Journal Montag, 19. Juni 2023 – Hitze-Regler hoch
Dienstag, 20. Juni 2023 um 6:36Düsterer Morgen, doch im Warm-Schwülen konnte ich Morgenkaffee auf dem Balkon trinken.
Auf dem Weg in die Arbeit spürte ich ein paar Nieseltropfen, weit entfernt von dem dringend nötigen Regen.
Für einen Montag begann der Arbeitstag milde, leider drückte mich bleierne Müdgikeit nieder.
Nach einigen Besprechungen ging ich auf einen Mittagscappuccino zur Nachbarfirma – ohne ein Foto davon aufzunehmen, ob er dann überhaupt wirkt?
Die Kreuzschmerzen der letzten Tage wurden schlimmer, fühlten sich mittlerweile wie ein gesamtverkrampfter Becken- und Unterleibsgürtel an.
Spätes Mittagessen nach einer einer weiteren, mittäglichen Besprechung: Pumpernickel mit Butter und überraschenderweise nachgereifte Aprikosen.
Dazu Zeitungslektüre. In der Süddeutschen besprach gestern Kristen Roupenian launig die Picasso-Ausstellung in New York, die Hannah Gadsby zusammengestellt hat: “die von einer Stand-up-Komikerin kuratiert wird, deren einzige Qualifikation darin besteht, Picasso zutiefst zu hassen”.
Ich hörte umgehend auf zu lesen, denn Hannah Gadsby ist nicht nur studierte Kunsthistorikerin, sondern machte eigene (komödiantische) Kunstgeschichte-Dokus im Fernsehen, was man beides durch einen einzigen Blick in ihre Biografie herausbringen kann.
Montagsausgaben selbst anständiger Zeitungen sind oft schlimm, weil die Sonntagsdienst-Notbesetzungen in der Redaktion gern mal mangels Fachkenntnis Mist durchwinken.
Der ganze Artikel (€): “Im Haus der steilen Thesen”.
(Gadsbys TV-Kunstgeschichte-Shows sind übrigens ausgesprochen sehenswert und lehrreich, wenn Sie mal ein Beispiel gucken mögen?)
Überraschung nach Feierabend: Es war nicht nur richtig sonnig, sondern heiß geworden, ich mied auf dem Heimweg die Sonne.
Nach Heimkommen (in eine sehr saubere Wohnung, Montag ist Putzmanntag – es ist SO toll in eine geputzte Wohnung heimzukommen, die man nicht selbst putzen musste!) befasste ich mich erstmal mit dem Abendessen: Kurz vor Ende der Saison sollte es dann doch mal Spargel geben. Ich schälte die von Herrn Kaltmamsell besorgten Stangen (nach denen er bereits suchen musste, lag aber vielleicht am Montag), packte sie mit Salz, Zucker, gehackter Salzzitrone und Butterflocken in Alufolie, schob die Päckchen in den Ofen.
Während der Spargel garte, turnte ich eine Runde Yoga-Gymnastik, bereitete dann die Sauce zu (Majo, Essiggurken, Ei). Die Kräuterkartoffeln kochte Herr Kaltmamsell, die neuen Kartoffeln waren sogar heimisch aus unserem Ernteanteil (allerdings nicht von unserem Kartoffelkombinat-Acker, unsere wurden gerade erst gesetzt).
Zum Nachtisch gab es Flachpfirsiche und Schokolade.
§
Veronika Kracher schreibt Interessantes über
“Autoritäre Revolte – Rammstein, Rock und Frauenhass”.
Via @pinguinverleih
Rockstar-Männlichkeit
Fans gitarrenlastiger Musikrichtungen sehen sich gerne als irgendwie rebellisch, selbst wenn die von ihnen vergötterten Künstler Multimillionäre sind, die in ausverkauften Stadien das Standard-Programm jedes Radiosenders mit den „besten Hits der Achtziger, Neunziger und von heute“ abspielen. Vielleicht wohnte Rock noch subversives Potential inne, als Künstler*innen dafür Sanktionen erfuhren, sich gegen den Krieg in Vietnam zu stellen. Aber dem Kapitalismus und seiner Kulturindustrie ist es immanent, alles auch nur ansatzweise Bedrohliche aufzusaugen, sich einzuverleiben und zum systemkompatiblen Hochglanzprodukt zu machen, dessen kritisches Moment mehr Schein als Sein ist.
Wie die Autor*innen Joy Press und Simon Reynolds in dem lesenswerten „Sex Revolts – Gender, Rock und Rebellion“, das gerade jetzt das Buch der Stunde sein sollte, ausführen, wurde die Rebellen-Inszenierung „alternativer“ Musik immer schon auf dem Rücken von Frauen ausgetragen. Rock-Rebellen hatten sich seit den 1950er und 60er Jahren damit gebrüstet, alle erdenklichen – aber vermutlich auch deshalb selten konkret benannten – Repressionen kaputt schlagen zu wollen. US-Regierung, Elternhaus, Polizei, schlicht alles von dem Kränkungen und Einschränkungen ausgingen. Ein Unterdrückungsverhältnis blieb jedoch seit jeher außen vor: das Geschlechterverhältnis.
Wie Press und Reynolds darstellen, werden im Rock und seinen ideellen Vorgängern wie der Beat-Literatur Frauen, trotz der brutalen Ausbeutung und Unterdrückung, die sie im kapitalistischen Patriarchat erleiden, weniger als dessen Opfer gesehen. Stattdessen gelten sie als diejenigen, von denen eine Einschränkung und Unterdrückung ausgeht, gegen die rebelliert werden muss. Mütter, Lehrerinnen, Partnerinnen. Anstatt unsere Rock-Rebellen einfach ziehen und sich selbst entdecken zu lassen, verlangen diese Spießerinnen von ihnen die Übernahme von Verantwortung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Und einen Job annehmen, um eine Familie zu ernähren, anstatt mit der Gitarre auf dem Rücken durchs Land zu reisen, ist dem musikalischen Männer-Genie schlicht unwürdig. Die Zuschreibung an Frauen, Teil der Herrschaft zu sein, ist eigentlich eine projektive Täter-Opfer-Umkehr, die den Zweck hat, die konkrete patriarchale Gewalt, die Stars mit Rebellen-Attitüde immer und immer wieder ausüben, zu verschleiern.
Eigentlich, so argumentieren die Autor*innen von „Sex Revolts“, geht es in großen Teilen des Phallus-Rock maximal um eine infantile Rebellion mit dem Ziel, eine diffuse Unzufriedenheit zu artikulieren, sich die Hörner abzustoßen und für ein paar Jahre lang eine Gegenposition zu einem selten wirklich benannten Establishment zu performen. Mit einem tatsächlich revolutionären Anspruch, der eine radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen übt, hat diese Attitüde wenig gemein. Und: Es ist bezeichnend, dass diese musikalische Trotzphase bei so vielen Musikern inzwischen mehrere Jahrzehnte anhält. Zusammenfassend: Das Establishment ist weiblich, Rebellion hingegen männlich konnotiert.
(…)
Ob Fans nun die Vorwürfe an Lindemann und seinem Umfeld glorifizieren oder sie verleugnen und die zahlreichen betroffenen Frauen als Lügnerinnen, rachsüchtige Groupies oder naive Dummchen darstellen: Sie glauben, auf der „richtigen Seite“ der Geschichte zu stehen. Denn ihre Idole sind ja Rebellen, die gegen das – mit Frauen assoziierte – Establishment antreten. Deswegen, so der gedankliche Kurzschluss, sind all jene, die sich gegen diese Idole stellen, Vertreter*innen der verhassten Spießergesellschaft.
§
Einen Ausläufer dieser Diskussion hatte ich in der Bürgerversammlung 2022 meines Wahlbezirks 2 Ludwigsvorstadt – Isarvorstadt mitbekommen, im SZ-Magazin schildert Henriette Kuhrt sie ausführlich – als Beispiel, warum das mit der urbanen Verkehrswende in Deutschland so schnell nichts wird. (Leider schon wieder €.)
“Auto-Korrektur”.
In einem Münchner Stadtviertel sollen Straßen umgebaut werden, damit Kinder und behinderte Menschen sicherer unterwegs sind. Doch sofort regt sich Widerstand – denn 48 Parkplätze würden wegfallen. Die Geschichte eines Krampfs.
Ein Argument der Autorin finde ich wichtig: Aber sicher gibt es hier Menschen, die aufs eigene Auto angewiesen sind. Und genau denen machen die rücksichtlosen Beharrer auf eigenem Auto, die nicht darauf angewiesen sind, das Leben schwer.
Es beginnt ganz harmlos, mit einem Zettel, der innen an die Glasscheibe eines Bio-Supermarkts geklebt ist. »Der Glockenbach soll einen neuen Straßenbelag erhalten«, steht dort. Gehwege würden verbreitert, die Ecken in den Kreuzungsbereich vorgezogen. Es würden 17 Bäume gepflanzt und Bänke vor den Häusern aufgestellt. Außerdem kämen viele Fahrrad- und Lastenfahrradständer hinzu. 38 Parkplätze fielen weg. Ob wir das wollten?
Mein erster Gedanke: Natürlich will ich das. Denn wir leben hier nicht nur am größten Spielplatz des Münchner Glockenbachviertels, wir leben auch in einem gigantischen Open-Air-Autohaus. Wohnmobile, Jeeps, Bullis, E-SUVs – sie alle quetschen sich an den Straßenrand rund um den dreieckigen Spielplatz. Abgesenkte Fußgängerquerungen gibt es nur zwei, und die sind regelmäßig zugeparkt. So müssen sich die Kinder zwischen den Autos hindurchquetschen, um auf den Spielplatz zu gelangen. Rollstuhl- oder Rollatorfahrern sind die Wege versperrt. Und wer könnte im Jahr 2022 etwas gegen zusätzliche Bäume haben? Anderseits: 38 Parkplätze fallen weg – da denke ich: Das gibt Stress. Und so kommt es.
die Kaltmamsell
3 Kommentare zu „Journal Montag, 19. Juni 2023 – Hitze-Regler hoch“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
20. Juni 2023 um 9:38
“Ich hörte umgehend auf zu lesen”
Same. Bin immer noch empört.
20. Juni 2023 um 9:53
******************KOMMENTAROMAT**********************
Gerne gelesen
*******************************************************
20. Juni 2023 um 11:44
Oh ja, die heilige Kuh “Parkplätze”. Wann traut sich mal jemand zu sagen, dass persönliches/privates Eigentum im öffentlichen Raum nix zu suchen hat und wir mehr Quartiersgaragen brauchen (gerne unterirdisch)? Wann immer ich im europäischen Ausland unterwegs bin, wundere ich mich, warum das überall funktioniert – nur hierzulande nicht (jaja, Autolobby, blabla). Wir selbst wohnen in der Innenstadt und, ja, wir haben ein Auto. Sogar zwei. Aber wir zahlen auch zwei Stellplätze (TG). Nie käme ich auf die Idee, den öffentlichen Raum zuzuparken. Und ganz ehrlich: Viele, die Parkplätze wollen, wollen KOSTENLOSE Parkplätze, obwohl sie sich einen TG-Platz leisten könnten. Die arme Krankenschwester, die morgens um 2 Uhr zur Schicht muss, ist nun wirklich in der Minderheit in den Vierteln, die mit SUVs zugeparkt sind.