Journal Mittwoch, 2. August 2023 – Nochmal Madam Chutney und Delia Owens, Where the crawdads sing
Donnerstag, 3. August 2023 um 6:31Gut geschlafen, kurz vor Weckerklingeln erfrischt aufgewacht -> arbeitsfähig.
Blauer Himmel auf meinem Weg ins Büro; ich hatte mich in Sandalen getraut, trug aber Pulli.
Vormittag mit zackigem Abarbeiten inklusive viel Telefonieren, ging in der gestrigen Emsigkeit ohne große Überwindungsenergie. Der Himmel war düster geworden.
Als meine Gelüste auf Mittagscappuccino wuchsen, regnete es mal wieder gründlich. Statt ins Westend ging ich fröstelnd nur hinüber in die Nachbar-Cafeteria. Zu Mittag gab es eine Scheibe selbst gebackenes Brot (auch am zweiten Tag noch saftig, Qualitätsbeweis für Weizenmischbrot), italienische Aprikosen von Eataly (riesige Exemplare, was mich misstrauisch machte, doch sie waren herrlich saftig und aromatisch – habe ich also dieses Jahr wunschgemäß doch noch gute Aprikosen bekommen), Hüttenkäse.
Gemächlicher Arbeitsnachmittag, alles gut überblickbar.
Nach Hause ging ich auf direktem Weg, jetzt in Sonnenschein und milder Luft – gestern war sehr seltsames Wetter. Vor der Abendverabredung turnte ich noch Yoga-Gymnastik, dann spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell nochmal zu Madam Chutney am Viktualienmarkt: Dort trafen wir uns mit Besuch aus Goslar, der zum Arbeiten in der Stadt war.
Diesmal gab es (von links im Uhrzeigersinn): Pav Bhaji (Milchbrötchen mit Gemüse), Paneer Kati Roll (mit Frischkäse gefülltes Brot), scharfes Auberginen-Curry und Palak Paneer – alles ganz ausgezeichnet.
Was es allerdings auch wieder war: Voll und sehr laut, zum Austausch von Neuigkeiten mussten wir uns mit viel “WAS?” dazwischen nahezu anschreien.
Als wir mit vollen Bäuchen zurück auf die Frauenstraße traten, gab’s die nächste Wetter-Überraschung: Es war mit der Dämmerung sehr warm geworden. Durch fast breiige Luft spazierten Herr Kaltmamsell und ich über den nächtlich belebten Marienplatz heim.
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Dienstagabend hatte ich Delia Owens, Where the crawdads sing ausgelesen – das mich ein wenig ratlos zurückließ. Was mich Reviews und Rezensionen in Feuilletons recherchieren ließ, bevor ich meine eigenen Gedanken niederschreib, das kommt sonst nie vor.
Einerseits hatte ich das spannende Buch weggefressen. In zunächst zwei Zeitebenen wird die Geschichte von Kya erzählt: Als kleines Mädchen noch vor Schulalter Mitte der 1950er von Eltern und Geschwistern in einer Holzhütte in den Südstaaten-Sümpfen verlassen, schlägt sie sich durch Tier- und Pflanzenbeobachtung bis ins Erwachsenenalter lebend durch (starke Wolfskind-Assoziationen – ein hochromantischer Topos, der mich zu Kinderzeiten fasziniert hatte). Doch das erste Kapitel beginnt 1969 mit dem Fund einer Leiche am Fuß eines Aussichtsturms in dieser Gegend: Der junge Mann Chase ist anscheinend zu Tode gestürzt. In abwechselnden Kapiteln nähern diese beiden Zeitebenen sich an, bis sie zusammenkommen, bis Kya beschuldigt wird, Chase umgebracht zu haben (das ist kein Spoiler, der Verdacht fällt schon sehr früh auf sie). Hier entsteht eine klassische Krimi-Spannung, die auch mein Lesetempo antrieb: War sie’s? Oder jemand anderes? Ich mochte viele der detaillierten und atmosphärischen Naturbeschreibungen, die Autorin Owens ist Biologin im Rentenalter und schrieb vorher nur Sachbücher, Where the crawdads sing ist ihr erster Roman. Und die Hauptfigur Kyra interessierte mich, ich bewunderte ihre Beobachtungsgabe und ihre Fertigkeiten.
Warum also die gemischten Gefühle? Bei einigen Aspekten reichte meine suspension of disbelief einfach nicht aus: Die Kya-Kapitel sind meist personal aus ihrer Perspektive geschrieben, und ich traue weder einem Kind noch einer Jugendlichen die unterstellte Selbstreflexion von Gefühlen und Beziehungen zu, die sich manchmal wie aus einer Therapie-Sitzung lasen. Zudem glaubte ich einige Entwicklungsschritte schlicht nicht: Mal speist sich die Handlung aus Kyas Unwissen über die Welt, weil sie aus ihrem Marschland nie herauskam und keinen Zugang zu Medien hat; mal speist es sich aus wundersam aus Biologie-Büchern angeeignetem Weltwissen (das sie unter anderem zur souveränen Beauftragung von Renovierungsarbeiten und Kücheneinrichtung befähigt).
Und sehr wahrscheinlich bin ich über meine vielen Lese-Jahre auch überempfindlich geworden für die lauten Kitsch-Noten, die dieser Roman enthält.
die Kaltmamsell9 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 2. August 2023 – Nochmal Madam Chutney und Delia Owens, Where the crawdads sing“
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3. August 2023 um 8:35
Danke für die Einschätzung zu dem Buch. Es steht schon eine Weile auf meiner Thalia-Wunschliste. Vielleicht ist es jetzt doch das nächste zum Herunterladen.
3. August 2023 um 9:24
Oh Madam Chutney! Das sieht sehr gut aus. Ich bekam schon Hunger am frühen Morgen als ich die Fotos sah. NOCH ein Restaurant für die fast endlose Liste der Lokale beim nächsten München Besuch.
3. August 2023 um 9:52
Random Trivia: Delia Owens und ihr Mann werden von den sambischen Behörden polizeilich gesucht, weil sie im Verdacht stehen mindestens einen Mann (mutmaßlicher Wilderer) getötet und Gewalt gegen mehrere andere Wilderer angewandt zu haben. Der Mord ähnelt wohl sehr dem im Buch. The Atlantic hat letztes Jahr eine ausführliche und interessante Recherche darüber veröffentlicht.
3. August 2023 um 13:01
Das Buch hat mich …ärgerlich zurückgelassen.
Warum habe ich derartig unwahrscheinlichen Kitsch
so fasziniert weggext?
3. August 2023 um 20:07
Ich war von dem Buch sehr enttaeuscht. Es ist Suedstaatenkitsch, dann der ganze “weises Naturkind”-Scheiss und jajaja, jede(r) kann sich natuerlich kompliziertestes Zeug anlesen; formale Bildung braucht’s nicht. (Von da bis zu “I did my own research” zu Impfwirkstoffen ist es m.E. nicht weit.)
Und von der Sache mit den Wilderern will ich gar nicht erst anfangen, denn mit afrikanischem Kolonialismus kenne ich mich nicht gut genug aus, um mir da eine Meinung zu bilden.
4. August 2023 um 6:35
Danke für die Rezension! Ich fand es darüber hinaus etwas ermüdend – das trifft aber auf enorm viele Bücher zu, deshalb ist es eher eine allgemeine Anmerkung -, dass die Protagonistin natürlich sehr schön ist. Ich würde gerne mal ein Buch mit einer mittel bis wenig attraktiven Protagonistin lesen, die nicht depressiv oder tüchtig oder Mutter ist, sondern auch amouröse Verwicklungen haben darf und wahnsinnig interessant ist. Aber vielleicht habe ich bisher einfach nur Pech gehabt mit meiner Buchauswahl. (In Killing Eve finde ich das großartig, dass solche Frauen dort en masse herumlaufen. Na gut, meistens sehr attraktiv, aber etwas diverser und faltiger und badassiger und unkommentiert schwanger im Beruf etc immerhin…)
4. August 2023 um 15:54
Danke für den Link zum Brot mit Sauerteigresten. Ich habe es gleich gebacken und bin auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich fange gerade erst an mit Sauerteig zu backen, aber da es mir im Sommer oft zu heiß zum backen war, hat sich schnell einiges an Sauerteig angesammelt.
Ein sehr gutes, rein vegetarisches indisches Restaurant ist auch Saravana Bhavan an der Landshuter Allee. Bis jetzt habe ich da immer nur Masala Dosa gegessen, weil es das sonst hier nirgends gibt.
7. August 2023 um 12:06
ich nutze diesen schundroman ja als beispiel für internet-rezensions-rants als textsorte in meinen kursen. ich kann mich wunderbar über dieses buch aufregen (hübsches kleines weißes mädchen wächst völlig allein in wildnis auf (kein bauchweh, kein zahnweh, keine schweren erkrankungen, nix. nicht mal irgendwelche krankheiten, die in marschgegenden, noch dazu ohne zugang zu sauberem wasser, halt mal vorkommen…malaria..typhus usw. Oder mal ein eingetretener und entzündeter splitter von irgendwas. Blutegel…mir fällt so viel ein..) und es muss ein ebenso hübscher, aber natürlich weißer Mann kommen, um ihr das lesen beizubringen (was der herzliche, aber wahrscheinlich dumme, mann, der ihr ihr zeug abkauft, natürlich nicht kann- seine frau natürlich auch nicht, weil die ja wahrscheinlich dumm sind und auch nicht verstehen, dass man lesen und rechnen können sollte..aber hauptsache herzlich, ne?), und dann wird sie so schnell so gut, dass sie mit zeichnungen in einer wissenschaftspublikation (HA! hahaahahaaahaaa!!!!) so viel geld (geld. wissenschaftspublikation…even if it is pop-science… ) verdient, dass sie sich annehmlichkeiten, von denen sie doch eigentlich gar nichts wissen können kann, in ihre hütte im sumpf einbauen lassen kann. sicher!
ja. ich hab mich auch ein bisschen geärgert über das buch.
7. August 2023 um 13:38
Ich bin inzwischen so weit, adelhaid, (und dass der Roman weiter in mir arbeitete, muss erstmal ein Buch schaffen) die Geschichte als Märchen zu lesen: Es kommen so viele Motive vor, du nennst einige davon, die im Genre Märchen hingenommen werden – es ist vielleicht schlich eines.