Journal Freitag, 20. Oktober 2023 – Gesetzesentwicklung in der Praxis
Samstag, 21. Oktober 2023 um 8:43Wieder vom Wecker aus tiefem Schlaf gerissen worden, Vorfreude auf das wochenendliche Ausschlafen.
In der ersten Desorientierung musste ich die allgemeine Lage überlegen: Da der gestrige Freitag einen Gerichtstermin und eine Deadline enthielt, fühlte er sich nicht sich freitäglich erleichtert wie sonst an, der Vortrag am Montag und zu Organisierendes am Wochenende wirkten nicht recht wochenendlich frei.
Wegen Gerichtstermin fuhr ich mit dem Rad in die Arbeit, es war angenehm mild.
Den Vormittag arbeitete ich so intensiv durch wie schon lang nicht mehr, allein schon wegen der zeitlichen Begrenzung bis Mittag: Ich kann’s also noch.
Schneller Mittagscappuccino in der Nachbar-Cafeteria, die Aussicht auf einen In-house-Nachfolger hat sich mittlerweile auf Februar verschoben. Als Mittagessen gab’s zwei Äpfelchen, außerdem drei hartgekochte Eier, die dringend wegmussten, also Appel und Ei.
Rüberradeln durch sonnig-gemischtes Wetter ans Justizzentrum; ich brauchte weder Mütze noch Handschuhe, den Ledermantel knöpfte ich nur zu, weil er sonst störend aufgeflattert wäre.
Den Nachmittag verbrachte ich in einem Sitzungssaal des Amtsgerichts an der Richterbank, Fortsetzung der Verhandlung von vor zwei Wochen. Das Resultat war eine empfindliche Haftstrafe für etwas, das vor der Reform des Sexualstrafrechts 2016 nicht mal eine Straftat gewesen wäre (Strafmaß lag unter dem Antrag Staatsanwaltschaft, Verteidigung plädierte auf Freispruch).
Ich bin wirklich, wirklich froh, dass die aktuelle Gesetzgebung die Schuldumkehr beendete, also dass die Schuld des Täters für eine Straftat dem Opfer zugeschrieben wurde. Sie kennen sicher auch die unsäglichen Kommentare (kein Bezug zum gestern verhandelten Fall): “sie hätte halt besser aufpassen müssen”, “hätte sie sich halt nicht so angezogen”, “hätte sie halt nicht so viel getrunken” – dass nichts davon ein Sexualdelikt rechtfertigt oder gar entschuldigt, ist seit 2016 auch gesetzlich festgelegt.
Diese dreieinhalb Stunden waren sehr anstrengend gewesen, körperlich wie seelisch. Dennoch hatte meine Aufmerksamkeit genug Kapazitäten frei, wieder die eigentümliche Sprachverwendung in dieser Umgebung zu registrieren: Dass die Stellungnahme des Angeklagten “Einlassung” heißt, dass statt informieren meist “vorhalten” gesagt wurde (z.B. “Die Fotos und die Aussage des Zeugen wurden der Geschädigten vorgehalten.” = ihr gezeigt und vorgelesen).
Mit diesem Jahr endet meine Zeit als Schöffin: Ich habe für die nächsten fünf Jahre keine der Berufungen erhalten, die im September versendet wurden. Das bedauere ich, doch zum einen konnte ich aus diesen vergangenen Jahren bereits sehr viel mitnehmen, zum anderen haben die Info- und Werbekampagnen zum Schöffenamt wohl in München gefruchtet und sehr viele Bewerbungen ausgelöst: Das freut mich wirklich von Herzen.
Ich musste nochmal ins Büro, dort nach ein paar Angelegenheiten sehen, Rechner einpacken, um mich auf den Vortrag am Montag final vorzubereiten. Für Freitag war das ein eher später Feierabend, auf dem Heimweg radelte ich durch immer noch milde Luft am Vollcorner vorbei, letzte Lebensmittel für wochenendliche Koch- und Backpläne.
So spät hatte ich daheim keine Lust mehr auf Yoga-Gymnastik, viel mehr auf den Freitagabend-Drink. Erst mal erledigte ich meinen Teil der Abendessens-Vorbereitung.
Ich befasste mich mit diesem Riesen-Exemplar Endivie aus unserem Ernteanteil. Ein Drittel davon ergab eine große Schüssel Salat mit Tahini-Dressing. Dann aber endlich Drinks.
Nach Langem gab’s wieder Cosmopolitans, ich hatte Zutaten auf dem Heimweg besorgt. Und weil ich den Cranberry-Muttersaft nur in einer großen Flasche bekommen hatte, wird’s jetzt wohl häufiger Cosmopolitans geben.
Zu Essen hatte ich mir gepfefferte Rinderleber gewünscht (Rezept nach Delia Smith), Herr Kaltmamsell servierte sie mit Spinat aus Ernteanteil (beides hervorragend). Im Glas ein spanischer Rotwein Dehesa la Granja, passte gut.
Zum Nachtisch hatte Herr Kaltmamsell Vanillepudding gekocht, dazu probierten wir den Rumtopf mit Trockenfrüchten, den ich Ende August angesetzt hatte. Zu unserer Überraschung waren die Früchte noch nicht weichgezogen, vielleicht mische ich auch zusätzlichen Zucker drunter.
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Ich schenke Ihnen wieder einen Artikel von Krautreporter: Tabea Berger hat recherchiert, welche Folgen die Umstellung von ALG II, vulgo “Hartz 4”, auf Bürgergeld bislang hatte.
“Bürgergeld: Immerhin droht einem das Jobcenter nicht mehr”.
12 Kommentare zu „Journal Freitag, 20. Oktober 2023 – Gesetzesentwicklung in der Praxis“
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21. Oktober 2023 um 8:52
Dass der Rumtopf noch nicht richtig durchgezogen ist, ist nachvollziehbar. Wie ich von meiner Oma gelernt habe, läuft es mit einem Rumtopf nämlich so: Man nimmt man alle Früchte, die im Laufe des Jahres so im Garten anfallen und wirft sie mit viel Zucker in den Rumtopf. Das erste Mal kostet man den Rumtopf frühestens am ersten Weihnachtsfeiertag. Vor dem 25.12. schmeckt er nicht, das ist Gesetz.
21. Oktober 2023 um 9:46
Das Konzept des Bürgergeldes kommt zum falschen Zeitpunkt. Als z. B. keine Jobs da waren, hatten Sanktionen wenig Sinn. Zur Zeit aber schon. Oder warum sollte man jetzt, wo gerade fast alle Branchen unter Arbeitskräftemangel leiden, Betriebe z. T. schon schließen müssen (und somit in Zukunft auch als Arbeitgeber wegfallen!), die Menschen nicht zur Annahme einer fachfremden Arbeit verpflichten, anstatt ihren Lebensunterhalt als Steuermitteln zu finanzieren? Das geht für mich leider absolut in die falsche Richtung und schadet nicht nur den öffentlichen Kassen, sondern auch der Wirtschaft. Man kann doch erst mal in einem Supermarkt oder in der Gastronomie arbeiten und parallel in der eigenen Branche weitersuchen.
21. Oktober 2023 um 10:06
Vielen Dank für den Artikel!
Sonni, wenn das alles so einfach wäre ….
21. Oktober 2023 um 10:25
Ihr Gedanke, Sonni, ist grundsätzlich richtig. Nur leider ist es in der Praxis so, dass man durch “ein Gastspiel” z.B. im Supermarkt und in der Gastronomie die Chance, im Originalberuf zu arbeiten, quasi verwirkt. Es gilt allgemein, dass eine gewisse Qualifikation nach einem Zeitraum von rd. 3 Jahren überholt und bzw. unbrauchbar geworden ist. Man bekommt also hier keine Anstellung mehr.
Die “minderwertige” Anstellung wieder zu kündigen ist nicht ohne weiteres möglich, da man im Misserfolgsfall einer neuen Arbeitsaufnahme von Sanktionen des AA bzw. Jobcenters bedroht ist, da man seine Lage ja selbst verschuldet habe.
Diese Situation hat zumindest in der Vergangenheit dazu geführt, das qualifizierte Personen in Hilfsjobs verharren mussten, um wenigstens einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten. Davon profitierte z.B. die Zeitarbeitsbranche, die Mitarbeiter als qualifiziert verkaufte, jedoch als Helfer zum Mindestlohn bezahlte.
21. Oktober 2023 um 10:51
Nun ja, dann lieber 3 Jahre im Sozialbezug als in der Zeit für sich selbst aufzukommen? Welchen Arbeitgeber möchte man damit bitte beeindrucken? Ich rede hier auch nicht einfach so daher, sondern arbeite in dem Bereich – und bleibe dabei: das Bürgergeld wäre zur Zeit der Massenarbeitslosigkeit am Platz gewesen, setzt aber jetzt ganz falsche Signale.
21. Oktober 2023 um 11:51
Ihre Berichte über das Amt als Schöffin haben dazu beigetragen, dass ich mich beworben habe. Ich wurde berufen und freue mich sehr darüber.
21. Oktober 2023 um 12:01
Wie Lempel beschreibt machen auch wir seit je unseren Rumtopf. Und der ist lecker. Er braucht aber Zeit zum Ziehen und auch in unserem Fall ist Weihnachten bzw. mitunter schon die Adventszeit das angestrebte Öffnungsziel. Ich vermute, allerdings ohne Erfahrung, dass Trockenfrüchte noch länger brauchen.
21. Oktober 2023 um 13:28
Ich finde die Diskussion hier über das Bürgergeld interessant, spiegelt sie doch die öffentliche Diskussion. Und sie zeigt, dass es verschiedene Ziele gibt:
– Wie werden möglichst wenig Steuergelder für Menschen ausgeben, die in materielle Not geraten?
– Wie ermöglicht man Menschen, die in materielle Not geraten, langfristig eine befriedigende Rückkehr in eigenständiges Leben?
Und diese Ziele werden unterschiedlich priorisiert.
21. Oktober 2023 um 19:43
Ich habe in den letzten 8 Jahren immer wieder Menschen zu Gesprächen mit ihren SachbearbeiterINNEn beim Jobcenter begleitet. Mein Eindruck: Viele neue Worte, aber von der Substanz hat sich nicht viel zum Positiven geändert.
22. Oktober 2023 um 8:16
Fehlendes aktuelles Wissen lässt sich doch aufholen, wenn die Grundlagen vorhanden sind. In meiner Firma werden sogar gezielt Menschen mit bestimmten Grundvoraussetzungen, aber *ohne* Spezialwissen gesucht, weil Leute mit Spezialwissen ohnehin nicht zu kriegen sind. Da wäre ein Zwischenspiel im Supermarkt kein Hinderungsgrund, wenn der Rest stimmt und die Person bereit ist, fehlendes Fachwissen zu lernen.
23. Oktober 2023 um 16:46
Meiner Erfahrung nach hat sich durch die Einführung des “Bürgergeldes” für die Betroffenen (Leistungsempfänger:innen + Mitarbeiter:innen) kaum etwas zum Besseren geändert. Als kleinen Einblick in die Wirklichkeit kann man den Brandbrief aus dem Jobcenter Dortmund lesen https://harald-thome.de/files/pdf/2023/Brandbrief_Jobcenter_Dortmund.pdf
24. Oktober 2023 um 10:22
Mich haben Sie auch zur Bewerbung als Schöffin influenced, aber berufen wurde ich wegen der zu zahlreichen Bewerbungen auch nicht. Immerhin versucht hab ich es. :)