Archiv für März 2023

Journal Donnerstag, 2. März 2023 – Fotodiskussionen im Bürgerbüro

Freitag, 3. März 2023

Wieder ein verwirrend irregulärer Tag. Der Morgen verlief schon mal ungewohnt, weil ich mit dem Fahrrad in die Arbeit fuhr: Nicht etwa dem gestrigen und heutigen Streik im Öffentlichen Nahverkehr Münchens geschuldet, sondern einem Termin im Bürgerbüro in der Mittagspause, zu dem ich damit am schnellsten kam. Ich hatte mich fürs Radeln tiefwinterlich eingepackt, wäre bei Temperaturen knapp über Null (Pfützen nicht gefroren) und Sonne nicht mal nötig gewesen.

Turbulenter Arbeitsvormittag, unter anderem würzte das neue IT-System die Routine durch wieder komplett neue und an dieser konkreten Stelle ganz sicher nicht erwartete Dysfunktionalität.

Mittags radelte ich also durch die Sonne zehn Minuten zu meinem Termin im Bürgerbüro, um ablaufenden Personalausweis und Reisepass neu zu beantragen. Nach nur kurzer Wartezeit saß ich einem gelassen freundlichen jungem Mann gegenüber – der erst mal meine Automatenfotos nicht akzeptierte, der Hintergrund sei nicht einfarbig. Ich musste neue Fotos im Automaten vor Ort machen, auf seinen Tipp hin ohne Brille und mit sichtbar geschlossenem Mund – für mich sah der Hintergrund nicht einfarbiger aus als auf den mitgebrachten Bildern, ich zickte ein wenig rum.

Diese Fotos hatte ich mitgebracht, Hier monierte er unter anderem mehrfarbigen Hintergrund und Reflexe in den Brillengläsern (die ich nicht sehe).

So sei das korrekt. Also sollte die Bundesdruckerei ihre Mustertafel überarbeiten.

Doch die freundliche Gelassenheit des Herrn wirkte über die folgenden Verwaltungsschritte hinweg. Unter anderem musste ich ein eigenes Blatt unterschreiben, dass das wirklich meine Unterschrift sei, obwohl man daraus meinen Namen nicht lesen kann – ich kenne nicht viele Unterschriften, die das ermöglichen, erinnerte mich aber an mindestens eine Amtshandlung, bei der man mich gezwungen hatte, nicht meine Unterschrift, sondern meinen von Hand geschriebenen vollständigen Namen zu hinterlassen, so sehr ich auch betont hatte, dass das aber nicht meine Unterschrift sei.

Jetzt aber plauderten wir mit der Zeit herzerfrischend über jeweilige Familiengeschichte, ich hinterließ Tipps, wie man Großeltern zum Erzählen bekommt (eben nicht über “Erzähl doch mal!”, sondern mit Detailfragen wie “Hat dir das deutsche Brot geschmeckt? Wo hast du damals eingekauft?”). Das war sehr nett – dass seine Kollegin an der Kasse, bei der ich insgesamt 97 Euro für beide Dokumente zahlte (!), mich nicht mal ansah, war dann egal.

Zurückgeradelt ins Büro durch fortgesetzten Sonnenschein, am Schreibtisch Mittagessen: Pumpernickel mit Butter, Orangen. Weiterarbeit bis Feierabend, die Sonne hatte das Büro genug für warme Hände aufgeheizt.

Auf dem Heimweg Stopp beim Süpermarket Verdi für Gemüseeinkäufe: Schon mal für das Abendessen am Freitag. Daheim eine lange Runde Yoga. Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Spaghetti Carbonara, gut. Nachtisch Schokolade.

Neues zu VG Wort, auch als Hinweis für die dort angebundene mitlesende Bloggeria: Seit Ende Januar warte ich auf die jährliche Nachricht, dass mindestens einer meiner Blogposts 2022 die Mindestzugriffszahl für eine Ausschüttung von VG-Wort-Tantiemen erreicht hat (kurze Hintergrundinfo, weil viele Menschen dazu ein falsches Bild im Kopf haben: über diese Mindestzugriffszahl hinaus gibt es kein Geld für noch mehr Zugriffe, und seien es auch hundert Mal so viele – A-Blogs bekommen pro Blogpost nicht mehr Tantiemen als ich). Herr Kaltmamsell tat das Schlaue und guckte auf der (byzantinisch komlexen) Website der VG Wort nach: Es wurde sehr wohl bereits durchgezählt, die Links der Posts und sonstigen Angaben für Meldung sind unter “Zählmarken recherchieren” mit den entsprechenden Filtern aufgelistet (in einem überarbeiteten System, das ähnlich verwirrend ist wie das vorherige, aber bunter – und tatsächlich schneller); es wurde wohl dieses Jahr einfach keine Nachricht verschickt.

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Dieser als “Streitgespräch” veröffentlichte Austausch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geht mir seit Lektüre vor zwei Wochen nach (€):
“Was taugt die Wärmepumpe wirklich?”

Gesprächspartner sind der Forscher und Ingenieur Marek Miara vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und der Ökonom Manuel Frondel, Leiter des Bereichs Umwelt und Ressourcen am Wirtschaftsforschungsinstitut RWI. Es geht mir deshalb nach, weil hier aus meiner Sicht zwei grundsätzliche, auch politische Perspektiven und Prioritäten aufeinanderprallen. Miara führt als Argumente Energieeffizienz und die drohende Klimakatastrophe an: “Wenn wir immer mit allem warten, bis wir ein globales Klimaschutzabkommen haben, dann wird es zu spät sein.”
Frondel immer wieder die Kosten für den Endverbraucher unter Berücksichtigung von aktuellen staatlichen Förderungen: “Nicht die Energieeffizienz zählt. Es kommt auf die Kosteneffizienz an. Und da ist es unklar, welche Technologie sich in Zukunft in Abhängigkeit von den Emissionshandelspreisen als die kostengünstigere durchsetzt.”

Die eine Perspektive priorisiert die Lösung eines globalen, gesamtgesellschaftlichen Problems, die andere den individuellen (und kurzfristigen) Eigennutzen. Ich nehme an (und werde mich mal nach Forschungsdaten dazu umsehen), dass genau dieser Blickwinkel die unterschiedlichen Wahlentscheidungen der Bürger*innen prägt – und dass diese unterschiedlichen Prioritäten in allen Altersgruppen gleich verteilt sind (selbstverständlich auch in Mischformen). Will auch heißen: Eine FDP und ein Verkehrsminister Wissing leugnen den menschengemachten Klimawandel keineswegs; sie halten lediglich kurzfristiges Eigeninteresse für wichtiger und vertreten Wähler*innen mit gleicher Haltung.

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Ich finde es ja immer schön, wenn etablierte wissenschaftliche Grundlagen neu untersucht werden, genau das ist nämlich Wissenschaft. Selbst lasse ich zum Beispiel regelmäßig Dinge fallen, um die Erdanziehungskraft zu überprüfen (und verschenke zu Hochzeiten gerne richtig scheußliche Hinsteller, expliziter Einsatzzweck Schwerkrafttester) (Sie glauben ich scherze? ich kann Referenz-Paare nennen). Und immer wieder erweist sich die eine oder andere Grundlage bei Gegencheck als Blödsinn. Zum Beispiel, dass Wolfsrudel eine Hierarchie mit Alpha-Tier an der Spitze haben.
“Is the Alpha Wolf Idea a Myth?”

It turns out that this is a myth, and in recent years wildlife biologists have largely dropped the term “alpha.” In the wild, researchers have found that most wolf packs are simply families, led by a breeding pair, and bloody duels for supremacy are rare.

(…)

This terminology arose from research done on captive wolf packs in the mid-20th century—but captive packs are nothing like wild ones, Mech says. When keeping wolves in captivity, humans typically throw together adult animals with no shared kinship. In these cases, a dominance hierarchy arises, Mech adds, but it’s the animal equivalent of what might happen in a human prison, not the way wolves behave when they are left to their own devices.

Journal Mittwoch, 1. März 2023 – Kleine Scheiterungen

Donnerstag, 2. März 2023

Auch diese Woche fühlt sich durch zahlreiche außerarbeitliche Termine durcheinander an, ich musste mehrfach über den aktuellen Wochentag nachdenken.

Wieder eine gute Nacht, ich hätte den Schlaf gern länger genossen. Und wieder ein frostiger, grauer Morgen, sehr bald werde ich mit Mosern anfangen und Frühling einfordern.

Mittags raus auf einen Cappuccino.

Zurück am Schreibtisch Mittagessen: Schwarzrettich-Karotten-Salat (Ernteanteil), Pumpernickel mit Butter, Orangen.

Ich machte sehr früh Feierabend, wieder mit Unterstunden, diesmal wegen eines Theaterabends, vor den ich einen Friseurtermin gesetzt hatte. Und es begann eine kleine Reihe des Scheiterns, alles ging ein wenig daneben – wie ich beim Einschlafen verdutzt feststellte, als auch diese Pläne nicht geklappt hatten und es deutlich später als geplant worden war.

Nach dem Haareschneiden hatte ich im Supermarkt Blumen besorgen wollen (wo sie mich doch in der Wohnung immer so freuen), außerdem Chicoree für einen Chicoree-Orangensalat (Herr Kaltmamsell war aushäusig), von dem für Donnerstag gleich Brotzeit übrigbleiben würde: Es gab keinen Chicoree und keine auch nur annähernd akzeptablen Blumen in der sehr kleinen Auswahl.

Daheim guckte ich in den Spiegel und stellte fest, dass ich mir mit dem frischen Haarschnitt nicht gefiel, anders als beim abschließenden Friseurspiegelblick – ich hoffte, das würde sich nach dem ersten Haarewaschen ändern.

Ich machte ich mich ans Backen, es sollte aus Crowdfarming-Mandeln und -Orangen Acetani geben, die ich schon mal mit köstlichem Ergebnis ausprobiert hatte. Ihnen war im Grunde bereits ein Scheitern vorausgegangen: Die Nussmühle, die ich als Aufsatz für unsere Kenwood-Küchenmaschine gebraucht gekauft hatte, mahlt viel zu grob (ja, ich hatte mich mehrfach versichert, dass das der richtige Einsatz war), das Ergebnis sind gehackte Mandeln. Ich hatte für fein gemahlene Mandeln mit der vorhandenen Gewürzmühle nacharbeiten müssen. Und nun wurde der Teig diesmal zu Brei.

Während der Kühlphase des Teigs turnte ich eine kurze Yogafolge (ok), buk dann die Orangen-Mandel-Kekse: Sie flossen auseinander statt aufzugehen, wurden außen bereits dunkelbraun, als sie innen noch roh aussahen.

Nachtmahl vor dem Theaterbesuch: Ein Stück Gemüsequiche vom Vorabend, dazu machte ich mir Ruccolasalat mit Orangendressing (Saft der Orange, deren Schale ich für die Acetani gebraucht hatte) statt Chicoree, schmeckte gut. Bei der Schokolade zum Nachtisch hielt ich mich wohl zu lange auf, auf dem Weg zum Theater musste ich mich ganz schön beeilen.

In der Kammerspielen gab es Wer immer hofft, stirbt singend, “Reparatur einer Revue, nach Geschichten und Motiven von Alexander Kluge (UA)” – und das war nach vielversprechendem Anfang so lala. Das Stück erzählte fast eine Geschichte, allerdings nicht durch die Handlung (die zum Teil live in der Kantine der Kammerspiele stattfand und gefilmt auf eine Leinwand vor der Bühne übertragen wurde), sondern durch eine Off-Stimmme. Leni Peikert ist die Tochter eine Zirkusdirektors, der vor Beginn des Stücks ums Leben gekommen ist, und überlegt daran herum, ob und wie der Zirkus weiterzuführen ist. Dazu sah ich viele schöne Dinge auf der Bühne, aber nichts wirklich Fesselndes.

Sehenswert wie immer Schauspielerinnen und Schauspieler, die gestrige Entdeckung war für mich Johanna Kappauf, die personifizierte königliche Anmut. Auffallend und wirklich besonders: Einige zentrale Schauspieler*innen hatten sichtbare Behinderungen, ich zog anfangs innerlich die Schultern hoch, weil das gerade beim Thema Zirkus Anklänge an die furchtbaren Freak Shows von Wanderzirkussen hat. Funktionierte aber, ich entspannte mich.

Was mich wirklich freute: Der Zuschauerraum war sehr gut besetzt. (Um mich wie fast immer Theatervolk, wie ich den Gesprächen entnahm.) Ja, ich trug wieder Maske (wie auch weiterhin in Öffis und im Zug): Wer morgens als Team-Assistenz derzeit immer erst mal einen kleinen Stapel Krankmeldungen verarbeitet und täglich viel Zeit damit verbringt, Termine wegen Erkrankungen komplex zu jonglieren, hat vielleicht eine spezielle Sicht auf die Infektionslage, nicht nur die mit Corona. Und mir verhagelt ja schon eine gewöhnliche Erkältung die Laune, selbst ohne Fieber und Arbeitsunfähigkeit, mehr Krankheit möchte ich bitte vermeiden.

Als ich heimkam, das nächste kleine Scheitern: In der Geschirrspülmaschine, die ich vor Verlassen des Hauses eingeschaltet hatte, war das Fach mit dem Spülmittel nicht aufgegangen. Ich sortierte, welcher Inhalt dennoch sauber geworden war, steckte den schmutzigen wieder zurück. Brotzeit und Kleidung vorbereiten – es war bereits nach elf, als ich ins Bett kam.

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Catatonique urlaubt auf den kanarischen Inseln und blogt Lesenwertes darüber:
“Von Geschichte, Reibeisen und Höllenqualen”.

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Fuchsbrom hat eine der vielen nützlichen Anwendungen von Texterstellung der KI ChatGPT durchgespielt: Foodblogs müssen endlich die “endlosen Labertextfahnen vor den eigentlichen Rezepten” nicht mehr selbst erfinden.
“Künstliche Zusatzstoffe”.

Journal Dienstag, 28. Februar 2023 – Grade des Sich-führen-lassens

Mittwoch, 1. März 2023

Wieder gut geschlafen, in Herrn Kaltmamsells Bett (weil Übernachtungsbesuch in meinem) kurz vor Weckerklingeln aufgewacht. Den Gast sah ich sogar noch beim Verlassen des Hauses: Leichter Abschied, denn zwar zog er gestern dientreislich ins Hotel um, aber wir sehen uns diese Woche nochmal.

Das Draußen hielt sich am Frost fest, inklusive hellgrauem Himmel.

Von halb zwölf bis halb zwei hatte ich durchgehend Termine (eine sehr große Ausnahme), also wurde es fürs Mittagessen spät: Äpfelchen (dieses nicht aus Ernteanteil, sondern vom Übernachtungsbesuch aus eigenem Garten mitgebracht und köstlich), Pumpernickel mit Butter, Orangen.

Mittlerweile hatte sich das Wetter zu ein wenig Sonnenschein entschlossen, aber die Kälte blieb. Die Sonne kam zu spät für ein Wärmen des Büros, ich war froh um dicken Pulli und Schneestiefel.

Neues von der Schöffenbewerbung: Vormittags rief mich das zuständige Amt an und wollte zu meiner Angabe “Sachbearbeiterin” bei Berufstätigkeit dann doch Genaueres und den Arbeitgeber wissen. Fand ich gut. Ebenso wie ich gut fand, dass das Formular eine zweite Seite umfasste, die ich von der Vorläufer-Bewerbung nicht kannte und die unter anderem Engagement für extremistische Vereinigungen abfragte – die auswählenden Stellen kennen also die Aufrufe zum Schöffenamt aus dieser Richtung.

Nicht zu später Feierabend, weil ich vor dem Tanzkurs noch ein wenig Yoga turnen wollte. Dank direktem Weg nach Hause klappte das: ein halbes Stündchen mit Jessica Richburg.

Im Lindy-Hop-Tanzkurs betreuten uns zwei unvertraute Tanzlehrer, in der wieder sehr großen Gruppe sah ich einige unvertraute Gesichter. Nach der Woche Pause wurden bekannte Abfolgen wiederholt, nur wenige neue gezeigt, vor allem gab es Detail-Tipps zu Ausführung und Haltung.

Ich hatte ein breites Spektrum an Leadern im Arm, von So-sicher-dass-Varianten-geführt-wurden bis Nicht-mal-zuverlässig-Grundschritt. Ich versuchte gerade den unsicheren Leadern durch superleichte Führbarkeit und konstant aufmunterndes Lächeln ein wenig die Möglichkeit zum Spaßhaben zu geben, muss aber gestehen, dass leichtes Geführtwerden sehr anstrengt, wenn es sich auf erfundene Grundschritte bezieht (zumindest im Takt – Meisterinnenklassen ist das Folgen außerhalb der Musik).

Wieder hatte Herr Kaltmamsell das Nachtmahl bereits vorbereitet: Eine Gemüsequiche.

Schmeckte ganz hervorragend, danach Schokolade.

Spürbare Folge des langsamen Verödens meines Twitters ohne aufwiegende Lebendigkeit auf Mastodon: Ich lese weniger Internet. Mir war durchaus bewusst, dass ich in den vergangenen Jahren viele Leseimpulse durch Tweets bekommen hatte, und die deutlich kürzere Buchliste am Ende jedes Jahres im Vergleich zu der zehn Jahr zuvor erklärte ich genau damit. Aber dass ich bereits Ende Februar im zwölften Buch des Jahres lese, zeigt mir schon deutlich, wie eng dieser Zusammenhang war.