Journal Montag, 9. Oktober 2023 – Krankmeldung mit Ansage

Dienstag, 10. Oktober 2023 um 9:59

Ich stellte meinen Wecker eine Stunde später, aber für die Arbeit: Plan war, im (derzeit allein besetzten) Büro das Dringendste wegzuarbeiten, mich dann krank zu melden und den Rechner mit heim zu nehmen (nur für den inneren Frieden, dass nichts anbrannte: es ist gerade personell ein sehr ungünstiger Moment für Krankwerden). Auf dem Weg nach Hause wollte ich in meiner Hausarztpraxiskette vorbeischauen, ob mich dort zufällig Arzt/Ärztin kurz untersuchen und mit Tipps versorgen konnte, auch für ein gerötetes und schleimig suppendes Auge, ganz neues Feature. Alternativ würde ich mich in einer Apotheke beraten lassen, das verschiebt sich ja seit Jahren bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden.

Die Nacht war ok gewesen, und ich fühlte mich auch nur mittel krank, doch ohne Stimme bin ich halt original arbeitsunfähig. (Teste weiterhin auf Corona, nicht dass sich dieses Virus unter dem Schutz einer anderen Krankheit einschleicht.)

Problemloser Marsch in die Arbeit, aber eine Stunde später als gewohnt durch eine andere Welt. Dringendes weggearbeitet, meine Umgebung darauf vorbereitet, dass ich mich nachmittags in den Krankenstand verabschieden würde. Mit Belustigung auf allen Seiten wieder mal erlebt, wie alle mitflüstern, wenn man selbst zum Flüstern gezwungen ist.

Mittagessen: ein Apfel (Rubinette – gekauft wegen des Namens, doch die Sorte schmeckt mir überdurchschnittlich gut: eher auf der süßen Seite, würde ich nicht zum Backen verwenden), eingeweichtes Muesli mit Joghurt. Da ein Teil meines vielteiligen Wesens sich dann doch eingestehen musste, dass dieses Körpergefühl “Krankheit” bedeutete, hängte ich mich nochmal ins Terminbuchungssystem meiner Hausarztpraxiskette und erklickte einen Nachmittagstermin in der Filiale im Lehel.

Ich nahm die U-Bahn, stieg aber schon am Stachus aus, um zu ein wenig Luft und Bewegung zu kommen. Die Jacke überm Baumwollpulli brauchte ich bald nicht mehr, es war schwül unter düsterem Himmel.

Die Ärztin diagnostizierte grippalen Infekt, Rachen sehe “nicht schlimm” aus (sie gab allerdings zu, dass sie nicht bis zum Kehlkopf sehen konnte), das verschleimte Auge sei ebenfalls Folge der Erkältung. Ich bekam die Hausmittel-Tipps, die auch in Frau im Spiegel stehen, ließ mich bis Mittwoch krank schreiben (Ärztin: “Mindestens!”, also gutes Gewissen), holte mir das Ok für meinen Erkältungslikör vorm Schlafengehen.

Heimweg mit Tram und zu Fuß, unterwegs noch ein wenig Lebensmitteleinkäufe, es regnete ein wenig.

Daheim ruhige Häuslichkeiten, wie empfohlen Salbeitee gegurgelt, Lesen, ich legte mich mit den empfohlenen Salbeitee-getränkten Wattebäuschen auf den Augen ein wenig hin. Kleine Slapstick-Einlage, als das Stationär-Telefon klingelte, ich sah, dass der Anruf von meinen Eltern kam und ranging – dabei vergaß, dass ich ja keine Stimme habe.

Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich musste selbst für mein Abendessen sorgen. Er hatte extra den Radicchio vom Ernteanteil dafür eingeplant, ich machte ihn mit Balsamico-Dressing, Schimmelkäse und ein paar gebratenen Champignons an.

Zum Nachtisch war noch reichlich Schokolade im Haus, diesen Gang nahm ich mit dem eben heimgekehrten Herrn Kaltmamsell ein.

Paradoxe Nebenwirkung des Wahlhelfens: Ich bekomme Ergebnisse deutlich später mit als früher, nämlich erst nach Dienstende. Gestern versuchte ich bis zur mittäglichen Zeitungslektüre woanders hinzusehen, verschob den Schmerz. Wie Herzbruch hatte ich vergeblich auf ein Wunder von Bern gehofft.

Früh ins Bett, die Erkrankung fühlte sich nicht wie der gewohnte grippale Infekt an mit seinen Schluckschmerzen bis in die Ohren seit fünf Tagen – aber wenn die Ärztin meinte.

§

Eine der vielen Einordnungen des brutalen und massiven Angriffs der Terrororganisation Hamas gezielt auf die Zivilbevölkerung Israels, doch dieses Interview mit Martin Indyk, ehemaliger US-Botschafter in Israel und Experte für Nah-Ost-Politik, fand ich besonders interessant:
“Why Hamas Attacked—and Why Israel Was Taken by Surprise”.

Was ich als Erklärung sehr gut nachvollziehen kann: Die Illusion, dass Menschen/Organisation sehr wahrscheinlich nicht Dinge tun werden, die ihnen selbst massiv schaden. Weil das verkennt, dass Menschen/Organisationen auch andere Prioritäten haben könnnen. (Brexit anyone? AfD-Wähler?)

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Journal Montag, 9. Oktober 2023 – Krankmeldung mit Ansage“

  1. Die Toni meint:

    Wie z.B. gestern der Botschafter der Palästinenser in GB (ausdrücklich nicht Hamas) das Gefühl großer Teile der hoffnungslosen jungen Generation dort übersetzte: “We’re dying anyway, so at least we die in dignity.”
    Ich möchte das nicht bewerten, aber so kann eine Priorität auch aussehen.

  2. Neli meint:

    Bei den Schluckbeschwerden mit Ohrenschmerzen tippe ich auf angeschwollene Lymphknoten, das habe ich auch manchmal. Da bin ich meist 7 bis 10 Tage krank. Salbeitee und Rotlichtlampe sind meine Hausmittel und natürlich die Mittel aus der Apotheke
    Gute Besserung

  3. Mareike meint:

    Gute Besserung!

  4. @lazycuttlefish meint:

    Gute und baldige Besserung!

    “Erkältungslikör vorm Schlafengehen” klingt gut — handelt es sich dabei um eine spezielle Sorte Likör?

  5. Sonni meint:

    Dignity?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Typisches verzerrtes Mind-set von Selbstmord-Attentäter*innen, Die Toni, durchaus wahrscheinlich.

    Ja, @lazycuttlefish: Wick Medinait.

  7. Susann meint:

    Aus dem Foreign Affairs-Artikel geht ja sehr klar hervor, dass Teile der Hamas (die in der Kommandostruktur wahrscheinlich relativ weit oben stehen) eben nicht den Eindruck haben, dass der Schaden den (politischen) Nutzen überwiegt. Die Hamas-Führung sitzt, soweit ich weiß, auch nicht in Gaza und hat keinen persönlichen Schaden von einer israelischen Eskalation im Gazastreifen.

    Es ist alles so ermüdend.

  8. Alexandra meint:

    Entsetzt und angewidert aber leider nicht überrascht vom Wahlergebnis- das beschreibt es am Besten. Ich beneide weder Bayern noch Hessen grade und doch zeigt sich eben endlich deutlich dass die AfD kein ostdeutsches Problem mehr ist.

    Und von Israel garnicht zu reden – es ist deprimierend. Alles.

    Dennoch wünsche ich gute Genesung!

  9. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Gute Besserung! *mit Schniefnase und Halsschmerzen gesendet*

  10. Ilka meint:

    Gute Besserung!
    Immerhin selbst krankmelden können. Unvergessen, als der Ingenieur mich mal wegen “keine Stimme” abgemeldet hat und einem damaligen Chef bei dessen Unverständnis für die Situation erklärte “was wollen sie denn mit einer Sekretärin, die nicht reden kann?”
    Grüße
    Ilka
    PS: solange der Schokoladengang schmeckt besteht Hoffnung auf baldige Genesung

  11. Beate meint:

    Gute Besserung auch von mir.

    Mir wurde heute erst richtig klar, dass fast jeder fünfte Wähler in Hessen eine rechtsextreme Partei gewählt hat. Mir fehlen die Worte ….

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