Journal Samstag, 14. Oktober 2023 – Wetterergrauung, fesselnder Corona-Podcast, Helen Rebanks, The Farmer’s Wife

Sonntag, 15. Oktober 2023 um 8:57

Gut und lang geschlafen, der Zauber mit dem herabgelassenen Rollladen um fünf wirkte. Ich zog ihn zu düsterem und windigen Wetter hoch, doch mild war es noch immer.

Die Erkältung klang weiter ab, doch meine Augen waren immer noch gerötet und verschleimt.

Gemütlicher Vormittag. Als Sporteinheit absolvierte ich nach Langem mal wieder richtiges Krafttraining inklusive Hanteln mit einer Folge Fitnessblender; anders als bei Kraftaufbau durch Yoga kam ich hier ordentlich ins Schwitzen (hatte aber keine Schwierigkeiten mit Durchhalten). Bei den Criss Cross Crunches rumpeln meine Lendenwirbel inzwischen so laut, als werkle gerade die Müllabfuhr vorm Haus. (Das geht wohl nicht mehr weg.)

Im milden Wind machte ich mich auf eine Erledigungs- und Spazierrunde durch die Fußgängerzone.

Den edlen irischen Tweed-Rock brachte ich dann doch in eine Änderungsschneiderei, um ihn passend machen zu lassen und damit ich nicht wieder einen Winter lang einen dicken Pulli in den Bund stopfen muss. Von Plakaten und aus Tweets der Stadt München wusste ich, dass sich gestern die verschiedenen Bereiche der Stadtverwaltung auf und um den Marienplatz präsentierten: Durch diese Stände schlenderte ich, informierte mich durch Blicke auf Plakate vor allem über die Verantwortlichkeiten der Referate. Das Angebot wurde gut angenommen, gerade Spiele und Quizes waren frequentiert, am großen Stand des Sozialreferats nutzten viele die Beratungsangebote.

Es blinzelte sogar ein wenig die Sonne durch, meine Jacke steckte ich bald ein.

Daheim frühstückte ich um zwei Äpfel, außerdem aufgetautes selbstgebackenes Brot mit Parmaschinken.
Nächster Programmpunkt: Bügelberg abtragen.

Als Unterhaltung hatte ich das Coronavirus-Update von NDR Info – Folge 118 eingemerkt:
“Empowerment: Mit dem Virus leben lernen”.

Redakteurin Korinna Hennig unterhält sich mit Immunologin Christine Falk unter anderem darüber, wie man sein Covid-Risiko am besten selbst einschätzen kann und welche Bedeutung die Impfung für Langzeitfolgen hat.

Über eine Stunde hörte ich gefesselt zu, lernte viel über die Mechanismen unseres Immunsystems (unter anderem wie ein Immunsystem altert) und was das mit der Weiterentwicklung des Corona-Virus zu tun hat. Zur Fesselung trug die fachliche Leidenschaft von Prof. Dr. Falk bei (“Die Schwangerschaft ist immunologisch ein total spannender Zustand.” – Sie riss dann nur kurz den Hintergrund an: Beitragendes Immunsystem des Vaters / der Körper der Mutter müsste eigentlich den Fremdkörper Foetus abstoßen.), die sehr pragmatische Bilder zur Erklärung verwendete. Es ging auch um methodische Probleme bei der Forschung an Long Covid (u.a.: keine Vergleichsgruppe) und überhaupt an SARS-CoV-2 – das kündigte Korinna Henning als Thema der nächsten Folge an.

Ich war sehr froh, dass ich die Zeit zum Anhören gefunden hatte, Empfehlung.

Allerdings war mit Ende des Podcasts noch nicht das Tal des Bügelbergs erreicht. Was ein Glück hatte ich mir eine Folge “Denk ich an Deutschland” des Deutschlandfunks eingemerkt, nämlich die mit Comicautor Flix:
“Deutschland hat so tolle Fenster”.

Es ging weiter mit Gemütlichkeit, ich las Helen Rebanks, The Farmer’s Wife: My Life in Days aus.

Ich lernte in Helen Rebanks’ Autobiografie eine deutlich andere Frau kennen, als ich sie aus ihrem instagram-Auftritt konstruiert hatte. Sie gehört einer Kultur an, die ich in den vergangenen Jahrzehnten häufig antraf, immer wieder neu erstaunt und verständnislos, die ich aber mit der Erkenntnis “Menschen sind verschieden” anzunehmen lernte.

Ein bekanntes Muster dieser Kultur: Frau wünscht sich als Lebensziel Kinder, Ehemann, Haus, erwartet aber, dass dieser Ehemann für die Kosten aufkommt (“Ich bekomme doch nicht Kinder, damit jemand anders sie aufzieht.” taucht wörtlich mehrfach im Buch auf – das habe ich nicht nur von einer Frau auch in Echt gehört und mich jedesmal gefragt: “Aber der Vater schon?”). In diesem Fall umfasst das vom Ehemann zu finanzierende Lebensziel auch innerhalb weniger Jahre immer wieder neue Häuser samt komplettem Umbau und teurer Einrichtung. Rebanks berichtet von regelmäßigem Streit mit ihrem Mann ums Geld.

Was ich mittlerweile ebenfalls als Bestandteil dieser Kultur kenne: Frau mit leidenschaftlichem Kinderwunsch stellt nach erster Niederkunft (nach eigenen Aussagen) überrascht fest, dass Mutterschaft komplette Fremdbestimmung bedeutet, Dauerbeschallung durch Babygebrüll, Schlafentzug, keine Sekunde für sich selbst, sie ist bis ins Mark erschöpft und ausgelaugt. Findet das aber so erstrebenswert (Helen Rebanks betont mehrfach, dass sie sich das schließlich selbst ausgesucht hat), dass sie weitere Kinder bekommt.

Doch The Farmer’s Wife hat ein Happy End: In der Gegenwart bewirtschaftet Helen Rebanks mit ihrem Mann einen Hof und lebt auch dort (die Kombination ist hart erarbeitet, vorher pendelte James zum Hof), jetzt kann sie ihre Vorstellung von 100 Prozent Mutterschaft mit vier Kindern umsetzen und gleichzeitig zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.

Interessant fand ich auch, wie Helen Rebanks schildert, sie habe sich als junge Frau auf dem Land mit ihren Lebenswünschen Kinder, Ehemann, Haus immer als Außenseiterin gefühlt: Alle Altersgenossinnen hätten Autarkie und finanzielle Unabhängigkeit priorisiert, zum Beispiel durch eigenes Einkommen und Bankkonto auch in der Partnerschaft. Denn mir ging es umgekehrt in der Stadt: Ich fühlte mich als junge Frau mit meinem Autarkie-Wunsch in der Minderheit, als meine Alters-Kohorte (zumindest in der Geburtsstadt) Hausbauen, Baumpflanzen, Kinderkriegen priorisierte.

Sehr nachvollziehbar und berührend waren für mich Helens Kindheits-Erinnerungen: Schon als Kind nimmt sie einen Teil des Familienlebens in die eigene Hand, sorgt dafür, dass es statt Fertiggerichten und Tütenessen von ihr gekochte richtige Mahlzeiten gibt – das gibt ihr das Gefühl, schon als Kind ein wenig selbst über ihr Leben zu bestimmen. Rezepte ziehen sich durch das ganze Buch (allerdings mit den für mich haarsträubenden typisch englischen Mengenangaben in Hohlmaßen, bis hin zu krummen “2 cups plus 2 tablespoons” – wieg’s halt ab!), eingebettet in Geschichten, und es gibt einen Anhang mit Alltagstipps für Mütter von einem Leitfaden für Vorratshaltung bis Rezept-Kategorien wie “Creative lunchbox ideas”, “Easy ways to feed little ones”, “Meals for when I’m in survival mode”.

Zurück zu unserem gestrigen Essen: Herr Kaltmamsell verwandelte den grünschaligen Hokkaido-Kürbis aus Ernteanteil in einen meiner Lieblingssalate. Vorher machte er aus dem restlichen Kakao-Gin Martinis, zum Essen öffnete ich einen Chardonnay, den ich eventuell mal zu Lamm servieren wollte (werde ich nicht, den hatte ich ganz anders in Erinnerung – womöglich meine ich aber auch einen anderen Chardonnay vom Paul Achs im Burgenland).

Eigentlich war ich zu voll für Nachtisch, doch dann ging noch erstaunlich viel Schokolade.

Im Bett Start einer neuen Lektüre, schon lang auf meiner Leseliste: Paula Hawkins, The Girl on the Train.

§

Schönes Interview mit einer Ikone im Guardian:
“Dolly Parton on style, stardom and sexists: ‘I know how to push men off and get the hell away’”.

Dolly Parton gehört zu dem Menschen, die mir Toleranz und Freude an Vielfalt beigebracht haben. Und so kann ich mich heute an den langen Glitzernägeln der Kassendame eines Supermarkts freuen, ihr ein Kompliment dafür machen – und mir aufgeregt Details dazu erzählen lassen. (Es gibt in mir noch genug restliche Vorurteile, Gehässigkeiten und Gemeinheit, an denen ich arbeite.)

Parton has always been sure of her look, even when she was young, a look – as she has said before – modelled on the “town tramp”, a local woman who wore high heels and tight skirts, who Parton would look out for on trips into town. “She was flamboyant. She had bright red lipstick, long red fingernails. She had high-heeled shoes, little floating plastic goldfish in the heels of them, short skirts, low-cut tops, and I just thought she was beautiful. When people would say, ‘She ain’t nothing but trash,’ I would always say, ‘Well, that’s what I’m gonna be when I grow up.’”

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Journal Samstag, 14. Oktober 2023 – Wetterergrauung, fesselnder Corona-Podcast, Helen Rebanks, The Farmer’s Wife

  1. Sabine meint:

    Wie war denn nun das Buch? Lesenswert? (Wenigstens kann ich mir jetzt vorstellen, warum die Rebanks trotz offensichtlicher wirtschaftlicher Bedrängnis das vierte Kind gekriegt haben )

    Falls du mehr Dolly-Content zum Bügeln brauchst, empfehle ich Jad Abumrads schon etwas älteren Podcast “Dolly Parton’s America”, in dem er Dolly Parton lange interviewt und ihre Geschichte akustisch inszeniert – inklusive einer magischen musikalischen Einlull-Szene wie aus dem Märchen. Sein Glück: sein Vater ist der Arzt der Musikerin und stellte den Kontakt her.

    Ich habe erst dadurch erfahren, was für ein musikalisches und schöpferisches Allroundgenie sie ist und seither vermute ich, dass sie vielleicht die einzig wahre Fee auf Erden ist: begabt, klug, knallhart rechnend, lustig und von großer Güte.

    Danke für die Coronavirus-Update-Empfehlung, dann hol ich die Folge doch wieder aus dem Orkus.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Das Buch von Helen Rebanks ist durchaus gut gemacht, Sabine, wenn du gerade nichts anderes lesen magst: Lies es. Ich würde es aber nicht grundsätzlich empfehlen.

  3. Sandra meint:

    Die unangenehme Phase mit den Babys war bei mir und den vielen Müttern, die ich persönlich kenne, so kurz, dass man sie schnell wieder vergisst. Und überhaupt gibt es ja nicht nur Babygebrüll, sondern auch Babylachen, Nähe, Angehimmeltwerden und wenn sie dann beginnen, zu sprechen, lacht man unglaublich viel und lernt mit und von ihnen, bringt ihnen soviel bei. Das hat mein Leben im 40h-Arbeitsalltag total positiv verändert und es für mich wesentlich sinnvoller gemacht. Es war daher keine Frage, ob man das nochmal auf sich nimmt. Und nun sind die ersten 5 Monate wieder rum und mein Mann und ich werden wehmütig, ob das nun das letzte Mal war mit so einem Baby.

  4. Poupou meint:

    Da ich nicht auf Instagram unterwegs bin: was für eine Person hatten Sie sich aufgrund ihrer Instagramdarstellung vorgestellt?

    Liebe Grüße
    Poupou

  5. Sandra meint:

    für mich ist mutterschaft ja unter anderem aus den genannten gründen eher eine horrorvorstellung. es ist aber interessant, dass auch mütter das teilweise anders sehen. eine sehr gute freundin von mir zb meint auch, sie liebt ihr kind über alles, aber würde eben wegen der großen anstrengungen keinesfalls ein weiteres wollen.

  6. Karin meint:

    Dolly Parton habe ich auch sehr, sehr lange unterschätzt.
    In der Mediathek (ZDF), gibts eine tolle Doku über sie. „Dolly Parton – the true Story“

  7. Barbara meint:

    Vergessen viele Mütter die erste Phase wirklich schnell? Ist bestimmt eine Frage der Persönlichkeit aber ich kann mich sehr gut an die erste, sehr schwere Phase des Mutterseins erinnern, ganz besonders an diese spezielle Art der Einsamkeit, die man mit einem Kleinkind erlebt. Die befürchtete Pubertät war viel weniger schlimm. Und jetzt, dass mein einziges Kind ausgezogen ist, träume ich fast jede Nacht von ihm, dass er noch klein ist, dass ich ihn mit mir herumtrage, dass er uns noch „braucht“. Komisch, dass ich mich dabei mit ihm wie mit einem Erwachsenen unterhalte, und auch, dass ich tagsüber nicht traurig oder melancholisch bin, da freu mich mich über die Vorteile des kinderlosen Lebens.

  8. Sabine meint:

    Ich denke, was Kinder angeht, sind die Leute einfach sehr unterschiedlich gestrickt bei. Ich finde gerade die erwachsenen Kinder nochmal toller als die Teenager, die ich schon richtig gut fand; der Mann an meiner Seite gibt sich alle Mühe, den erwachsenen Kindern zu verschweigen, wieviel Sehnsucht er danach hat, ihren möglichst kleinen und niedlichen Nachwuchs zu begroßvatern und betreuen. (Ich weiß, ich fände die dann auch gut, aber die Arbeit! Die Unvernunft!)

    Entscheidend ist doch, dass alle Kindsbedürfnisse oder nicht-Bedürfnisse gesellschaftlich sowohl akzeptiert wie auch umsetzbar sind. Und Menschen sich möglichst nicht in einer Kinder-Situation wiederfinden, die nicht zu ihnen passt. Und Kinder geliebt und gewünscht sein dürfen.

  9. Sandra meint:

    @Barbara: Einsamkeit kenne ich z.B. aus dieser Zeit gar nicht. Vielleicht trifft das aber auch eher Frauen (und Männer!) mit postpartaler Depression, die offenbar oft nicht behandelt wird.
    Es mag wirklich Typsache sein bzw. je nach „Fall“ verschieden. Auch meine heftige 2. Geburt ist nach 5 Monaten zunehmend verblasst, weil einfach wieder neue präsente Themen anstehen (Arbeitsbeginn, Breistart, Kindergarten beim Großen…). Ich habe gar keine Zeit, mich zu grämen und freue mich gerade eher über all die Meilensteine die beiden.

  10. Susann meint:

    Ui, ich hatte mich auf das Buch von Helen Rebanks gefreut und eine gute Ergänzung zu James Rebanks’ Büchern erwartet (“Landwirtschaft aus weiblicher Sicht” oder so). Ihrer Besprechung nach klingt das mehr nach einer Kreuzung aus “Lifehacks für Muttis” und tell-all-Autobiographie. Hm. Weiß jetzt nicht, ob ich dafür Geld ausgeben möchte.

    Mutterschaft/Hausfrauentätigkeit: interessant, dass für Rebanks klassische weibliche Tätigkeiten halfen, als Kind ihre agency to erkennen. Ich glaube, ihr Mann bespricht irgendwo mal, wie schwierig es für Farmer ist, sich überhaupt gesund und “ordentlich” zu ernähren, wenn nicht eine/r für diesen Aufgabenbereich Zeit (und ggfalls Lust) hat. Offenbar ist sie in diese Lücke gesprungen und hat sich als tüchtig und gewertschätzt erfahren.

    Vielen Dank jedenfalls für die Einblicke in das Buch!

  11. Nadine meint:

    Es ist ja auch individuell (und gleichzeitig definitiv auch strukturell). Ich war auch einsam mit dem Kind unter 2, und mir war oft langweilig, obwohl ich Sachen gemacht habe. Aber es kommt doch auch viel auf die Umstände an, wo man wohnt, wie viele Freunde man mit oder ohne Kinder hat etc… Ich war v.a. im Jahr von 1 – 2 einsam und fand diesen Alltag langweilig.
    Ich bin auch eine von denen, die nach einem Kind aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen gesagt hat. Das wars, das reicht; und ich finde es selbst schade, dass ich Mutterschaft als fast traumatisierend anstrengend erlebt habe, trotz bestem Vater dazu!

    Und bei uns wurde alles gut, wir haben seit dem das Kind 2 ist durch die Kita dieses berüchtigte Dorf (in der Großstadt), und jetzt ist es ziemlich nahezu an perfekt. Fahrdienste werden aufgeteilt, ich hab oft zwei oder drei Kinder hier, oder Nachmittage frei, weil mein Kind woanders ist. Die Härte unserer ersten Jahre, die spüre ich aber noch immer… Ich bin mir selbst wahnsinnig dankbar, dass ich den Mut hatte auf mein Gefühl zu hören, kein weiteres Kind zu wollen (in meiner Familie völlig unüblich).

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