Archiv für Januar 2024

Journal Mittwoch, 10. Januar 2024 – Beerdigung einer Kindheitsbegleiterin

Donnerstag, 11. Januar 2024

Trotz freiem Tag früh aufgestanden, um Herrn Kaltmamsell zusammen mit mir Milchkaffee servieren zu können. Ihn mit viel Daumendrücken verabschiedet: Gestern bis Freitag streikt die Gewerkschaft der Lokführer GDL, seine S-Bahn in die Arbeit gab es nur vereinzelt.

Die Sonne ging zu einem eisigen Tag auf.

Vogeltränke als Eislaufbahn.

Selbst checkte ich nochmal die Bahnverbindung nach Ingolstadt, die mich zur Beerdigung bringen sollte: Es gab eine, ich war zuversichtlich.

Die angekündigte Fahrt fand dann auch pünktlichst statt.

Eisnebelige Holledau.

Sonniges Donautal.

In Ingolstadt spazierte ich vom (deutlich außerhalb des Zentrums gelegenen) Hauptbahnhof in die Innenstadt auf einen Cappuccino im District V, die Straßen und Wege frei, hier hatte es offensichtlich am Wochenende deutlich weniger geschneit.

Mit genug Zeit zum Umschauen: Spaziergang Richtung Westfriedhof.

Rathausplatz.

Kreuztor.

Ehemalige Lieblklinik, in der ich 1967 zur Welt kam, immer noch ohne Gedenkplakette (wahrscheinlich muss ich dafür erst tot sein).

Da ich zu Fuß unterwegs war, behinderte mich die einfahrende Karawane von Traktoren mit Protestplakaten (ohne eine einzige konkrete Forderung) nur wenig.

Wiedersehen mit Kindheitsvertrauten vor der Aussegnungshalle. Ich hatte damit gerechnet, dass die meisten mich nicht erkennen würden (1. lang nicht gesehen, 2. scheine ich mich ständig zu verändern und bin mittlerweile gewohnt, schon nach ein paar Jahren nicht wiedererkannt zu werden), ich stellte mich halt beim Begrüßen vor. Meine Eltern waren gekommen, auch mein Bruder radelte aus der Arbeit an. Er ist das Patenkind der Verstorbenen.

Hier trägt sie vor 50 Jahren meinen Bruder bei seiner Taufe auf dem Arm, links neben ihr meine Mutter.

Katholischer Abschied in der Aussegnungshalle des Westfriedhofs. Die seitlichen Fresken von Oskar Martin Amorbach von 1935, also der Totentanz, gefielen mir besonders gut.

Anschließend im Café ergaben sich mehr Wiederbegegnungen und Gespräche. Es waren bei aller Traurigkeit über den Anlass schöne Begegnungen, ich kam auch dazu, mich mit dem Witwer eine Weile zu unterhalten. Und es zeichnete sich ab, dass ein Kindheitsfreund aus meiner Generation im Sommer ein Treffen von uns einstigen Spielkamerad*innen organisieren wird – das würde mich sehr freuen.

Trotz vieler freundlicher Mitfahr-Angebote ging ich gern zu Fuß zurück zum Hauptbahnhof.

Die dritte Donaubrücke, Glacisbrücke, mit schicker eigener Fußgänger- und Radlspur auf beiden Seiten.

Donaublick nach Westen.

Donaublick Richtung Stadt mit Neuem Schloss.

St. Markus

St. Anton

Im Bahnhof setzte ich mich für die halbstündige Wartezeit auf den nächsten Zug zur Brotzeit und aß mitgebrachten Apfel und Kanten selbstgebackenes Brot.

Ereignislose Fahrt zurück, auf dem Weg nach Hause kurze Einkäufe.

Daheim erstes Erzählen, dann turnte ich Yoga-Gymnastik, nochmal die Folge vom Vortag. Brotzeitvorbereitungen für den nächsten Arbeitstag.

Das Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell auf der Basis eines Funds auf der Theke seines Lehrerzimmers (auf der wohl immer wieder Lebensmittel zur Weitergabe auftauchen): Milchbrötchen. Die verwandelte er in indisches Pav Bhaji (verlinktes Rezept minus Mangopulver, sagte er, braucht’s aber auch nicht).

Ausgesprochen köstlich.

§

Alina Schwermer hat sich für die taz mit dem immer schädlicher werdenden Phänomen Overtourism beschäftigt:
“Problem beginnt vor dem Eimersaufen”.

Für mich überraschend war, dass Overtourism nicht unbedingt von der Zahl der Be­su­che­r*in­nen pro Einwohner*in abhängt.

§

Völlig neuer Use Case von Benimmregeln am Arbeitsplatz: Muss ich einschreiten, wenn mein automatisches Terminvereinbarungs-Programm mit weiblichem Namen von Männern blöd angemacht wird?
“men are hitting on my scheduling bot because it has a woman’s name”.

via @jawl

Journal Dienstag, 9. Januar 2024 – Eine neue Ära des Lesens im Bett

Mittwoch, 10. Januar 2024

Etwas unruhige Nacht. Ereignisloser Morgen, der eisige Weg in die Arbeit über die Theresienwiese erinnerte mich an Frau Brüllens Island-Fotos. Aber die Sohlen der Schneestiefel griffen wieder.

Die angekündigte klirrende Sonne wollte sich nicht blicken lassen, statt dessen kräftiger Frost unter Hochnebel.

Mittagscappuccino mit mehr Geld in der Hand: Diesmal klappte es bei Nachbars, der Barista wusste noch auswendig, dass ich immer einen kleinen Cappuccino bestelle und war sehr stolz darauf (ich auch).

Zu Mittag gab es Apfel, Mandarine, Quark mit Joghurt.

Mittags war sie endlich da, die Sonne, und strahlte vom bald wolkenlosen Himmel. Kurz darauf musste ich einen Rollo runterlassen (der Rollo? das Rollo?), weil die Sonne im Winter an den Fenstern des Nebenhochhauses spiegelt und mir genau ins Gesicht scheint.

Der klare Himmel hielt sich.

Kleinere Übergaben, weil ich den Mittwoch frei genommen hatte: Ich möchte an einer Beerdigung teilnehmen. Die Verstorbene war genau genommen eine Freundin meiner Eltern, doch sie ist die erste aus dem Gastarbeiterspanisch-einheimischen Freundeskreis, in dem ich groß wurde, die jetzt ging. Wie viele Kindheitserinnerungen ich mit ihr verbinde! Dieser Freundeskreis hatte viele Funktionen, die in anderem Familien die Verwandtschaft übernahm: In unserem Fall lebte die meiste biologische Verwandtschaft zu weit weg. Die Kinder dieser Freunde waren sowas wie Kusinen und Kusins, die meisten etwa in meinem Alter. Das letzte Treffen ist jetzt sehr lang her, aber ich ließ mir immer wieder berichten, wie es mit diesen Menschen weitergegangen war.

Pünktlicher Feierabend, weil ich mir bei der Warmwachserin wieder “Beine wie Delphin!” holte. Auf dem Weg nach Hause Abstecher zum Bahnhofsuntergeschoß, dort Automatenfoto für mein Langzeitprojekt.

Ein breites Lächeln wurde mir direkt vor der heimischen Haustür geschenkt: Eine Maus huschte vorbei, ich blieb stehen und sah ihr zu, zog dann vorsichtig mein Handy hervor und fotografierte sie.

Ja Sie müssen schon genau hinsehen.

Zu Hause eine Runde Yoga-Gymnastik. Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell aus einem Suppenhuhn Brühe gekocht, servierte sie mit gekauften frischen Ravioli mit Kürbisfüllung (eigentlich waren Tortellini in brodo geplant gewesen, meiner Überzeugung nach das Beste, was Tortellini passieren kann, doch er hatte keine frischen bekommen).

Abendunterhaltung war die Empfehlung von jemandem, mit der ich gestern dezemberliche Bahnabenteuer ausgetauscht hatte: Eine heute Show vom vergangenen Sommer, die dem Zustand der Deutschen Bahn hinterherrecherchiert, unter anderem die Leitstelle besucht, die bei Störungen Züge umplant und -dirigiert – das hätte ich gerne noch viel genauer gesehen.

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https://www.youtube.com/watch?v=jTDtoVql4hc

Früh ins Bett zum Lesen, um den Nacken ein Geschenk des Herrn Kaltmamsell.

Bild: Herr Kaltmamsell

Mit dieser Leselampe kann ich im Bett auch Papierbücher entziffern – ohne Deckenlicht, für das ich zum Ausschalten nochmal aufstehen muss (die Lampe auf dem Sideboard steht zu weit weg für ausreichend Leselicht). Was mir besonders gelegen kommt, da sich ein kleiner Stapel Bücher aus meinem Bestand gesammelt hat, die ich nochmal lesen möchte.

Journal Montag, 8. Januar 2024 – Eisiger Start ins neue Arbeitsjahr

Dienstag, 9. Januar 2024

Wie angekündigt war es über Nacht eisig und frostig geworden. Nach einer mittelunruhigen Nacht (Rippenschmerzen beim Liegen auf der linken Seite, laute Unterhaltung vorm Fenster) schlüpfte ich für den ersten Gang in die Arbeit 2024 in meine Schneestiefel: Die haben das griffigste Sohlenprofil, das ich je unter meinen Füßen hatte, Bewunderung für die Entwickler*innen.

Damit kam ich problemlos über Eis und spiegelnd festen Schnee. (Nur dass sich leider schon nach einem Jahr das Innenfutter verabschiedet und zu Reibestellen führt, sich außerdem die Verklebung der Sohle mit dem Oberteil löst.) In der Luft hingen vereinzelt und unentschlossen kleine Schneeflocken.

Vor diesem ersten Arbeitstag hatte ich nicht mal ins berufliche E-Mail-Postfach gesehen: Weihnachtsferien mag ich ganz besonders, weil das Bewusstsein, dass NIX passiert sein kann (außer ich hätte es in den Nachrichten mitbekommen), mich wirklich entspannt. Im Büro dann auch nichts, worauf ich nicht gefasst gewesen wäre, ich arbeitete es fleißig und konzentriert ab.

Kein Mittagscappuccino bei Nachbars: Ich hatte zwar mit einer Preiserhöhung zum Jahreswechsel gerechnet und mehr Geld mitgenommen (weil diese Cafeteria eigentlich nicht auf Barzahlung eingerichtet ist, denn die eigentlichen Mitarbeitenden laden ihren Firmenausweis auf und zahlen darüber, habe ich den Betrag immer passend dabei), doch so viel dann auch wieder nicht, dass eine Preissteigerung von 20 Prozent abgedeckt wurde.

Zu Mittag gab es Mango mit Sojajoghurt und eine Scheibe selbstgebackenes Brot. Richtig warm war das Büro gestern nicht, ich setze darauf, dass die Heizsysteme erst wieder hochfahren müssen.

Emsiger Nachmittag mit Dauerkunstlicht, denn draußen blieb es düster und grau. Als ich das Bürohaus verließ, war es immer noch knackig kalt. Auf dem Heimweg Einkäufe im Vollcorner.

Heimgekommen in eine endlich wieder professionell geputzte Wohnung – so schön! Meine Liebe zu sauberem Wohnen wird nur übertroffen von meiner Abneigung gegen Putzen, eine unglückliche Kombination. Das Ergebnis: Niemand zahlt vermutlich lieber fürs Putzen als ich.

Nächste Folge Yoga-Gymnastik – bei ihrem diesjährigen 30-Tage-Programm “Flow” wirkt Adriene ohnehin nicht so ganz bei der Sache, in Folge 4 vergisst sie bei einer Abfolge die andere Seite. Absolut verzeihlich, warum sollte sie nicht auch mal einen Durchhänger haben.

Das Nachtmahl zauberte Herr Kaltmamsell aus Vorhandenem (Spinat, Kartoffeln, Eier), ich hatte Salat dazugekauft, den ich mit klassischer Vinaigrette anmachte.

Nachtisch: Christstollen und Schokolade.

Im Bett Start einer neuen Lektüre: Nach vielen Jahren ohne hatte ich mir mal wieder Friedrich Torbergs Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten gegriffen. Da ich es schon so oft gelesen habe, kann ich die wichtigsten Zitate natürlich auswendig und setze sie regelmäßig ein, doch ich bin gespannt, wie sich die Herleitungen dazwischen gehalten haben. Das Buch gibt es immer noch neu zu kaufen, in der mittlerweile 42. Auflage.

§

Frau Nessy war im Urlaub im großen Schnee von Dänemark und berichtet darüber mit großartigen Fotos.
“Eine Reise in den Schneesturm von Aarhus”.

Außerdem hat sie sich in dem Post die große Mühe gemacht, zu der ich am Sonntag ansetzte und dann doch zu faul war: Sie hat sich in die Hintergründe der Landwirtschaftsproteste eingelesen und Material gesammelt (unter dem Stichpunkt “Gelesen”). Die Missstände in der Landwirtschaft decken sich leider nur wenig mit den vordergründigen Forderungen des aktuellen Protests.

Hier zum Thema Landwirtschaft ein weiterer, gut lesbarer Hintergrundartikel:
“Warum die Bauernschaft wütend ist”.

Und nein: Auch mir als Kartoffelkombinats-Genossenschaftlerin, Crowdfarming-Bezieherin und mit meinen ziemlich (nämlich genau bis zu der Grenze, an der es sich für mich – ! – anstrengend und übertrieben anfühlt) bewussten und gezielten Lebensmitteleinkäufen kann das nicht egal sein: Landwirtschaft ist ein zentraler Einfluss auf Boden, Umwelt, Nachhaltigkeit, und in Deutschland ist die Landwirtschaft immer noch vor allem industriell angelegt, um rentabel zu sein. Ich habe nicht wirklich den Eindruck, dass die Subventionspolitik der EU und der Republik das verbessern.

(Doch wer sich Landwirtschaft ohne EU ansehen will, muss ja nur nach Großbritannien schauen. Oder als Verbraucherin in die Schweiz und zu den dortigen Preisen für landwirtschaftliche Produkte.)

§

Eine wichtige Liste:
“Aufgedeckt: 10 antisemitische Mythen”.

via hmbl

Journal Sonntag, 7. Januar 2024 – Schneeflocken auf nackten Schulterblättern

Montag, 8. Januar 2024

Jubel beim ersten Blick aus dem Fenster: Es schneite tatsächlich, ich würde meinen ersten Draußenschwumm mit Schneeflocken seit Jahren bekommen.

Noch vor zehn kam ich los und fuhr mit der U-Bahn zum Westfriedhof, ging durch den Matsch zum Dantebad.

Durch diese Tür geht man im Sommer direkt auf die Liegewiesen, das Sportschwimmbecken liegt ganz rechts davon.

Die beiden Schwimmbahnen im Außenbecken waren rege beschwommen, doch sie sind breiter als im Olympiabad und man kommt gut aneinander vorbei. Meine 3.000 Meter waren auch körperlich kein Problem – ich weiß jetzt, dass ich in guter Gesamtverfassung auch dreimal in einer Woche diese Strecke schwimmen kann.

Vor allem aber genoss ich ungemein, beim Kraulen die Schneeflocken auf meinen Schulterblättern zu spüren, das ist einfach ein unvergleichliches Gefühl. Der Fußweg vom Gebäude zum Wasser war nassgeduscht nicht wirklich angenehm gewesen, doch schon das Gleiten ins Dampf-überwaberte Becken (ich setze mich immer an die Kante der Bahn und lasse mich langsam mit der Bewegung ab, mit der man an Stepper oder Stuhl den Trizeps trainiert), war großartig. Und dann immer wieder der Blick beim Luftholen abwechselnd links und rechts auf verschneite Tribüne und die mächtigen Leuchter darüber oder auf die kahlen Bäume auf der anderen Seite.

Nach Duschen, Cremen, Föhnen ging ich hocherhitzt das erste Stück des Rückwegs bis Rotkreuzplatz mit hochgeschlagener Kapuze zu Fuß, um mehr von dieser frischen Luft zu bekommen, die man so rühmt.

Vom Rotkreuzplatz nahm ich die U-Bahn nach Hause.

Daheim schnell ein paar Kleidungsstücke weggebügelt, um ohne Bügelschulden in die erste Arbeitswoche nach Urlaub zu starten.

Frühstück um zwei: Selbstgebackenes Brot mit Butter, Granatapfelkerne, Blutorange. Auf dem Sofa eingekuschelt, mit Seitenblick auf den immer mehr verschneiten Park Dunkelblum von Eva Menasse ausgelesen, bis zuletzt sehr angetan (Details folgen). Dazwischen fielen mir die Augen zu, ich legte mich zu einem halben Stündchen Siesta hin.

Yoga-Gymnastik war nochmal die vortägige Folge 3, ein wenig eingeschränkt durch die seltsamen Rippenschmerzen links, die mich seit einer Woche nerven.

Fürs Abendessen hatte ich mich zuständig gemacht, um ein Rezept auszuprobieren, das ich seit zehn Jahren auf der Liste hatte: eine Spinat-Calzone. Hm. Wir wurden satt, und ich weiß jetzt, dass ich einen anderen Teig verwenden würde, außerdem mehr Spinat.

Journal Samstag, 6. Januar 2024 – Nasse drei Könige mit erfolgreicher Brotrettung

Sonntag, 7. Januar 2024

Wieder musste mich der Wecker wecken, sonst hätte ich zu lang geschlafen.

Noch vor Kaffeekochen weitere Handgriffe am Dunklen Bauernbrot (das verlinkte Rezept ist ein aktualisiertes).

Ich habe es schon ein paar Mal gebacken und folgte meinen Notizen, lieber mit der Maschine zu kneten. Das Ergebnis war zu meiner Verwunderung ein viel zu weicher Teig, der sich auch nach schnellem Kneten nicht von der Schüssel löste – schlechtes Zeichen. Das setzte sich beim Strech & Fold fort: Es entstand keinerlei Glutenstruktur, der Teig bazte nur vor sich hin.

Doch schlussendlich war ich auf dieses Brot besonders stolz: Ich rettete es nämlich vor ziemlich absehbarem Misslingen. Die einzige Chance, einen unessbaren Türstopper zu vermeiden, sah ich in einer Verlängerung der Stückgare. Beim Formen des Laibs brachte ich keinerlei Spannung auf die Oberfläche, kippte ihn dennoch ins Gärkörbchen und machte mich auf meinen geplanten Isarlauf, eine Wiederholung der Runde vom Donnerstag: von der Reichenbachbrücke aus nach Süden bis Großhesseloher Brücke, zurück bis U-Bahnhof Thalkirchen.

Zwar sah es ungemütlich grau und nass aus, es tröpfelte auch ein wenig, doch meine Bewegungslust brach das nicht. Und so trabte ich locker bei mal mehr, mal weniger Regentröpfeln und genoss es, umsprang die vielen Pfützen, wurde auch nur ein wenig feucht, spürte tiefe Dankbarkeit für diesen alternden Körper, der mir das alles ermöglichte.

Wassersport ging auch bei diesem Wetter.

So viel Schneebruch!

Zurück daheim schaltete ich erstmal den Backofen ein. Im Gärkörbchen war der Teig tatsächlich sichtbar aufgegangen, ich schöpfte Hoffnung. Allerdings fiel das Brot so als geplantes Frühstück aus, nach Duschen und Körperpflege wärmte ich statt dessen Reste auf: Linsen-Erbseneintopf, zu dem ich das Saucengemüse des freitagabendlichen Boeuf Bourguignon kippte (das eigentlich traditionell weggworfen wird, aber hier wird nichts Essbares weggeworfen). Das säuerliche Saucengemüse (weil in viel Wein gegart) passte hervorragend zum Eintopf. Aber gut: Das bezeichne nicht mal ich mehr als Frühstück.

Hurra, die längere Stückgare hatte tatsächlich ein gutes Brot ergeben!

Der erwartete blaue Fleck vom Schwimmen. Ist das eine unter Sportler*innen bekannte Schwimmverletzung?

Am Nachmittag regnete es heftiger, ich hatte also mit meinem Laufwetter Glück gehabt. Gemütliches Lesen auf dem Sofa, Dunkelblum von Eva Menasse gefällt mir weiterhin sehr gut.

Meine Yoga-Runde legte ich besonders früh ein, denn ich wollte das gewünschte Nachtmahl zusammen mit Herrn Kaltmamsell zubereiten: Kichererbsen-Kastanien-Suppe aus Rachel Roddys A-Z of Pasta.

Ich durfte geröstete Kastanien schälen (ah, ich hatte ganz vergessen, wie deutlich man das nach einer Weile der Haut der schälenden Daumen ansieht), dann Nudelteig mit Ei zubereiten (Herr Kaltmamsell hatte sich nachmittags bereits an einem ohne Ei versucht und diesen mit dem Nudelholz ausgerollt), mit der Nudelmaschine plattmachen, zuschneiden.

Schmeckte schon gut, aber irgendwie verbanden sich die süßen Kastanien, die Kichererbsen und die Nudeln (wir fanden die Eier-Variante besser) nicht so recht zu einer Einheit. Doch wir sind sehr auf den Geschmack des Nudel-Selbermachens gekommen, geht ja wirklich ratzfatz. Dazu italienischer Weißwein: Pecorino – der sehr gut passte.

Nachtisch Schokolade.

§

In meinem persönlichen Internet habe ich es nicht mitbekommen, aber manche Nebenbemerkung in Außerhalb-Internet-Gesprächen lassen sich so erklären: Die Massaker des 7. Oktober werden unter einigen Gruppen mittlerweile gezielt und massiv geleugnet. Das ist furchtbar, der Tagesspiegel widerlegt die schlimmsten Falschmeldungen, die herumgereicht werden.
“Drei Monate nach den Massakern des 7. Oktober:
Versuchte Geschichtsfälschung im Zeitraffer”.

So komplex und verworren der Nahostkonflikt insgesamt sein mag, so furchtbar simpel waren die Ereignisse des 7. Oktober. Tausende Terroristen drangen aus Gaza nach Israel ein, ermordeten 1200 Menschen, großteils Zivilisten, und verschleppten 240 Geiseln. Es gibt keinen Deutungsspielraum, wer hier die Täter waren und wer die Opfer.

§

Im Guardian ein Interview mit der verehrten Jodie Foster, interessant auch wegen der selbstreflexiben Ebene der Interviewerin Emma Brockes:
“‘There are different ways of being a woman’: Jodie Foster on beauty, bravery, and raising feminist sons”.

Journal Freitag, 5. Januar 2024 – #WMDEDGT

Samstag, 6. Januar 2024

5. des Monats, und Frau Brüllen fragt die Freund*innen des Tagebuchbloggens wieder “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, sammelt die Antworten unter #WMDEDGT.

Wieder ließ ich mich mit Wecker um sieben an zu langem Schlafen hindern, gestern war schließlich mein letzter Urlaubstag, und der wollte genutzt werden.

Bis ich im Urlaubsmodus mit Bloggen, Milchkaffee- und Teetrinken, Mastodonlesen durch war, waren dann aber doch drei Stunden vergangen, unter anderem mit Pediküre, Teil 1.

Das Draußen gab sich düster und kühl, doch ich setzte darauf, dass es trocken bleiben würde und nahm das Rad zum Olympiabad. Dort waren die Bahnen wieder angenehm wenig beschwommen, ich kraulte meine 3.000 Meter flüssig und schmerzfrei ab, unterdrückte aber den Impuls, ein paar Runden dranzuhängen: Vielleicht würde sich am Sonntag mit angekündigtem Schneefall ein Draußenschwumm im Dantebad ausgehen. (Ich fühle mich derzeit so fit und gesund wie selten und ich habe frei, aus diesem Luxus möchte ich so viel Bewegung rausholen, wie vor dem nächsten Zipperlein geht.)

Aber ich hatte gestern wieder einen Trampeltag: Im Schwimmbecken donnerte ich so oft mit der rechten Hand aufs Bahntrennplastik, dass ich mit ausgiebigen blauen Flecken rechne.

Beim Heimradeln wurde mir mal wieder bewusst, wie gerne ich mich eigentlich radelnd durch die Stadt bewege – würde ich mich dabei nur sicherer fühlen. Vielleicht erlebe ich ja noch ein München, dessen Verkehrsführung nicht zu 90 Prozent auf Autos ausgelegt ist.

Frühstück kurz nach zwei: Apfel, Roggenvollkornbrot (es hatte keinen Pumpernickel gegeben, und ich war offen für neue Erfahrungen, Ergebnis: aha, nö, Pumpernickel schmeckt mir viel, viel besser) mit Butter. Meine Mutter hatte in meiner Abwesenheit angerufen und eine Einladung zu Dreikönigsessen angeboten, doch ich lehnte wegen vieler anderer Pläne ab, unter anderem wegen bereits begonnenem Brotbacken.

Für Einkäufe ums Eck verließ ich das Haus nochmal: Kapuze hoch, weil es nun tröpfelte (was bis zum Abend sanfter Dauerregen wurde), beim Verdi Obst und Gemüse, dabei die Entdeckung: Die Bitterorangensaison ist eröffnet.

Ich wollte mal wieder lustige Zehennägel haben (über deren Anblick ich mich beim Duschen und Yoga freue) und heizte das Wohnzimmer hoch, um ca. 50 Minuten mit nackten Füßen für Unterlack, zweimal Discolack, Überlack durchzustehen.

Den restlichen Nachmittag wohnte ich intensiv die hohe Miete ab und las die Feiertags-/Wochenend-Süddeutsche. Nach einiger Vorfreude turnte ich Folge 2 von Adrienes diesjährigem Yoga-Programm – die zu 75 Prozent der zweimal geturnten Folge 1 entsprach und die ich deshalb wohl nicht nochmal durchspielen werde.

Zum Nachtmahl hatte ich mir von Herrn Kaltmamsell Boeuf Bourguignon gewünscht: Es gab noch eine gute halbe Flasche Glühwein, und niemand in diesem Haushalt mag Glühwein, ich hielt ihn wegen seiner Gewürze für eine ausgezeichnete Basis für genau dieses Gericht. (Stellte sich als genau richtig heraus, dafür strich Herr Kaltmamsell das eine oder andere Gewürz aus seinem Rezept und süßte weniger.)

Auf der Suche nach einem Aperitif blätterte ich in dem Buch, das Herrn Kaltmamsell und mir in den frühen 1990ern Cocktailmixen beigebracht hat, vor allem durch seinen ausführlichen Warenkunde-Teil: American Bar von Charles Schumann.

Es wurde ein Rosita, auf dem Foto Zutaten und Ergebnis – schmeckte gut, der Campari kam in dieser geringen Menge besonders gut raus. Dazu libanesische Salznüsschen.

Das Nachtmahl wurde ein richtiges Festessen: Das Boeuf Bourguignon superzart und aromatisch, dazu köstlicher frischer Kartoffelstampf aus Ernteanteil, ich hatte Ruccola-Salat beigetragen (Dressing mit dem Weihnachtsgeschenk Himbeer-Essig). Dazu ein Glas spanischen Wein, mit dem zusätzlich zum Glühwein aufgegossen worden war. Zum Nachtisch reichlich (zu viel) selbstgebackener Thüringer Stollen.

Ich kam später ins Bett als geplant, weil ich mich in dem Ergebnis einer ungemein aufwändigen und tiefen journalistischen Recherche festlas. Vergangenes Jahr war aufgeflogen, dass die seit 2014 aktive Twitterin Jule Stinkesocke, laut Profil querschnittgelähmte Behindertenaktivistin mit fast 70.000 Followern, von zahlreichen Seiten preisgekrönt – gar nicht existierte. Die Redaktion von Imperialcrimes hat sich dahintergeklemmt, akribisch die Faktenlage und Online-Geschichte der tatsächlichen Person dahinter herauszufinden – ohne Sensationsgeheische und mit Schutz der Identitäten von Beteiligten:
“Causa Jule Stinkesocke
Auf der Suche nach Julia Gothe”.

via @fraudiener

Journal Donnerstag, 4. Januar 2024 – Urlaubstag mit stürmischem Isarlauf und Museum Brandhorst

Freitag, 5. Januar 2024

Nach einer guten Nacht wurde ich zeitig wach – und hatte dadurch wieder erfreulich viel vom Tag, aus mir wird so schnell keine genussvolle Langschläferin. Also gemütliches Bloggen an Milchkaffee, Tee, Wasser und Lektüre der Mastodon-Timeline.

Der Wind tobte und pfiff draußen immer noch laut, dennoch brach ich kurz nach zehn unter buntem Himmel zu einer Laufrunde auf. Mit der U-Bahn fuhr ich eine Station bis Fraunhoferstraße, von dort waren es zur Isar nur wenige Schritte, ich lief nach Süden.

Ich lief leicht und mit Genuss, und ich versuchte, die Laufzeit unter 70 Minuten zu halten, um fit genug für eine weitere Runde vor Arbeitsrückkehr am Montag zu bleiben. Im U-Bahnhof Thalkirchen erwischte ich umgehend eine Bahn nach Hause, ich dehnte ein wenig auf der Fahrt.

Nach Duschen und Anziehen ging ich auf eine Einkaufsrunde – und warf mit Geld um mich: Im Schaufenster der Galerie artefakt in der Hans-Sachs-Straße, wo ich vor viereinhalb Jahren schonmal Ohrringe gekauft hatte, hatte ich wieder ganz besonders schöne gesehen. Sie erwiesen sich als massiv golden und kosteten entsprechend – aber ich schaue so oft in die Auslagen von Goldschmieden, dass ich es ernst nehme, wenn ich an einem Stück wirklich hängen bleibe und es als ganz besonders empfinde. Ich kaufte die Ohrringe und ließ mir diesmal auch den Namen der Künsterlin nennen: Alessandra Pizzini. Per Foto zeige ich sie mal mit passendem Gesamtstyling. (Die Künstlerin der 2019 erworbenen Ohrringe erfrug ich diesmal auch: Birgit Hagmann.)

Und dann warf ich nochmal im Rahmenladen mit Geld um mich, damit die sechs Drucke von Tel Aviver Bauhäusern von Giselle Dekel endlich an die Wand im Wohnzimmer kommen, für die ich sie vor über einem Jahr gekauft habe. Ich ging dafür wieder in die Poster Galerie München PGM, in die ich seit 20 Jahren alles zu Rahmende trage, mit Beratung und Ergebnis jedesmal hoch zufrieden.

Das hatte alles länger gedauert als erwartet, zum Frühstück (eine unerwartet wenig nachgereifte Mango mit Sojajoghurt, Haferfocken mit Milch) setzte ich mich erst um halb drei.

Nach meiner Zeitungslektüre brach ich schon bald wieder auf: Ich war mit einem Neu-Münchner verabredet, endlich mal das Museum Brandhorst anzusehen, und ließ mich von einer Tram hinfahren.

Doch nachdem mich die Sammlung der Neuen Nationalgalerie in Berlin in vielerlei Hinsicht abstrakter Kunst näher brachte, fühlte ich im Museum Brandhorst vor allem Distanz. Ich habe jetzt einen Begriff vom Werk Cy Twomblys, und der riesige Saal mit dem Zyklus “Lepanto” ist durchaus beeindruckend1 – doch an mich kam außer “schön bunt!” und “Energieausbruch” kaum etwas heran. Auch die Texttafeln zu den Bildern waren genau nicht, was ich brauchte, sie gaben immer wieder Interpretationen und Assoziationen vor (“die Form erinnert an XY”), auf die ich nur mit einem ehrlichen “Nein, mich nicht” reagieren konnte.

Ähnlich in der Luft hängen ließ mich die aktuelle Ausstellung “This Is Me, This Is You. Die Eva Felten Fotosammlung” im Untergeschoß. Als große Fotografie-Freundin war ich gespannt, doch mir fehlte jeder rote Faden. Weder wurde mir technische Entwicklung präsentiert noch ein/eine Künstler*in, auch nicht eine Epoche oder ein geschichtlicher Verlauf, sondern alle möglichen Ansätze, Zeiten, Motive, Fotograf*innen nebeneinander. Die einzige Verbindung, die ich herstellen konnte, war, dass sie von Eva Felten gesammelt worden waren – und die hätte nur Aussagekraft gehabt, wenn mir die Erwerbungsgeschichte oder ein sonstiger Bezug zur Sammlerin erzählt worden wäre.

Aber: Ich freute mich sehr über meine Begleitung, der an den Exponaten viele Anlässe zum Erzählen fand. Das Gespräch setzten wir über dem Abendessen fort, für das wir zum japanischen Restaurant Tenmaya spazierten, weil es dort Okonomiyaki gibt:

Zurück zu Fuß über den Hauptbahnhof, an dem der Begleiter eine U-Bahn nahm – München ist wirklich übersichtlich. Der Sturm hatte sich endlich gelegt, kein nerviges Pfeifen und Brausen mehr.

  1. Wobei ich als gebürtige Ingolstädterin mit der Schlacht von Lepanto eh Kunst verbinde – allerdings eine ganz andere. []