Journal Samstag, 13. Mai 2023 – Düsterer Isarlauf bei Hochwasser, Rebecca Makkai, I have some questions for you

Sonntag, 14. Mai 2023 um 8:30

Unruhige Nacht mit mehrfachem Aufwachen, einmal wegen Krämpfen. Am besten schlief ich nach dem Aufwachen um halb fünf bis kurz vor acht.

Das Draußen weiter dunkelgrau und kalt. Ich zerteilte das Roggenschrotbrot, fror zwei Viertel ein.

Man sieht schon, dass der Teig nicht ganz homogen war.

Als ich nach elf zu einem Isarlauf (Winterhose, über Shirt eine Windjacke mit Kapuze, Schirmmütze) aufs Radl stieg, wurde ich gleich mal angetröpfelt. Das war’s dann aber zum Glück mit Regen. Ich fuhr zum Friedensengel und lief nach Norden.

Die Isar stand sehr hoch, doch kein Weg war auch nur annähernd überflutet. (Hier eine Isar-Webcam, über die man den aktuellen Stand in Thalkirchen sieht.) Ich war genau richtig gekleidet, hatte zu keinem Zeitpunkt das Bedürfnis, den Reißverschluss meiner Jacke zu öffnen. Gut anderthalb Stunden Lauf, immer wieder kamen meine Gedanken ins Wandern – schön.

Nach Langem mal wieder gesehen: Die Schafherde des nördlichen Englischen Gartens.

Neue Kunst unterm Friedensengel.

Blick von der Luitpoldbrücke.

Frühstück kurz vor drei: Zwei dicke Scheiben Roggenschrotbrot, eine mit Pressack (Herr Kaltmamsell hatte auf meinen Wunsch roten und weißen besorgt), eine mit Butter. Das war zu viel, ich wurde sehr müde.

Auf dem Sofa las ich die Wochenend-Süddeutsche (wenn Sie Zugriff haben, empfehle ich die Seite-Drei-Geschichte über unseren Müll und einen Münchner Wertstoffhof). Wieder hatte ich die Heizung hochgedreht, ich hatte auch gestern keine Lust auf Frieren trotz dicker Socken und dicker Strickjacke.

Zum Nachtmahl setzte Herr Kaltmamell ein Rezept um, das ich im Foodblog Nimmersatt gefunden und erbeten hatte: Hühnchen-Curry aus Sri Lanka. Es schmeckte ganz hervorragend (auch ohne Reis). Gemüse dazu: Gebratener Pakchoi aus Ernteanteil. Nachtisch Schokolade.

Ich ging früh ins Bett, begann die nächste Lektüre (wieder ein E-Book aus der Münchner Stadtbibliothek): Jennette McCurdy, I’m Glad My Mom Died.

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Rebecca Makkai, I have some questions for you

Der Roman dreht sich um eine Krimigeschichte (als Krimi würde ich ihn nicht einordnen). Ich-Erzählerin Bodie Kane lebt gut von ihren True-Crime-Podcasts und Lehraufträgen als Film-Dozentin. Sie hat zwei kleine Kinder, ihre Ehe mit einem Künstler löst sich gerade auf. Als Dozentin kommt Bodie zurück an ihre frühere Highschool, das Internat Granby in New Hampshire. Sie hat den Auftrag unter anderem deshalb angenommen, um Details eines True Crimes nachzugehen, dessen Zeugin sie selbst während ihrer Schulzeit wurde: Ihre Zimmergenossin Thalia Keith war eines Morgens erschlagen im Swimming Pool der Schule aufgefunden worden. Für den Mord verurteilt wurde vor 20 Jahren der Sporttrainer der Schule, doch Bodie sind über die Jahre immer mehr Zweifel an seiner Schuld gekommen.

Deutlich zu lang ist das Buch meiner Meinung auf jeden Fall, doch es gibt Vieles, was es gut macht, und vor allem ist es so leicht und realistisch in der Gegenwart verwurzelt wie kein Roman, den ich bislang gelesen habe: Twitter und die Dynamik von Social Media spielen eine große Rolle, inklusive der Themen, die diese Dynamik in dem vergangenen zehn Jahren befeuerte (u.a.: der Ehemann der Protagonistin wird von einer früheren und deutlich jüngeren Kollegin des sexuellen Missbrauchs beschuldigt). Der zweite Teil des Romans spielt in der Corona-Pandemie, in der Handlung kommen FFP2-Masken und Abstandsgebote vor. Der Markt der True Crime Podcasts ist ein wichtiger und handlungstreibender Hintergrund, ebenso sind es die grotesken Seiten des US-amerikanischen Justizsystems, und die Figuren des Romans und die Settings sind anschaulich und nachzuvollziehbar.

Ein besonderer Kniff: Die Protagonistin spricht in erster Person jemanden an (der “you” des Romantitels), der ganze Roman wird einem konkreten Gegenüber erzählt – einem ihrer damaligen Lehrer an der Granby School, der auch die Theatergruppe leitete, nach deren Vorstellung Thalia (autsch, die Namenswahl ist arg cringe) ermordet wurde. Er steht im Mittelpunkt eines weiteren zentralen Themas des Buchs: Sexueller Machtmissbrauch durch Männer. Zudem liefert diese Ansprache eine Motivation fürs Erzählen.

Warum also zog sich die Lektüre für mich, was nervte mich durchgehend? Es war der Hintergrund Highschool-Soziologie, die ich nur aus der Fiktion kenne, als Topos in erster Linie aus US-Fernsehserien und -Filmen. Und diese Highschool-Gesellschaft setzt immer Lord of the flies-artige Mechanismem voraus, mit Bandenbildung, Unterdrückung von Außenseiter*innen, Hauen und Stechen um Attraktivität und Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts, nur Sportskanonen oder Kinder reicher Leute haben etwas zu sagen. Das ist als Realität offensichtlich so gesetzt wie Ebbe und Flut, niemand hinterfragt, warum es eigentlich keine Highschool-Geschichten mit freundlichen Kindern und Jugendlichen gibt.

Ich weiß durchaus, dass ich nie gut im Wahrnehmen solcher zwischenmenschlicher Mechanismen war, doch die Ausschließlichkeit von Gemeinheit und Unterdrückung in den US-Oberschulen erscheint mir unwahrscheinlich.

Weiterer Topos, der mich inzwischen müde machte: Erzählt wird mit zeitlichem Abstand (hier 20 Jahre, im zweiten Teil 25 Jahre) immer aus der Sicht der Gemobbten – von der sich dann herausstellt, dass in Wirklichkeit alle vor ihr Angst hatten. (Siehe diese Klassentreffen-Szene aus 30 Rock, die nur deshalb funktioniert.)

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Michael Blume schreibt auf spektrum.de über
“Aber hier regnet es doch! Der häufigste Bestätigungsfehler in der Klimakrise”.

Schon den Einstiegssatz möchte ich auswendig lernen, um ihn bei vielen, vielen Gelegenheiten (“aber bei mir hat’s geholfen!”) einzusetzen.

So genial unser Säugetiergehirn auch ist – seine Mustererkennung ist fehleranfällig.

Der Artikel erklärt klimatische Zusammenhänge und zeigt auch Maßnahmen auf, mit ihnen umzugehen, Stichwort “Schwammstadt”.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Samstag, 13. Mai 2023 – Düsterer Isarlauf bei Hochwasser, Rebecca Makkai, I have some questions for you

  1. Neeva meint:

    Oh super, ich bin im Juni das erste Mal auf einem Klassentreffen und ich war die Streberin und Außenseiterin. Jetzt hat mein Hirn eine weitere Möglichkeit sich Sorgen zu machen…

  2. Susann meint:

    Man muss da nicht hingehen. Ich habe meine Klasse immer als Notgemeinschaft empfunden, prüfe mein Gewissen in regelmäßigen Abständen und habe auch nach 20 Jahren nicht das Gefühl, zu den Klassentreffen gehen zu wollen. Also lasse ich es.
    Klatsch und Trasch lasse ich mir von meiner besten Freundin erzählen, die hingeht, und gut ist.

  3. Ole meint:

    Wow, Ines, welch Ehre und Freude – zumal wir seit kurzem ja sogar als Preisträger des “Goldenen Bloggers” vereint sind. Und wie viel zu lange wir seit den eine lange Weile verschollenen “Absurdistan”-Jahren von mir viel zu wenig voneinander gehört haben. Freu mich wirklich, dass Euch das Curry geschmeckt hat – und das, wo bis gerade ja noch einige Zubereitungsschritte fehlten, weil ich die Rezeptbeschreibung halb krank und zu flüchtig im Zug notiert habe. :) Und Pak Choi dazu ist ne spannende Variante. Kokosnuss-Sambol ist auch ganz fantastisch.

    Ganz, ganz liebe Grüße aus den Riesenwiesenweiten im Nordwesten,
    Ole

  4. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Boah – Klassentreffen!??? Muss nicht und gut ist es!
    Und so gerne ich Krimis lese, aber mit Highschool Hintergrund, das geht mir nur auf den Keks. Ich habe das System nie völlig verstanden. Und da ich 4 Jahre Internatserfahrung habe, passt das noch weniger, da meine Erfahrungen andere waren.

  5. Susann meint:

    Wui, vier Jahre Internat…das ist auch hart.

  6. Beate meint:

    Danke für den Link zu dem Spektrum-Artikel. Ich kenne einige, die hier viel lernen könnten.

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