Journal Donnerstag, 22. Juni 2023 – Blitzeinsatz Schöffin, Hitzeprügel
Freitag, 23. Juni 2023Unruhige Nacht mit viel Zwischenaufwachen und einem Schlafloch, ich war froh, als es zehn Minuten vor Weckerklingeln spät genug war für Aufstehen. Die Schlafunterbrechungen hatte ich dafür genutzt, nach Mitternacht Fenster und Balkontüren zu öffnen, beim Zu-Bett-Gehen war es draußen noch wärmer gewesen als drinnen.
Nach einem Balkonkaffee nahm ich wieder das Rad in die Arbeit, denn es sollte mich am frühen Vormittag zu einem Einsatz als Schöffin ans Gericht bringen.
Ganz weges Haus Schiller-, Ecke Pettenkoferstraße. Ein Plakat erklärte (ich finde es sehr großartig, dass mittlerweile praktisch an jedem absichtlichen Straßenloch in der Stadt Informationen zum Hintergrund zu finden sind), dass hier der Neubau für die Geo- und Umweltwissenschaften der Ludwig-Maximilian-Universität entsteht – ein ganz schöner Koloss (für den dem Foto zufolge auch das grünliche Gebäude im Hintergrund weichen wird). Hier mehr Pläne auf der Website des Architekturbüros – ich hoffe sehr, dass die Saurierskelette im Eingangsbereich nicht nur erfunden sind.
Unterwegs erinnerte mich etwas mühsames Treten daran, dass die Reifen Luft brauchten – und zu meiner Überraschung und Freude stellte ich fest, dass am Abstellplatz jemand, vielleicht sogar mein Arbeitgeber eine superduper Fahrradpumpe zur Verfügung stellte. Mit der pumpte ich gleich Mal (vor Einstempeln!).
Den extrafrühen Arbeitsstart nutzte ich für Erledigungen. Kurz vor neun zurück ans Rad, mit aufgepumpten Reifen fuhr es sich schon mal leichter durch die Morgenluft mit Hitzedrohung.
Der Termin selbst am Amtsgericht war dann kurz: Verhandelt wurde ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, doch ein Zeuge war erkrankt, und die Verteidigung konnte gut begründen, warum sie dessen Aussage unbedingt brauchte. Ich lernte die Begriffe “Beiordnung”, “Verständigung”, “Aussetzen” vs. “Fortsetzen” einer Verhandlung. Die Fortsetzung hätte innerhalb der nächsten drei Wochen passieren müssen, doch wir beiden Schöffinnen hatten unsere Urlaubsstarts extra auf die Woche nach dem gestrigen Verhandlungstermin gelegt, in diesen drei Wochen waren wir beide verreist. Also setzte der Richter die Verhandlung aus, sie wurde ganz neu terminiert, auch mit neuen Schöff*innen. Nach gerade mal zwei Stunden stand ich wieder auf der Nymphenburger Straße und radelte Büro-wärts (ein Glück: erst am Gericht erfuhr ich, dass die Verhandlung ganztägig angesetzt gewesen war, das hätte meinen Arbeitstag gründlich zerschossen).
Besonders: Der Zuschauerbereich des Gerichtsaals war bis zum letzten Platz besetzt, nämlich von einer Schulkasse (nach meiner – ausgesprochen unzuverlässigen – Schätzung 15- bis 17-Jährige), die so bunt zusammengesetzt war, als sei sie für Sportkleidungswerbung gecastet. Vielleicht aber sieht unsere Zukunft wirklich so aus, dann freue ich mich sehr auf sie.
Unterwegs hielt ich auf einen Mittagscappuccino am Mahlwerk im Forum Schwanthalerhöhe.
Im Büro wartete einiges auf mich. Mittagessen dann in drei Gängen: Tomaten, Pumpernickel mit Butter, Mango (mir schoss durch den Kopf: Ich kann mir eine Bio-Mango zu 3,78 Euro leisten, ich habe wirklich keine Geldsorgen) und Pfirsich mit Sojajoghurt.
Draußen diesige Hitze, ich ließ die Fenster schön zu, die Tür ins kühle Atrium aber offen. Die großen Außen-Jalousien werden derzeit ersetzt, wir sind in der Phase Gar-keine-Außenjalousien, also konnte ich nachmittags lediglich die Innen-Rollos gegen die heizende Sonne herablassen.
Doch irgendwann war Feierabend, irgendwann musste ich da raus – die Luft vor dem Bürogebäude fühlte sich unangenehm drückend an. Solange ich auf dem Fahrrad unterwegs war, kühlte mich der Fahrtwind ein wenig, doch auch der war warm. Ich radelte zur Theaterkasse der Kammerspiele, denn die letzte Vorstellung meines Abos in dieser Spielzeit fällt in meinen Urlaub. Das Stück wird aber nicht mehr nach meiner Rückkehr vor der Sommerpause aufgeführt, ich bekam einen Gutschein.
Die zwei Kilometer Heimfahrt durch gleißende Innenstadthitze unangenehm, ich war sehr froh, in die schattig kühle Wohnung heimzukommen.
Beim Salatwaschen entschwitzte ich ein wenig, turnte dann Yoga-Gymnastik, machte den Ernteanteil-Kopfsalat mit der ersten Ernteanteil-Gurke und zugekauften Tomaten sowie gekochten Eiern in einem Joghurtdressing an. Das schmeckte sehr gut. Dann gab’s noch ordentlich Schokolade.
Das angekündigte Unwetter ging in der Münchner Innenstadt übersichtlich herab, brachte immer nur in kurzen Phasen Regen. Am beeindruckendsten war der Temperatursturz von über 30 auf unter 20 Grad.
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Selbst wenn Sie die ernsthafte Berichterstattung über Klimawandel nur aus dem Augenwinkel mitbekommen, wird Ihnen aufgefallen sein, dass die Zeitpunkte, für die die ganz schlimmen Einschnitte vorhergesagt werden, sprunghaft näherrücken. Vor zehn Jahren noch konnte ich mir einreden, dass sie mich nicht mehr betreffen werden, nach dem jüngsten IPCC-Bericht (also der Sammlung von Messungen des Weltklimarats – wohlgemerkt fast ausschließlich einfach Messwerte) musste ich mir bereits Sorgen um meine Zeit als Rentnerin machen, derzeit lese ich wöchentlich Meldungen, dass Prognosen bereits überholt werden – also die, die gerne als “alarmistisch” abgetan wurden.
Wenn Sie sich die Laune so richtig versauen wollen, schauen Sie bitte Kriminal-Biologe Dr. Mark Benecke zu, wie er eine gute Stunden lediglich über Messungen berichtet (na gut, ein wenig Verbindungen stellt er dazwischen auch her).
https://youtu.be/RPs9JdthcHU
Er zeigt auch Messungen über die letzten 110 Jahre und noch längere Zeiträume (für die Leute, die sich immer noch mit “Pah, es gab immer schon wärmere Phasen in der Erdgeschichte” beruhigen). Ernennt die Quellen der Messungen und Daten, um klar zu machen: Das ist keine Meinung, alle Mess- und Forschungsinstitutionen stehen dahinter.
Artensterben (Beneckes Fachgebiet): “Unaussprechlich.”
Klimaerwärmung: “Wir sind derzeit im worst case.”
“Niemand hat Daten dafür, dass das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen ist.”
Und wie ich werden Sie das alles danach wahrscheinlich schön wieder verdrängen und vergessen, weil es schlicht unerträglich ist.
(Beim Thema Landwirtschaft übernehme ich allerdings nicht Beneckes Perspektive: Mich interessiert viel mehr, ob es Daten dazu gibt, dass die postulierte Abschaffung der gesamten Nutztierhaltung zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Landwirtschaft führt, also wirkungsvoller ist als die Abschaffung von Massentierhaltung und industrieller Landwirtschaft. Das behandelt Benecke nicht, er scheint mir auch in diesem Punkt Klima-Argumente – das meiste Mais und Soja wird für die Tierhaltung angebaut / Methanausstoß – und emotionale Argumente – die armen Tiere! – zu vermischen.)
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Kleine schöne Mastodon-Sammlung über den Siegeszug deutscher Kulinarik in der Welt.