Journal Samstag, 16. September 2023 – Ausflug nach Landsberg: Der Keiler und ich

Sonntag, 17. September 2023 um 9:42

Paarmal war ich nachts aufgewacht, schlief nach Herablassen des Rollladens aber bis nach sieben. Das Wetter draußen durch und durch sonnig, aber morgenkalt.

Herr Kaltmamsell war am Freitag auf einem Betriebausflug nach Landsberg und ins dortige Wildgehege gekommen. Das hatte ihm mit seinen omnipräsenten Rehen und Hirschen so gut gefallen (Beweisstück ein Gruppenfoto mit Kolleg*innen, in dessen Hintergrund nur wenige Meter entfernt ohne Zaun gemütlich ein Reh graste), dazu eine Suhle voller Wildschweine samt Frischlingen, dass er es mir zeigen wollte: Er schlug diesen Spaziergang als Samstagsunternehmung vor. Also ließ ich meine Laufpläne möglichst weit weg vom Oktoberfestausbruch fahren und fuhr mit ihm nach Landsberg – ebenfalls schön weit weg vom Oktoberfest.

Wir gingen gegen den Strom von Bayern-Cosplayer*innen in Billigstverkleidung zum Bahnhof, mit einmal Umsteigen in Kaufering kamen wir problemlos und pünktlich nach Landsberg – das sich gleich beim Einbiegen von der Bahnhofsstraße in schönster Pracht zeigte.

Rätselhafte Übersetzung ins Englische – ein hochspezieller Fachterminus oder einfach der nächstbeste Begriff aus dem Wörterbuch?

Wir bogen in den Lechweg gen Süden und Richtung Wildgehege. Vom zugehörigen Parkplatz strömten allerdings so viele Familien mit Hunden und lauten Kindern, dass Herr Kaltmamsell alle Hoffnung auf gelassene Reh- oder Hirschbegegnungen fahren ließ.

Doch wir genossen die herrliche Spätsommersonne, das Licht durch Mischwald. Die vielen Familien verstreuten sich nach einer Weile, und am Wildschweingehege kamen wir dann doch auf unsere Kosten.

Von Herrn Kaltmamsell eine Aufnahme: Der Keiler und ich.

Im weiteren Verlauf des Spaziergangs wurden die Wege noch ruhiger – und ich bekam mein erstes Reh zu sehen.

Herr Kaltmamsell steuerte die Wirtschaft Teufelsküche an; mit Blick auf den Lech, hier übrraschend weitläufig, bekam ich meinen Mittagscappuccino. (Das ebenfalls bestellte alkoholfreie Weißbier gegen Durst allerdings nicht – wir waren mitten in die Mittagessenszeit geraten, es war viel los, da geht schon mal was durcheinander.)

Ein Blick auf mein Smartphone zeigte, dass mehrfach dieselbe unbekannten Nummer angerufen hatte. Ich erwartete keinen Anruf (Arzt, Friseur, Spedition), schon gar nicht am Wochenende, da musste sich jemand verwählt haben. Aber offensichtlich handelte es sich um ein dringendes Anliegen, also rief ich zurück um Bescheid zu geben. Es meldete sich jemand sehr erleichtert, “dass wir endlich zusammenkommen”, doch der Name sagte mir nichts. Nach einer Weile (in solch einem Fall weigere ich mich, meinen Namen zu nennen) stellte sich heraus: Das war die Vermieterin meiner Ferienwohnung für den Wanderurlaub, die auf diesem Weg meine Ankunftszeit nächste Woche erfahren wollte. Ich vertröstete sie auf eine E-Mail nach Möglichkeit, diese Zeit nachzuschlagen (“ich bin unterwegs” – d’uh!), wehrte Ansinnen ab, mich am Bahnhof abzuholen (meine Recherchen hatten zehn Minuten Fußweg ergeben).

Was für eine Aufregung, zumal ich mich gleich im Anschluss grämte, weil ich so unfreundlich gewesen war. Es wird Zeit, zumindest an meinem privaten Handy die Anrufbeantworter-Ansage meiner Träume einzurichten: “Bitte legen Sie auf und schreiben Sie mir eine Nachricht.”

Wir waren noch nicht ausspaziert, die Sonne schien weiter aufs Herrlichste und mittlerweile auch sommerlich heiß. Also gingen wir noch den Lech-Zufluss Teufelsküche hoch, oben weiter bis zum nächsten Ort Pöring.

Auf dem Lech mehrere Dutzend Schwäne, die hin und wieder auch flogen.

Schloss Pöring mit leider geschlossener Schlosskirche Maria von der Versöhnung (da frage ich mich ja schon: Was hatte sie denn ausgefressen?) (und ob es wohl den spanischen Frauennamen Maria del Reconcilio gibt? “Reco” gerufen?).

Schloss von unten, denn jetzt gingen wir hinunter an den Lech und zunächst dort entlang zurück nach Landsberg, machten aber wieder die Schleife übers Wildgehege – und diesmal begegneten wir vielen Rehen.

Bis zur Rückfahrt des Zugs war noch Zeit für ein bisschen Umschaun in Landsberg, Herr Kaltmamsell gab weiter, was er am Vortag über das Städtchen erfahren hatte.

Es herrschte eine sympathische und sehr lebendige Atmosphäre, besonders gefiel mir das Leben am Fluss – ich bin ja in Ingolstadt mit einem ausgegrenzten Fluss großgeworden, habe studiert in einer Stadt, die sogar zwei Flüsse nicht wirklich ins Leben einbindet, nämlich Augsburg.

Beim Warten auf die Rückfahrt aß ich um halb vier dann doch mal was, auch wenn ich weiter keinen Appetit hatte, nämlich einen mitgebrachten Apfel (aber sicher bin ich essgestört, allerdings nur minimal mehr als die Mehrheit unserer Gesellschaft). Reibungslose Heimreise mit einmal Umsteigen, wir trafen in München noch vor größeren Oktoberfestausschreitungen ein.

Zeitunglesen auf dem Balkon, eine Runde Yoga-Gymnastik, erstmals Ansetzen der legendären Frühstücksbrötchen von @melaniegywer.

Während Herr Kaltmamsell den ersten Ernteanteil-Blumenkohl der Saison in ein sahniges Curry verwandelte, machte ich uns als Aperitif Gin Tonics.

Im Hintergrund Oktoberfest-Rückkehrende.

Das Curry schmeckte mir gut, auch wenn Aloo Gobi mein Favorit bleibt. Dazu ein geschenkter Rosé-Winzersekt, der mir mit Rosenparfum und Himbeerkaugummi zu künstlich schmeckte. Zum Nachtisch probierte ich endlich den Zwetschgenkuchen.

Gut! Und Schokolade.

Im Bett Endspurt des Besoffen-Buchs von Eva Biringer. Sie schildert, wie viele negative Charaktereigenschaften an ihr verschwanden, als sie nüchtern wurde – die ich fast durchwegs an mir wiedererkannte, nur dass ich sie leider nicht einfach durch Alkoholaufgabe ausschalten kann.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Journal Samstag, 16. September 2023 – Ausflug nach Landsberg: Der Keiler und ich“

  1. stattkatze meint:

    Unbefahrbar = unshootable :) Fachterminus aus der Paddel- und Kajakwelt etc. Es gibt auch unshootable waterfalls. – Und so ein schöner Ausflug wieder einmal!

  2. die Kaltmamsell meint:

    Danke, stattkatze! Herr Kaltmamsell kannte den Ausdruck von unwegsam rauhem Wassergelände, hatte ihn aber nicht an einer schlichten Kante erwartet.

  3. Corsa meint:

    Vielleicht eine Lösung für die Anrufe
    https://vowe.net/2022/11/14/textbaustein-kgn/

    Ich bekomme zumindest immer noch eine Textnachricht im Anschluss, auf die ich antworten könnte.

  4. Elisa meint:

    Als Jägersnichte erlaube ich mich hier Korinthen zu ähm verdauen: In Wildgehegen gibt es keine Rehe. Die lassen sich nicht in Gehegen und Gruppen halten.
    Und als Stillende neide ich ganz offen den Gin Tonic. Sieht fantastisch aus!

  5. adelhaid meint:

    ist essen wenn man hunger hat eine störung?
    wenn ich nicht arbeiten muss, esse ich auch zumeist erst gegen mittag etwas. allerdings muss morgens der milchkaffee sein. ohne weitere anstrengungen oder funktionierenmüssen reicht die milch dann aber lang.
    beim laufen ist es bei mir übrigens auch ähnlich:am leichtesten und längsten laufe ich, wenn auf dem weg zum parkeingang und dem damit verbundenen streckenbeginn der magen einmal leicht knurrt.

  6. Corsa meint:

    @Elisa – Verständnisfrage: Es sind keine Rehe sondern …. ? Oder es ist kein Gehege?

  7. Elisa meint:

    @Corsa, Meist ist es Damm- oder Rotwild. Rehe sind schmaler, haben einen anderen Kopf und sind sehr einzelgängerisch. Rotwild, Dammwild, Rehe und Elche sind alle aus der Familie der Hirsche, nur unter sich eigene Gattungen.

  8. Corsa meint:

    @Elisa: Danke! Ich hatte für mich den Begriff „Dammwild“ als Oberbegriff für alles von Ihnen aufgezählte erkoren.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Wie ruft man dann beim Anblick aus, Elisa: “Da! Ein Hirsch!”?

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