Journal Mittwoch, 29. Mai 2024 – Berlin 5, dritter Tag re:publica24 und Lindner-Feinkost

Donnerstag, 30. Mai 2024 um 10:43

Besser geschlafen, doch aus einem traurigen Traum aufgewacht.

Diesmal hatte ich schon am Vorabend vorgebloggt, der Morgen wurde dadurch deutlich gemütlicher. Auch gestern standen wir in einer langem Schlange vor der Station Berlin, doch der Himmel war trocken, und es ging schnell voran.

Am Dienstag hatte ich mir noch junge Speaker*innen gewünscht, am Mittwoch bekam ich zur ersten Session gleich mal eine – wie sich abends herausstellte, sogar die jüngste der Konferenz.

Links und recht von einem Stehtisch sitzen eine sehr junge Frau und rechts ein älterer Mann auf Barhockern mit Mikrofonen in der Hand

“Ist Gefühl jetzt wichtiger als Wahrheit? Wie KI und Netzkultur die Achsen des Diskurses verschoben haben. Ein Generationen-Dialog.”

Stephan Noller kenne ich schon lange aus dem Internet, hatte aber mittlerweile den Anschluss verloren, was dieser herzliche Serien-Unternehmer und Technik-Entwickler (z.B. Calliope) gerade macht. Gestern führte er auf der re:publica eine Gespräch mit seiner Tochter Tilda öffentlich weiter, das bei ihnen daheim begonnen hatte: Wie wichtig ist es für Vertrauen in Online-Persönlichkeiten, dass der faktische Hintergrund ihrer Argumentation oder ihrer Shows korrekt ist?

Es ergaben sich sehr interessante Betrachtungen von Gefühlen und ihre Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklungen – auch wenn ich Zuordnungen zu Altersgruppen misstraue: Der Reuters Digital News Report belegt regelmäßig, dass die Altersschicht über 60 neben der ganz jungen Generation die größten Defizite in Medienkompetenz hat, es ist also nicht nur die Schule gefragt (mein ganz emotionaler Impuls – siehe die Session von Maren Urner, es gibt keine Dichotomie Herz/Hirn – ist immer erst mal der Blick auf Fakten).

Auf einer Bühne steht ein Mann am Rednerpult, hinter ihm auf der Leinwand zwei Magazin-Cover von 2019, die René Benko zeigen mit rühmenden Schlagzeilen

Als Nächstes ließ ich mir erklären:
“Boom, Bust und Benko: Was kümmert uns die Millionenpleite?”

Den Referenten Leonhard Dobusch kannte ich seit schon immer aus dem Internet und von der re:publica, doch jetzt erfuhr ich, dass er auch BWL-Prof. ist. Für mich als Laiin war es superspannend, die genauen Mechanismen zu erfahren, die Benko nutzte und ausnutzte. Überrascht war ich unter anderem davon, dass er offiziell gar nichts zu sagen hatte im Signa-Firmengeflecht (wegen einer Verurteilung wegen Korruption durfte er keinen Geschäftsführungsposten übernehmen) – und dass Eataly zu Signa gehört. Außerdem war der Vortrag sehr spannend und unterhaltsam aufgebaut: Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn er online nachzusehen ist.

Mittagscappuccino, dann ließ ich mir von drei Frauen die Auswirkungen digitaler Bedrohungen und Angriffe auf ihre aktivistische Arbeit erzählen.

Auf einer niedrigen Bühne sitzen vier Frauen, die linke spricht gerade in ein Mikrofon, hinter ihnen auf der Leinwand die Beschriftung "How has DTR impacted you personally and your work on DTR?
What did women targeted by DTR tell you about their experiences?"

“‘I wake up to a thousand tweets insulting me’: Digital attacks against exiled and diaspora women activists – and what to do about them”.
Von Gözde Böcü, Maryam Mirza, Arzu Geybulla und Moderatorin Siena Anstis lernte ich den Begriff digital transnational repression DTR und gruselte mich, gegen welche Widerstände die Frauen auf der Bühne um Menschenrechte und Freiheit in Iran, Aserbaidschan und der Türkei kämpfen. Viele ihrer Schilderungen klangen wie Spionagefilm-Klischees, doch da saßen echte Menschen, die in Zynismus getrieben werden, vor denen sich Freundeskreise zurückziehen, um nicht auch Opfer der Attacken zu werden.

Ein Mann in grauem Pulli steht auf einer Bühne, auf der Leinwand hinter ihm die Schrift "Eine andere digitale Welt ist möglich"

Ich brauchte dringend sichere Aufmunterung und holte sie mir bei
“Digitale Gegenwelt: Wie mit Wikipedia, Mastodon & Co. ein freieres und freundlicheres Internet entsteht”.
Stefan Mey gab einen Statusbericht, der meine Online-Welt tatsächlich aufhellte.

Jetzt hatte ich über eine Stunde Pause. Am Morgen war mir die Idee gekommen, dass ich sie zu Einkäufen nutzen könnte: Ums Eck der Ferienwohnung war ich an einem Feinkost Lindner vorbeigekommen, außerdem an den Schaufenstern einer Drogierie, die mich sehr an die spanischen perfumerías meiner Kindheitsurlaube erinnerte. Beim Butter Lindner kaufte ich Abendessen für Herrn Kaltmamsell und mich ein, bei der herzlichen Inhaberin der Drogerie Saxonia Seife und eine Iris-Körpermilch.

In der Ferienwohnung machte ich kurz vor drei Mittagsbrotzeit, schon wieder ein Apfel sowie Pumpernickel mit Frischkäse (gerade wenn ich eigentlich keinen Appetit habe, schmeckt mir sowas besonders).

Auf einer Bühne steht an einem Rednerpult eine Frau in schwarzem Kleid und mit schwarzer Brille, hinter ihr auf der Leinwand die Schrift "Die Maschen der Brandstifter ... und was wir dem entgegensetzen sollten

Verschoben von Montag war eine Session, auf die ich mich besonders freute: “Die Maschen der Brandstifter”.
Katharina Nocun ist Spezialistin für die Mechanismen von Populismus und Verschwörungsmythen, hat darüber einige Bücher geschrieben. Sie zog ihren Vortrag wie eine (fake) Schulstunde für Nachsitzer auf, geprüft werde am 9. Juni. Und sie machte gut nachvollziehbar, was Wortwahl und framing anrichten können.

Weil Katharinas Session durch die Verschiebung auf eine halbe Stunde gekürzt war, erwischte ich noch die zweite Hälfte des Vortrags von Neurowissenschaftlerin Maren Urner:
“Radikal emotional: Warum wir weniger Herz und mehr Hirn brauchen”.
Sie hatte dargelegt, warum die Neurowissenschaft immer wieder beweist, dass Menschen alle Entscheidungen mit denselben Mechanismen treffen und die Dichotomie Herz/Kopf lediglich, haha, gefühlt ist. Jetzt leitete sie gerade die Konsequenzen für die Politik ab.

Auf einer Bühne ein Mann an einem Rednerpult, auf der Leinwand hinter ihm die Schrift "Wie Textilien die Virtualität konstituieren"

Um einen guten Platz bei der folgenden Session von Felix Schwenzel zu bekommen, füllte ich den Pflichtslot jedes meiner re:publica-Besuche “interessiert mich überhaupt nicht” mit
“Textile Virtualitäten”.

Und siehe da: Wie immer bekam ich dadurch höchst interessante Einblicke in neue Welten. kim cordes erklärte in Stichpunkten, wie nahe uns Textilien kommen, mit welchen Techniken vor allem in der Kunst Textiles im Analogen und Digitalen (Achtung) verwoben sind. Unter anderem zeigte er kurz, dass digitale Techniken die Haptik von Kleidungsstücken bei der Online-Auswahl nachvollziehbarer machen könnten, das fände ich super.

Ausgerechnet von Felix habe ich das Foto vergessen! Er sprach über
“Hunde sind auch nur Menschen”.

Von seinen Posts kenne ich Pudelin Frida, seit sie bei ihm eingezogen ist. Wie immer originell und nachvollziehbar erzählte er, was sie ihm beigebracht hat.

Jetzt war sie fast vorbei, diese wieder bereichernde und Kraft verleihende re:publica. Auf Stage 1 berichtete Markus Beckedahl Statistisches (wieder hatte die Konferenz geschafft, fast die Hälfte Männer als Speaker und Teilnehmer anzuziehen).

Auf einer großen Bühne viele lachende Menschen, hinter ihnen die Schrift "crew re:publica"

Vorstellen und Feiern der Crew.

In blauem Licht Blick zwischen Menschen auf eine Bühne, auf der Leinwand die Schrift "oh baby"

Großer Abschied mit gemeinsamem Singen von “Bohemian Rhapsody” (das begann vor meiner Zeit und noch in der Kalkscheune als Location, als das Warten auf einen Online-Interviewgast überbrückt werden musste).

Späte Heimkehr.

Weißer Tisch, darauf Teller und die Speisen, die unten beschrieben sind.

Nachtmahl waren dann die Leckereien, die ich nachmittags beim Lindner gekauft hatte: Holsteiner Hähnchensalat (gut), Rote-Bete-Pfirsich-Salat (gute Idee, ein wenig verschenkt, weil die Essigsäure dominierte – werden wir aber nachbauen), Garnelen in Wasabi-Majo (sehr gut, wir nahmen uns vor, öfter mit Meerrettich abzuschmecken), Ziegenkäse und Steinofenbrötchen. Wie berechnet, war die Menge genau richtig für uns beide, und wir hatten ja noch Schokolade zum Nachtisch.

Ich las mich schon mal in die umfangreichen Anweisungen für Handgriffe vor Verlassen der Ferienwohnung ein.

§

Felix Schwenzels Blog wirres.net ist gerade kaputt, er blogt Kluges ersatzweise hier:
“republica, tag 1”.

vielleicht sollten wir akzeptieren, dass man die schönen momente, die wichtigen debatten nicht festhalten kann, bzw. vielleicht doch, aber dann eben zur not in neuen räumen, auf neuen, anderen plattformen, mit anderen regeln und anderem publikum.

selbst machen, ein blog pflegen, im eigenen laden perlen, wichtige gedanken dokumentieren ist super, auch als eigenes, externes gedächnis, aber auch sauviel arbeit. die platformen, die anderen läden, machen es einem viel einfacher: einfach reingehen und los geht’s. man muss sich um nix selbst kümmern, kann aber eben auch nicht alles selbst bestimmen.

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 29. Mai 2024 – Berlin 5, dritter Tag re:publica24 und Lindner-Feinkost“

  1. Sanníe meint:

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    Gerne gelesen

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  2. Stephan meint:

    Ach, ich hätte meine beiden Wahl-Ersatz-Eltern so gerne mal kurz gedrückt aber es hat immer knapp nicht gepasst. Habe mich aber sehr gefreut, dass Du in unserem Vortrag warst <3 <3

  3. Croco meint:

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    Gerne gelesen

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    Danke für die Eindrücke und ich freu mich schon sehr auf‘s nächste Jahr.

  4. Mrs. Knallenfalls meint:

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    Gerne gelesen

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  5. Claudia meint:

    Ja, bitte geben Sie Bescheid, wenn der Benko Vortrag von Leonhard Dobusch online anzusehen ist. Dieser würde mich wirklich sehr interessieren – wie übrigens die meisten der Vorträge sehr interessant klingen.
    Vielen Dank wieder fürs “Mitnehmen”.

  6. ix meint:

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    Gerne gelesen

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  7. Thea meint:

    Mich freut sehr, dass es Ihnen beiden in meinem “alten” Kiez so gut gefällt. Bin zwar nur drei U-Bahn-Stationen weiter gezogen, aber ist etwas ganz anderes.
    Danke für die Impressionen.

  8. roswitha meint:

    danke für die ausführlichen berichte, leider kann ich nicht reisen. werde den autorinnen und autoren möglichst folgen im netz. spannende ideen inspirieren mich…

  9. julisonne meint:

    Ganz herzlichen Dank für die tollen Infos über die Vorräge, wird es denn alle Vorträge online zu sehen geben? das wäre super!

  10. die Kaltmamsell meint:

    Nicht alle, julisonne, nur die auf bestimmten Bühnen. Hier kann man sie finden:
    https://www.youtube.com/@republica

  11. julisonne meint:

    danke!

  12. Chris Kurbjuhn meint:

    Der Einkauf bei Lindner war eine ausgezeichnete Idee. Für den nächsten Berlin-Besuch möchte ich Rogacki empfehlen: https://www.rogacki.de/

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