Archiv für November 2023

Journal Donnerstag, 9. November 2023 – Echte Leseratten brauchen kein Papier

Freitag, 10. November 2023

Endlich wieder eine gute Nacht, ich genoss den Schlaf.

Für die scharfe Darstellung der liegenden Mondsichel braucht es wohl noch mindestens eine Software-Generation.

Wagemutig marschierte ich nur in Wollkleid und Wollstrumpfhosen in die Arbeit, ohne Shirt drunter. Unterwegs mit Mütze und Handschuhen genau richtig, doch prompt fror ich nach einer Stunde am Schreibtisch und arbeitete im Janker weiter. Trotzdem hatte ich kalte Hände. Auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite, der mit Sonnenbestrahlung, sah ich Kolleg*innen in Hemdsärmeln sitzen, mehrere sogar.

Mittags raus auf den Markt, Äpfel kaufen: Zwei Kilo Pinova u.a. für Kuchen, ein paar Nicoter als Brotzeit, Testsorte diesmal Glockenapfel.

Einen der Äpfel wollte ich als Mittagessen, ich versuchte ihn bis dahin ein wenig von der Außentemperatur wegzuwärmen. Das gelang (ein spritzend saftiger Nicoter), außerdem gab es eingeweichtes Muesli mit Joghurt. Dann war ich wirklich gut satt. Ich wünschte, ich könnte immer an diesem Punkt aufhören zu essen. Und nicht immer wieder erst bei Bauchzwicken oder Übelkeit.

Emsiger Nachmittag, dennoch nicht zu später Feierabend. Auf dem Heimweg erledigte ich beim Vollcorner die Lebensmitteleinkäufe für die nächsten Tage (die nicht Herr Kaltmamsell übernimmt), kam bepackt nach Hause.

Dort eine Einheit Yoga-Gymnastik, in der ich wenigstens ein wenig in Bewegung kam. Fürs Abendessen war ich zuständig: Der gestrige Ernteanteil brachte Zuckerhut, den ich mit einem Clementinen-Haselnussmus-Dressing anmachte. Dann gab’s noch Käse und kroatischen Presssack, abschließend Schokolade.

Im Affekt eine Winterjacke bestellt: Am Freitag hatte ich mich nach der Arbeit im Kaufhaus umschauen wollen, mit ziemlich genauen Vorstellungen, denn schon immer neide ich Herrn Kaltmamsell seine Wellensteyn-Jacke mit Kapuze. Gestern suchte ich eher aus Jux online auf einer Second-Hand-Plattform – und fand fast genau das Jackenmodell dieses Herstellers, das ich mir vorgestellt hatte, ungetragen für ein Drittel des Neupreises. Zack, gekauft. Jetzt hoffe ich, dass Material und Verarbeitung genauso robust sind wie beim Herren-Modell. Und dass meine Größenschätzung zutrifft.

§

A.L. Kennedy beschreibt in ihrer Eröffnungsrede zur Buch Wien (€) eine Erkenntnis, kurz nachdem sie Lesen lernte:

Und JETZT stellen Sie sich mal vor, wie so jemand das Internet entdeckt. Diese Begeisterung “SO VIEL ZU LESEN!” hat bei mir bis heute nicht aufgehört.

Journal Mittwoch, 8. November 2023 – Wie Reiberdatschi in meinen Alltag traten

Donnerstag, 9. November 2023

Der sehr volle Dienstag führte zu innerer Wochentagsverwirrung. Zudem hatte ich nach einem Klogang nachts um zwei sehr lange nicht mehr einschlafen können, mein Hirn nutzte das für Projektplanung eines neuen Auftrags in der Arbeit – auch eine Art hit the floor running beim Weckerklingeln.

Düsterer Himmel mit Verdacht auf blaue Flecken, für den Weg in die Arbeit waren Mütze und Handschuhe angebracht.

Emsiger Vormittag mit ein wenig unbeabsichtigter Komik, aber es war Zeit für einen Mittagscappuccino in der Gollierstraße. Unterwegs hatte es die Sonne durch die blauen Flecken geschafft.

Auferstehungskirche.

Als Mittagessen gab es zurück am Schreibtisch: Apfel, Laugenzöpferl, Hüttenkäse.

Der Nachmittag wurde sportlich, es tat meiner Konzentration und meinem Tempo gut, dass ich einen Termin nach Feierabend hatte.

Rückseite Augustinerbrauerei mit herbstlichem Ginko.

Nämlich spazierte ich zur Kosmetikerin, die erst meine Füße schön und weich machte, Zehennägel in edlem Grau, dann mein Gesicht in vielerlei Weise behandelte, die sehr wohl taten.

Daheim wartete Herr Kaltmamsell schon mit dem Abendessen auf mich.

Er hatte aus den Kartoffeln im Ernteanteil Reiberdatschi gemacht, die gab es mit Apfelmus. Zum Reiben der geschälten Kartoffeln hatte er den voriges Jahr gebraucht erworbenen Aufsatz für die Kenwood-Küchenmaschine verwendet, zu meiner großen Freude hatte das problemlos funktioniert (als Nussmühle hatte sie sich nämlich gleich mal ungeeignet erwiesen): Ab jetzt kann ich mir Reiberdatschi wünschen, und vielleicht experimentieren wir sogar mit Kartoffelködeln.

Abendunterhaltung war die jüngste Folge Die Anstalt vom 10. Oktober: Welche Gefahr die Landtagswahlergebnisse für unsere Demokratie darstellen. Eigentlich mal wieder gar nicht lustig.

Ich hatte vergessen zu berichten, dass der empfehlenswerte Inder in der Ingolstädter Innenstadt über ein überraschendes Feature verfügt: Englische Sanitäranlagen. Sie fielen mir erst auf, als ich nach dem Pieseln mit voller Kraft den Hebel am Keramik-Spülkasten runterdrücken musste: Das kenne ich nur aus UK, in Deutschland betätigt man in zeitgenössischen Klos einen Knopf oder leichten Hebel. Als ich mir anschließend die Hände wusch, setzte sich das Thema fort: Auf den Waschbecken waren zwei Hähne für warmes und kaltes Wasser befestigt (es funktionierte aber nur der für kaltes).

Kathrin Passig stellt in Schottland einen weiteren fundamentalen Kulturunterschied fest: Das Fehlen von Baumärkten. Im Techniktagebuch beschreibt sie den Einkauf in zumindest etwas Ähnlichem.
“Mein traurigstes Baumarkterlebnis”.

Journal Dienstag, 7. November 2023 – Wirtschaftslehren im Gerichtssaal

Mittwoch, 8. November 2023

Wieder eine unruhige letzte Schlafphase, mir fielen unangehme Verpflichtungen ein, die der Tag bringen würde.

Den Tag mit Wäscheaufhängen gestartet, ich hatte eine Maschinenladung programmiert.

Unter düsterem Himmel nahm ich das Rad in Arbeit: Ich hatte für gestern Mittag nochmal eine Ladung als Schöffin.

Mein Twitter sah gestern so aus (wegen der Rückkehr von @LilaR sehe ich doch wieder rein):

Gleich wieder geschlossen.

Emsiger Vormittag mit viel Kleinteiligem. Kurze Geselligkeit mit gegenseitigem Vorschwärmen von Loriot, ich hatte nicht als einzige die Doku zu seinem 100. Geburtstag am Montagabend gesehen. Erfahren, dass sein Werk zur Basis von Deutschkursen an Goethe-Instituten gehört, topp!

Hektisches Mittagessen: Ein Gläschen von Herrn Kaltmamsell zubereitetes Kimchi aus Chinakohl, Apfel, Kiwi – zu meinem Hüttenkäse kam ich dann nicht, weil ich mich mit einer Kollegin festgeredet hatte und weg musste ans Gericht. Wieder erwischte ich eine Regenpause für die Radlstrecke.

Am Verhandlungsraum, zu dem ich musste, war für meinen Termin “Insolvenzverschleppung” angeschlagen.

Das zugehörige Richterzimmer.

Zu dieser Insolvenzverschleppung, so viel Erfahrung hatte ich inzwischen, musste schon noch einiges dazukommen, damit ein Schöffengericht nötig war – ich lag richtig. Vor allem aber stellte sich schnell heraus, dass es um etwas ganz anderes ging, mit reichlich menschlichem Hintergrund. Nach vier Stunden hatte ich eine Menge gelernt, unter anderem im Baugewerbe und über Dienstleistungen des Wirtschaftsreferats für die Staatsanwaltschaft, kostenlose und gebührenpflichtige, doch wir kamen nicht durch: Der Richter setzte einen zweiten Verhandlungstag an.

Mit recht leichtem Kopf (light headed), weil ich zu wenig gegessen hatte, radelte ich zurück ins Büro. An den nassen Straßen und den Pfützen sah ich, dass es mittlerweile heftig geregnet haben musste, doch wieder blieb ich trocken.

In der Arbeit konnte ich trotz ziemlicher Durchheit noch eine Stunde ordentlich was wegschaffen. Trockener Heimweg.

Zu Hause eine noch ruhigere Runde Yoga-Gymnastik, die praktisch nur aus Atmen bestand. Ich dachte halt schonmal Pläne für den Abend und den nächsten Tag.

Herr Kaltmamsell servierte Reste-Nachtmahl.

Kimchi, Sellerie-Fritten, Spiegeleier. Zum Nachtisch reichlich Nüsschen und Süßigkeiten.

Früh ins Bett zu Zadie Smiths The Fraud – ich will nicht recht reinkommen in den um drei Ecken erzählten historischen Roman.

Journal Montag, 6. November 2023 – Bücherwände als Hintergrund

Dienstag, 7. November 2023

Eine im letzten Teil unruhige Nacht, zumindest bekam ich mit, dass sich der Sturm gelegt hatte.

Draußen war es mild, ich brauchte für den Marsch in die Arbeit weder Mütze noch Handschuhe.

Aufregung in der Arbeit: Ich hatte einen Termin zum Auswechseln meines Laptops, nach dreieinhalb Jahren bekam ich einen neuen (und bemerkte dadurch, wie lange der Beginn der Pandemie-Einschränkungen her ist, die waren nämlich das Anlass für das Ausgeben von Laptops an alle). Es dauerte die eine oder andere Stunde, bis sich nach mehrfachem Neustart und einer Hilferunde durch den IT-Service alles zurechtgeruckelt hatte. Und ich stellte fest: Auch beim neuen Rechner funktioniert die externe Kamera deutlich besser, wenn sie eingesteckt ist.

Schneller Mittagscappuccino in der Nachbarfirma-Cafeteria, es war so mild, dass ich für den kurzen Weg keine Jacke brauchte. Mittagessen: Apfel, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Nachdem ich gelesen hatte, dass eine Bücherwand als Hintergrund bei Video-Konferenzen am meisten Vertrauen erzeugt, hatte ich am Sonntag eines unserer Wandregale fotografiert und baute es gestern in mein MS Teams ein.

Erster Video-Call: “Ist das eure Bücherwand? Steht da das Necronomicon?” Ich musste selbst erst genau hinsehen, dann aber: HERR! Kaltmamsell! (Details zu den so vertrauenserweckenden Bücherregalen verschweigt die Studie.)

Nach Feierabend war es immer noch mild, ich ging auf Besorgungen Richtung Stachus: Supermarkt-Süßigkeiten, unterm Hauptbahnhof Automatenfoto für mein Projekt, English Classic im Tee-Handelskontor Bremen, Putzzeug im Drogeriemarkt.

Zu Hause turnte ich Yoga-Gymnastik mit reinem Dehnen, bereitete Brotzeit für Dienstag vor. Herr Kaltmamsell servierte den Rest der Kürbis-Lasagne, ich machte Ruccola dazu an. Nachtisch reichlich Süßigkeiten.

Abendunterhaltung: Eine Doku zum 100. Geburtstag von Loriot. Darin viele, viele Original-Ausschnitte, die meisten kannte ich noch gar nicht. Doch ich freute ich mich auch über viel Wiedersehen. Dazu zeitgenössische Kommentare über Loriot und sein Werk, Erinnerungen von Wegbegleiter*innen, wirklich informativ.

§

Damit’s nicht in den Kommentaren untergeht: Den Hintergrund städtischer Ampelschaltung erklärt hier Verkehrsplanerin Isi.

Journal Sonntag, 5. November 2023 – #WMDEDGT

Montag, 6. November 2023

An jedem 5. des Monates fragt Frau Brüllen “WMDEDGT?” (“Was machst du eigentlich den ganzen Tag?”). Hier die Tagebuch-Beiträge dieses Monats. Auch die ein Beitrag zu “Ja, jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jahren!” – nur halt ohne Fokus auf Technik. Aufschreiben, alles aufschreiben.

Gut und lang geschlafen. Das Wetter draußen herbstlich gemischt, wunderbar für einen Isarlauf.

Vorher aber gemütlicher Milchkaffee beim Bloggen, Heizung hoch genug gedreht, dass ich überm Hausanzug nur eine Strickjacke brauchte, dicke Socken trug ich eh (YAY! für gut gefüllte deutsche Gasspeicher, und geheizt werden ohnehin nur Wohnzimmer und Arbeitszimmer von Herrn Kaltmamsell). Wasserfilter-Wechsel, also gab’s aus kalkärmst möglichem Münchner Wasser eine Kanne Tee Lapsang Souchong.

Katzenwäsche, Zähneputzen, Umziehen in Laufkleidung. Ich nahm nochmal die Strecke Mehr-NettO-vOm-BRutto (bei mir in der Arbeit hätte niemand damit ein Problem, daraus das Projekt MOOR zu machen) übern Alten Südfriedhof an die Isar nach Thalkirchen, zum Hinterbrühler See und alles wieder zurück, nur diesmal auf den umgekehrten Seiten wie am Sonntag zuvor. An Wetter bekam ich einmal fast alles: Wind, Regentropfen, mehr Wind, Wolken in verschiedenen Grautönen und Geschwindigkeiten, blauen Himmel und Sonne. Der Wind entblätterte Bäume, auf dem Boden blies er Blätterhaufen in Busby-Berkeley-Choreografien. Mit meiner Kleidungswahl lag ich richtig: Lange Laufhose, alter Lauf-Hoodie mit Daumenloch in den Ärmeln (Hände also halb bedeckt), leichte Mütze für warme Ohren.

Kurz vorm Flaucher-Biergarten gibt es eine große Wiese, auf der sonntagvormittags nicht mehr junge Männer Fußball spielen, ich bin schon oft an ihrem Spiel vorbeigejoggt. Gestern machten sich einige gerade an einer Bank fertig, einer fing mein Lächeln auf: “Wir hätten noch einen Platz frei!” Ich lachte und wünschte viel Spaß, fühlte mich aber ehrlich geschmeichelt und wünschte, ich hätte einfach lässig mitspielen können.

Mein Körper machte die gut anderthalb Stunden Lauf gut mit, ich kam schön ins Gedankenfließen, erst auf dem letzten Stück zwickten Hüfte und Wade.

Nach dem Duschen hatte ich Lust auf einen weiteren Milchkaffee – wer sollte mich daran hindern?
Zum Frühstück kurz vor zwei gab es einen Apfel, Granatapfelkerne mit Dickmilch und Wabenhonig, frisches Knack-und-Back-Gebäck mit Cabello-de-Angel-Füllung aus der Hand von Herrn Kaltmamsell.

Kurzer Geschäftigkeits-Abschnitt: Schimmelbekämpfung an der Klapp-Duschwand im Bad, Tausch von Sommer- gegen Winterschuhe aus dem Keller (und wieder freute mich, dass mein Kleiderbestand sowie Wandschrank-Kapazitäten sonstige Auslagerung in den Keller unnötig machen). Dann sonntägliches Rumschlumpfen mit Auflesen liegengebliebener SZ-Magazine, RSS-Feed-Schmökern in Blogs – inklusive Aussortieren von Blogs, die mich dann doch langweilen. Währenddessen wurde draußen der Wind immer heftiger, pfiff und stürmte ums Haus.

Für den abendlichen Nachtisch wickelte ich die letzte heimische Quitte aus unserem Obstkorb in doppelt Alufolie, steckte sie diesmal rechtzeitig bei 200 Grad für eine gute Stunde in den Backofen. Anschließend eine Runde Yoga-Gymnastik, während ich Herrn Kaltmamsell in der Küche klappern hörte: Er bereitete als Nachtmahl Kürbis(Ernteanteil)-Lasagne zu.

Schönheitspreise wird sie wohl nie gewinnen, die Kürbis-Lasagne, auch wenn sie diesmal ganz besonders gut schmeckte.

Während wir aßen, ließ ich das all-sonntägliche Backup auf externe Festplatte laufen (#keinBackupkeinMitleid – und ich meide abergläubisch die iCloud).

Zum Nachtisch gab es die Ofenquitte mit Joghurt und Wabenhonig.

§

Ein langes Interview mit dem besonnenen Soziologen Aladin El-Mafaalani über Integration:
„’Die Infrastruktur bröckelt’“.

Aladin El-Mafaalani hat lange positiv auf die Integration in Deutschland geblickt. Nun sagt er: Wenn sich Bildungs- und Sozialpolitik nicht ändern, geht es bergab.

Unter anderem weist er auf den Schaden hin, den eine Bildungspolitik anrichtet, die Immigration ignoriert.

Ich habe schon vor mehr als zehn Jahren einen Text dazu geschrieben, dass wir sowohl die deutsche Geschichte als auch den Nahostkonflikt anders unterrichten müssten. Wie wir das tun, passt nicht in eine Migrationsgesellschaft. Der Unterricht richtet sich an Kinder und Jugendliche, deren Großeltern schon Deutsche waren. Aber in den westdeutschen Großstädten trifft das auf die meisten Schülerinnen und Schüler nicht mehr zu. Hinzu kommt ja noch, dass viele von denen familiäre Wurzeln im Nahen Osten haben. Für sie ist das alles kein historisches Thema, sondern sehr aktuell.

(…)

Was muss an den Schulen anders werden?

Es ist schwer, das kurz zu fassen. Ich glaube, es funktioniert besser, wenn man nicht nur von der Shoah ausgeht, sondern beschreibt, dass Juden über Jahrhunderte verfolgt wurden. Dass sie keine Reiche und Kolonien gebildet oder Kriege geführt haben, aber trotzdem an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten ausgegrenzt, benachteiligt und verfolgt wurden und sie gleichzeitig für alle möglichen Probleme verantwortlich gemacht wurden. Dass die staatlich organisierte Massenvernichtung also der unvorstellbare Höhepunkt einer langen Geschichte war und die Antwort darauf der eigene Staat war, um nie wieder Opfer zu sein. Und man muss auch da­rüber sprechen, was die Gründung des Staates Israel für die Palästinenser, für die sich die Situation seit Jahrzehnten kontinuierlich verschlechtert und die heute in unwürdigen Verhältnissen leben, bedeutet.

§

Sie wussten es noch nicht, aber das wollen Sie lesen.
“Taschkent in Usbekistan will mit Architektur-Mix Touristen anlocken”.

Mehr Fotos von dieser Reise nach Taschkent zeigt Maik auf instagram, zum Beispiel hier, hier und hier.

Journal Samstag, 4. November 2023 – Echter Herbst, Samstagsgemütlichkeit

Sonntag, 5. November 2023

Beim nächtlichen Klogang (der eine, der immer schon zu meiner Nacht als Vieltrinkerin gehörte) Rollladen herabgelassen, bis acht geschlafen.

Irgendwann wird mir die unterschiedliche Morgenbeleuchtung von St. Matthäus langweilig. Aber jetzt noch nicht.

Schon beim Aufwachen erwog ich die Möglichkeit, meine Schwimmpläne abzusagen und statt dessen mit Muße Erledigungen zu erledigen. Nach ein wenig emotionalem Hin und Her spürte ich vor allem Freude über die zusätzliche Zeit (statt Trauer und schlechtes Gewissen wegen der entgangenen Sport-Einheit), also machte ich das so.

Ich holte die Wochenend-Süddeutsche aus dem Briefkasten, schüttelte das Altpapier heraus – und erweiterte die Reihe “Kundenmagazine, die ich wirklich nicht habe kommen sehen”: Das Magazin der Bundesgesellschaft für Endlagerung.

Darin die Berichte über zwei Schulprojekte. Respekt für diejenigen, die irgendjemandem dafür Budget aus dem Kreuz geleiert haben.

Erledigungs- und Einkaufsrunde Schusterin, Tchibo, Vollcorner, Süpermarket Verdi – in dann doch endlich richtigem Herbst.

Nußbaumpark.

Theresienwiese.

Es war ein Samstag der Geschenke: Erst wollte die Schusterin fürs Zurecht-Dengeln einer drückenden Stiefel-Kante nichts haben, dann gab mir die Tchibo-Verkäuferin für die beiden bestellten Taschenschirme auch ohne Kundenkarte den Kundenkarten-Rabatt. Einfach so! (Einfach-so-Nettigkeiten sind besonders rührend.)

Kurz nach Mittag war ich in Neuhausen verabredet: Kaffeeundkuchen im Ruffini. Ich nahm die U-Bahn bis zum Stiglmaierplatz, denn diese Strecke ist nicht wirklich schön, spazierte von dort zu Fuß weiter.

Treffen mit einer Freundin, die viel auch beruflichen Kontakt nach Nahost hat. Wir waren uns einig in unserer Verzweiflung: Warum erkennen so viele Menschen nicht, dass der gemeinsame Feind Hamas ist? In meinem Fall auch Verzweiflung, wie ich in den vergangenen Jahren so blind gegenüber dem wachsenden Antisemitismus sein konnte (wie so oft mein verheerender Reflex “So blöd kann doch niemand sein!”).
Dann aber auch Neuigkeiten aus Familie und Beruf.
(Dazu Cappuccino, Zwetschgenstreusel, Rhabarberschorle.)

Zurück wollte ich denselben Weg nehmen, suchte dann aber schon an der Maillingerstraße Schutz in der U-Bahn vor dicken Regentropfen.

Zeitunglesen, Yoga-Gymnastik, zum Nachtmahl steuerte ich den Aperitif und die Vorspeise bei. Für Ersteres testete ich ein alternatives Cosmopolitan-Rezept, dieses mit Zitronen-Vodka. Den schmeckten wir über dem vielen Limetten-Saft allerdings nicht heraus, das nächste Mal verwenden wir ihn in unserem bisherigen Rezept. Ausnahmsweise gab es dazu nibbles (wie die Schwiegerfamilie sagt): Geröstete Nüsschen.

Für die Vorspeise kombinierte ich eine vermutlich allerletzte Ernteanteil-Tomate mit süßer Zwiebel.

Als Hauptspeise Quitten mit Lammhack nach Ottolenghis Rezept in Jerusalem (wir wohnen im Münchner südlichen Bahnhofsviertel ja in einem Ottolenghi-Kochbuch und bekommen Lammhack in vielen Süpermarkets und Metzgereien ums Eck). Im Glas ein spanischer Reserva aus Navarra, passte gut. Nachtisch Schokolade.

§

Im Feuilleton der Wochenend-Süddeutschen interviewt Johanna Adorján die 102-jährige Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende und rührige Zeitzeugin (leider nur gegen € zu lesen).

“‘Ich würde nie hassen wollen'”.

Das Interview endet so:

Glaubt Margot Friedländer daran, dass der Mensch lernen kann? Ist sie optimistisch, dass sich schließlich alles zum Besseren entwickelt? “Nein.” Ihre Antwort kommt schnell. “Nein. Leider nicht. Ich habe das gehofft, aber ich glaube es nicht.” Warum geht sie immer noch, mit über hundert Jahren, an die Schulen, redet vor Klassen, vor Politikern, hat jetzt an diesem Film mitgewirkt, gibt Interviews?
Sie guckt einen lange an. Und sagt dann: “Man muss es doch wenigstens versuchen.”

§

In der dieswochenendlichen SZ-Kolumne von Kurt Kister (€) eine schöne Umschreibung von Survivorship Bias:

Die Möglichkeit, Wege, wenn auch gewundene, aus einer schwierigen Situation heraus zu finden, ist immer ein Privileg der Überlebenden im weitesten Sinne. Das Leben lässt sich schwer verbessern, wenn man tot ist.

Journal Freitag, 3. November 2023 – Kleinkunstkonzert / eine vertraute Stimme aus Israel

Samstag, 4. November 2023

Wieder eine Nacht mit dreimal Aufwachen – nicht wirklich belastend, aber zweimal weniger wären mir lieber.

Der Regen hatte aufgehört, auf dem Weg in die Arbeit war es nur noch grau und kalt (Mütze, Handschuhe).

Wieder ein Frier-Tag im Büro, ich beginne zu verstehen, warum die Kolleginnen auf dieser Seite des Gebäudes immer schon mit Teppich-artigen Umhängen hantierten. Jetzt kapitulierte ich dann doch, wir sind ja noch nicht mal im richtigen Winter, und bestellte einen Thermo-Rolli. Wenn der passt und sich gut anfühlt, bestelle ich in anderen Farben nach. Und ich werde Lust an und Freude über schöne Kleidung fürs Büro verlieren.

Um die Mittagszeit regnete es energisch, das macht weitere Wege zum Mittagscappuccino unattraktiv: Ich ging nur rüber zu Nachbars. Mittagessen: Je ein Apfel Nicoter und Pinowa, Quark mit Joghurt.

Pünktlicher Feierabend, denn ich hatte Pläne: In Ingolstadt gab es ein Konzert mit Familienbeteiligung, dafür hatte ich Herrn Kaltmamsell und mir Karten zurücklegen lassen.

Vom Hauptbahnhof nahmen wir im Regentröpfeln einen Bus in die Ingolstädter Innenstadt. Wir hatten uns für kurzes Abendessen vorm Konzert ein indisches Lokal empfehlen lassen, das Chai Roti in der Dollstraße, das bereits seit Jahren “Urban Food” anbietet. Es stellte sich als Volltreffer heraus: Einrichtung und Speisekarte weit entfernt vom Durchschnitts-Inder.

Ich bestellte auch hier das bei Madam Chutney in München entdeckte Pav Bhaji, bekam besonders schmackhaftes Gemüse, Herr Kaltmamsell hatte von den südindischen Spezialitäten Masala Dosa, einen gefüllten Reis-Pfannkuchen mit scharfer Gemüsesuppe (Samber) und Kokos-Chutney – hervorragend (wir tauschten nach der Hälfte Teller). Dazu zwei untypische Brote.

Wir spazierten zur Kleinkunstbühne Neue Welt, in meiner Jugend und bis 2016 eine Kleinkunstkneipe (dann mochte Wirt Walter „Woidl“ Haber nach 33 Jahren nicht mehr) – vermutlich die Wirtschaft, in die ich am häufigsten ausging (im cooleren Mo fühlte ich mich nie heimisch, außerdem gab’s in der Neuen Welt für erinnerte 5 Mark ein überbackenes Schinken-Käse-Brot auf der Basis einer mächtigen Scheibe vom Roggen-Laib, von dem man gut satt wurde).

Großes Hurra beim Wiedersehen mit gesamter Bruderfamilie (da die Kinder darin erwachsen werden und eigene Wege gehen, ist ihre Beteiligung nicht selbstverständlich) und meiner Mutter.

Das Konzert dauerte recht lang, wir standen erst deutlich nach halb elf wieder auf der Straße. Zum Glück checkte Herr Kaltmamsell die Zugverbindung, die ich für die Rückfahrt recherchiert hatte: Diese Regionalbahn um 23:36 Uhr, die letzte Deutschland-Ticket-Möglichkeit des Abends, war nämlich jetzt gestrichen. Wir besorgten rasch Karten für den kurz davor abfahrenden ICE und marschierten zackig zum Hauptbahnhof. Ich freute mich über die kalte frische Luft ohne Regen, am Hauptbahnhof hörten wir, dass der Grund für den plötzlichen Zugausfall “Reparaturen am Zug” waren – so wird das echt nichts mit der Verkehrswende.

Aber für mehr Geld kamen wir sogar früher in München an, Schlafengehen noch vor eins.

§

Wenn Sie Lila, die vor Jahrzehnten nach Israel ausgewanderte Jülicherin, wie ich über ihr Blog Rungholt kennengelernt haben, möchten Sie vermutlich ihr aktuelles Lebenszeichen lesen. Und von ihrem 7. Oktober.
“Guten Morgen, ihr Lieben,”

(Das war der Moment, in dem ich dann doch weinen musste.)

Lila war es, die mir vor über 15 Jahren den Kassam-Ticker im Web zeigte, an dem ich sehen konnte, wie viele der Boden-Boden-Raketen aus den Palästinensergebieten auf israelisches Territorium geschossen wurden, oft über lange Zeit täglich, fast immer mit Schäden für die Zivilbevölkerung bis zu Todesfällen. Deutsche Medien erwähnten sie nur, wenn Israel die Abschussrampen angriff – und das eigentlich nur indirekt, weil sie von “Vergeltungsschlägen für Raketenangriffe” sprachen und schrieben. Fast normale News-Mechanik, denn tägliche Kleinigkeiten sind halt uninteressant, das größere Abwehrereignis interessanter. Ich erinnere mich auch an Lilas Erleichterung, als das Abwehrsystem Iron Dome endlich griff.