Journal Freitag, 22. September 2023 – Oktoberfestflucht mit Bergknappenweg und Nachdenken über Frisurzwänge nach Altersgruppen

Samstag, 23. September 2023 um 8:00

Etwas zerstückelte Nacht, weil mich immer wieder Stechmücken-Surren wach hielt: Das Vieh / die Viecher ließen sich auch nicht durch nachträgliche Ganzkörper-Besprühung mit Anti-Brumm fernhalten. (So bekam ich auch nächtliches Regentröpfeln mit.) Doch ich bin ja im Urlaub, nach Aufwachen um sechs schlief ich nochmal anderthalb Stunden tief.

Ich hatte endlich ein Normalnull an Wohnungsgeruch hergestellt: Als ich aus dem Flur ins Wohnzimmer kam, roch ich lediglich meinen Morgenkaffee – ahhhh!

Für diesen als kühl und regnerisch angekündigten Tag hatte ich die kürzeste der vier recherchierten Touren geplant, den Bergknappen-Weg. Ich ließ mir Zeit mit dem Fertigmachen, turnte eine Runde Yoga-Gymnastik (Vorwärmen des Wohnzimmers mit Heizlüfter ermöglichte mir das sogar ohne Socken und Sweatshirt).

In voller Wandermontour ging ich auch erstmal auf einen Cappuccino; von meinem Aufenthalt vor vier Jahren erinnerte ich mich, dass der in der örtlichen Eisdiele gut gewesen war.

Eine kurze Wanderung war genau das Richtige für gestern, ich spürte die lange Strecke vom Vortag. Anfangs wurde ich ein wenig angetröpfelt, dagegen klappte ich die Kapuze über den Kopf. Richtig vergnügt machte mich, dass es auf halber Strecke kurz so richtig regnete: Ich war gerade im Wander-Flow und freute mich, dass meine Superduper-Wanderjacke die Tropfen so zuverlässig von mir abhielt, dass mir der Regen überhaupt nichts ausmachte.

Wieder hatte ich die gesamte Wanderung über die Wege für mich, begegnete nur um (Hundegassi) und in Siedlungen anderen Menschen.

Düsterer Himmel.

Thierbach mit der derzeit dominierenden Straßenlaternen-Deko.

Übrigens sehen die Apfelbäume hier wirklich ganz anders aus als bei uns in Oberbayern, sie sind voll der herrlichsten Früchte – hier vor der Thierbacher Mühle.

Über Naila. Wäre Donnerstag der Schlechtwettertag gewesen, hätte ich den Wochenmarkt in Naila mitgenommen: Das Städtchen ist größer und hat deutlich mehr Leben und Infrastruktur als Bad Steben. Inklusive einem Freibad, in dessen 50-Meter-Becken ich vor vier Jahren zweimal ausgiebig schwamm.

Der Bergknappen-Weg führte einmal quer durch Naila. Erstmal natürlich durch das neueste Einfamilienhaus-Gebiet, jedes Haus versehen mit einem weiteren halb so großen Haus – für die Autos.

Mein Blick blieb am Friedhof an einem Denkmal hängen.

“Den Opfern der Kriege”. Wie nah das durch den russischen Überfall auf die Ukraine wieder ist. Auch weil ich morgens diesen Theaterbericht von @Herzbruch gelesen hatte, der mich mitnahm: “CN-Krieg”. (Kurze Erinnerung, dass ich diese Nähe nur durch die geografische Nähe fühle, weltweit waren diese Kriege nie weg.)

Jetzt war es kurz nach eins, die Straßen und Bushaltestellen Nailas voller Schüler*innen. Und wieder fiel mir etwas an der aktuellen, aber schon seit Jahren bestehenden Mode auf. Es wird ja regelmäßig behauptet, das Styling von älteren und alten Frauen sei besonderen gesellschaftlichen Zwängen unterworfen.1 Zum Beispiel würden an alten Frauen lange Haare als unangemessen angesehen. (Wann ist eigentlich der Oma-Dutt aus den Stereotypen verschwunden?) Meine Beobachtungen, unter anderem dieses Jahr in Brighton hingegen ergeben: Es sind junge Mädchen und Frauen, die einem viel größeren Druck ausgesetzt sind, nämlich ihr Haar unbedingt lang zu tragen. Seit vielen Jahren sehe ich einen erheblich höheren Variantenreichtum in der Haartracht junger Burschen und Männer: Die tragen ihr Haar mal lang, mal kurz, mal halblang, mal teilrasiert, mal lustig ins Gesicht frisiert. Mädchen und junge Frauen hingegen: Langes Haar, stufenlos lang, egal welches Haar, und fast immer in der Mitte gescheitelt. Die seltenen Abweichungen, zum Beispiel auf Schulfotos, die Herr Kaltmamsell heimbringt, fallen extrem auf.

Regen im Froschgrüner Park von Naila.

Solche Räuberhöhlen-Unterführungen liebe ich.

Kurz vor zwei, der Regen hatte aufgehört, machte ich im Selbitz-Tal auf dieser Bank Brotzeit: Apfel, Pumpernickel mit Frischkäse, der Keks, der mit dem Cappuccino serviert worden war. Untermalt vom geliebten Rauschen der Silberpappeln am Bach.

Hinter Marxgrün bei der Modelsmühle mehr prächtig tragende Apfelbäume.

In Hölle folgte ich der Empfehlung des Wanderführers, einen Abstecher zum Mineralbrunnen der Höllenquelle zu machen.

Ich kostete auch brav: Yep, schmeckte genau so greislich metallisch, wie ich auch das Heilwasser in Bad Steben in Erinnerung hatte.

Der letzte Abschnitt folgte der Alten Bad Stebener Straße, die für den Autoverkehr gesperrt wurde.

Der lag auf der Straße, echt ehrlich! Und schmeckte so sensationell, dass ich umkehrte und versuchte, den Baum durch Astschütteln dazu zu bringen, weitere von sich zu werfen – vergebens.

Nach 16 Kilometern in gut vier Stunden war ich zurück am Startpunkt, das reichte aber auch für gestern. Kurzer Einkauf im Edeka.

Zurück in der Ferienwohnung stellte ich fest, dass die Heizung in Betrieb genommen worden war, hurra.

Als Abendessen gab’s Linsen (aus der Dose) mit angebratenem Knoblauch und mitgebratener roter Paprika. Schmeckte leider bei Weitem nicht so gut wie die kalte Version (ich hatte mir bei dieser Kälte was Warmes gewünscht). Wie gut, dass ich im Supermarkt heimische Elisenlebkuchen gekauft hatte, mit den haselnussigen aß ich mich satt.

Abendunterhaltung Lesen, Sigrid Nunez, A Feather on the Breath of God fast fertig.

§

Never gets old: Die Aufregung, wenn ich herausfinde, dass eines meiner Internet-Idole weiß, dass es mich gibt.

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Wie ein Tierfilmer einen rennenden Hamster filmt, und das Ergebnis in Zeitlupe. Doch, das wollen Sie sehen.

  1. Manchmal halte ich es für möglich, dass ich persönlich so furchterregend wirke, dass sich niemand mir gegenüber blöde Bemerkungen zu Alkoholfreiheit/Kinderlosigkeit/Altern-ohne-Würde erlaubt. Oder ich gehe einfach wenig genug unter Leute? []
die Kaltmamsell

15 Kommentare zu „Journal Freitag, 22. September 2023 – Oktoberfestflucht mit Bergknappenweg und Nachdenken über Frisurzwänge nach Altersgruppen“

  1. Karin meint:

    Der Hamster –großartig! Ja, das wollte ich wirklich sehen!

    Und: vollste Bestätigung des Frisurenuniformismus bei Teenagerinnen. Manche schaffen es in der Oberstufe, einen eigenen Stil zu entwickeln, aber die sind definitiv in der Minderheit. Bin mir aber nicht sicher, ob das ein neues Phänomen ist – in meiner eigenen Schulzeit in den 80ern gab es eigentlich auch wenig Abweichungen vom Mainstream (in meiner Erinnerung das typische 80er Big Hair, nachgeholfen mit Dauerwelle und/oder tonnenweise Haarspray und andere Stylingprodukte).

  2. Kateb116 meint:

    Das gab es aber mit Dauerwelle, Vokuhila oder gegelt, aber auch schon Bob oder Stufenschnitt. Und die Langhaar-Mittelscheitel-Mädels gab es auch.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Meine 1980er waren ebenfalls besonders Frisuren-reich, und das sogar in der Provinz: Dauerwellen in verschiedenen Längen und Symetrien, mal mit explodiertem Pony oder ohne, englische Bobs mit Undercut oder ohne, brave lange Haare, kurze Meckis.

  4. Sabine meint:

    Aus der Gegend mit den ganzen Grüns kommen entfernte Vorfahren von mir – so etwa ein Konrad von der Grün aus dem 14. Jahrhundert, der dank Mathematik und Quellenlage in überaus vielen (ober)fränkischen Stammbäumen vorkommt. Die Namen dieses Familienzweigs sind so hinreißend wie due Ortsnamen – „von Frosch und Schneckengrün“ ist doch unwiderstehlich!

    Aber ich glaub, da möcht ich jetzt mal hin.

  5. Neeva meint:

    Um Ihre scherzhafte Frage zu beantworten: Sie sind nicht abhängig. Das Naserümpfen des Pfarrers oder die Missbilligung des Sparkassendirektors ist keine existentielle Bedrohung für Sie.
    Herr Kaltmamsell wird nicht von seinen Freunden weniger respektiert, weil seine Frau so unmöglich rumläuft.
    Und das zusammen ist für dreißig bis fünfzig Prozent der Bevölkerung tatsächlich so furchterregend, dass sie den Rechten hinterherlaufen.
    Der Gruppendruck in Dörfern wird sich vermutlich inzwischen eher gegen Radfahren/Wärmepumpen richten, als gegen Frauen mit “falschen” Frisuren oder Klamotten, aber er ist immer noch da.
    Außerdem von welcher Norm weichen Sie denn ab? Korrekte Kurzhaarfrisur, schlank und sportlich. Sie sind sehr dicht an einem der Idealbilder für ältere Frauen.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Pah, Neeva, fragen Sie mal meine Kinder und Enkel!

  7. Neeva meint:

    Verstehen Sie das bitte nicht als Angriff in irgendeiner Form: Ich schreibe das aus der Perspektive einer Frau, die mit ihrem Rabenmutter-Lebenswandel deshalb “durchkommt” weil sie genug Geld verdient und halbwegs OK (hüftlange Haare mit Scheitel :-) ) aussieht. Nicht mal mein Mann wagt wirklich zu meckern, dass ich früher schlanker war, weil ich ihn halt rauswerfen kann.
    Eine Frau, die in Steuerklasse 5 700 € verdient, hätte einen ganz anderen Druck wenn sie weiß, dass der Mann sie eigentlich 15 kg leichter haben will. Und die sind auch viel verwundbarer, wenn “die Leute” schlecht von Ihnen denken.

  8. Neeva meint:

    :-) Die sieht man ja nicht auf den ersten Blick, aber stimmt.
    Nur brauchen Sie halt keinen Kredit von einem Sparkassendirektor, der meint kinderlose Leute seien verantwortungslos.

  9. Susann meint:

    Auch hier – alle Mädels lange Haare, ab der 1. Kl. Wird das zumindest angestrebt. Je länger, desto gut. Praktische Erwägungen spielen keine Rolle, auch nicht von Seiten der Mütter, die alle – inkl. Mir – das Spiel mitspielen, egal, wie unpraktisch lange Haare sind. Warum? Wahrscheinlich weil die Mädchen sehr emotional auf jeden vorschlag, die haare abzuschneiden, reagieren und ausserdem will sicher keine, dass das Kind optische Aussenseiterin ist. Die älteren Mädchen scheinen sich am Einheitslook der Influencerinnen zu orientieren, und da ist langes, schönes Haar sicherlich ein Zeichen von Wohlstand sowohl an Zeit als auch an Geld.

  10. Susann meint:

    Gittseidank gibt es auf der Welt ja nicht genau eine Kreditvergabestelle.

  11. mareibianke meint:

    Wie schon bei mir wollten auch bei meiner Tochter die Haare einfach nicht über schulterlang hinauswachsen. Darum musste sie genau wie ich es aushalten, optisch aus der Menge herauszustechen. Das ist im Teenageralter schwer, macht aber resistent, wenn man darüber hinaus ist. Heute hegt und pflegt sie ihre nackenlangen Naturlocken so wie ich meinen praktischen Kurzhaarschnitt.

    Ich hatte übrigens immer große Mühe damit, ihre Klassenkameradinnen voneinander zu unterscheiden.

  12. Susann meint:

    Zum Thema “Gruppendruck” – ich glaube, es ist Typsache, ob man den nicht wahrnimmt, wahrnimmt, aber nicht als handlungsrelevant erachtet, oder völlig davon erdrückt wird. Ich könnte nicht sagen, warum, aber ich fand als Jugendliche meine peer group und deren Interessen überwiegend blöd. Dementsprechend habe ich Gruppendruck bezüglich des Aussehens entweder nie auf mich bezogen oder nie gespürt; rückwirkend kann ich nicht sagen, was genau der Fall war. Auch unter Mamas, die ja eine berüchtigte Gruppe zu sein scheinen, hatte ich nicht das Gefühl, dass da irgendwas von mir erwartet wird – vielleicht fehlt mir auch nur der dafür benötigte 8. Sinn und hinter meinem Rücken lästern sie alle über mich, aber ich glaube eigentlich nicht, dass das so ist. Vielleicht ist der Druck für die da, die dafür empfänglich sind, und den anderen geht er nicht unter ihre Elefantenhaut. Keine Ahnung.
    Ich wäre gerne schlanker und eine bessere Haushaltsmanagerin, aber das hat rein egoistische Gründe.
    NB: In dem Dorf, aus dem ich komme, haben etliche Wärmepumpe und Rad gefahren wird auch reichlich, Frauen kommen in allen möglichen Formen, Farben und Frisuren vor; was möglicherweise Widerstand erzeugt ist das Gefühl, an der Peripherie zu sitzen und vom Zentrum verachtet zu werden.

  13. Joel meint:

    Das mit Haaren fällt mir schon seit Jahren auf. Das hängt aber auch damit zusammen dass es zumindest bei Frauen keine wirkliche Frisurenmode oder Trends mehr gibt.
    Am meisten fiel es mir einmal auf, als ich beim TV Zappen ungewollt in Germanys Next Top Model stolperte und es die erste Folge war. Die Mädels hatten ALLE lange Haare und Mittelscheitel egal ob die Haarqualität das hergab oder nicht. Und ja, bei den Herren ist das seit dem letzten 10-15 Jahren sehr viel spannender und abwechslungsreicher.

    ***
    „Never gets old: Die Aufregung, wenn ich herausfinde, dass eines meiner Internet-Idole weiß, dass es mich gibt.“

    Ja, das ist bei den zahlreichen Geburtstagswünschen vor ein paar Tagen auch passiert. And it made my day, aber sowas von!

  14. Nadine meint:

    Ich als Frau kurz vor der 40, erlebe es auch immer wieder, dass mein von mir geliebter Kurzhaarschnitt bewertet bzw. abgewertet wird. Ich solle mir die Haare doch bitte lang wachsen lassen. Das sähe schöner aus. Und das ist definitiv eine glasklare Erwartung, ich habe als Frau so schön auszusehen wie möglich. Und das ich das nicht so sehe und auch nicht tue, ist wie eine Form der Rebellion. Also, ich rebelliere gar nicht gezielt, aber ich mache da auch nicht mit.
    Und ich färbe auch mein Grau nicht (wobei das will ich noch, weil ich da selbst Lust drauf hab), und auch das sorgt für interessante Bemerkungen.

    Was die langen glatten Haare angeht, ja, das ist bei meinem Sohn, alle 7 – 8 Jahre, in der Klasse so. Einzig zwei Mädchen tragen regelmäßig Zöpfe, ansonsten lang und gescheitelt…

  15. Vinni meint:

    Ich hatte mir über die Coronajahre die immer kurzen Haare doch mal lang wachsen lassen (im Homeoffice sieht niemand die scheußliche Übergangsphase und vielleicht ist ja doch was dran an den erstrebenswerten langen Haaren).

    Aber was für ein Aufwand jedes mal mit Waschen und Trocknen! Und immer hingen sie irgendwie lästig im Gesicht oder ich hab mich nachts schier daran stranguliert. Das war den möglichen Mehrwert des “andere Leute finden lange Haar besser” für mich nicht wert – welche Erleichterung, als sie endlich wieder kurz waren und wie sehr war ich überrascht, dass ich mit kurzen Haaren wieder ich war.

    Als Experiment war das für mich sehr erhellend – und ich fürchte, die ganzen Langhaarmädels wissen gar nicht, wie einfach Haare sein können, weil sie es nicht anders kennen…

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