Journal Sonntag, 21. Januar 2024 – Eine riesige, sehr kurze Demo gegen rechts

Montag, 22. Januar 2024 um 6:34

Etwas unruhige Nacht, aber bis zum Sieben-Uhr-Läuten geschlafen.

Wieder ein Tag mit Plänen, der aufziehende Sonnenschein freute mich sehr. Herr Kaltmamsell sorgte mit seiner Jahresproduktion Orangenmarmelade dafür, dass die Wohnung herrlich duftete.

Nach Bloggen, Milchkaffee, Wasser, Tee verließ ich das Haus schon vor zehn zum Laufen. Ich nahm meine Mehr-Netto-vom-Brutto-Route durch den Alten Südfriedhof, den ich dieser Tage wieder offen gesehen hatte.

An den Wegesrändern gestapelter Schneebruch.

Anhaltende Freude über die Sonne, auch wenn sie mich auf Schnee immer schmerzlich blendet – ich hatte zum Glück an meine Sonnebrille gedacht. Und es war gerade nicht zu kalt, ich konnte ohne schmerzende Lungen atmen. (Dass mir über meine anderthalb Stunden Lauf viermal Männer mit nackten Beinen joggend entgegen kamen, nahm mich allerdings ein wenig mit.)

Mehr Schneebruch bei Maria Einsiedel.

Wenn ich diesen Weißdorn links regelmäßig in Blütenpracht fotografieren kann, dann auch mal in winterlicher Kargheit.

Abschließend kaufte ich noch Semmeln. Die gab es daheim schon um halb eins zum Frühstück, außerdem einen Apfel.

Strumpfhose unter Jeans, dicksten Wollpulli über Thermo-Rolli, Mantel, Schneeschuhe, Mütze, Ski-Fäustline: Kurz nach eins spazierte ich mit Herrn Kaltmamsell Richtung Siegestor zur Demo “Gemeinsam gegen rechts”, wir überließen die sicher raren U-Bahn-Plätze denjenigen, die von weiter her anreisten. Wir kamen auch nur bis ca. 250 Meter vors Siegestor, ab hier war vor uns voll. Ich sah Menschen aus wirklich allen Altergruppen, das war sehr, sehr schön. Ohnehin: Dass die Organisator*innen diese Veranstaltung innerhalb einer Woche hochgezogen haben, ist wirklich unglaublich, allerhöchster Respekt.

Und dann musste die Veranstaltung bereits nach 45 Minuten abgebrochen werden: Mit laut Veranstaltungsleitung 250.000 Menschen war es zu voll (die Polizei zählte 100.000 Teilnehmende), das Sicherheitsrisiko zu groß. Das fand ich vor allem deshalb schade, weil ich gerne mehr Redner*innen gehört hätte; bis dahin hatten mir einige Wortmeldungen unangenehm aufgestoßen.
– “Ganz München hasst die AfD” war nicht mein Sprechchor, denn ich hasse die AfD nicht, ich lehne sie durch und durch ab. Hass hat in der Politik, die ich mir wünsche, überhaupt keinen Platz.
– Vom “Die Ampel-Regierung ist auch nicht besser, na ja, ein bisschen” der Band Kafvka distanziere ich mich energisch: Meiner Überzeugung nach sollen diese Demos gegen rechts die Landes- und Bundesparlamentarier*innen in ihrem Kampf gegen rechts unterstützen, sollen ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind. Wer ihre Arbeit nicht grundsätzlich wertschätzt (das schließt ja Kritik nicht aus), denkt nicht demokratisch.

Dass eine Frau mit einem Schild “before Zionism there was peace” vor mit vorbeiging, beunruhigte mich ebenfalls. Jetzt bin ich ja eher Demo-Neuling: Muss ich sowas in Kauf nehmen und bin nur überempfindlich? Ansonsten sah ich fast nur fröhliche und positive Schilder.

Nach Abbruch der Veranstaltung wurde es ungemütlich: Die Menge, in der ich stand, zerstreute sich nicht. Ich wollte Richtung Odeonsplatz abgehen, doch kurz vor der Schellingstraße steckte ich fest, es bewegte sich 25 Minuten lang gar nichts (immer wieder Durchsagen der Veranstaltungsleitung mit der Bitte, über Nebenstraßen und den Englischen Garten abzugehen, mit Hinweisen, dass die Veranstaltung abgebrochen worden war – es kamen wohl immer noch mehr Teilnehmer*innen nach, unter anderem, weil sie es in überfüllten Öffis nicht bis zum Siegestor geschafft hatten).

Und es wurde immer enger, da von links und rechts Leute dazukamen, die glaubten, auf der anderen Seite ginge es besser, und die dann ebenfalls stehenbleiben mussten, und zwar mittendrin. Gerade als mein Gesamtsystem mit der Idee spielte, dass Panik die angemessene Reaktion sein könnte, lichtete sich der Haufen ein wenig und es ging in Minischritten weiter.

Das Resultat formulierte @abspann gut:

Was dann allerdings sehr charmant war: Als ich durch die Innenstadt mäandernd nach Hause spazierte, sah ich immer wieder Spaziergänger*innen mit Demo-Schildern noch in der Hand.

Herr Kaltmamsell hatte es nur wenig vor mir nach Hause geschafft und arbeitete bereits am Sonntagsessen: Gänsebraten!

Ich las, hängte Wäsche auf, turnte ein wenig Yoga-Gymnastik, bereitete meine Bürobrotzeit für Montag vor. Dann gab’s: Gans satt.

Sie war hervorragend geraten, außen knusprig, innen zart und saftig. Wir hatten zwar auch noch übriges Blaukraut von Weihnachten aufgetaut, aber davon probierten wir eigentlich nur. Schokolade zum Nachtisch ging aber noch.

Dann traf auch noch die Nachricht ein, dass meine Unterkunft in Klagenfurt zum Bachmannpreis steht – schöner Wochenendabschluss.

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Demokratie ist anstrengend. Die Süddeutsche hat den Bürgerrat begleitet, der Empfehlungen zur Ernährungspolitik erarbeitet hat, und dessen Mitglieder das selbst im Kleinen erlebten und lernten (€):
“Herr Schreiber lernt Politik”.

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Immer wieder geistert unter Eltern die Ansicht, Lehrer*innen hätten die gesetzliche Verpflichtung, sich politisch neutral zu verhalten. Lehrerblogger Bob Blume sieht sich die Hintergründe genauer an:
“DISKUSSION: Müssen Lehrkräfte politisch neutral sein?”

die Kaltmamsell

13 Kommentare zu „Journal Sonntag, 21. Januar 2024 – Eine riesige, sehr kurze Demo gegen rechts“

  1. Thankmar meint:

    Danke für den Blume-Link. Meine Tochter hadert sehr damit, dass sie oft die desinformatorischen Aussagen ihrer Mitschüler korrigieren muss, und sich nicht auf die Lehrkräfte verlassen kann. Vielleicht hilft ihr der Text bei dee Diskussion mit diesen.

  2. N. Aunyn meint:

    Dass eine Demo wegen “Überfüllung” abgebrochen werden muß, fand ich total faszinierend. Das Gefühl von “unerledigt” kann ich dennoch gut nachvollziehen.

  3. Beate meint:

    Auch von mir Danke! Ich war auf katholischen (Mädchen)-Schulen, die meisten der Lehrkräfte (Schwestern) waren bei weitem nicht neutral.

  4. Trulla meint:

    Dass gerade diese Demo wegen Überfüllung (ich erlebte selbiges in Hamburg) abgebrochen werden musste, bewerte ich als außerst positiv, es ist Anlass zu reinster Freude. Wer hätte vorher gedacht, dass sich derart viele Menschen im ganzen Land bewegen, unsere offene Gesellschaft zu verteidigen?

    Das Ziel, der braunen Brut zu zeigen, dass sie entlarvt sind und Widerstand zu erwarten haben, ist deutlich geworden. Höckes Reaktion, Bilder und Berichte als “Fake” verkaufen zu wollen, zeigt, wie sehr sie getroffen sind.

  5. Friederike meint:

    Dass ich keine AfD-Hass-Sprechchöre mitrufen möchte, geht mir genauso (sie waren natürlich auch in Leipzig zu hören): Passt bei aller Ablehnung nicht dazu, sich generell gegen Hatespeech zu wenden.
    Was die Ampel betrifft, würde ich mir halt oft mehr kompetente Umsetzung wünschen bei so vielem, was ich grundsätzlich richtig finde.
    Und das Zionismus-Schild – unsäglich! (Ahnungslos oder verbohrt?)

  6. Croco meint:

    Es ist kein Hass. Es ist Abscheu, was ich empfinde. Und Herr Höcke scheint tatsächlich getroffen zu sein.
    Ich sehe das auch so: wir müssen die von uns gewählte Regierung unterstützen das alles zu tun was nötig ist. Es ist ihre Arbeit, dafür werden sie bezahlt. Sie müssen aber auch wissen, was wir wollen.
    Danke für’s Demonstrieren.

  7. Rainer meint:

    Es ist wirklich beruhigend zu sehen, wie breit die Ablehnung der AfD in der Gesellschaft und unter den sogenannten Alt-Parteien ist. Umso befremdlicher und meiner Meinung nach undemokratisch und gefährlich ist die offene Ablehnung der Teilnahme von Mitgliedern demokratischer Parteien durch die Veranstalter in München.

  8. Chris Kurbjuhn meint:

    Lehrkräfte waren noch niemals politisch neutral, und das war und ist gut so. Als halbwegs cleverer Schüler wusste/weiß man dann, wie man eine Diskussion initiert, um die Lehrkraft von besserwisserischen Wissensnachfragereien abzulenken.

  9. Sanníe meint:

    Verstehe Ihre Vorbehalte gegen “hassen” und schlage das international verwendete “Siamo tutti antifascisiti” vor, das auch viel melodischer ist.

  10. Verena meint:

    Ging mir genauso gestern auf der Demo: Einerseits riesengroßes Kompliment an die Organisatoren, andererseits Kritik ob der doch einseitigen Tonart. Das Publikum war vielfältig, die Reden waren es nicht.

    Das aufpeitschen der ersten und zweiten (?) Rednerinnen zum nachbrüllen von Parolen war unangemessen. Es hat auch nicht sehr funktioniert, es haben Wenige mitskandiert. und ich stand ziemlich nah an der Bühne. Es hat mir der Aufruf FÜR Demokratie gefehlt. Am meisten Applaus bekamen die Angehörigen der OEZ Anschläge, zurecht!

    Ich denke die meisten wollten ebefalls kein echauffiertes Hyperventil mit Ampelbashing, Seenotrettung, Kapitalismuskritik hören.

    Die Musik war dann auch fast schon aggressiv, schade. Die Leute waren es zum Glück nicht, bayerische-münchnerische Gelassenheit, alle Altersstufe auch viele Familien mit Grundschulkindern (so wie wir).

    Unangenehme Schilder habe ich nicht gesehen. Insgesamt bleiben die Bilder im Kopf&Herzen, nicht die Reden. Schade denn bei der September Demo hat man gesehen dass beides geht.

  11. Nadine meint:

    Habe in Bremen tatsächlich nicht solche Erfahrungen auf der Demo gemacht, wobei ich allerdings keine Sprechchöre hören konnte. Es passten nicht alle Menschen vor die Bühne, der Platz war zu klein. Hier auch alle Altergruppen da, viele nette Menschen, lustige Plakatsprüche. #keinrollofürnazis (Rollo – Bremer Variante des Dürüm-Döner).

  12. Hauptschulblues meint:

    as die Demo gestern angeht, stimme ich zu. Ich stak eine Stunde lang fest eingekesselt. Die Redebeiträge verstand ich an der Ecke Akademie-Leopoldstraße nicht, die Musik hat mir nicht gefallen. Schade, dass die Polizei den Zug zur Potsdamer Straße stoppte, die Autonomen wollten dort hin. Aber die Spaziergänger, Aberhunderte, flanierten dorthin. So kam die Demo doch noch zu einem Ende, die Danubia stark geschützt.

  13. Birgit meint:

    Bei der Anreise war am Marienplatz an der U-Bahn Schluss, die U-Bahn hielt gar nicht mehr an der Universität und das ganze Untergeschoß war voller Menschen, die ankommenden U-Bahnen ebenfalls gestopft voll. Wir wurden aufgefordert zu Fuß zu gehen. Ich habe es dann nur noch bis zum Odeonsplatz geschafft, dann hiess es schon, dass man bitte nicht mehr nach vorne gehen solle. Die Band Kafvka fand ich mit der Aussage, dass die Ampel-Regierung höchstenfalls ein bisschen besser sei, total daneben. Es war eine eine Demo gegen Rechtsextremismus und nicht gegen die Ampel-Regierung. Mich haben die Bauernproteste bei mir vor Ort mit den pauschalen Weg mit der Ampel-Argumenten dermassen genervt, dass ich mir sowas Ähnliches nicht auch noch auf dieser Demo anhören wollte. 20 min nach meiner Ankunft, wurde die Demo beendet, am Odeonsplatz wäre noch genug Luft gewesen um zum Marienplatz zurückzugehen, allerdings rechnete ich damit, dass die S-Bahnen zurück nach Hause komplett überfüllt gewesen wären.
    So verbrachte ich die nächsten 45 min so dekadent wie noch nie bei einer Demo ;-) auf der Aussenbestuhlung vom Tambosi mit einem Hugo, während ich auf eine Freundin wartete, die noch weiter vorne feststeckte.
    Die Menschenmengen waren beeindruckend, es war toll, dass die Züge schon ab Geltendorf erkennbar voll mit Menschen waren, die zur Demo wollten (ein paar auch zum Bayernspiel).
    Hier in meiner Diaspora 20 km von Geltendorf entfernt und in einem Ort lebend, in dem die AFD bei der Landtagswahl 20% der Stimmen bekommen hat, war der gestrige Tag eine sehr willkommene Bestärkung.

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