Archiv für Februar 2024

Journal Donnerstag, 22. Februar 2024 – Langsamer Start in neuen Arbeitslebensabschnitt

Freitag, 23. Februar 2024

Schon um fünf aufgewacht und nicht wieder eingeschlafen, dabei hätte ich diese letzte Stunde Schlaf wirklich gebraucht.

Kurz nachdem ich von daheim aufbrach, setzte Regentröpfeln ein, und ich war ohne Regenschirm unterwegs: Erst als es hell wurde, sah ich, wie dunkel der Himmel war.

Im Büro war ich so emsig beschäftigt, dass ich mich fast nicht wegen eines Termins kurz vor Mittag verrückt machen konnte. Blöderweise war ich damit 20 Minuten vor Termin durch, die ich umgehend zum Verrücktmachen nutzte.

War dann ein konstruktiver Termin, ich kam mit neuen Aufgaben raus – ein neuer Arbeitslebensabschnitt beginnt langsam. Schneller Mittagscappuccino bei Nachbars, der Regen machte weitere Ausflüge auch nicht attraktiv (selbst bei den für die Jahreszeit zu hohen 8 bis 9 Grad).

Nach einer weiteren Arbeitsrunde Mittagessen: Eine Crowdfarming-Avocado, viele Orangen, Granatapfelkerne. Fresskoma.

Ich kam schnell aus der Futterbetäubung raus, es war ein aufregender Arbeitsnachmittag – wegen des Termins am Vormittag. Noch ist vieles am Neuen ungewiss, das liegt in der Natur der Sache. Aber ich mag ja eigentlich Rahmen-Veränderungen im Berufsleben. Doch ich musste eher pünktlich weg: Nachdem Herr Kaltmamsell in berufliche Abschiede verwickelt war, fiel mir die Abholung des Ernteanteils zu.

Zum Verteilpunkt im südlichen Bahnhofsviertel brauchte ich einen Schirm, die restlichen zehn Minuten nach Hause waren meine Hände mit Gemüsekiste belegt, wurde ich halt ein bisschen feucht. Nach Gemüseauspacken turnte ich Yoga-Gymnastik, gegen Ende wird das 30-Tage-Programm “Flow” von Adriene geradezu sportlich.

Nachtmahl war der Rest Erbseneintopf vom Vortag, außerdem servierte Herr Kaltmamsell den Spinat aus Ernteanteil (eine frische Winter-Kostbarkeit aus dem Gewächshaus) kurz gedünstet mit wachsweichen Eiern – er schmeckte wunderbar. Nachtisch Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, draußen hörte ich weiter Regenrauschen.

Journal Mittwoch, 21. Februar 2024 – Technikspecht-Duett und Küchenentdeckung

Donnerstag, 22. Februar 2024

Mittelunruhige Nacht wegen Lärm draußen, aber ich stand munter auf.

Auf dem Weg in die Arbeit begegnete ich zum erstem Mal im Jahr dem technikoffenen Specht auf der Theresienhöhe. Und entdeckte, dass auf der Neben-Laterne ebenfalls ein Buntspecht Revier-klopfte: Specht-Duett.

Eine alte Kastanie weniger auf der Theresienhöhe.

Am Schreibtisch holte mich dann doch bald die Schlafarmut der letzten Zeit ein: Müde mit Kopfschmerzen, Konzentration praktisch unerreichbar. Erstaunlicherweise bekam ich dennoch Arbeitsdinge weggeschafft.

Das Draußen lockte sonnig, ich marschierte für meinen Mittagscappuccino raus ins Westend.

Vor dem Mittagessen (Quark mit Joghurt, Orangen) arbeitete ich einen weiteren Batzen weg, jetzt deutlich einfacher konzentriert.

Der Nachmittag blieb emsig, steigerte sich zum Feierabend mit einigen Querschüssen, es wurde ungeplant spät.

Auf dem Heimweg Einkäufe unter anderem fürs wochenendliche Backen im Edeka.

Als ich heimkam, hatte Herr Kaltmamsell einiges aus seiner alten Schule zu erzählen (ein anderer beruflicher Abschied überlagert dort deutlich den seinen), aber auch von zuhause: Bei einem Wasser-Malheur auf dem Herd hatte er eine bislang unbekannte Schublade unterm Backofen entdeckt, die wir bislang für eine Blende gehalten hatten. Kurz vorm dritten Jahrestag unseres Umzugs in diese Wohnung, noch gefüllt mit Rollen Alufolie, Backpapier, Frischhaltefolie, Plastiktüten der Vormieter – nicht nur wir hatten sie also übersehen. Können wir gut brauchen, sowohl Inhalt als auch Schublade.

Ich turnte nochmal die sportliche Folge Yoga-Gymnastik vom Vortag. Boat Pose und Variationen mache ich inzwischen sehr ungern – nicht wegen der Bauchmuskeln, die halten super, sondern weil meine Wirbel dabei derart laut und heftig krachen, egal wie korrekt ich die Übungen ausführe. Das ist sehr unangenehm.

Herr Kaltmamsell erfüllte mir zum Nachtmahl den Wunsch nach Erbeseneintopf (Kartoffeln und Lauch aus Ernteanteil) –

fast, aber Erbsensuppe mit selbst gepökeltem Schwein war auch gut.

Früh ins Bett zum Lesen, Ursula Krechels Landgericht gefällt mir sehr gut.

Journal Dienstag, 20. Februar 2024 – “Dankbarkeiten” nach Delphine de Vigan im kleinsten Theater der Stadt

Mittwoch, 21. Februar 2024

Eine deutlich bessere Nacht (nach drei kurzen/schlechten war ich sehr früh eingeschlafen), der Schlaf hätte meinetwegen länger dauern können. Der Wecker klingelte wieder zu Regengeräuschen.

Also wieder unterm Regenschirm in die Arbeit, zum Glück mit besserer Laune als am Montag.

Überraschend emsiger Vormittag, meinen Mittagscappuccino nahm ich deshalb wieder bei Nachbars (der war diesmal aber besonders gut). Spätes Mittagessen Avocado, Granatapfelkerne, viele Orangen – ich befürchtete Zuckerschock. Tatsächlich fiel ich lediglich ins Fresskoma und konnte die Augen kaum aufhalten.

Überfrüher Feierabend, weil ich abends ins Theater wollte – nein, diesmal nicht Kammerspiel-Abo, sondern ein kleines Westend-Theaterchen, Mathilde Westend, das sich als “kleinstes Theater der Stadt” bezeichnet. Ich hatte bei einem Mittagscappuccino im Café Colombo Werbekärtchen für die Inszenierung “Dankbarkeiten” gesehen, daheim recherchiert, und da sich Stück und Theater interessant lasen, eine Karte für die gestrige Vorstellung gekauft. Schließlich hatte ich mir ohnehin gwünscht, auf meinem inneren Kulturtracker mehr Punkte mit Abseitigem zu machen.

Heimweg unter trockenem, hellen Himmel mit größerer Besorgungsschleife: Ich holte in einer Arztpraxis ein Rezept, löste es gleich ein. Zu Hause Yoga-Gymnastik, zum besonders frühen Abendessen servierte Herr Kaltmamsell auf der Basis von Ernteanteil-Weißkraut ein Okonomiyaki, das wir uns teilten. Und dann machte ich mich auf den Fußweg ins Westend an ein Ende der Gollierstraße, das ich noch nicht kannte.

Beim Betreten des Mathilde Westend war ich ohne jeden Beweis bereit zu glauben, dass es das kleinste Theater der Stadt ist: 17 Klappstühle, Bühne, Toilette, Bar füllten einen Raum etwa halb so groß wie mein – zugegeben großzügiges – Schlafzimmer.

Teil des Bühnenbilds gleich bei der Eingangstür.

Bühnenbeleuchtung.

Eine Frau servierte gerade bestellte Getränke an die bereits besetzten Plätze, hakte mich dann von ihrer Liste der Zuschauer*innen ab, bat mich auf einen einzelnen freien Stuhl, damit die restlichen von Gruppen belegt werden konnten. Sie begrüßte kurz vor der Vorstellung auch das Publikum und verschwand dann: Das war Christina Matschoss, die im Stück gleich darauf die Marie spielte.

Im Mittelpunkt von “Dankbarkeiten”, inszeniert von Theresa Hanich, steht eine alte Frau, Michka (Elisabeth Rass), die nicht mehr allein zurecht kommt und in ein Heim zieht. Die junge Marie hilft ihr dabei, besucht sie immer wieder. Michka, die in ihrem Berufsleben vor allem von ihrem Wortschatz profitierte, verliert jetzt die Wörter, sie leidet unter Aphasie. Der Logopäde Jerome (Florian Hackspiel) versucht im Heim, diesen Prozess zu verzögern, kommt darüber ins Gespräch mit Michka. In diesen Austauschen und in Mischkas Träumen erfahren wir Stück für Stück, welcher Mensch Michka ist und war, wie sich diese Gegenwart im Alter und das Leben davor unterscheiden. Mit Humor und in einleuchtenden Beispielen erzählt “Dankbarkeiten”, was diese letzte Lebensphase im höchsten Alter aus Menschen machen kann, wie sie irgendwann nur noch Fertigkeiten und Freiheiten verlieren, keine neuen hinzukommen, Zwangsende der Selbstoptimierung. Das fand ich berührend, aber auch trostlos, selbst wenn das Stück ein tröstliches Ende anbietet.

Die Hauptrolle der Inszenierung aber hatte das Theater selbst, nämlich durch den Umgang mit all seinen Einschränkungen. Für Jeromes Auftritte und Abgänge wurde das Klo genutzt, Marie kam von und ging auf die Straße (das könnte bei heftigem Regen oder Schneefall abenteuerlich sein). Ein angedeutetes Bett, ein Stuhl, ein Hocker, ein Schränkchen – mehr war an Requisiten nicht nötig. Und die (handlungsbedeutenden) Traumsequenzen wurden als Film auf die Wand hinter der Bühne projiziert, untermalt von einem Musikthema in Abwandlungen, je nach dem, in welche Stimmung Michka geführt wurde. Ich stelle mir ja vor, dass diese Theatersituation eine reizvolle Herausforderung für Regisseur*innen sein müsste. Und frage mich, ob WoW – Word on Wirecard-Folterregisseur Łukasz Twarkowski auch daraus etwas machen könnte. Dann wieder: Ist das für die Schauspieler*innen nicht auch seltsam, derart dicht am Publikum zu spielen?

Nach gut anderthalb Stunden und heftigem Applaus stand ich wieder auf der Straße und ging zur U-Bahn, dem Stück hinterher sinnend (und meine gegen die Sitzsituation protestierenden Lendenwirbel zurückrenkend). Ich bin schon sehr gespannt auf weitere Inszenierungen in dieser Winzel-Umgebung.

Zu Hause merkte ich, dass das Abendessen nicht gehalten hatte und aß noch ein Schüsselchen Haferflocken, um nachts nicht von Hunger geweckt zu werden.

Journal Montag, 19. Februar 2024 – Jeff Noon, Vurt

Dienstag, 20. Februar 2024

Schlecht eingeschlafen, mehrfach aufgewacht, beim Weckerklingeln fühlte ich mich unausgeschlafen. Und dann hörte ich draußen auch noch deutlich Regen.

Wenigstens hatte ich damit eine Entschuldigung für meine schlechte Laune und Gereiztheit – die sich auch noch genau daran aufhängte, wie viele Mitmenschen ihre schlechte Laune und Gereiztheit ungefiltert auf ihre Umwelt abladen. Marsch in die Arbeit unter Regenschirm gegen das ernste Getröpfel, Blick dabei meist auf dem Boden, Schirm in den Wind gestemmt.

Emsiger Vormittag mit Abarbeiten und Online-Besprechungen. Mittagscappuccino bei Nachbars, es war Februar-angemessen kühl.

Zu Mittag gab es den sonntags zubereiteten Karottensalat mit ganz viel Koriander, ein Genuss.

Das Draußen mittlerweile mittelfreundlich; nach Feierabend ging ich erst unter den Hauptbahnhof und machte ein Automatenfoto für mein Projekt (diesmal problemlos).

Unterm Stachus ernsthafter Hamsterkauf beim Bodyshop: Zwar hoffe ich darauf, dass Bodyshop Deutschland irgendwie existierend aus diesem Insolvenzverfahren rauskommt, doch die Avocado-Körperlotion und die Olivenöl-Körperbutter verwende ich schon so lange, dass ich wirklich nicht weiß, wodurch ich diese beiden Produkte ersetzen sollte, wenn die Firma es nicht schafft.

Zu Hause nochmal die Yoga-Gymnastik vom Sonntag, dann kümmerte ich mich um die Kiste Crowdfarming-Orangen, die nachmittags eingetroffen war: Ich checkte jede Frucht auf weiche Stellen. Drei davon bereitete ich als Brotzeit für Dienstag vor. Beim Naschen davon stellte ich fest, dass sie wunderbar und süß schmeckte, ich schälte und teilte eine für Herrn Kaltmamsell.

Dieser wärmte die restliche Kalbsbrust vom Sonntag auf, die gab es als Abendessen. Nachtisch Schokolade.

§

Der phantastische Roman Vurt, erschienen 1993, von Jeff Noon ist ein Höllenritt – aber meiner Meinung nach ein richtig, richtig guter. Ich las ihn zum ersten Mal 2007 auf Empfehlung einer geschätzten Kollegin, hatte noch nie etwas Vergleichbares gelesen, und war angetan genug davon, dass ich das Buch behielt (mag auch an dem Cover-Design dieser Ausgabe gelegen haben, das ich besonders mochte). Jetzt wollte ich wissen, wie er sich gehalten hatte – und konnte mich zum Glück an fast kein Detail mehr erinnern.

Vurt wurde immer schon vor allem von der Science-Fiction-Community rezipiert, doch dieses Genre ist sicher nicht das erste, an das ich bei der Lektüre dachte, auch wenn er in einer alternativen Welt spielt (und für eine Dystopie ist sie meiner Meinung nach zu wenig strukturiert dargestellt). In dieser Welt ist Vurt eine Substanz, die Energie enthält, aber auch eine durch Drogen erreichte Parallelwelt. In der anderen Welt kann man dauerhaft verloren gehen, dann tauchen zum Ausgleich Artefakte oder Aliens in der eigentlichen (?) Realität auf. Drogen gibt es in verschiedenster Materializität, am abgefahrensten in Form von Federn: Unterschiedliche Farben der Federn führen in unterschiedliche Handlungen, die man allein oder als Gruppe erleben kann. Es gibt sogar einen Newsletter, der diese Federn bespricht und bewertet wie Computerspiele.

Wir folgen in Vurt der Ich-Stimme von Scribble, der die Geschichte aus späterer Sicht aufschreibt. Der junge Mann gehört zu einer Gruppe von Desperados in Manchester, den Stash Riders, und hat seine große Liebe in der Handlung einer gelben Feder verloren. Der Plot des Romans dreht sich hauptsächlich um seine Versuche, sie zurückzubekommen. Dabei geht es um Heldentum und Feigheit, um Sex und verschiedene Lebensformen wie virtuelle und echte Polizei, Hundemenschen oder Nano-Maschinchen zur Haarreinigung, was echt ehrlich auf einer recht irren Ebene alles Sinn ergibt. Ich schrieb ja schon: Höllenritt, auch bei der zweiten Lektüre. (Keine der Rezensionen, die ich gefunden habe, kann die Handlung zusammenzufassen.) Und mal wieder haut mich um, was schlichte Buchstaben erschaffen können.

Wer etwas für sehr nicht-realistisches Erzählen übrig hat: Empfehlung.

2013 schreibt Sam Leith im Guardian anlässlich einer Neu-Auflage über den Roman und seinen Autor:
“Jeff Noon: a life in writing”.

§

Adam Roberts macht sich Gedanken, wie man das Thema Feigheit untersuchen könnte, und holt dabei historisch/literarisch aus:
“Who’s Afraid of Cowardice?”

We’re brain-fried on superhero fistfights. It’s time to learn from heroes who run away.

via @daszeiserl

Heroism is romance, but cowardice is realism.

§

@dasnuf hat wieder ein Buch geschrieben! Und macht dafür die beste Buchwerbung ever.

Journal Sonntag, 18. Februar 2024 – Der Frühling ist voll ausgebrochen

Montag, 19. Februar 2024

Schlaf bei geschlossenem Fenster, weil draußen durchgehend laute Menschen lärmten. Ich wachte nach der Abendeinladung deutlich zu früh auf, aber nur wenig verkatert, selbst das eher vom zwischenmenschlichen Austausch (Partykater) und dem wenigen Schlaf.

Draußen wurde es sonnig, für meinen Isarlauf stattete ich mich mit Sonnenbrille und Schirmmütze aus, ließ die Handschuhe daheim. Ich fuhr eine U-Bahn-Station weit zur Fraunhoferstraße, lief von dort an die Isar und flussabwärts, bei herrlichem Wetter zwischen viel Spaziervolk und Radelnden.

Unterwegs begegnete ich der vollen Ladung Frühfrühling in Blütenform: Schneeglöckchen, Winterlinge, Krokanten, in der Großstadt inklusive diese begeistert fotografierender Menschen.

An der Emmeramsbrück bog ich Richtung Aumeister ab, doch auch hier gesperrte Wege, ich lief einmal im Kreis, um auf meine Wunschlaufdauer von 100 Minuten zu kommen. Der letzte Teil zurück zur Tram-Haltestelle Tivoli wurde überraschend beschwerlich, doch nichts tat ernsthaft weh.

Müller’sches Volksbad mit Kabelsteg im Hintergrund.

St. Lukas, im Vordergrund entwurzelte Bäume. An der Muffathalle sah ich Streetart, die ich noch nicht kannte.

Mauersteg, im Hintergrund die Maximiliansbrücke.

Beim Warten auf die Tram dehnte ich gründlich. Ich stieg an der Müllerstraße aus, spazierte über Semmelholen beim Wimmer heim.

Zum Frühstück gab’s kurz nach zwei eine zweite Runde Milchkaffee, eine Birne, zwei Körnersemmeln. Mit einer kleinen Siesta holte ich Nachtschlaf nach, las dann Wochenend-Süddeutsche und Buch.

Brotzeit für Montag gekocht: Aus den Ernteanteil-Karotten wurde mal wieder Karottensalat mit Koriander. Ich turnte noch eine Runde Yoga-Gymnastik.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch etwas ganz Besonderes gemacht: Kalbsbrust mit Makkaroni-Maronen-Füllung aus dem Buch von Petra Hammerstein, Zart und saftig. Ich mag gefüllte Kalbsbrust, halte aber die klassische Semmelknödelmasse nicht für die ideale Füllung.

Schmeckte wirklich gut, vor allem das Fleisch. Die Füllung war recht fest, durch die Kastanien aber ungemein aromatisch. (Aber natürlich viel zu viel, Füllung ist immer zu viel.) Nachtisch Schokolade.

Der Guardian-Wochenend-Newsletter thematisiert comfort food. Beim Nachdenken über meines solches stolperte ich: Was soll comfort food eigentlich sein? Im Guardian-Newsletter wird es mit “the type of food they would typically eat at home in their pyjamas” beschrieben. Das SZ-Magazin versucht sich an der Übersetzung “Trostessen”:

lassen uns in unsere Kindheit oder an den letzten Urlaubsort reisen – und einfach mal die Gegenwart vergessen

Das verwirrt mich eigentlich noch mehr, denn Speisen, die mich an meine Kindheit erinnern oder an einen Urlaub sind keine, die mich die Gegenwart vergessen lassen. Aber vielleicht ist mein Grundproblem, dass mich Essen nicht tröstet: Wenn es mir schlecht geht oder wenn ich Schmerzen habe oder beides, verschwindet mein Appetit. Manchmal geht es mir nach ein wenig Alkohol besser, aber das ist ja offensichtlich nicht gemeint. Wahrscheinlich kenne ich also gar kein comfort food. Es gibt einfach Nahrungsmittel und Gerichte, die ich besonders gern esse, die mir Vergnügen und Behagen bereiten – das sind allerdings so viele, dass eine Liste sinnlos wäre.

Andererseits half schon oft gegen schlechte Laune ein liebevoll zubereitetes und wohlschmeckendes Abendessen, das Herr Kaltmamsell zauberte. Und um auf die Guardian-Definition zurückzukommen: Im sitze oft im Pyjama, also in Schlumpfklamotten am Abendbrottisch, wenn ich davor Yoga geturnt habe und keine Lust auf eine Rückkehr in meine Bürokleidung hatte.

Weil auch das ein wiederkehrendes Food-Thema ist: Nein, ich esse auch nichts besonders Seltsames, einzeln oder in eigenwilliger Kombination. Am ehesten ist meine Vorliebe für lauwarmes Wasser eigen, von dem ich am Tag ca. anderthalb Liter trinke (ansonsten viel Tee, ob schwarz, Kräuter- oder Früchte); nur im heißesten Hochsommer bevorzuge ich mein Leitungswasser kalt.

Journal Samstag, 17. Februar 2024 – Brotbacken und lukullischer Freundesabend

Sonntag, 18. Februar 2024

Nächtliche Kopfschmerzen – ich hatte den Wein im Verdacht, trotz bloß halber Flasche und dreimal so viel Wasser dazu.

So wachte ich unausgeschlafen auf. Positiv: Ich startete die Umsetzung meiner Brotbackpläne zeitig, es sollte Buttermilch-Mischbrot geben (in jedem Durchgang entferne ich mich weiter vom Originalrezept, mal sehen, wann ich so zufrieden bin, dass es als eigenes Rezept unter meinen landet).

Das Brot gelang hervorragend (Anschnitt nach Abkühlen).

Das Draußen war düster, aber weiter mild, es regnete. Die Kopfschmerzen ließen sich auch nicht durch Ibu vertreiben, ich fühlte mich müde. Doch ich hatte mich auf eine Schwimmrunde gefreut, also machte ich mich dafür fertig und in ging in Nieselregen zur U-Bahn.

Unterwegs machte ich einer Gruppe Hispanohablantes Platz, gedankenlos mit spanischer Erklärung, dass sie so zusammen sitzen konnten, woraufhin sie sie komplett verstummten. (Verzeihung, so war’s nicht gemeint. Aber in München ist Spanisch fast genauso wenig Fremdsprache wie Englisch.)

Im Gebäude der Olympiaschwimmhalle sah ich vor der Bezahlschranke (hihi) hinunter aufs Becken – mit sinkender Laune: Es war so voll, wie ich es noch nie gesehen hatte, zwei Bahnen durch Rudelschwimmer besetzt, ganz kurz überlegte ich umzukehren. Doch das hätte meine Laune weiter verschlechtert, ich ließ es darauf ankommen.

Im Olympiapark selbst fand gestern ein Volkslauf statt, die Teilnehmenden nutzten die Schwimmbadumkleiden, ich musste einen leeren Spind erst suchen.

Doch von da an ging es aufwärts: Die am wenigsten genutzte Bahn, in die ich mich herabgelassen hatte, leerte sich bald, ich fühlte mich gar nicht mehr müde, das Kopfweh war weg. Gutes Schwimmen, nach 3.000 Metern hätte ich locker noch weiter können (wollte es aber nicht übertreiben, und es war eh schon spät).

Am südlichen Beckenende, also Richtung Sprungbecken, nahm ich bei jeder Wende deutlich den Geruch von Dauerwellen-Chemikalie wahr (ich bin so alt, dass ich die noch aus eigenem Riechen kenne), Wasserstoffperoxid? Vermutlich einfach zur Reinigung verwendet, doch der Geruch schubste den Gedankengang an, dass die Blumenkohlfrisur auf Basis von Dauerwelle auf den Häuptern alter Frauen wie seinerzeit dem meiner polnischen und meiner spanischen Oma wohl ausgestorben ist. Und durch den praktischen Kurzhaarschnitt ersetzt wurde. Auch dass damit der Phänotyp alter Damen ausgehfein mit Kleid, Pumps, Handtasche durch beige Funktionskleidung mit Klettverschlussschuhen abgelöst wurde, ein Generationenwechsel an der Spitze der Bevölkerungspyramide. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Styling-Wechsel – zu dem dann ich gehören werde.

Den Rückweg begann ich mit der Tram, unterbrach ihn für Espressobohnenkauf in der Maxvorstadt – und musste dann wieder zurück zur Tram gehen, denn an der U2 wird derzeit gebaut. Das Wetter war mittlerweile deutlich heller und freundlicher geworden.

Frühstück kurz nach zwei bestand daheim aus zwei mächtigen Scheiben frischem Brot, die eine mit Gänseschmalz (von dem werden wir noch eine Weile haben), die andere mit Butter und bulgarischem Akazienhonig. Außerdem einer großen Hand voll libanesischer Pistazien.

Gemächlicher Nachmittag mit Zeitungslektüre und einer Runde Yoga-Gymnastik, bevor ich mich fein machte für die Abendeinladung mit Herrn Kaltmamsell bei Freunden. Dafür nahmen wir eine U-Bahn in Richtung Südwesten. Blöderweise startete mein Kreislauf kurz davor seine Superschwindel-Schweißausbruch-Frier-Nummer (seit den Glutattacken der Wechseljahre weiß ich sicher, dass das keine ist), ich nahm ein kleines Handtuch mit, um unterwegs wenigstens Gesicht, Hals und Haar halbwegs zu trocknen.

Wir verbrachten einen ausgesprochen lukullischen Abend mit Champagner-Cocktail, wunderbarer Suppe (dazu ein überraschend passender fränkischer Orange Silvaner Kerstin Laufer), einer mächtigen fränkischen Bauernente (von der ich mir mit der Erklärung “der Gast bekommt das beste Stück” gleich mal einen Schenkel schnappte), begleitet von Klöß, Blaukraut, Selleriesalat (unbedingt nachbauen), im Glas einen wunderbaren spanischen Roquers de Porrera aus dem Priorat.

Und dann gab es noch als besonders köstlichen Nachtisch eine Zitronentarte (aus dem goldenen Plachutta, merken), dazu Süßwein. Das Ganze in dem wunderschönen und schweren Familienkristall eines der Gastgeber. Und begleitet von Neuigkeiten-Austausch, Aufholen von aktuellem Ort im Leben.

Darüber war es überraschend spät geworden: Erst nach Mitternacht saßen Herr Kaltmamsell und ich am U-Bahnsteig für die Heimfahrt.

§

Cornelia Kolden fasst für die ARD Brüssel Hintergründe der europäischen Bauernproteste zusammen:
“Woher kommt die Wut auf Brüssel?”

Spoiler: Die aktuelle Bundesregierung ist nicht die Ursache der Missstände. Nicht mal die Grünen.

Journal Freitag, 16. Februar 2024 – Abendessen und Theater im Blauen Haus

Samstag, 17. Februar 2024

Es war nachts so mild, dass ich das Schlafzimmerfenster ganz weit geöffnet hatte; erst beim Klogang um vier schloss ich es gegen aufbrandenden Vogellärm.

Ich verabschiedete mich von Herrn Kaltmamsell bis Samstag: Wir würden beide den Abend aushäusig verbringen, aber einzeln, und er würde schon nachmittags abreisen.

Verzauberte Anblicke auf dem Weg in die Arbeit.

Ruhige Arbeit in der Arbeit. Ein paar Saatkrähen vor dem Bürofenster, die sehe ich diesem Winter sehr selten.

Mittagscappuccino in der Cafeteria der Nachbarfirma, auf dem Weg die erste Ahnung von Frühlingsluft in der Nase. Mittagessen eine Wiederholung vom Vortag: Apfel, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Nach pünktlichem Feierabend spazierte ich in milder Luft über Einkäufe im Süpermarket Verdi nach Hause. Ich klatschte kurz mit Herrn Kaltmamsell ab, der gerade die Wohnung verließ.

Vor der Abendverabredung war noch Zeit für eine Einheit Yoga-Gymnastik, auch die interessant genug für eine Wiederholung: Ab Tag 9 ist das diesjährige 30-Tage-Programm von Adriene, Flow, anregend genug.

Treffpunkt fürs Nachtmahl mit Freundin war das Blaue Haus hinter den Kammerspielen, Wirtshaus und Theaterkantine. Obwohl es mir schon immer ein Begriff war, hatte ich noch nie dort gegessen und freute mich auf den Abend.

Als Vorspeise (es gibt hier nur Tageskarte) aß mein Gegenüber einen Salat und war sehr angetan, ich hatte einen Auberginen-Ziegenkäse-Flan mit Salat, der gut war, aus dem ich aber weder Aubergine noch Ziegenkäse so richtig rausschmeckte. Eine große Freude war der Wein dazu: Côtes du Rhône Visan “Madrigal”, Domaine Coste Chaude – wunderbar elegant.

Hauptspeise gegenüber Kalbslende, ich wählte die gebackene Blutwurst mit Kartoffel-Feldsalat, schmeckte ganz hervorragend. Gespräche über Beruf und Familie, über Literatur und Konferenzbetrieb.

Abgelenkt wurde wir immer wieder interessiert vom Theaterbetrieb: Offensichtlich wurde im Haupthaus der Kammerspiele Wer immer hofft, stirbt singend gespielt, das ich vor einem Jahr gesehen hatte. Ein Erzählmittel der Inszenierung ist eine Live-Kamera, die die Schauspielenden hinter die Bühne und bis ins Blaue Haus begleitet, die Bilder werden auf die Bühne projiziert – und jetzt sah ich diese Live-Aufnahmen von der anderen Seite. Sie begannen jeweils mit dem Einschalten der Filmbeleuchtung, kurz darauf wurde es vorübergehend schauspiellaut, wir sahen die Schauspieler*innen von hinten. Dieses Schließen des Inszenierungs-Kreises fühlte sich ausgesprochen befriedigend an.

Zu mittelspäter Nacht machten wir uns (beide überraschend angetrunken von der geteilten Flasche Wein) auf den Heimweg. Es war immer noch sehr mild, Marienplatz und Fußgängerzone lebendig vor Menschen.

§

Die US-amerikanische Schriftstellerin Rebecca Solnit((Genau: Das ist die Frau, die mansplaining definierte.)) schreibt über die Veränderung San Franciscos:
“In the Shadow of Silicon Valley”.

Mir war nicht klar, dass autonome Pkw dort bereits seit einiger Weile lustig am Straßenverkehr teilnehmen.

I’ve become somewhat used to driverless cars in the years they’ve been training on the city’s streets, first with back-up human drivers, and then without. They are here despite opposition from city officials, including the fire chief, and San Francisco recently sued the California state bureau that gave companies licence to use the streets as their laboratory. Firefighters have reported driverless cars attempting to park on firehoses; last June one such car prevented emergency vehicles from reaching victims of a shooting; the vehicles are apparently unequipped to assess these situations and respond by stopping. Direct communication isn’t an option: the only way to get a driverless car to do anything is to contact the company in charge of it.

Hervorhebung von mir, denn das ist gruslig.

Solnit geht es aber vor allem darum, wie technische Entwicklung menschliche Interaktion reduziert – und das, wo zwischenmenschlicher Austausch immer die Haupttriebkraft von Fortschritt war. (Sehen Sie, das akzeptiere ich als bewiesen, obwohl ich genau diese Reduktion ganz persönlich begrüße. Mir ist bewusst, dass ich die kleine Minderheit bin, die sich freut, wenn die Büroflure leer sind; alle anderen klagen, dann hätten sie ja auch nicht reinzukommen brauchen, wenn sonst niemand da sei.) Rebecca Solnit vergleicht das San Francisco ihrer Jugend mit dem heutigen Stand – einem Paradoxon:

The luxury shuttle buses that Facebook, Google and Apple launched for their employees around 2012, by easing the congested commute, encouraged large numbers of them to move to San Francisco, which has now been fully annexed by the Valley. The desire of tech workers to live in this dense, diverse place while their products create its opposite is an ongoing conundrum. Many tech workers think of themselves as edgy, as outsiders, as countercultural, even as they’re part of immense corporations that dominate culture, politics and the economy.