Das war ein sehr gutes Lesejahr mit vielen herausragenden Büchern. Der Untergang von Twitter führte vor allem in der ersten Jahreshälfte dazu, dass ich statt Internet sehr viel mehr Bücher las. Und es war das Jahr der autofiktionalen Literatur, so viel davon (unbeabsichtigt) hatte ich noch nie.
Statisitik:
Bücher von Autorinnen: 34
Bücher von Autoren: 18
(Der Rest Sammelbände.)
Von den 58 gelesenen aus der Münchner Stadtbibliothek ausgeliehen: 19
* markiert wieder eine Empfehlung, die anderen fand ich zumindest gut genug, sie zu Ende zu lesen.
1 – Candice Carty-Williams, Queenie
2 – Sayaka Murata, Ursula Gräfe (Übers.), Die Ladenhüterin*
Ein Plädoyer für Vielfalt und Toleranz mit unerwartetem Twist: Was, wenn die Andersartigkeit in dem dominierenden Bedürfnis besteht, im Dasein einer 24-Stunden-Supermarkt-Angestellten aufzugehen, mit den Regeln und der Identität dieses Markts zu verschmelzen?
3 – Gabrielle Zevin, Tomorrow, and Tomorrow, and Tomorrow*
Hier unten ausführlich besprochen, eines meiner Jahres-Highlights.
4 – Lisa Neun, Business Girl
5 – Claire Keegan, Foster
6 – Claire Keegan, Small things like these
7 – Mick Herron, Slow Horses*
Besprechung hier unten.
8 – Johanna Adorján, Ciao
9 – Zoë Beck, Das alte Kind*
Ausführliche Besprechung hier unten.
10 – Granta 161, Sister, Brother*
Hier unten besprochen.
11 – Franz Schiermeier, Beate Bidjanbeg (Hrsg.), Ludwigvorstadt. Reiseführer für Münchner*
12 – Granta 162, Definitive Narratives of Escape
13 – Claire North, Notes from the Burning Age
14 – Jana Thiele, Gebrauchsanweisung für den Harz
15 – Theresa Hannig, Pantopia*
Besprechung hier unten.
16 – Viet Thangh Ngyen, The Sympathizer
17 – Ewald Arenz, Alte Sorten*
Hier unten besprochen.
18 – Ewald Arenz, Der Duft von Schokolade*
Großer Genuss beim Lesen: Der Roman nimmt uns mit ins Wien Ende des 19. Jahrhunderts, wir folgen durchgehend und handwerklich konsequent der Perspektive des jungen August Liebeskind. Mit ihm treten wir am Anfang der Geschichte und am Ende von Liebeskinds Militärzeit hinaus in den Wiener Frühling – vor allen in dessen Düfte. Liebeskind, so stellt sich schnell heraus, hat einen weit überdurchschnittlichen Geruchssinn, und so begleiten wir eine sehr spezielle Wahrnehmung der Welt und ihrer Menschen.
Das ist der rote Faden, an den die Begegnung mit einer faszinierenden Frau geknüpft wird, der Einstieg ins Berufsleben, der Alltag in Wien. Arenz erzählt opulent – doch wie könnte er diesen Rausch an Wahrnehmung auch anders erzählen? Extrastern für meisterliche Informationsvermittlung, die mich die eine phantastische Komponente der Geschichte zunächst fast überlesen ließ. Aber auch ein Stern Abzug für das Ende des Romans, das ich als recht mühsam gedengelt und verbeult empfand.
19 – Almudena Grandes, Roberto de Hollanda (Übers.), Kleine Helden*
Besprechung hier im unteren Drittel.
20 – Jesse Simon, Berlin Typography*
21 – Rebecca Makkai, I have some questions for you
22 – Jennette McCurdy, I’m Glad My Mom Died
23 – Katja Berlin, Wofür Frauen sich rechtfertigen müssen
24 – Granta 136, Best of Young British Novelists 5
25 – Martin Arz, Streetart München*
26 – Francis Kirps, Die Mutationen
27 – Fang Fang, Michael Kahn-Ackermann (Übers.), Weiches Begräbnis*
Ausführlich besprochen hier.
28 – Marilynne Robinson, Jack
29 – Anne Rabe, Die Möglichkeit von Glück*
Hier unten ausführlich besprochen.
Ein weiteres Jahres-Highlight.
30 – Shelly Kupferberg, Isidor. Ein jüdisches Leben
31 – Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit
32 – Josef Bierbichler, Mittelreich*
Besprechung hier unten.
Ebenfalls auf meiner Highlight-Liste.
33 – Delia Owens, Where the Crawdads Sing
34 – Julie Orringer, (Transatlantic) The Flight Portfolio
35 – Bov Bjerg, Der Vorweiner*
Hier besprochen.
36 – Granta 164, Last Notes
37 – Josephine Tey, The Daughter Of Time*
Hier besprochen.
38 – Melanie Raabe, Die Falle
39 – Daniela Dröscher, Lügen über meine Mutter*
Hier die Besprechung.
40 – Ewald Frie, Ein Hof und elf Geschwister*
Besprechung hier unten. Noch ein Jahres-Highlight.
41 – Tobias Meilicke, Cornelius Strobel (Hrsg.), Aufgeheizt. Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise*
42 – Tobias Rüther, Wolfgang Herrndorf. Eine Biographie
Ich hatte über dieses Buch nichts geschrieben, weil ich damit haderte und das immer noch tue. Zwar kannte ich Herrndorf selbst nicht, kenne aber einige aus seinem beschriebenen und zitierten Umfeld. Und ich zog beim Lesen sehr bald die Schultern sehr weit hoch. In seinem Blog Arbeit und Struktur erlebte ich Herrndorf als sehr privaten Menschen, Rüthers Recherchen fühlten sich beim Lesen übergriffig an. Denn wir Blogger*innen wissen: Dass jemand schriftlich etwas von sich preisgibt, berechtigt in keiner Weise dazu, in sein/ihr Leben einzudringen. Rüthers arbeitete sich offensichtlich durch die Unterhaltungen im Online-Forum “Wir höflichen Paparazzi” (Ursuppe des Mitmach-Webs), bekam wohl auch Einblick in Chats – das fühlte (!) sich für mich sehr nach Schlüssellochguck-Journalismus an. Auch weil neben vielen Details in Herrndorfs Leben zwangsläufig auch die involvierten anderen Personen exponiert wurden.
Über diese gefühlte und unangenehme Grenzüberschreitung kam ich bei der Lektüre nicht hinweg – auch wenn meiner Vernunft klar ist, dass sie zumal bei einem verstorbenen Autor zur Forschung gehört.
43 – Jenny Erpenbeck, Geschichte vom alten Kind*
Hier unten besprochen.
44 – Eva Biringer, Unabhängig – Vom Trinken und Loslassen
45 – Sigrid Nunez, A Feather on the Breath of God*
Besprechung hier unten.
46 – Patrick deWitt, The Librarianist
47 – Fatma Aydemir, Dschinns*
Es ist so wunderbar, wie vielfältig deutsche Migrationsliteratur in den vergangenen 15 Jahren geworden ist. Aydemir platziert ihre Geschichte vom Gastarbeiter, der am Tag der Erfüllung seines Lebenstraums (eigene Wohnung in Istanbul) stirbt, und seiner Familie in den 1980ern und 1990ern – und macht allein dadurch klar, wie anders die Migrationswirklichkeit damals war. Das Set-up “Familienmitglieder treffen sich zur Beerdigung” ist ein klassisches, mit dem der Hintergrund der einzelnen Personen erzählt werden kann. Das macht Fatma Aydemit auch sprachlich sehr gelungen und nachvollziehbar.
48 – Helen Rebanks, The Farmer’s Wife: My Life in Days
49 – Paula Hawkins, The Girl on the Train
50 – Teresa Präauer, Kochen im falschen Jahrhundert
51 – Karsten Dusse, Achtsam morden*
Hier unten besprochen.
52 – Zadie Smith, The Fraud
53 – Roger Diederen, Nerina Santorius, Carlos Alonso Pérez-Fajardo (Hrsg.), Mythos Spanien. Ignacio Zuloaga
54 – Vicky Baum, Menschen im Hotel*
Besprechung hier.
55 – Grete Weil, Der Weg zur Grenze*
Besprechung dieses Jahres-Highlights hier.
56 – Robert Seethaler, Ein ganzes Leben
57 – Alan Taylor (ed.), Madly, Deeply. The Alan Rickman Diaries
58 – Ottfried Preußler, Der Engel mit der Pudelmütze*