nachtmahl war der Rest der sonntagabendlichen Gemüsequiche geplant, doch Herr Kaltmamsell servierte davor auch noch ein Tellerchen heiße Linsensuppe. Zur Quiche machte ich ein wenig Ruccola-Salat. Nachtisch einige Erdnusskekse, die Herr Kaltmamsell gestern gebacken hatte (Sabbatical ist toll), außerdem Schokolade – dass die Cailler-Milchschokolade hauptsächlich aus gezuckerter Kondensmilch besteht, schmeckt man. Ich bin noch nicht sicher, ob ich das mag.

§

Dirk Knipphals verabschiedet sich:
“Autofahren als Freiheitsversprechen:
Stets auf Achse”.

Die Mutter unseres Autors war immerzu Automobilistin. Sie lebt nun im Heim und ihr Sohn reist am Steuer ihres letzten Wagens zurück in die Vergangenheit.

Journal Sonntag, 8. Januar 2023 – Ein Nachmittag mit den Olympischen Spielen von 1972

Montag, 9. Januar 2023

Früh und erfrischt aufgewacht.

7:30 Uhr

7:35 Uhr

Nach dem Bloggen recherchierte ich endlich ein paar Stunden lang Unterkünfte für den Großfamilienurlaub in Madrid. Unerwartet großen Erfolg und Spaß gehabt, auch an der Zusammenfassung als Entscheidungsvorlage für die Bruderfamilie.

In überdurchschnittlich guter Stimmung ging ich raus zum Laufen (an sich hatte ich Hanteltraining geplant, aber dann viel mehr Lust auf Draußen und Laufen gehabt). Da es bereits nach elf war, entschied ich mich für die Mehr-Netto-vom-Brutto-Route über Alten Südfriedhof nach Thalkirchen, um den Hinterbrühler See und über Flaucher zurück. Grauer Himmel, die Luft kälter als erwartet, doch ich fühlte mich geradezu vergnügt.

Kaffeestandl an der Brücke Maria Einsiedel. Am Flaucher wurde gemütlich gesessen – aber auch gebadet.

Unter der Braunauer Eisenbahnbrücke.

Gut 100 Minuten Lauf, der Körper spielte geschmeidig mit.

Frühstück um zwei: Eine dicke Scheibe selbstgebackenes Bauerbrot mit Nocilla, außerdem Granatapfelkerne mit Sojajoghurt.

Der Himmel wurde immer düsterer. Ich hatte den Tipp bekommen, dass die Ausstellung im Stadtmuseum “München 72. Mode, Menschen und Musik” verlängert worden sei: Genau das Richtige für einen kalten und dunklen Januarsonntagnachmittag.

Die beiden Plakate oben gefallen mir besonders gut.

Die Ausstellung mochte ich sehr, unter anderem weil sie die gestalterischen Elemente nicht nur auf Otl Aicher zurückführt, sondern das Team der Abteilung XI als Schöpfer nennt, oft auch konkrete Mitarbeitende daraus. Es kommen Zeitzeuginnen zu Wort, fast bei jedem Aspekt wird der mörderische Terroranschlag auf die israelische Mannschaft thematisiert, zusätzlich zum eigenen Ausstellungspunkt darüber.

Beim Thema Bau der Sportanlagen werden die migrantischen Arbeiter*innen sichtbar gemacht, die die Hälfte des Personals stellten.

Und so viele Originalgegenstände, -kleidung, Fotos und Geschichten aus Privatbeständen und -erinnerungen!

Zurück daheim schlug wieder mein Kreislauf Purzelbäume (Schwindel, mehr Schwindel und Ungemütlichkeit, dann Frösteln und Schwäche mit Schweißausbruch – deutlich unterscheidbar von menopausalen Glutattacken), danach wurde mir den ganzen Nachmittag und Abend nicht mehr richtig warm.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl eine Gemüse-Quiche, ganz hervorragend. Nachtisch Müsli:

Und Schokolade.

Fürs Bett machte ich mir nach Wochen mal wieder eine Wärmflasche heiß.

§

Zeitreisen! Während mir vor allem Zeitziele einfallen, die mit meiner oder der Vergangenheit meiner engsten Verwandten zu tun haben, spekulieren andere deutlich seriöser. Zum Beispiel darüber, wie man als heutiger Mensch im Mittelalter überleben könnte:
“How you could survive (and prosper) in the Middle Ages”.

Tipp: Lesen und Rechnen zu können, sichert durchaus Lebensunterhalt.

§

Der gebürtige Südafrikaner Trevor Noah erzählt vom Moment, in dem er New York begriff.

via @ankegroener

Journal Samstag, 7. Januar 2023 – Vaterspaziergang ums westliche Ingolstadt

Sonntag, 8. Januar 2023

Wecker auf sechs: Teil des Weihnachtsgeschenks für meinen Vater war ein Spaziergang gewesen, und zwar die Strecke im Westen Ingolstadts, die er seit Jahren einmal wöchentlich mit seinem besten Freund als Sport marschiert (er nennt regelmäßig die Zeit, die sie dafür brauchen).

Die Wettervorhersage hatte eher Hochnebel angekündigt, doch schon auf der Zugfahrt durch die Holledau vergoldete die Morgensonne meine Ausblicke.

Mein Vater holte mich mit dem Auto am Ingolstädter Nordbahnhof ab, wir fuhren zum Parkplatz des Nordfriedhofs, von dem aus er auch sonst immer startet: Sein Freund wohnt in einer angrenzenden Reihenhaussiedlung, dort holt er ihn sonst ab.

Wir spazierten durch die Siedlung, in der ich meine ersten neun Lebensjahre verbrachte, tauschten Erinnerungen aus – und begegneten einer Nachbarin von damals, die gerade vom Einkaufen kam. Großes Hallo, mit ihrem Sohn in meinem Alter habe ich seit einem zufälligen Wiedersehen in München vor über zehn Jahren lose über Facebook Kontakt (jetzt erst fällt mir ein, dass das EINMAL ein wirklich angemessener Anlass für ein Selfie gewesen wäre, zur dritt und für die Nachwelt – vorbei).

Nach kurzem Plaudern gingen wir durch die Wohnblöcke des nordwestlichen Piusviertels (mehr Erinnerungen) und über das damalige Donaucenter (immer noch ein Einkaufszentrum) durch die seit meiner Kindheit neu errichteten Wohn- und Einkaufsviertel mit neuem Piuspark. Ab hier erläuterte mein Vater, ich hatte diese Gebiete nur als Felder in Erinnerung.

Weiter über die Degenhartstraße Richtung Antoniusschwaige, wir begegneten einer Sportstudio-Bekanntschaft meines Vaters, weiteres kurzes Plaudern. Nicht nur hier wurde mir mal wieder bewusst, wie eng und dicht eingebunden meine Eltern menschlich und historisch in Ingolstadt sind, wie vielfältig vernetzt: Zu so vielen Häusern hatte mein Vater eigene Erlebnisse zu erzählen, hatte mit den elektrischen Installationen zu tun, kannte Bewohner*innen, hatte eine*n davon kürzlich besucht.

Die Antoniusschwaige kannte ich von Feiern auch in ihrer jetzigen Funktion, überrascht werden konnte ich aber von den beiden Straußen auf dem Grundstück gegenüber.

Übers Fischerheim gelangten wir an den Baggersee, der eine zentrale Rolle in meiner Kindheit und somit in der Vaterschaft des Herrn neben mir gespielt hatte: Wir verbrachten dort viele Wochenenden im Sommer, in den Sommerferien auch Wochentage (für ihn die Feierabende nach Frühschicht).

Gegenüber, links vom roten Wasserwacht-Häusl mit Kiosk war unser Stammplatz vor 40 bis 50 Jahren.

Diese Bedeutung hat der Baggersee schon seit Jahrzehnten nicht mehr, heute liegt er auch im Sommer nahezu verlassen.

Über den Baggersee-Zufluss spazierten wir weiter zum benachbarten Stausee, mein Vater zeigte mir die neu gebaute Fischtreppe, die die beiden Gewässer verbindet. Auch der Damm, auf dem wir gingen, wurde kürzlich erneuert, wir sahen die letzten Bauarbeiten – immer noch Nacharbeiten nach dem Pfingsthochwasser von 1999, das den Donaupegel auf einen historischen Höchststand gebracht hatte, gefolgt von weiteren Hochwassern 2002 und 2005.

Wir kreuzten über das Stauwehr, gingen an der nördlichen Donauseite bis zur Glacisbrücke – die dritte Donaubrücke, um die viele Jahre lokalpolitisch gerungen worden war, bis sie 1994 endlich genutzt werden konnte.

Blick von der Glacisbrücke Richtung Neues Schloss.

Über diese ganze Zeit erzählte mein Vater dies und das, wir sahen erste Schneeglöckchen (viel zu früh!), außerdem Kormorane, Gänsesäger, vorm Baggersee flog eine vielköpfige Phalanx Gänse recht niedrig über uns hinweg.

Abgeschirmt von einer Lärmschutzmauer spazierten wir die Westliche Ringstraße entlang, gingen über ein Stück Westfriedhof zu einem Seitenausgang, der uns über die Gerolfinger Straße hinüber durch ein Einfamilienhausgebiet zur Neuburger Straße brachte. Nach der Überquerung lotste mein Vater uns über Fußgängerwege zu einem weitere wichtigen Gebiet meiner Kindheit: Hier hatten spanische Freunde gewohnt, taten das zum Teil immer noch. Auch hier hatte sich natürlich sehr viel verändert.

Jenseits der großen Ausfallstraße Richard-Wagner-Straße tauschten wir weitere Kindheitserinnerungen unter anderem an Wochenmarktbesuche mit meiner Mutter aus – und nahezu genau an der Stelle wie eben vor zweieinhalb Stunden begegneten wir derselben Nachbarin von damals nochmal, viel Gelächter.

Mit meinem Vater fuhr ich zum Elternhaus, meine Mutter wartete mit Mittagessen auf uns. Eigentlich war geplant gewesen, dass zwei spanische Freunde der Familie seit schon immer dabei sein würden, doch leider war einer davon in der Woche davor an Corona erkrankt. So gab es nur für uns drei fränkischen Krautbraten, meine Mutter hatte das Rezept von einer fränkischen Freundin: Ein Gericht aus Weißkraut und Hackfleisch aufs Blech gestrichen und aus dem Backofen, optisch wirklich nicht attraktiv, aber ausgesprochen wohlschmeckend.

Ich machte mich auf den Weg zurück zum Nordbahnhof. In der Sonne und bei 10 Grad roch es überhaupt nicht nach Winter, am ehesten noch nach Fasching.

Gemütliche Zugfahrt, ich las die Wochenend-Süddeutsche aus. Auch in München war es sonnig und mild.

Vor dem Abendessen turnte ich nochmal die Folge 3 von Adrienes “Center”, am Vorabend war ich sehr abgelenkt von Kreislaufkapriolen gewesen. Nachtmahl (Aperitif Manhattans) bestand zum einen aus Resten: Herr Kaltmamsell briet Scheiben vom freitäglichen Hackbraten, wir aßen sie auf selbstgebackenem Bauernbrot. Zum Nachtisch hatte ich Vanillepudding gekocht, den gab es mit Rumtopf, Geschenk von Freunden. Danach noch Pralinen und spanischen Turrón.

§

Sehr gut recherchierter und geschriebener Langtext in der Süddeutschen zum Thwaites-Gletscher (€).
“Dieser Gletscher bestimmt die Zukunft der Menschheit”.

Alle Forschenden müssen

ein von den Amerikanern vorgeschriebenes Antarktis-Überlebensprogramm absolvieren: Wie baue ich im Schneesturm ein Zelt auf? (Schwierig.) Wie rette ich jemanden aus einer Gletscherspalte? (Superschwierig.) Wie finde ich zur Basis zurück, wenn ich mich mit dem Schneemobil verfahren habe? (Unmöglich.)

(Typisch für den Tonfall des Artikels. Hatte ihn zunächst für eine Übersetzung aus dem Englischen gehalten.)

Journal Freitag, 6. Januar 2023 – Dreikönigstag mit Schwimmen und zwei spannenden Hörstücken

Samstag, 7. Januar 2023

Ausgeschlafen, beim Wachwerden, diesem langsamen Auftauchen aus dem Schlaf, bedauerte ich aber den Abschied.

Gemütlicher Morgen, die Sonne schien, die Luft war mild.

Ich hatte eine Schwimmrunde geplant, brach vormittags mit dem Radl Richtung Olympabad auf. Herr Kaltmamsell wünschte mir beim Abschied “warmes Wasser!” – und sein Wunsch wurde erfüllt: Das Becken war weniger kühl gefüllt als sonst, mich fröstelte erst Mitte der letzten 1.000 von meinen 3.000 Metern.

Sehen Sie links, wie viel Schwimmspielzeug da zwischen den Startblöcken liegt? Ich wähle meine Bahn meist auch danach, dass ich möglichst wenig davon sehe.

Gemütlich war das Schwimmen aber nicht, dafür herrschte zu viel Betrieb (Neujahrsvorsätze oder Feiertag?). Und dass man auch als Erwachsener in der Gruppe zum Schwimmen loszieht, verstehe ich ja noch (weniger Überwindung nötig) – aber dass man dann auch als Gruppe auf derselben Bahn schwimmt?

Sonniges Heimradeln, doch die Nord-Süd-Umfahrung des Hauptbahnhofs ist für den Radverkehr immer noch ein Albtraum und mit weiten Umwegen verbunden.

Frühstück um zwei: Zwei mächtige Scheiben selbstgebackenes Bauernbrot aus der Gefriere mit Nocilla (spanische Schoko-Haselnuss-Creme), eine Schüssel Mango, Maracuja, Clementine mit Sojajoghurt.

Gestern war wohl ein Extra-Feiertagsschippchen Chlor ins Schwimmbad gekippt worden: Selbst Herr Kaltmamsell, der sonst gern nach dem Schwimmen an mir schnuppert, meinte, von mir kämen ganze Wolken Chlorgeruch. Und als ich nach einer angenehmen Siesta die Bettdecke zurückschlug, stieg ebenfalls deutlich so eine Wolke auf.

Ich hatte schon einige Wochen nicht mehr gebügelt, gestern brauchte ich für seither angesammelte Wäsche fast zwei Stunden. Dabei hörte ich zwei sehr interessante Sendungen, siehe unten.

Nachtmahl bereitete Herr Kaltmamsell zu, davor war aber noch Zeit für eine Runde Yoga. Zum Abendessen steuerte ich eine Joghurt-Majo-Knoblauch-Salatsauce zu Salatherzen bei.

Und dann aßen wir englischen Hackbraten nach Delia Smith mit aufgetauter Sauce vom Thanksgiving-Truthahnbraten und Nudeln, sehr gut. Wein dazu: Ein spannender sächsischer Dornfelder vom Weingut Loosen – so deutlich hatte ich Tabak und Leder noch nie in einem Wein geschmeckt, die Rauchnote machte sich besonders gut zum Braten.

Abendunterhaltung: Dokus über Rosi Mittermaier im Bayerischen Fernsehen.

§

Der erste Podcast, den ich beim Bügeln hörte, kommt aus USA und greift ein Thema auf, an dem ich auch schon mal rumgedacht und -gebloggt habe: Kalorien.
“The Trouble With Calories”.

Ich fand den klamaukigen Tonfall zwar schwer erträglich, doch den Inhalt interessant. Die beiden Herren nehmen die oft verwendete Formel “calories in – calories out” auseinander, die Menschen wohl reflexartig empfohlen wird, wenn sie abnehmen wollen; also die Annahme, man müsse gegessene und verbrauchte Kalorien lediglich gegeneinander aufwiegen. Erst mal führen sie aus, wie oft Diskussionen darunter leiden, dass “science” missbraucht wird: Eine Aussage mag schon wissenschaflich korrekt sein – aber ist sie auch an dieser Stelle für Erkenntnisgewinn nützlich?

Beim Teil “calories in” hinterfragen sie, wie der Kaloriengehalt von Lebensmitteln überhaupt bestimmt wird: Oh ja, sie werden buchstäblich verbrannt, um den Brennwert zu bestimmen. Der Haken ist, dass Menschen Lebensmittel aber sehr unterschiedlich “verbrennen”. Beispiel Alkohol: Es gibt mittlerweile zahlreiche Hinweise, dass nicht alle Menschen überhaupt Kalorien aus Alkohol aufnehmen. Unsicher ist wohl auch, ob die gesamte Kalorienmenge von Fett aufgenommen werden kann. (Sowohl Alkohol als auch bestimmte Fette mögen aber aus anderen Gründen als Nahrung problematisch sein.) Vor allem aber gibt es immer noch keine sichere Methode, die Kalorienaufnahme eines konkreten Menschen überhaupt zu bestimmen.

“Calories out”: Immer mehr zeigt die Evidenz, wie individuell Stoffwechsel ist, wie viele Kalorien der konkrete Mensch für welche Tätigkeiten verbraucht. Ein einzurechnender Faktor ist sicher Genetik, dazu kommen zahllose andere. Den meisten ist bewusst, dass im Alter der Grundverbrauch niedriger ist, dass also Menschen mit gleichbleibenden Essgewohnheiten und unveränderter Bewegung in höherem Alter zunehmen. Oder der Einfluss von Hormonen: In den Wechseljahren erleben die meisten Frauen, dass sie an Körperumfang zulegen – ebenfalls bei unveränderter Nahrungsaufnahme und auch sonst gleichbleibendem Lebenswandel. Und dass Diäten in Form von Nahrungsreduzierung den Stoffwechsel dazu bringen, seinen Verbrauch zu senken, ist wissenschaftlich belastbar dokumentiert. Kalorienverbrauch ist offensichtlich etwas sehr schwer zu Bestimmendes. Dennoch wird Übergewicht weiterhin als persönliches Versagen angesehen und gesellschaftlich geächtet.

§

Das zweite Hörstück beim Bügeln hatte ein komplett anderes Thema. “Bayerisches Feuilleton” nennt es der Bayerische Rundfunk. Aus dieser Reihe hörte ich eine Folge, die mich persönlich betrifft:
“Das fränkische ‘R’ – Sprich das ‘R’ und ich sage Dir, wer Du bist!”

Eine sehr schöne und liebevoll strukturierte Sendung mit persönlichem Erzählrahmen, vielen guten Quellen, sogar die Rolle von Einwanderung in den vergangenen Jahrzehnten wird behandelt. (Unbedingt auch den Abspann anhören.)

Mein R ist zwar nicht fränkisch, sondern oberbayerisch (eingekuschelt in spanische und polnische Wurzeln), und ich akzeptiere es als Teil von mir. Aber ich habe darin durchaus immer ein Hindernis für Sprechaufnahmen gesehen. In meiner kurzen Radiozeit 1987/88 war das wirklich egal, weil der Sender ein Ingolstädter Lokalsender war (allerdings nehme ich an, dass dort inzwischen niemand mehr das R rollt), doch für eine spätere Tätigkeit in dem Bereich dachte ich erst mal Sprechunterricht nehmen zu müssen.

Journal Donnerstag, 5. Januar 2023 – #Lindwurmessen im Café Pfundig

Freitag, 6. Januar 2023

Beim nächtlichen Klogang dann doch den Wecker ein wenig vorgestellt, um nach dem späten Einschlafen mehr von der Nachtruhe zu haben. Dadurch etwas hektischer Morgen.

In der Arbeit ruhiges Abarbeiten den ganzen Tag über, eine erste Besprechung 2023 per Video.

Mittags gab es Clementinen und einen Flapjack.

Nach Feierabend kurze Supermarkteinkäufe, gegen die gelegentlichen Regenschauer brauchte ich einen Schirm. Daheim eine Runde Yoga, bevor ich mit Herrn Kaltmamsell zum #Lindwurmessen aufbrach,1 das die eben entdeckte Lücke Café Pfundig schließen sollte.

Diesmal fand ich den Zugang über die Lindwurmstraße neben dem Edeka express.

Das Restaurant, das ich auch ignoriert hatte, weil es “Café” heißt, liegt im zweiten, viel größeren und begrünten Innenhof.

Von der bayerisch-schnitzelbetonten Speisekarte wählten wir einen Zwiebelrostbraten und ein Cordonbleu vom Schwein mit Pommes, beides gut.

Zurück daheim gab es noch Pralinen zum Nachtisch, im Fernsehen ließen wir Men in Black 3 laufen, der dann doch besser war, als ich ihn in Erinnerung hatte.

Ins Bett mit Freude auf Ausschlafen in den Dreikönigs-Feiertag.

§

Rosi Mittermaier ist gestorben, mit nur 72 Jahren.

Als ich die Nachricht erfuhr, wurde ich sofort von Erinnerungen geflutet – die wohl in keinem Nachruf auf die Olympiasiegerin im Skiafahren auftauchen werden: Rosi Mittermaier war meine erste und besonders gemochte Online-Vorturnerin. Einige Jahre aktivierte meine Mutter im Winter die Familie (na ja, zumindest mich, meiner Erinnerung auch meinen Bruder) zur Skigymnastik im Bayerischen Fernsehen, um uns aufs verletzungssicherere Skifahren vorzubereiten. Und vorgeturnt wurde von Rosi Mittermaier – hier ein paar schöne Bilder. Am intensivsten im Gedächtnis blieb mir die “Abfahrts-Hocke” am Ende, die man minutenlang zum Film einer echten Wettkampf-Abfahrt durchwippte. Vielleicht war auch mal die Lauberhorn-Abfahrt dabei, die wir bei der Fahrt aufs Jungfraujoch sahen. @stefansommer hat die Lauberhornabfahrt für Skigymnastik gefunden, allerdings nicht mit Rosi Mittermaier, sondern mit dem Schweizer Bernhard Russi.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/_Q-DflmspWU

Nachtrag: Ein wunderschöner Nachruf von Johannes Knuth in der Online-Süddeutschen auf Rosi Mittermaier (auch der aber ohne Erwähnung der Skigymnastik) (€).
“Normal und gerade deshalb groß”.

§

Katatonik, die noch länger aktiv im Internet unterwegs ist als ich, stellt sich Menschen vor, die nicht online leben.
“Die Seriösen”.
Und macht mir bewusst, wie fremd mir Leben sind, die überhaupt nicht im Internet stattfinden, weder passiv noch aktiv. Möglicherweise kann ich mich einfacher in eine buddhistische Nonne hineindenken.

§

Ich weiß, ich weiß, ich weiß: In den allermeisten Fällen funktioniert der Umzug von Telefon und/oder Internet problemlos und ist keine Geschichte wert. Aber Geschichten wie die von Vanessa Giese beweisen, dass man sich nie und auf keinen Fall darauf verlassen sollte.
“Der Passierschein ins Internet”.

  1. Wir futtern uns nacheinander durch alle Lokale an der Südseite der Lindwurmstraße von Sendlinger Tor westwärts bis Stemmerhof, dann an der Nordseite wieder zurück. []

Journal Mittwoch, 4. Januar 2023 – Nora an den Münchner Kammerspielen

Donnerstag, 5. Januar 2023

Am zweiten Arbeitstag des Jahres war ich nicht mehr völlig allein auf dem Büroflur, es wurden gute neue Jahre gewünscht.

Die Schlagzahl war allerdings bereits wieder so hoch, dass ich zügig wegarbeitete, um nicht durch Querschießendes in Hektik zu geraten. Zumal ich gestern besonders früh gehen wollte (also so richtig mit Minusstunden), um abends das Wahrnehmen meines Theaterabotermins wahrscheinlicher zu machen.

Der Tag startete mit Sonne und wärmte mein Büro, bewölkte aber mittags immer mehr.

Mittagessen Mango mit Joghurt, Pumpernickel mit Butter.

Danach legte ich einen Zahn zu bei der Arbeit, um auch wirklich schon um halb vier zu gehen. Das klappte dann wegen eines Querschusses nur um eine Viertelstunde nicht.

Heimweg im Hellen mit einem Einkaufsabstecher für Drogeriewaren und Lebensmittel. Zu Hause las ich alte Zeitungen auf, zog mich dann um (“Hop into something comfy”) für das diesjährige 30-Tage-Yogaprogramm von Adriene, “Center”. Aus Erfahrung mit den anderen Programmen checkte ich erst mal den Anfang – und übersprang die ersten fünf Minuten Sitzen und besinnliches Geplapper. Danach bekam ich eine halbe Stunde Dehnen und Halten mit immer noch genug Yoga-Besinnlichkeit.

Frühes Abendessen, Herr Kaltmamsell servierte spanische Tortilla und hatte dafür auf meinen Wunsch erstmals mit gekochten Kartoffeln gearbeitet, wie es viele zeitgenössische spanische Rezepte tun. Schmeckte gut und nach Tortilla. Davor hatten wir uns eine Dose callos a la madrileña geteilt, danach gab es nur ein wenig Süßigkeiten.

In Milde und Wind marschierte ich zu den Kammerspielen, auf dem Spielplan stand Nora. Als Herr Kaltmamsell das erfahren hatte, bewarf er mich umgehend mit dem angestaubten Witz
“Mögen Sie Ibsen?”
“Keine Ahnung, ich habe noch nie geibst.”
(Im Englischen funktioniert er mit Kipling.)

Für diese Inszenierung werden als Autor*innen allerdings angegeben: Sivan Ben Yishai, Henrik Ibsen, Gerhild Steinbuch, Ivna Žic. Der Website entnehme ich auch, dass die Theaterwelt mittlerweile nicht mehr dekonstruiert, sondern interveniert; mal sehen, wann auch dieser Begriff bis in die Speisekartenwelt verwässert (“an drei Interventionen vom Rosenkohl”).

Der Zuschauerraum war so voll, wie ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte, fast jeder Sessel besetzt.

Ich sah gut zwei Stunden spannendes Theater. Vor dem Ibsen-Teil setzten sich die Darsteller*innen am Bühnenrand an einen Tisch, erklärten als Darstellende der Rollen dem Publikum, wessen und welche Geschichte das Stück eigentlich erzählt, hinter ihnen projiziert das Bild eines Puppenhauses, das langsam verschneit, der Tonfall war kommödiantisch. In diesem Prolog wurden die Inhalte thematisiert, die heutigen Betrachter*innen sofort auffallen – und gleich mal abgefeiert, unter anderem mit einem fulminanten und brutalst überzogenen Ausbruch der Nora-Darstellerin inklusive “FUCK PATRIARCHY!”

Dann erst begann Ibsens Nora, doch auch darin Selbstgeschriebenes wie eine Szene, in der die Kinder auf die Ereignisse zurückblicken, Lieder, die Hauptdarstellerin Katharina Bach singt (die auch das großartig und in verschiedenen Musikstilen konnte, Highlight “S.O.S” von ABBA als düsteres Industrial-Stück, wie sie an diesem Abend ohnehin atemberaubend schauspielte und körperliche Artistik bewies). Außerdem eine Szene, die mir sehr nach Improvisation aussah: Ich mache meinen Verdacht daran fest, dass die eine oder andere Minute lang weder Licht noch Ton oder Filmprojektion eingesetzt wurden – wo ich doch seit Jahren einen tiefen horror vacui in Theaterinszenierungen diagnostiziere.

Diese Anreicherungen von Dramen bin ich vor allem bei Klassikern gewohnt und sie funktionieren oft sehr gut, auch hier. Überrascht bin ich, dass die Anreicherinnen hier als Co-Autorinnen auftauchen, im Grunde sind das doch fast immer die Dramaturgin oder der Dramaturg einer Inszenierung.

Eine sehr dominante Rolle spielte das Bühnenbild: Eine schräge Ebene in Form eines auf den Kopf gestellten Hauses, die Oberfläche mit griffigen Matten bedeckt. Darauf turnten und liefen die Darstellenden raumgreifend (oder eben nicht wie der tastend unsichere Krogstad, gespielt von Thomas Schmauser) – mir kam es vor, als hätte Bühnenbildnerin Viva Schudt ein Stück im Stück geschrieben (und mag das eigentlich nicht).

Alle Darstellenden beeindruckten mich sehr, Svetlana Belesova als Frau Linde merke ich mir besonders.

Viel Schlussapplaus. Den ich auch für mich beanspruche, weil ich es bereits in meine ersten beiden Abo-Abende der Spielzeit 2022/23 geschafft habe. (Immer noch kein Fitness-Tracker für Kultur auf dem Markt? Für bewegungsfreudige Leute mich mich, die keinen inneren Schweinehund für Sport kennen, aber für Theater- und Ausstellungsbesuche? Obwohl sie – parallel zum inneren Sport-Schweinehund – doch wissen, dass sie sich danach immer besser fühlen?)

Heimweg durch weiter milden Sturm, aufgekratzt vom Abend schlief ich nur schwer ein.