Archiv für Oktober 2023

Journal Dienstag, 10. Oktober 2023 – Krank im Oktobersommer

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Was auch gegen die übliche Erkältung sprach: Der Erkältungslikör Wick Medinait zeigte keine Wirkung (außer vielleicht beim raschen Einschlafen), meine Nacht wurde sehr beeinträchtigt durch Schluckschmerzen, morgens auch durch Husten. Ich hatte den Wecker fast so früh wie üblich gestellt, um mit Herrn Kaltmamsell Morgenkaffee zu trinken, stand auch auf. Doch ich servierte nur seine Tasse, selbst legte ich mich nach einer erlösenden Nasendusche wieder ins Bett.

Am unangenehmsten waren weiterhin die Halsschmerzen, ich bewarf sie mit allem, was mir einfiel: gegurgelter Salbeitee, Lutschtabletten, Ibu. Zusammen bewirkte das zumindest Linderung.

Ich schlief bis halb zehn, dann fühlte ich mich bereit für den Tag. Als ich den Rollladen hochzog, sah ich die Menschen draußen in kurzen Ärmeln: Ein weiterer sonniger Spätsommertag, ich öffnete Fenster und Balkontüren. Das Wetter ist dieses Jahr so durcheinander, dass mich die Gleichzeitigkeit von wunderbarem Sommerwetter und Krankheit nicht mal belastete. Keines von beidem gehört sich für 10. Oktober, aus.

Kurz vor Mittag ging ich raus auf einen Spaziergang (doch, das darf man arbeitsrechtlich auch mit Krankschreibung, man darf alles, was zur Genesung beiträgt) (selbstverständlich habe ich das schon vor Langem nachgesehen, Paranoia gehört bei uns zur Unternehmenskultur). Ich kürzte die geplante Strecke schon nach wenigen Schritten, weil halt spürbar krank. Also spazierte ich lediglich um die Theresienwiese, auf der Oktoberfest abgebaut wurde, und den Bavariapark, erledigte ein paar Einkäufe im Vollcorner.

Trompe-l‘œil 2023: Die Ventilatoren sind aufgemalt (Teil eines abgebauten Oktoberfest-Karussells).

Im Bavariapark viel Mittagspausen-Spaziervolk mit angehängtem Firmenausweis, meist in Berufsgespräche vertieft.

Erfreuliche Entdeckung im Vollcorner: Die Meyer-Lemon-Saison hat begonnen! Ich nahm gleich eine mit, Einsatz wird sich schon finden.

Garantierte Laune-Aufhellung: Knabberndes Einchörnchen über mir im Baum.

Zum Frühstück kurz nach zwei kochte ich mir Porridge, dachte “Porridge for the people” und mal wieder traurig an das Fräulein, das nun schon über vier Jahre nicht mehr lebt.

Herr Kaltmamsell kam aus der Arbeit – vorläufig, denn er hatte dort einen Abendtermin. Ich legte mich nochmal Schlafen, war halt doch krank.

Nachmittags traf wie angekündigt eine Kiste Crowdfarming-Papayas ein, zwei Kilo erwiesen sich als zwei Stück, noch komplett grün.

Zeitunglesen auf dem Balkon, Salbeibonbons lutschend (war mir lieber als das Gurgeln mit dem wirklich greislichen Salbeitee).

Als ich sah, dass die nächste Yoga-Folge aus Adrienes Yoga Camp nur 15 Minuten lang war, probierte ich sie, vor allem um dem Zwicken im Kreuz gegenzuarbeiten, wir wollen ja den nächsten Krankheitsausfall wegen Rücken verhindern: Ging gut, tat gut.

Abends war Herr Kaltmamsell beruflich unterwegs, zum Essen machte ich ein Restl Tscholent vom Sonntag warm, kochte Nudeln dazu. Nachtisch Schokolade.

Nach einer weiteren Nasendusche und einem Stamperl Erkältungslikör ins Bett.

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Auf Mastodon Vorschläge gegen die Hilflosigkeit nach den Wahlergebnissen vom Wochenende:

Journal Montag, 9. Oktober 2023 – Krankmeldung mit Ansage

Dienstag, 10. Oktober 2023

Ich stellte meinen Wecker eine Stunde später, aber für die Arbeit: Plan war, im (derzeit allein besetzten) Büro das Dringendste wegzuarbeiten, mich dann krank zu melden und den Rechner mit heim zu nehmen (nur für den inneren Frieden, dass nichts anbrannte: es ist gerade personell ein sehr ungünstiger Moment für Krankwerden). Auf dem Weg nach Hause wollte ich in meiner Hausarztpraxiskette vorbeischauen, ob mich dort zufällig Arzt/Ärztin kurz untersuchen und mit Tipps versorgen konnte, auch für ein gerötetes und schleimig suppendes Auge, ganz neues Feature. Alternativ würde ich mich in einer Apotheke beraten lassen, das verschiebt sich ja seit Jahren bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden.

Die Nacht war ok gewesen, und ich fühlte mich auch nur mittel krank, doch ohne Stimme bin ich halt original arbeitsunfähig. (Teste weiterhin auf Corona, nicht dass sich dieses Virus unter dem Schutz einer anderen Krankheit einschleicht.)

Problemloser Marsch in die Arbeit, aber eine Stunde später als gewohnt durch eine andere Welt. Dringendes weggearbeitet, meine Umgebung darauf vorbereitet, dass ich mich nachmittags in den Krankenstand verabschieden würde. Mit Belustigung auf allen Seiten wieder mal erlebt, wie alle mitflüstern, wenn man selbst zum Flüstern gezwungen ist.

Mittagessen: ein Apfel (Rubinette – gekauft wegen des Namens, doch die Sorte schmeckt mir überdurchschnittlich gut: eher auf der süßen Seite, würde ich nicht zum Backen verwenden), eingeweichtes Muesli mit Joghurt. Da ein Teil meines vielteiligen Wesens sich dann doch eingestehen musste, dass dieses Körpergefühl “Krankheit” bedeutete, hängte ich mich nochmal ins Terminbuchungssystem meiner Hausarztpraxiskette und erklickte einen Nachmittagstermin in der Filiale im Lehel.

Ich nahm die U-Bahn, stieg aber schon am Stachus aus, um zu ein wenig Luft und Bewegung zu kommen. Die Jacke überm Baumwollpulli brauchte ich bald nicht mehr, es war schwül unter düsterem Himmel.

Die Ärztin diagnostizierte grippalen Infekt, Rachen sehe “nicht schlimm” aus (sie gab allerdings zu, dass sie nicht bis zum Kehlkopf sehen konnte), das verschleimte Auge sei ebenfalls Folge der Erkältung. Ich bekam die Hausmittel-Tipps, die auch in Frau im Spiegel stehen, ließ mich bis Mittwoch krank schreiben (Ärztin: “Mindestens!”, also gutes Gewissen), holte mir das Ok für meinen Erkältungslikör vorm Schlafengehen.

Heimweg mit Tram und zu Fuß, unterwegs noch ein wenig Lebensmitteleinkäufe, es regnete ein wenig.

Daheim ruhige Häuslichkeiten, wie empfohlen Salbeitee gegurgelt, Lesen, ich legte mich mit den empfohlenen Salbeitee-getränkten Wattebäuschen auf den Augen ein wenig hin. Kleine Slapstick-Einlage, als das Stationär-Telefon klingelte, ich sah, dass der Anruf von meinen Eltern kam und ranging – dabei vergaß, dass ich ja keine Stimme habe.

Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich musste selbst für mein Abendessen sorgen. Er hatte extra den Radicchio vom Ernteanteil dafür eingeplant, ich machte ihn mit Balsamico-Dressing, Schimmelkäse und ein paar gebratenen Champignons an.

Zum Nachtisch war noch reichlich Schokolade im Haus, diesen Gang nahm ich mit dem eben heimgekehrten Herrn Kaltmamsell ein.

Paradoxe Nebenwirkung des Wahlhelfens: Ich bekomme Ergebnisse deutlich später mit als früher, nämlich erst nach Dienstende. Gestern versuchte ich bis zur mittäglichen Zeitungslektüre woanders hinzusehen, verschob den Schmerz. Wie Herzbruch hatte ich vergeblich auf ein Wunder von Bern gehofft.

Früh ins Bett, die Erkrankung fühlte sich nicht wie der gewohnte grippale Infekt an mit seinen Schluckschmerzen bis in die Ohren seit fünf Tagen – aber wenn die Ärztin meinte.

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Eine der vielen Einordnungen des brutalen und massiven Angriffs der Terrororganisation Hamas gezielt auf die Zivilbevölkerung Israels, doch dieses Interview mit Martin Indyk, ehemaliger US-Botschafter in Israel und Experte für Nah-Ost-Politik, fand ich besonders interessant:
“Why Hamas Attacked—and Why Israel Was Taken by Surprise”.

Was ich als Erklärung sehr gut nachvollziehen kann: Die Illusion, dass Menschen/Organisation sehr wahrscheinlich nicht Dinge tun werden, die ihnen selbst massiv schaden. Weil das verkennt, dass Menschen/Organisationen auch andere Prioritäten haben könnnen. (Brexit anyone? AfD-Wähler?)

Journal Sonntag, 8. Oktober 2023 – Hilfe bei Landtags- und Bezirkstagswahlen

Montag, 9. Oktober 2023

Sehr schlechte Nacht mit Halsweh, Husten, verstopfter Nase. Im Halbwachen überlegte ich, dass ich unbedingt als Wahlhelferin antreten musste, weil als Schriftführerin besonders schwer zu ersetzen, mir aber Krankmeldung am Montag in der Arbeit vorbehielt. (Weiterhin Corona-negativ.)

Das noch frühere Weckerklingeln fühlte sich wie eine Erlösung an. Nach schnellem Milchkaffee mit Herrn Kaltmamsell verließen wir das Haus rechtzeitig, um kurz nach sieben zum Aufbauen am bislang unbekannten Wahllokal einzutreffen. Wir gingen durch überraschend warme Luft, und ich fühlte mich überraschend gesund und fit nach der schlimmen Nacht.

Einsatz-Adresse war eine große Klosteranlage, die jetzt als Altenheim fungiert, darin drei Wahlräume. Es dauerte eine Weile, bis wir jemanden gefunden hatten, der uns unseren zeigen und aufsperren konnte: Ein Gruppenraum des Altenheims, den wir schnell beherzt komplett umbauen mussten, damit er Wahl-tauglich war. Irgendwann musste ich mich ausklinken, um den Schriftführungs-Computer fürs Protokollieren startklar zu machen. Wir öffneten pünktlich.

In den folgenden fünf Stunden der Schicht war ich sehr froh um meine halbwegs gründliche Vorbereitung: Es traten einige Sonderfälle auf, die ich mit vorbereitetem Nachschlagen lösen konnte. Ich hatte mit einem super Team zu tun, um das ich mindestens so froh war, denn fast ab der ersten halben Stunde strömten Wähler*innen in den Raum, davor stand durchgehend eine Schlange. Als ich am Vormittag kurz meinen Platz verließ, um meine Wasserflasche nachzufüllen, wurde es schon eng. Zusätzlich verabschiedete sich nach ein paar Stunden meine Stimme komplett, ich konnte nur noch flüstern. Zusammen mit den seit Tagen andauernden Schluckschmerzen tippe ich dann doch auf Kehlkopfentzündung. Zefix.

Schichtwechsel um eins. Da mich diesmal der ebenfalls wahlhelfende Herr Kaltmamsell nicht mit einem Sonntagsbraten bekochen konnte, waren wir auf einen Sabbat-Trick verfallen: Er hatte einen Tscholent vorbereitet, der über Nacht im Ofen gegart hatte, jetzt nur noch aufgewärmt werden musste.

Obenauf der Kneidel. Schmeckte sehr herz- und nahrhaft.

Den Nachmittag nutzte ich zum Ausruhen: Ich legte mich eine Stunde ins Bett, konnte tatsächlich schlafen, las danach die Wochenend-Süddeutsche.

Zum Schließen des Wahllokals und zum Auszählen traten wir wieder an.

Hinweg durchs ganztägig düster-warme Wetter am Westermühlbach entlang.

Der komplizierte Weg über den Hof zum Wahllokal.

Die Nachmittagsschicht war ebenso gut beschäftigt gewesen wie wir am Vormittag – und die Ärmsten hatten jetzt nicht mal eine Pause.

Für das Auszählen der Erst- und Zweitstimmen bauten wir den Raum wieder um. Die nächsten Stunden waren anstrengend weil hochkonzentriert, selbst bei dieser hervorragenden Zusammenarbeit. Für mich kam als Schriftführerin erschwerend hinzu, dass ich nicht sprechen konnte, mich also auch nur schwer bemerkbar machen, wenn Abläufe und Reihenfolgen nicht den Vorgaben des erfassenden Computers entsprachen. In wichtigen Fällen schnappte ich mir einen Kollegen oder eine Kollegin und bat darum, meine geflüsterten Hinweise laut zu sprechen. Ich war immer froh, wenn ich gerade nichts zu schriftführen hatte und mich am Auswerten und Zählen beteiligen konnte.

Es wurde spät. Abschließend brachten wir den Raum annähernd zurück in Originalzustand.

Zu Hause aß ich völlig erschlagen und ohne Appetit einen Teller Apple Crisp, um nachts nicht von Hunger geweckt zu werden, plante den Arbeitsmontag vor mit wahrscheinlicher Krankmeldung.

Journal Samstag, 7. Oktober 2023 – Genesungstag und Wahlhilfevorbereitung

Sonntag, 8. Oktober 2023

Nach mittelguter Nacht (neues Erkältungsfeature: Reizhusten) horchte ich den (strahlend sonnigen) Morgen über in mich: Es war ferner Besuch in der Stadt, den ich so lang schon nicht mehr gesehen hatte – war ich dafür gesund genug? Schlussendlich wollte ich dann doch aus den Pandemie-Jahren gelernt haben: Einen infektiösen Husten trägt man nicht unter die Leute, ich sagte ab. Und steckte für meine Einkäufe eine Maske ein.

Echten Sport würde ich selbstverständlich auch nicht machen – sofort begann mein Hirn, gegen das unvermeidlich resultierende schlechte Gewissen nach Erledigungen zu suchen (Bügeln?).

Ich schaffte es dennoch, den Morgen und die wundervolle Morgensonne im Wohnzimmer zu genießen, mich gemütlich fertig zu machen, erst am späten Vormittag zu Lebensmitteleinkäufen loszuziehen (keine Jacke nötig), mein Freitag am Büro gelassenes Fahrrad zu holen.

Die Referenz-Zierkirschen kleideten sich für die Herbstvorstellung.

Zurück daheim ein zweiter Milchkaffee (ich hatte versehentlich die große Cafetera voll gemacht, obwohl Herr Kaltmamsell ja aushäusig übernachtete), eine weitere kleine Einkaufsrunde. Frühstück um zwei: Körnersemmeln, Birne mit Joghurt.

Nach einer Weile war ich dann doch so müde, dass ich mich schlecht konzentrieren konnte, also machte ich gleich nach Herrn Kaltmamsells Rückkehr eine kurze Siesta, eher einen cat nap. Danach hatte ich die nötige Aufmerksamkeit, um die Wahlhilfe-Schulungsunterlagen für Sonntag durchzuarbeiten: Irgendwie war mir die Gelassenheit der vorherigen Einsätze abhanden gekommen, ich hatte das große Bedürfnis nach gründlicher Wiederholung. Es kam mir sehr entgegen, dass diesmal auch Herr Kaltmamsell wahlhilft und einem frischen Blick hatte (sowie unerwartete Fragen).

Streber-Mapperl, aber jetzt fühlte ich mich sicher. (In der Schule war ich nie so.)

Bitte, bitte gehen Sie wählen.

Als Nachtisch fürs Abendessen machte ich nochmal Apple Crisp, diesmal mit nur 60 Gramm Zucker unter die Äpfel. Während des Backens nach vier Tagen Pause wieder reguläre Yoga-Gymnastik, tat sehr gut.

Das eigentliche Nachtmahl war ein Auberginen-Kartoffel-Curry (Ernteanteil) mit Reis, dann reichlich Apple Crisp. Und Schokolade.

Die Nachrichten gestern dominiert von völlig überraschenden Großangriffen der radikal-islamischen Terrororganisation Hamas auf Israel – Stand Sonntagmorgen sind Hunderte von Toten.

Früh ins Bett, weil sehr frühes Aufstehen für Wahlhelfen.
(Rückblickend fehlten mir an diesem Tag irgendwie die anderthalb Stunden, in denen ich die Wochenend-Zeitung hatte lesen wollen, seltsam.)

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Mal wieder ultra late to the party: YouTube-Hit des Contra-Tenors Jakub Józef Orliński, wie er auf dem Festival in Aix-en-Provence 2017 Vivaldi singt. Wunderschön – aber neu war mir, dass es Umblattlerinnen auch bei Noten auf Tablet braucht und sie statt Umblatteln tippen.

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https://youtu.be/yF4YXv6ZIuE?si=PyH8A22zSnbqNRdm

via dem lesenwerten SZ-Interview mit Orliński in der Reihe “Reden wir über Geld” (€):
“‘Ich möchte kein Zirkusaffe sein'”.

Journal Freitag, 6. Oktober 2023 – Erste Begegnung mit § 177 StGB, Muttergeburtstag am asiatischen Buffet

Samstag, 7. Oktober 2023

Wieder ein Tag, der sich stressig anfühlte: Abends war ich schon seit vielen Wochen zum Geburtstagfeiern meiner Mutter verabredet, doch dann hatte sich ein Einsatz als Schöffin von nächster Woche auf gestern vorgeschoben – noch dazu ab 13 Uhr, ich konnte nur hoffen, dass die Verhandlung sich nicht lang hinziehen würde.

Der Wecker klingelte nach unruhiger Nacht, in der sich die leichte Erkältung mit Schluckbeschwerden bemerkbar gemacht hatte und ich mich mehrfach selbst durch Schnarchen weckte (oh nein: es wird doch nicht die Lebensphase starten, in der ich wegen altersbedingt erschlaffendem Rachengewebe schnarche und als extrem empfindlich auf Schnarchgeräusche reagierende nie wieder richtig schlafen werde?). Derzeit lieber mal wieder täglicher Corona-Test.

Wegen des Gerichtstermins nahm ich das Radl in die Arbeit, Schal, Mütze, Handschuhe brauchte es morgens unbedingt.

Bürokleidung war gestern Kaschmirpulli über Bluse und dicke Turnschuhe zu Jeans. Kalte Hände hatte ich trotzdem, zum Warmwerden musste ich rausgehen – ich beginne mich wieder vor dem Winter zu fürchten.

Als ich meiner Mutter telefonisch zum Geburtstag gratulierte, überraschte sie mich mit der Information, sie richte gerade die Übernachtungsgelegenheit für Herrn Kaltmamsell her, der werde ja Samstag an einer Veranstaltung in Ingolstadt teilnehmen. Gleich korrigierte ich sie, das müsse sich um ein Missverständnis handeln. Rückfrage bei Herrn Kaltmamsell ergab aber: Doch, genau so war es vereinbart, er hatte es mir lediglich nicht erzählt. Als lang zusammenlebendes Paar vergisst man manchmal, dass der/die andere Informationen nicht osmotisch aufnimmt (ist mir selbst oft genug passiert).

Frühe Mittagspause (Äpfel, selbstgebackenes Butterbrot), um rechtzeitig zum Justizzentrum am Stiglmaierplatz zu radeln. Mittlerweise war es mild geworden, ich brauchte nur meine Jacke.

Der Fall, der verhandelt wurde, brachte mich erstmals in Kontakt mit dem 2016 geschärften Vergewaltigungsparagraphen 177 StGB („nein heißt nein“). Das nahm mich zum einen (wie jede andere Verhandlung auch mehr oder weniger) emotional mit, es bereicherte mich aber auch wieder intellektuell, Jurist*innen bei der Arbeit damit zu beobachten. Wir kamen nicht bis zu einem Urteil: Nach zwei Stunden wurde die Sitzung unterbrochen, es wird mindestens einen weiteren Termin geben.

So konnte ich nochmal an meinen Arbeitsplatz zurückkehren, schaffte ein wenig weg.

Zum Bahnhof nahm ich die U-Bahn – völlig unbelastet von Menschen auf dem Weg zum Oktoberfest, das war schön. Herr Kaltmamsell stieß dazu, wir nahmen eine knallvolle Regionalbahn nach Ingolstadt; meine Eltern holten uns ab, wir fuhren gemeinsam ins Gewerbegebiet zu einem großen asiatischen Restaurant und trafen dort auf den größten Teil der Bruderfamilie.

Weiteres erstes Mal: All-you-can-eat am Asia-Buffet. Ich probierte mich durch Sushi, ein wenig Salate, live gebratene Meeresfrüchte, chinesisch zubereitete Fleisch-, Tofu- und Gemüsegerichte, durchs Nachspeisenbuffet mit Schokobrunnen. Leider fühlte ich mich recht durch, freute mich aber sehr über Urlaubs- und Studiumsstartgeschichten, werde allerdings ein hoffentlich baldiges weiteres Treffen benötigen, um mich auf den aktuellen Stand der Familie zu bringen.

Meine Eltern fuhren mich zum Bahnhof, ich erwischte gerade einen verspäteten Zug, der mir längeres Warten ersparte. Neue Lektüre unterwegs und später im Bett: Helen Rebanks, The Farmer’s Wife: My Life in Days, hatte ich als eBook gekauft, weil ich es so gerne jetzt schon lesen wollte.

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Martin Gommel hat für Krautreporter ein Interview zur Coachingmode geführt, mit dem eigenen “inneren Kind” zu arbeiten. Eckhard Roediger ist Neurologe, Psychiater und Arzt für psychotherapeutische Medizin und nimmt das Konzept auseinander, argumentiert dabei vor allem neurologisch:
“Es gibt kein inneres Kind”.
(Als Krautreporter-Zahlerin darf ich Ihnen diesen Artikel schenken.)

Da schiebt sich eine Vergangenheit in die Gegenwart. Und das kann nicht funktionieren. Was die Patienten lernen können, ist: „Was du jetzt fühlst, sind eingefrorene Tiefkühlerbsen. Sie sehen zwar neu aus, aber die sind steinalt. Öffne dich für den Gegenwartsmoment. Was kannst du jetzt als erwachsene Person machen, um mit der aktuellen Verlassenheitssituation klarzukommen?“

Journal MittwochDonnerstag, 5. Oktober 2023 – Zwei Feierabendtermine

Freitag, 6. Oktober 2023

Diese Woche fühlt sich gehetzt an, dabei habe ich lediglich an drei Abenden hintereinander etwas vor. Das ist ungewöhnlich und löst bei mir Stress aus. Zumal der Sonntag durch Wahlhelfen ausgefüllt ist.

Unruhiger Abschluss der Nacht, meine (selbstverständlich komplett unbegründeten) Sorgen kreisten um die Pläne nach Feierabend.

In einem frischen Morgen marschierte ich in die Arbeit, fühlte mich unausgeschlafen.

Mittags ging ich auf den Markt auf dem Georg-Freundsdorfer-Platz, kaufte heimischen Honig und heimische Äpfel.

Mittagessen im Büro: Apfel (köstliche Rubinette), Linsen vom Vorabend, Hüttenkäse, selbst gemachtes Shortbread (Kolleginnengeschenk).

Noch hat die Heizungszeit in der Arbeit nicht begonnen, und ich bin schon gespannt auf die Raumtemperatur diesen Winter. Im Moment trage ich langärmliges Oberteil und Strickjacke – und fröstle dennoch. Ich werde wohl auf dicke Pullis hochrüsten.

Nach emsigem Arbeitstag machte ich pünktlich Feierabend: Herr Kaltmamsell war verhindert, ich musste unseren Ernteanteil abholen. Diesen brachte ich heim, stellte fest, dass der als Abendbrot geplante Salat nicht satt machen würde: Es gab nur einen kleinen Kopf Blätter, sonst nichts Salatiges. Also holte ich ein letztes Stück selbstgebackenes Brot aus der Gefriere und brach früher als geplant zu meinem Haarschneidetermin auf, um noch Käse zu besorgen. (Vielleicht merke ich mir das endlich, wenn ich es hier festhalte: Der Vinzenz Murr in der Sendlinger Straße ist keine Metzgerei, sondern ein reiner Brotzeit-Laden.)

Ein Stündchen beim Friseur.

Ich war zufrieden mit dem Haarschnitt.

Zum Nachtmahl gab’s Salat mit klassischer Vinaigrette, Brot und Käse, zum Nachtisch Marzipan und Schokolade.

Was ich Ihnen bislang verheimlicht habe: Neben meiner Kleinen Hexe (wird besser!) zeigt derselbe Körper zur selben Zeit (!) ein paar Erkältungssymptome, aber auch diese klein und überschaubar. Wie praktisch, dass ich wegen Lumbago eh Ibu nehme, gestern ergänzte ich Halstabletten.

Im Bett Fatma Aydemir, Dschinns ausgelesen – ich finde großartig, wie vielfältig deutsche Migrations-Literatur in den vergangenen ca. 15 Jahren geworden ist (kann es sein, dass Wie der Soldat das Grammophon reparierte von Saša Stanišic als Türöffner der Gattung in die Verlage fungierte?).

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Novemberregen findet die richtigen Worte, Folge dreistellig, diesmal über Wege zu einem Frieden für die Ukraine.
“4. Oktober 2023”.

Ich hole aus: ich war früher, so zu Schulzeiten, davon überzeugt, dass Militär scheiße ist. Dass man zu Kriegen definitiv nicht hingeht. Dass man alle retten kann. Dass es immer eine richtige Lösung gibt und dass alle die verstehen, wenn man mal vernünftig mit ihnen redet. Dass es immer eine gute Entscheidung gibt.

Das war der Luxus eines noch nicht so viel gelebten Lebens und eines relativ geringen Erfahrungsschatzes und dieser Luxus steht mir heute nicht mehr zur Verfügung.

(Mein endgültiger Abschied von der Haltung, die novemberregen eingangs beschreibt, war Srebrenica 1993: Die letzten Reste meines Pazifismus’ lösten sich in Luft auf, als ich dringend wollte, dass UNO-Soldaten das Massaker verhindert hätten, und zwar mit Waffengewalt.)

Journal Mittwoch, 4. Oktober 2023 – Mit 35.000 anderen am Odeonsplatz gegen Rechts

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Nacht erst gegen Ende unruhig, aber nicht mal das schlimm. Ebenso wenig schlimm die LWS-Schmerzen – die ja in dieser Episode eh nicht sehr schlimm sind, ich setze halt viel dran, sie nicht noch schlimmer werden zu lassen, kenne die Hexe im Kreuz ja bis zur kompletten Unbeweglichkeit. Und gegen den Risikofaktor Skoliose mit zusammengewachsenen Lendenwirbeln hilft halt auch das Ausschalten aller anderen Risikofaktoren nie zu hundert Prozent – zumal auch hier Recherche nach den genauen akuten Ursachen und Abläufen von Lumbago wie so oft in der wissenschaftlichen Medizin nur Vages ergibt. Wir sind wieder bei Hanns Dieter Hüschs “Was von allein kommt, geht auch wieder von allein”.

Weil ich gereist war und das Münchner Abwasser einen Anstieg von Corona-Infektionen meldet, testete ich mich vor dem ersten Arbeitstag nach Langem mal wieder.

Der Weg in die Arbeit in kühler Luft, ich hatte aber immer noch keinen Herbst in der Nase.

NUUUULL! NUUUUUUULL! AUSIIIIIS!
(Wenn Sie damit etwas anfangen können, sind Sie wahrscheinlich wie ich Westdeutsche und alt.)

Der Postfach-Check am Feiertag hatte sich voll gelohnt, ich ging den ersten Arbeitstag nach Urlaub gelassen und effizient an.

Ein dreifach HOCH! für den höhenverstellbaren Schreibtisch in meinem Büro, der mir gestern überwiegendes Arbeiten im Stehen ermöglichte. Jede Sitz-Phase zahlte ich mit Schürhackl-Aufrichten, doch durchgehend Stehen fand ich halt auch anstrengend. Große Emsigkeit am Vormittag, aber es war Zeit für einen Mittagscappuccino bei Nachbars.

Mittagessen: eine riesige Birne, Pumpernickel mit Butter.

Nachmittags mehr Emsigkeit, ich musste mir hin und wieder vor Augen halten, dass diese Arbeitswoche noch zwei weitere Tage umfasst und nicht alles gestern fertigwerden musste.

Kurz vor sechs war ich am Odeonsplatz verabredet, zur politischen Veranstaltung “Zammreissen! – Bayern gegen Rechts”. Zur Hunger-Überbrückung aß ich in der U-Bahn dorthin einen kleinen Eiweißriegel.

In den nächsten Stunden sah und hörte ich viele sehenswerte Künstler*innen, Redner*innen, Bands – war besonders gerührt von Günther Sigl, Sänger der Spider Murphy Gang, der schlicht und in einfachen Worten sein 76-jähriges Leben in Frieden, Freiheit und Demokratie, im Gegensatz zum Leben seines Großvaters und Vaters, als Argument anführte, dafür zu kämpfen und es sich nicht von Demokratie-feindlichen Kräften nehmen zu lassen.

Da wir gleich zu Anfang der Veranstaltung dagewesen waren, hatte ich nicht mitbekommen, wie voll es geworden war: Die Initiatoren zititerten die Polizei mit der Einschätzung, dass 35.000 Teilnehmende die Ludwigstraße hinter standen.

Zum ersten Mal sah ich La Brass Banda live, die Abfolge von Reden aus Politik und Kunst, die allesamt erfrischenden musikalischen Einlagen endeten schier nicht. Auch wenn ich versuchte, ständig in Bewegung zu bleiben und mir von Herrn Kaltmamsell einen Pulli hatte mitbringen lassen, war ich kurz vor neun körperlich durch – ich ging noch vor Ende heim. Mit heim nahm ich durchaus die Freude darüber, dass eine in wenigen Tagen hochgezogene Veranstaltung so viele Menschen mobilisieren konnte, kann mir aber nicht so recht vorstellen, dass das die reaktionären Kräfte in Bayern von der Illusion abbringt, die “Normalität” zu repräsentieren. (Erste Berichterstattung von Bayerischem Rundfunk, von der Süddeutschen.)

Nachtrag: Von da aus ungefähr sang auch ich bei “Schickeria” mit.

Herr Kaltmamsell hatte Abendessen vorbereitet: Spät gab es noch Belugalinsen nach Art des Lokals Kastanie in Berlin Charlottenburg mit Mandeln und Mozzarella. Nachtisch Lebkuchen und Pralinen.

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Auf den diversen Microblooging-Plattformen ist man ziemlich damit beschäfigt, andere solche Plattformen doof zu finden – bitteschön, jeder und jede wie sie mögen. Nützlicher Hinweis von @malomalo auf Mastodon:

Übrigens ist niemand verpflichtet, stundenlang die ideale Mastodon-Instanz zu recherchieren, um sich dann nicht entscheiden zu können und dafür Mastodon als zu kompliziert abzutun. Als Normalo-User:in kann man z.B. einfach zu https://mastodon.online/ oder https://mastodon.social/ gehen, meldet sich dort an und fertig.
Beide Instanzen werden von Mastodon administriert und immer mit den neuesten Updates versorgt.

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Der Bayern-Teil der Süddeutschen beantwortete gestern die Frage, die ich mir bei meiner Oktoberfestflucht nach Nordfranken gestellt hatte: Was wird aus den kahlen, ehemals mit Fichten bewachsenen Forstwirtschaftsflächen? (€)
“Der Frankenwald stirbt”.

Experten wie Göttlein und Klemmt treiben derweil zwei andere Sorgen um. Die eine: Was wird aus den Kahlflächen? Denn das derzeitige Waldsterben im Frankenwald macht klar, was Fachleute seit Jahren prophezeien: Die Fichte hat als Baumart, die es eher kalt braucht, vielerorts in Bayern keine Zukunft mehr. Aber auch die Buche und andere Baumarten, zu denen die Förster den Waldbesitzern noch vor wenigen Jahren geraten haben, kommen mit dem Klimawandel immer schlechter zurecht. Professor Göttlein und seine Mitarbeiter haben deshalb eine “Notfallmischung” für den Frankenwald entwickelt.

Das ist Saatgut von allen möglichen heimischen krautigen Pflanzen, Sträuchern und Pionierbäumen wie der Vogelbeere und der Birke. Es wird per Drohne ausgebracht und soll verhindern, dass die Kahlflächen binnen weniger Monate zu monotonen Steppenlandschaften werden, auf jahrelang kein Wald mehr gedeihen kann, weil das dichte hohe Gras verhindert, dass die Baumsämlinge hochkommen. “Mit der Notfallmischung können wir Zeit gewinnen”, sagt Göttlein. “Zeit für die Entscheidung, welche Baumarten im Frankenwald der Zukunft stehen sollen.” Klemmt dagegen setzt auf den Umbau und die Stabilisierung der noch vorhandenen Wälder – indem man möglichst schnell möglichst viele junge Buchen und Tannen, aber auch Douglasien, Edelkastanien und andere Baumarten, die dem Klimawandel besser widerstehen als Fichten, in sie einbringt.