Journal Freitag, 10. März 2023 – Verwandlung in einen verwelkten Stummfilm-Star
Samstag, 11. März 2023 um 9:45Eine Stunde zu früh aufgewacht, erst nicht wegen Angst wieder eingeschlafen, dann aber einen Happy Place gefunden.
Auf dem Weg in die Arbeit wurde ich ein wenig angeregnet, das Wetter düster, aber recht mild.
Im Büro emsiges Wegarbeiten, aber ohne Hetze. Vorm Fenster wildes Wettergemisch mit Sonne, gestürmten Regenschauern, ruhiger Milde.
Emsiger Nachmittag mit großer Anstrengung, die mich ziemlich erschöpft in den Feierabend und ins Wochenende entließ.
Ich ging durch windige Regentropfen heim, Einkaufsstopp im Drogeriemarkt, denn: Für den Abendtermin brauchte ich Schminkzeugs. Mit Herrn Kaltmamsell war ich auf die Geburtstagsfeier der Schwägerin in Ingolstadt eingeladen, Motto “Gäste im Grandhotel”. Ich hatte sofort die Idee gehabt, als verwelkter Stummfilmstar zu kommen, schließlich besaß ich einen passenden Kaftan. Für die Ausgestaltung hatte ich den befreundeten Maskenbildner-Fachmann Joël um Tipps gebeten, denn ich war unsicher: Glitzer-Turban? Perlenohrringe oder was Langes, Glitzerndes in die Ohren? Grau umschattete Augen? Falsche Wimpern? Dunkle Lippen oder helle? Viel Rouge oder gar keines? Weiße Grundierung – die ein wenig bröselt?
Joël war so freundlich, mich mit genau den Tipps und Fotos zu versorgen, die ich erhofft hatte. Allerdings besaß ich fast nichts von dem benötigten Material oder Werkzeug: Was ich im Alltag als “Schminken” bezeichne, hat damit kaum etwas zu tun. Und es erfordert Fertigkeiten, mit denen ich nicht vertraut bin. Also hatte ich mich in den Tagen zuvor in die Welt der Schmink-Tutorials auf YouTube begeben, um wenigstens für sowas wie Make-up/Grundierung und für die falschen Wimpern Anleitung zu bekommen. (Gelernt: Das Verhältnis Geplapper zu nützlicher Info verhält sich darin etwas so wie in zeitgenössischen Foodblogs.)
Mir war schon klar, dass es dafür eigentlich Übung braucht und ich beim ersten Versuch keine Wunder erwarten durfte, doch ich würde ja mit dem Ergebnis unter Familie und Freunden sein. Mit so viel Ruhe, wie mir menschlich möglich ist, machte ich mich Schritt für Schritt an die Umsetzung der Tipps und Anleitungen.
Mit einem Pinsel (!) grundiert und drunter geprimet (Puder kaufte ich aber nicht extra für diese einmalige Gaudi, es musste auch ohne gehen). Die falschen Wimpern kosteten mich besonders viele Nerven, weil ich die Dinger schon schier nicht von ihrer Verpackung wegbekam. Einfach war der Turban, diese alt aussehende Anleitung funktionierte.
In Echt sah das Ergebnis angemessen verwelkt aus, mit 55 Jahren und ganz normal gealtert ist mein Gesicht das ideale Rohmaterial.
Und hier nochmal (unabsichtlich, ich vermute automatische Filter) schön fotografiert.
Herr Kaltmamsell trug Anzughose, rosa Sakko und Fliege – ich nahm ihn als Accessoire-Gigolo mit.
Die Bahnfahrt nach Ingolstadt war durch Verspätungs-Durcheinander ein wenig anstrengend, wir trafen aber nur zehn Minuten nach geplanter Zeit am Bahnhof ein. Wie es sich für einen Star gehört, wurden wir abgeholt: Mein Vater brachte uns im Auto zum Fest.
Dort trafen wir auf viele malerische Grandhotel-Gäste; den Vogel schoss diejenige davon ab, die sich wie eine Spa-Nutzerin gestylt hatte: Bademantel, Handtuch auf dem Kopf, weiße Creme-Maske im Gesicht, Hotel-Schläppchen an den nackten Füßen.
Es gab bunte und unbunte Getränke, Schnittchen-Buffet, Süßes, musikalische Einlagen des Jung-Volks, viel Plauderns. Weit nach Mitternacht ließen wir uns im Taxi zu meinen Eltern zum Übernachten bringen.
§
Sehr ausführlicher und lesenswerter Artikel in der New York Times über Klimakterium und Wechseljahre – auch dieser von einer Autorin, die selbst in diese Lebensphase kam und auf die harte Weise lernte, wie wenig sie darauf vorbereitet war und wie mager Faktenlage sowie Hilfe sind.
“Women Have Been Misled About Menopause”.
Contemplate a thought experiment, one that is not exactly original but is nevertheless striking. Imagine that some significant portion of the male population started regularly waking in the middle of the night drenched in sweat, a problem that endured for several years. Imagine that those men stumbled to work, exhausted, their morale low, frequently tearing off their jackets or hoodies during meetings and excusing themselves to gulp for air by a window. Imagine that many of them suddenly found sex to be painful, that they were newly prone to urinary-tract infections, with their penises becoming dry and irritable, even showing signs of what their doctors called “atrophy.” Imagine that many of their doctors had received little to no training on how to manage these symptoms — and when the subject arose, sometimes reassured their patients that this process was natural, as if that should be consolation enough.
Darin auch minutiös nachgzeichnet, wie es 2002 zu der Annahme kam, Hormontherapie erhöhe signifikant das Brustkrebsrisiko – und was das anrichtete. Außerdem geht aus dem Artikel hervor, dass das Klimakterium und Menopause erschreckend wenig erforscht sind (was der Scharlatanerie mit Nahrungsergänzungsmitteln und Cremchen – “lotions and potions” – Tür und Tor öffnet).
die Kaltmamsell12 Kommentare zu „Journal Freitag, 10. März 2023 – Verwandlung in einen verwelkten Stummfilm-Star“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
11. März 2023 um 9:50
******************KOMMENTAROMAT**********************
Gerne gelesen
*******************************************************
11. März 2023 um 10:37
******************KOMMENTAROMAT**********************
Gerne gelesen
*******************************************************
11. März 2023 um 11:01
Ich hatte das Foto gestern schon aus Insta gesehen. Du siehst großartig aus!
Und ja, Wimpern kleben heißt üben, üben, üben. Das war bei mir in der Ausbildung nicht anders.
11. März 2023 um 12:00
Ich war unlängst irritiert, als ich errechnete, dass Gloria Swanson bei den Dreharbeiten 1949/1950 für Sunset Boulevard, wo sie den gealterten Stummfilmstar Norma Desmond gibt, erst fünfzig war. Ich hätte gedacht, um die Siebzig. Sie war aber wohl auch so ein Typus, der sich zwischen fünfzig und siebzig nicht mehr stark veränderte. Jedenfalls ein toller Wilder-Film. Ich würde für so eine Verkleidung bei den Augenbrauen noch mehr auf Retro gehen, nur zwei dünne, dunkle Linien. Gelernt, dass die Drag Queens für solche Spielereien mit handelsüblichem Klebestift die eigenen Brauenhaare platt machen und dann dick Make up drüber und die neuen Brauen aufmalen. Die Verkleidungsidee finde ich auch super, man kann ein bequemes Wallawallakleid anziehen und sieht trotzdem mit Turban und bling bling und Perlenkette glamourös aus!
11. März 2023 um 13:12
Das mit den Augenbrauen, also Make-up drüber und dann höher nachmalen, gehörte auch zu den Empfehlungen von Joël , Gaga Nielsen – aber ich gestehe, ich war zu geizig, auch noch einen Augenbrauenstift zu kaufen (meine Kajals sind alle grün).
11. März 2023 um 13:58
Bei der nun vorhandenen Grundausstattung im Malkasten böte sich als nächste Mottoparty “Neunziger” oder “Love Parade” mit Verkleidung als Marusha an. Die Frisur ließe sich mit vorhandenen Schnürsenkeln nachbauen :-)
11. März 2023 um 20:37
Danke für den sehr interessanten Artikel zur Menopause und Hormonersatztherapie. Es ist wirklich erschreckend, wie einseitig die Berichterstattung zu den Risiken der Hormontherapie war und auch immer noch ist, und das aufgrund einer einzigen Studie. Und wieviel Frauen dadurch unnötig jahrelang gelitten haben.
Dazu im Vergleich wird z.B. sehr wenig kommuniziert, dass Alkoholkonsum auch in geringen Mengen das Risiko einer Krebserkrankung erhöht, besonders das für Brustkrebs. Vielleicht weil dies als ein natürliches, allgemein verbreitetes Risiko wahrgenommen wird.
12. März 2023 um 12:56
Darüber gab es vor einigen Jahren im Economist schon einen sehr aufschlussreichen Artikel, über den ich mich damals sehr aufgeregt habe (bzw. seitdem immer wieder, wenn ich daran erinnert werde):
https://www.economist.com/international/2019/12/12/millions-of-women-are-missing-out-on-hormone-replacement-therapy
12. März 2023 um 12:58
Zum Thema Hormonersatztherapie (ich kann den Artikel nicht lesen) eine Frage: ist es möglich während der Einnahme-Phase festzustellen, ob die zu unterdrückenden Symptome überhaupt noch auftreten würden? Sind Einnahme-Pausen vorgesehen, um den “naturbelassenen” Status zu Tage treten zu lassen?
Ich werde im September 58, hatte vom ca. 53. bis 55. Lebensjahr Hitzewallungsattacken, die ungefähr ein Jahr nach der letzten Blutung begannen, und von denen ich hoffte, dass sie sich irgendwann einfach erledigen. Ich nahm keinerlei Medikamente dagegen, keine Hormonersatztherapie, hatte aber auch sonst keinerlei Beschwerden, weder Launen noch eingeschränke Libido (eher im Gegenteil). Seit etwa zwei Jahren sind die Hitzewallungen vorbei. Meine Mutter erinnert sich, dass sie recht früh in die Wechseljahre kam, aber kaum Hitzewallungen hatte. Ich arrangierte mich mit den Hitzeattacken, bei denen mich hauptsächlich der schlagartig klatschnasse Nacken unangehm berührte und stellte mir dabei immer noch irgendwie gerührt vor, dass es so ein letztes Aufbäumen der Eierstöcke ist, da noch mal was zustande zu bringen wollen. Sie taten mir ein wenig leid, die kleinen Dinger.
Iris Berben hat vor Jahren mal ein Buch über ihren Lifestyle geschrieben, in dem sie offenbarte, dass sie einen besonderen Hormonmix einnimmt, den es (damals) nur über Amerika zu beziehen gab, sie wirkt ja heute mit Siebzig auch noch wie 49. Sehr agil. Da man ja eh sterben wird, kann man einen fitteren Status ja auch mit irgendeiner Hormontherapie unterstützen, wozu das Verwelken hofieren und darunter leiden. Ich schaue mal, wie es bei mir weitergeht, so naturbelassen.
Die Mutter einer Freundin hatte jahrelang Hormone genommen und dann aus mir unbekannten Gründen abgesetzt. Ich habe sie dazwischen mehrere Monate nicht gesehen und bin erschrocken, wie alt sie aussah. Ihre Tochter erzählte mir, dass ihre Mutter scheinbar innerhalb von wenigen Wochen regelrecht vergreist ist, nachdem sie es abgesetzt hatte. Das war mir so ein Horrorszenario, das ich nie vergessen konnte, deswegen hatte ich so wenig Ansinnen, gegen die Hitzewallungen damit anzugehen.
So lange sich keine anderen Beschwerden mit diesen Therapien einstellen, alles super. Wir wollen ja die letzten, idealerweise gechillteren Lebensjahre nicht qualvoll hinter uns bringen.
12. März 2023 um 13:41
Wie schön geschminkt ist das!
Habe tatsächlich die Tage eine Puderdose gefunden, die ich noch aus schlimmen Zeiten habe. Man leuchtet nur ein bisschen. Es ist dann aber auch am Abend nicht so viel Zeugs zu entfernen, nur ein Hauch.
12. März 2023 um 13:53
Die Frage, Gaga Nielsen, sollte eine auf Wechseljahre spezialisierte Gynäkologin beantworten (die muss man aber erst mal finden, vielleicht hilft die Deutsche Menopause Gesellschaft https://www.menopause-gesellschaft.de/). Ihre Befürchtungen weisen auch darauf hin, dass Sie grundsätzlichen Informationsbedarf zur Wirkungsweise der verschiedenen Hormontherapien haben. Ich empfehle das Buch von Jennifer Gunter, “Das Menopause-Manifest”.
Und ja: Jede muss selbst für sich Nutzen und Risiken abwägen – idealerweise halt gut informiert.
12. März 2023 um 19:54
In den fachärztlichen Veröffentlichungen scheint der gemeinsame Nenner zu sein, die Hormonersatztherapie 2 – 5 Jahre durchzuführen, und dass das Absetzen unverzüglich aufzeigt, ob die Symptome noch bestehen, Ausschleichen nicht nötig, um das zu verifizieren. Weitgehend wird abgeraten, bei beschwerdefreiem Zustand Hormone zwecks Anti-Aging zu nehmen. Aktuellere Studien zeigen wohl dass bei Östrogen-Therapie einerseits Schutzeffekte gegen gewisse Erkrankungen vorhanden sind, gleichzeitig erhöhtes Risiko für andere Erkrankungen. Wie auch immer, Leben mit und ohne Hormonersatztherapie wird unweigerlich zum absoluten Tod führen, so viel ist sicher. Für mich sind die Wechseljahre insgesamt nicht unerfreulicher als die jüngeren Lebensphasen. Ich erlebe sie nicht als hochgradig tragische, problematische Ära in meinem Frauenleben. Verhütung war mir auch immer lästig, von Menstruationsschmerzen gar nicht zu reden. Nur dass sich die Schwerkraft immer mehr im Gesicht und am Körper zeigt, na ja, nicht so erfreulich. Die Knochenpflege könnte – oder wird – wohl noch ein Thema werden. Da schalte ich dann wieder zu, informationsbedarfsmäßig.