Journal Freitag, 14. Juni 2024 – Ausbrechende Erkältung, ausbrechendes Fußballgucken
Samstag, 15. Juni 2024 um 8:45Gute Nacht trotz Nasen-Verrotzung (ohne großes Leid), allerdings nur bis fünf.
Am Vorabend hatte ich Herrn Kaltmamsell kurz angejammert, dass ich nicht mal wisse, was ich am Freitag anziehen könnte; jetzt bot er scherzhaft an, er könne mir was vorschlagen. Ich bat darum, und nach kurzem Schreck schlug er sein Superheldenhemd vor (“Das biete ich nicht jedem an!”).
Ich nahm an.
Und wurde nicht mal vorher die Namen und Backstory aller Abgebildeten abgefragt.
Nachdem ich das Foto auf instagram gepostet hatte, fragte jemand, ob ich das Hemd auch in der Arbeit getragen hätte. Meine Lust am Mich-zum-Hirschen-machen scheint sich nicht allgemein herumgesprochen zu haben. (Na gut: Gestern hatte ich keine beruflichen Termine. Und es stellte sich heraus, dass außer mir nur ein Mensch auf dem Stockwerk im Büro arbeitete, ich konnte nicht mal angeben.)
Auf dem Weg in die Arbeit setzte sich auf Höhe St. Paul direkt vor mir ein Falke auf einen Bauzaun, flog kurz darauf an mir vorbei weiter. Der Kopfzeichnung nach war es ein Wanderfalke – aber was macht der in der Stadt? Später recherchierte ich, dass der sich seit dem “Bestandszusammenbruch durch DDT” durchaus auch in Städten niederlässt.
Im Büro litt ich ein wenig unter den tobenden Nebenhöhlen, also doch Ibu. An Vorhersehbarem hatte ich gestern einen großen Brocken wegzuarbeiten, den ich auf genau diesen Freitag geschoben hatte – der sich allerdings als sehr interessant erwies.
Mittagscappuccino aus laut Barista neuen Tassen, gegenüber in der Gollierstraße gefertig. Die Bewegung tat auch unter trübem Himmel und in frischen Temperaturen gut.
Mittagessen: Apfel, Flachpfirsich, Pumpernickel mit Butter.
Beim Zeitunglesen stieß ich im SZ-Magazin auf ein schönes Detail über Köchin Lea Linster:
Ihre kindliche Begeisterung fürs Essen ging so weit, dass sie sich nicht habe vorstellen können, warum Menschen, die nicht gern essen, alt werden wollen.
Die Folge “Sagen Sie jetzt nichts” mit ihr ist kostenlos lesbar.
Nachmittags sah ich beim Arbeiten Falken am Nebenhochhaus, aufgeblickt nachdem ich sie hörte.
Die Dreckserkältung hatte tatsächlich das Abfallen des Adrenalin-Pegels abgewartet, um voll durchzustarten. Über den Tag wurden die Symptome wirklich ungemütlich: Zur immer heftigeren Rotzerei kamen Nebenhöhlenschmerzen, ich konnte mich auf meine Stimme nicht mehr verlassen – und später beim Abendessen schmeckte ich bereits fast nichts mehr (erinnerte mich daran, dass das zu Raucherinnen-Zeiten die Phase war, in der die Zigaretten nicht schmeckten).
Aber pünktlicher Feierabend klappte.
Beim Verlassen meines Bürogebäudes. Auf dem Heimweg in Sonne (zu warm für Jacke) erledigte ich Einkäufe beim Vollcorner und Lidl.
Gestern Abend brach die Männerfußball-Europameisterschaft aus, Eröffnungsspiel, wie ich erst am Vortag begriffen hatte, in München. Das aufgesprühte Statement verbindet vermutlich tatsächlich ganz München, sowohl die Fußballzuguck-Fans als auch die Desinteressierten, die sich davon belästigt fühlen.
Daheim schaffte ich gut eine lange Runde Gymnastik, selbst wenn das Schnaufen dabei weniger Spaß machte als sonst.
Als ich Erdbeeren für den Nachtisch schnippelte und naschte, war ich bereits unsicher, ob sie schlicht nach nicht besonders viel schmeckten – oder ob ich erkältungsbetäubt wenig schmeckte. Der Erdbeer-Gin-Tonic zum Wochenendfeiern war dann aber auch nicht so aromatisch wie schon mal. Den neuen Rosé, den ich zum Essen hatte probieren wollen, ließ ich lieber bleiben, ich hatte eh nicht besonders Lust auf Alkohol.
Nachtmahl war auch Wunsch von Herrn Kaltmamsell (!) Polenta-Auflauf – das bislang einzige Hackfleisch-Gericht, in dem sich Soja-Hack als deutlich schlechter als Fleisch erwiesen hatte (bei allen anderen, so hatten wir ja schnell festgestellt, ist die Textur von Hack ausschlaggebend, nicht der Geschmack), deshalb mit Fleisch.
Gutes, herzhaftes Essen – aber nicht mehr so sensationell, wie wir es schon mal fanden. Haben wir uns weiterentwickelt? (Herr Kaltmamsell als Koch auf jeden Fall.)
Nachtisch viele Erdbeeren, ganz wenig Schokolade.
Ich ging früh ins Bett zum Lesen, gönnte mir Erkältungslikör und Nasenspray für guten Schlaf. Das Eröffnungsfußballspiel bekam ich durch hin und wieder herbrandendes Aufheulen/-jubeln mit, wahrscheinlich von den zahlreichen Gemeinschaftsguck-Orten in der Innenstadt, die die Tagesschau mir gezeigt hatte.
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Ich habe schon lange keine Hymnen mehr auf den Lokaljournalismus gesungen. Und wer jetzt abwinkt, “Käseblatt” oder sonstwas Verächtliches denkt: In keinem Ressort wird den Journalist*innen so genau auf die Finger geschaut. Wenn im Mantelteil ein Detail über das Umfeld Kanzler Scholz nicht stimmt, werden Sie es als Zeitungsleser*in kaum merken. Aber wenn der Name des Nachbarn beim Tennisturnier nicht stimmt, sehen Sie das sofort: Weil Sie und Ihr Alltag Teil des Berichtsgegenstands sind.
Auf Übermedien berichtet eine Redakteurin der Schrobenhausener Zeitung, Isabel Ammer, über ihre Situation während der kürzlichen Flut-Katastrophe – und darüber, wie wichtig die Lokalberichterstattung in diesem Moment war:
“Abwechselnd Sandsäcke und den Live-Ticker befüllen”.
Das Hochwasser und seine Folgen werden unsere Zeitung noch lange begleiten. Wir berichten, auch nachdem zum Glück keine Menschen mehr in den Fluten vermisst werden und keine Hausbesitzer mehr vor Kameras in Tränen ausbrechen. Wenn der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister das Katastrophengebiet wieder verlassen haben und die Stadt stinkend unter einem Film aus Schmutz und Öl zurückbleibt. Dann, wenn die Teppiche der Kirche zum Trocknen auf den Straßen liegen und die Menschen noch ein bisschen freundlicher grüßen als sonst. „Ach, bist du auch schon wieder unterwegs?“ „Was macht dein Keller?“ Meine Pumpen laufen noch, kann ich da sagen. Nach dem Wasser und dem Schmutz werden andere Fragen kommen, doch sicher ist: Die Katastrophe schweißt zusammen, die Menschen und ihre Zeitung.
Eigene unbedeutende Nebengeschichte zu einem Detail im Artikel:
Die Umstellung weg vom Desktop-PC auf mobile Geräte ist zwar in vollem Gange in den Lokalredaktionen des „Donaukurier“, nur just in unserer Schrobenhausener Redaktion eben noch nicht abgeschlossen.
Mir fällt sofort ein, wie ich während meines Zeitungsvolontariats beim Donaukurier 1986 bis 1988 extra mal einen Wochenenddienst bei der Schrobenhausener Zeitung machte: Weil die dort als letzte Außenstelle noch mit Bleisatz arbeiteten und ich das erleben wollte – schon damals war diese Lokalredaktion die letzte bei Modernisierungen. Ein Volontärskollege von damals ist heute der “Lokalchef”, der in dem Artikel erwähnt wird.
die Kaltmamsell7 Kommentare zu „Journal Freitag, 14. Juni 2024 – Ausbrechende Erkältung, ausbrechendes Fußballgucken“
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15. Juni 2024 um 9:43
Gute Besserung!
Leider sind die Wanderfalken schon flügge und hängen kaum noch am Nest ab. Aber diese Seite ist toll: https://lebensraum-burg.de/Wanderfalke/Webcam
15. Juni 2024 um 12:09
Wanderfalken werden in den Städten sehr gefördert. Auf allen höheren Türmen sind Nistkästen. Sie gelten als die besten Taubenjäger überhaupt.
15. Juni 2024 um 20:46
Noch ein Nachtrag zu den Wanderfalken nach Befragung eines Ornithologen: In München gibt es mittlerweile 13-15 Brutpaare, u.a. an der Paulskirche, auf dem Olympiaturm in 80 m Höhe und auf dem hohen O2-Funkmast im Perlacher Forst. Die Jungen von dort werden momentan trainiert auf dem Bavaria Filmgelände. Seither ist die Taubenplage in der Innenstadt merklich zurückgegangen.
15. Juni 2024 um 21:07
Leider haben wir auch feststellen müssen, dass die deutschen Erdbeeren heuer leider wenig Geschmack haben. Aber wen wundert es, haben sie doch wenig Sonne abbekommen
16. Juni 2024 um 8:08
Vielen Dank für die Info, Franz!
16. Juni 2024 um 8:27
Ich kann vom Küchenfenster auf eines der “Esszimmer” der Wanderfalken sehen (Flachdach eines Gebäudes im Hinterhof). Dort liegen im Moment noch die Überreste von zwei Tauben.
Allerdings sind wirklich hohe Häuser in der unmittelbaren Umgebung nicht vorhanden, es sind ca. 2 km Luftlinie bis zur Innenstadt Frankfurts
16. Juni 2024 um 9:47
Was für ein berührender Artikel. Eine solche Lokalredaktion ist was Wunderbares. Unserer Rhein Zeitung kann man beim Sterben zusehen. Vermutlich werden wir die letzten Abonnenten sein.
Es gibt wohl eine Studie über den Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer Lokalzeitung und der Resistenz gegen rechte Parolen.
Ich durfte ja den begeisterten Leiter der Lokalredaktion von Schrobenhausen beim großen Fest kennenlernen.