Journal Montag, 11. September 2023 – Sommerabend im Schnitzelgarten, Jenny Erpenbeck, Geschichte vom alten Kind

Dienstag, 12. September 2023 um 6:34

Gute Nacht, ich hätte gerne länger als bis Weckerklingeln geschlafen.

Die Nacht musste sehr mild gewesen sein, ich konnte nach Pflanzengießen und Wäscheabnehmen ohne dicke Socken nochmal meinen Morgenkaffee (den 23. der Saison) auf dem Balkon nehmen. Wahrscheinlich erreiche ich die Rekordzahl nicht nur wegen des Nachsommers, sondern weil es davor keine Wochenenden gab, an denen es mir bereits morgens zu heiß auf dem Balkon wurde.

Ich genoss den Weg in die Arbeit in einem schwingenden Röckerl.

Letztes Mal Gollierstraße ohne Schulkinder, am Dienstag beginnt auch in der Bayern der Unterricht des Schuljahrs 2023/24.

Als ich mich im Büro setzte, bekam ich vorm Fenster gleich mal eine Flugshow überm benachbarten Hochhaus zu sehen: Ein Dutzend Krähen und drei Falken umeinander.

Im Verlauf des Morgens stellte ich fest, dass sich meine Stinkphase fortsetzt: Seit ca. zwei Wochen riecht auch das leiseste Transpirieren (voll-desodoriert natürlich) unangenehm, wieder mal Hormone, schätze ich.

Außerdem hoher Fenistil-Verbrauch: Mein Schafzimmer scheint einer besonders aggressiven Stechmücke Obdach zu bieten, zwei riesige Stiche am linken Bein schmerzten unangehm, bei jedem Bitzeln auf der Haut befürchtete ich das Erscheinen eines weiteren.

Zwischen Terminen keine Zeit für externen Mittagscappuccino, es musste der schreckliche Automat herhalten. Aber ich hatte Zeit für Mittagspause, in der es eine übrige Semmel vom Sonntag sowie Mango mit Sojajoghurt gab.

Nachmittags Schwindel, brauchte auch kein Mensch. Dennoch marschierte ich nach der Arbeit über Lebensmitteleinkäufe in die Stadt für Besorgungen. Diese legte ich daheim nur kurz ab, denn ich war mit Herrn Kaltmamsell sommerlich nochmal im Schnitzelgarten verabredet. Wir saßen in milder Abendluft, keine Jacke nötig.

Zum alkoholfreien Weißbier ein Gorgonzola-Cordonbleu – ich aß alles davon, und mit Genuss (möglicherweise macht man hier meine liebsten Pommes). Um uns auffallend viele eher junge Touristen von anderen Kontinenten; wieder mal hatte ich den Verdacht, dass das versteckte Lokal in irgendeinem Reiseführer empfohlen wird (nicht aber von Influencern, sonst würde Schlange gestanden).

Daheim passte sogar noch Schokolade hinterher.

Im Bett neue Lektüre: Ich war meine Wunschliste danach durchgegangen, was gerade in der Stadtbibliothek zur Verfügung stand, und der erste Treffer war Eva Biringer, Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen.

Gestern war übrigens der Tag, an dem ich von der Existenz von Gürtelmullen erfuhr, auf Englisch “pink fairy armadillos” – herzallerliebst!

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Jenny Erpenbecks Geschichte vom alten Kind wurde offensichtlich bei Erscheinen 1999 vor allem als Parabel rezipiert – ich kann nachvollziehen, dass die eigentümliche, naive, schlichte Sprache, die mich an Märchen erinnerte, dorthin führt.

Ich wiederum ließ mich ganz von diesem Sound der Geschichte fangen und genoss es, auf der Oberfläche zu lesen, Assoziationen und Stimmunge über mich fließen zu lassen, mich davon überraschen zu lassen, wie auch diese Schlichtheit witzige Pointen ermöglicht.

Inhaltlich bleibt viel offen. Wir sind beim Lesen meist ganz in nah an diesem titelgebenden Mädchen (namenlos und durchgehend “das Mädchen”), an seinem mächtigen Körper, seinem Mondgesicht, seinem Erinnerungs-losen Zurechtfinden im Heim und unter den anderen Kindern. In den nur gut hundert Seiten ohne Nebenhandlung und charakterisierte Nebenfiguren bleibt doch genug Platz für Wendungen und Überraschendes.

Wieder mal erwies sich als für mich genau richtig, dass ich vor der Lektüre keine Rezensionen kannte und auch nicht die Entstehungsgeschichte des Romans, die der Verlag offensichtlich zum Verkauf des Buchs verwendete: So konnte mich auch das Ende aus erster Hand mitnehmen (praktisch alle Rezensionen spoilern, WARUM). Mal wieder fühlte ich mich in meiner Haltung bestätigt, dass der Autor, die Autorin und die Genesis besser keine Rolle beim Lesen spielen.

Ein kleines Meisterwerk – dennoch würde ich es ob seiner Seltsamkeit nicht jedem und jeder empfehlen.

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Welch ein Verlust:
“Trauer um Musikkabarettistin Burgi Well von den ‘Wellküren'”.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Montag, 11. September 2023 – Sommerabend im Schnitzelgarten, Jenny Erpenbeck, Geschichte vom alten Kind

  1. Rainer meint:

    Du liegst mit Deiner Vermutung richtig, der Schnitzelgarten steht unter anderem im Lonely Planet für München und – mea culpa – wir schicken auch ganz gerne Gäste hin.

  2. Marlies meint:

    Bei Mückenstichen kann ich „ https://www.dm.de/moskinto-mueckenstichpflaster-soforthilfe-p4260310412290.html?wt_mc=shopping.google.lia.PflegeParfum&setSelectedStore=DE-1065&hc_tid=10156470C4751PPC&gclid=EAIaIQobChMI4a3IpqekgQMVAwQGAB2O_ATyEAQYAyABEgJ6XvD_BwE“ empfehlen

  3. die Kaltmamsell meint:

    Ha, Rainer: Exakt Lonely Planet war ob der Klientel seit Jahren meine Vermutung. Und keinerlei “culpa” – herzlich willkommen!

  4. Sanne meint:

    Vielen Dank für die Zeilen zu Jenny Erpenbeck.
    Zum gleichen Thema wie Eva Biringer auch:
    Daniel Schreiber – Nüchtern. Über das Trinken und das Glück.

  5. adelhaid meint:

    Schnitzelgarten ohne Tischdecke? Was geht??

  6. die Kaltmamsell meint:

    Alle zu Oktoberfesthemden umgearbeitet plus Lieferkettenprobleme, nehme ich an, adelhaid. (Schon seit vergangenem Jahr, Corona hat Stil kaputtgemacht.)

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