Archiv für Juli 2024

Journal Dienstag, 2. Juli 2024 – Arbeitswiedereinstieg anstrengend für Hirn und Gemüt

Mittwoch, 3. Juli 2024

Trotz des Risikos, am letzten Urlaubstag nicht schonmal die Arbeits-E-Mails zu bearbeiten, schlief ich gut.

Es regnete nicht mehr, die Luft war kühl. Weg in die Arbeit also in den nächsten Monaten um die Theresienwiese herum.

Zackig sehr viel sortiert und weggearbeitet, abgestimmt, geklärt, außerdem aus guter Erziehung an Geselligkeit teilgenommen.

München ist, wenn auf dem Weg zum Mittagscappuccino bei Nachbars eine Krähe mit Breze im Schnabel über dich hinweg fliegt.

Gegen Mittag hatte ich dann auch langsam einen Überblick. Als Brotzeit gab es eine restliche Körnersemmel vom Vortag, außerdem Nektarinen mit Skyr. Schon am Vorabend war ich dem Geheimnis von Skyr nachgegangen, der für mich wie weichgerührter Magerquark schmeckt. Ich hatte das schonmal recherchiert, aber gleich wieder vergessen, vielleicht behalte ich es durch Aufschreiben: Tatsächlich ist auch Quark ein Frischkäse, kann mit Lab gesäuert werden, muss aber nicht. Bei der Säuerung trennt sich die Milch in Eiweiß und Molke. Man lässt die Molke abtropfen – habe ich früher manchmal selbst gemacht, indem ich die Milch sauer werden ließ, vor allem wenn ich festen, krümeligen Quark haben wollte. Frischkäse wird genauso hergestellt, bei beiden Produkten (und bei Skyr, ebenfalls ein Quark/Frischkäse) kann man halt am Fett- und am Wassergehalt drehen, durch Zusetzen von Sahne und durch die Abtropfzeit oder durch Pressen.1 Viel interessanter finde ich, warum Mozzarella und Ricotta, beides ebenfalls Frischkäse, so deutlich anders sind.

Der Nachmittag wurde wegen einer stark verlängerten Besprechung zackiger als geplant, zumal er ein klares Ende hatte: Eine weitere Geselligkeit. Auch die brachte ich hinter mich, ohne dass ich nächtliches Gedankenkarussell befürchten musste, welchen Scheiß ich diesmal wieder von mir gegeben hatte. Gelernt: Bei abendlichen Draußen-Aufenthalten in München derzeit lieber mal immer Mückenspray dabei haben.

Marsch nach Hause unter bedrohlich dunklen Wolken, ich bekam aber nur ganz wenige Regentropfen ab. Daheim wartete Herr Kaltmamsell mit dem Abendessen auf mich: Er hatte sich aus dem Ernteanteil-Kohlrabi, restlichem Mascarpone vom Vorabend ein Spaghettigericht mit Zitronenschale, gerösteten Mandelblättern und Zitronenthymian ausgedacht.

Weißer Teller auf grünem Set, darin das eben beschriebene Gericht

Exquisit!

  1. Kein Link zu Quellen, weil ich diese scheinbar schlichte Information aus Bröckchen von verschiedenen Websites zusammenklauben musste. Von denen es erstmal die immer mehr Maschinen-generierten auszusortieren galt, die rein für SEO und Bannerschaltung gebaut werden. []

Journal Montag, 1. Juli 2024 – Bewertungsringen, ein wenig Entspannung

Dienstag, 2. Juli 2024

Unruhiger Schlaf wegen zu viel Rotwein und zu viel Schnarchen im Raum. Ich stand früh mit Herrn Kaltmamsell auf, um ihn mit Milchkaffee bekochen zu können. Entspannung hatte der Alkohol keine gebracht, an Verkaterung hinderte ihn das nicht – Gift bleibt Gift.

Der Morgen begann wider die Vorhersagen sonnig, aber angekündigt kühl. Noch vor dem Bloggen formulierte ich die Unterkunftsbewertung für Klagenfurt fertig, als sachlichen Abgleich zwischen Fakten und Annonce. Zur Sicherheit machte ich von den Anbieter-Angaben Screenshots und stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass auch die Fotos zur Annonce manipulierend waren: Der Essplatz war im Gang fotografiert, das Zimmer mehrmals mit verschiedener Ausstattung (mal mit Esstisch, mal mit Sitzecke), die gleichzeitg gar nicht reingepasst hätten. Nun stand für mich endgültig fest, dass der falsche Eindruck gezielt erweckt wurde und nicht etwa ein Versehen war. In der direkten Nachricht an die Vermieterin, die im Bewertungsprozess vorgesehen ist, bat ich um Korrektur.

Gebloggt, Morgentoilette. Ich ging raus um Semmeln zu holen und stellte fest, dass es wirklich sehr frisch war. Der Putzmann hatte für gestern abgesagt, ich konnte meinen freien Montag also deutlich freier planen als sonst. So las ich Zeitung, unter anderem (€) den Bericht von Christiane Lutz über den Bachmannpreis – dem ich anmerkte, dass sie nicht alle Jurydiskussionen mitverfolgt hatte, möglicherweise nicht mal alle Texte gelesen:

Olivia Wenzel fällt da angenehm aus dem Raster, in ihrem originellen Text „Hochleistung, Baby“ erzählt sie von einer jungen Mutter, die im Job kämpft – sie muss als Journalistin einen ehemaligen Fußballprofi auf einem Fischerboot interviewen, während sich in ihren Brüsten die Muttermilch zur Unerträglichkeit staut.

Hahaha, nein: Diese Figur kämpft keineswegs im Job als Journalistin, es stellt sich bald heraus, dass das Interview nur in ihrer Phantasie stattfindet. Außerdem gibt’s am Ende des Sex, von dem Lutz behauptet, er sei in keinem der Texte vorgekommen.

Später richtete ich dem Übernachtungsgast das Frühstück, plauderte ein wenig. Nach zehn machte ich mich lauffertig und nahm unter jetzt düsterem Himmel eine U-Bahn zum Odeonsplatz.

Mit immer wieder ein paar Regenspritzern lief ich los, ab Emmeramsbrücke regnete es eine Weile auch ernsthaft. Doch ich hatte ja eine Schirmmütze auf, es war nicht kalt: Wurde ich halt ein bisschen feucht. Die gut anderthalb Stunden waren eine körperliche Freude, und mein Hirn kam endlich ein wenig zum Verarbeiten.

In einer künstlerischen Gartenlandschaft ein alter steinerner Pavillon unter düsteren Wolken

Blick von halb oben auf Englischen Garten unter düsterem Himmel, im Vordergrund eine Säule, neben dem ein Paar sitzt

Graffiti an einem alten Wehrgebäude mit Tor, unten Flusswasser

Föhringer Wehr.

Tordurchgang mit bemalten Wänden, Wassertiere im Wasser, inklusive einem Eichhörnchen mit Taucherausrüstung

Diese Passantin war so freundlich, auf meine Geste hin bereichernd ins Bild zu laufen (den Satz, mit dem ich das erklärte, verstand sie allerdings sehr wahrscheinlich nicht: Kopfhörer).

Blick aufs grüne Wasser eines Kanals, der von Bäumen gesäumt ist, im Hintergrund ein Wehr

Mittlerer Isarkanal.

Riesiger Baum, dessen linke Stamm-Seite aufgerissen ist

Schwerverletzte Pappel.

Am Bayerischen Nationalmuseum nahm ich eine Tram zurück. Daheim war der Übernachtungsbesuch bereits abgereist. Ich betrieb ausführliche Körperpflege, kurz vor zwei gab’s zum Frühstück Semmeln mit Tomate (zugekauft) und Honig. Herr Kaltmamsell kam von der Arbeit und erzählte davon, ich wurde fressmüde und legte mich ein Stündchen ins Bett, schlief auch ein.

Noch ein Spaziergang für Einkäufe zum Vollcorner – so sah ich bereits vor dem nächsten Marsch in die Arbeit, dass die Theresienwiese abgesperrt wurde: Wieder ein wenig früher für den Aufbau des Oktoberfestes (und offiziell bis 22. Oktober). Konsequenterweise wird es in ein paar Jahrzehnten gleich nach dem Winter-Tollwood aufgebaut.

An der Ecke Pettenkoferstraße-Bavariaring eine Stele, das Münchner Pendant zu Stolpersteinen (rechts unten am Zaun-Pfeiler):

Vor einem prächtigen alleinstehenden Altbau ein Zaun mit Hecke

Albertine Neuland hat also hier einst gewohnt und wurde im Ghetto Theresienstadt ermordet.

Als ich zurückkam und die Einkäufe verstaut hatte, setzte ich mich zum Zeitunglesen auf den Balkon – und kam nach all den eigentlichen Urlaubstagen endlich zu urlaubigem Blödschaun. Bis mich dunkle Wolken und Regen zurück ins Wohnzimmer trieben, war mir leider wieder schwindlig, ich strich meine Gymnastikpläne. Es regnete überraschend energisch.

Herr Kaltmamsell nutzte die Purple Haze-Karotten aus Ernteanteil (Lagergemüse), um mir einen Rezept-Wunsch aus dem SZ-Magazin zu erfüllen: Geschmorte Karotten mit Couscous.

Glasteller auf grünem Set, darauf dunkle Karotten in dunkler Sauce, Couscous mit ein wenig weißer Sauce

Schmeckte hervorragend, mit das Beste, was man mit Lagerkarotten machen kann. Nachtisch nach fast einer Woche wieder Schokolade.

Im Bett las ich noch in Dana von Suffrin, Otto, das mir viel Vergnügen bereitet. Durchs offene Fenster hörte ich Regenrauschen und entfernt aus der Klinik mal wieder das Röhren einer gebärenden Frau (Sie erinnern sich? die Fenster der Kreissäle liegen offensichtlich auf der uns zugewandten Seite? und stehen in den Sommermonaten wohl oft offen?), und ich dachte, dass solch eine groteske Kombination eigentlich in einen frühen John-Irving-Roman gehört.

§

Informatives Interview in Spektrum mit Klimaforscher Sebastian Sippel:
“‘Was ist eigentlich Extremwetter, Herr Sippel?'”.

§

Gabriel Yoran schreibt über einen Missstand – und ich bin erleichtert, dass er ihn als Missstand beschreibt, dass ich mich also nicht einfach nur anstelle: Über die Flut von Dienst-Meldungen, die mittlerweile übers Internet hereinfließt.

Endlose (und in Deutschland oft juristisch wirkungslose) Nutzungsbedingungen bei der Installation von Apps. Cookiehinweise, die wir ungelesen wegklicken, und die immer wieder kommen. Rote Badges auf ungezählten Icons, Badges, die mal für ungelesene E-Mails standen, als das noch eine wertvolle Auskunft war. Beim Abziehen des Kindle-Readers zum tausendsten Mal „Die Festplatte wurde nicht ordnungsgemäß ausgeworfen“ (was bislang jedes Mal folgenlos blieb), Fake-SMS von „DHL“ oder dem „Zoll“ (die man auf keinen Fall anklicken sollte), Online-Werbung, die so tut, als wäre sie die Tagesschau, sich dann aber als Bitcoin-Betrug entpuppt, der monatliche Bericht der Fritzbox über Anrufe unbekannter Nummern auf dem Festnetz oder die schwankende Anzahl der Geräte im heimischen WLAN, Treuepunktberichte von Versandhändlern, denen man vor fünf Jahren mal einen Bettbezug abgekauft hat, „Bitte hilf uns, dein Konto sicherer zu machen“, „Ihr Paket kommt morgen, heute, in den nächsten vier Stunden“ und dann leider doch nicht wegen eines Staus oder einer Störung des Betriebsablaufs oder des großen Gesamtzusammenhangs, die ständigen Fragen, wie zufrieden man mit dem Kundendienst war, ob man die Firma weiterempfehlen würde auf einer Skala von eins bis zehn? Dann ändern sie noch ihre Datenschutzbestimmungen, immerzu ändern sie die, es gibt mehr Datenschutzbestimmungen als es Unternehmen auf der Welt gibt, also nochmal fünf Dutzend Seiten, in die eine Anwaltskanzlei ihr ganzes Können gesteckt hat, ungelesen wegklicken. Ach und übrigens, dieses Gerät, von dem du dich da gerade einloggen willst? Das kennen wir noch gar nicht. Das ist seit Jahren das gleiche Handy? Da könnte ja jeder kommen. Erstmal Username und Passwort bitte, Freundchen! Schließlich die Bank, die tatsächlich eine E-Mail schickt, weil ein neuer Kontoauszug vorliegt.

Nicht nur mich kostet es also immer mehr Energie, diese Nachricht zu filtern, zwischen den unwichtigen und den relevanten zu unterscheiden.

Es ist, als wäre ständig Enkeltrick, und wir alle sind die Großeltern.

Ich schenke Ihnen diese luzide und verzweifelte Zusammenfassung von gleichzeitiger Über- und Unterinformation:
(Leider ohne Verschenk-Möglichkeit.)
“Sie haben neue Pfuschnachrichten”.

Journal Sonntag, 30. Juni 2024 – Rückreise von Klagenfurt, keine Entspannung

Montag, 1. Juli 2024

Trotz spätem Einschlafen wachte ich vor Weckerklingeln auf, draußen nochmal Sommer.

Fertigbloggen, Fertigmachen für die Abreise. Ich fotografierte die Unterkunftsituation als Belege, die sachliche Bewertung mit allen Abweichungen von der Annonce formulierte ich ohnehin bereits seit Tagen im Kopf.

Blick von schräg oben auf einen sonnenbeschienenen Kanal mit vielen Bäumen gesäumt, im Vordergrund Sandboden mit Tischen und Stühlen, leer

Leerer Lendhafen

Zeitig rollkofferte ich durch die früh deutliche Sommerhitze vorbei am bereits regen ORF-Gebäude zum Klagenfurter Bahnhof. Der Railjet der ÖBB stand schon parat, ich setzte mich auf meinen schön klimatisierten Platz in offensichtlich betagter Ausstattung – und hatte damit zweifach Glück: 1. Meine Reservierung existierte in diesem Zug, dem zwei Wagen fehlten (an jedem Bahnhof herumirrende Passagiere, die vergeblich ihre Platznummer suchten), 2. Die Klimaanlage funktionierte – anders als in den Wagen, von denen in der ersten Stunde Passagiere aufgefordert wurden, sich lieber woanders Plätze zu suchen. Solche Erlebnisse haben für mich DB-Kundin ja immer eine leise Note der Erleichterung: Andere Bahngesellschaften sind auch nicht perfekt. Wieder andere Wagen wurden von alkoholisierten Fußballfans belärmt – auch dem entging ich.

Während ich auf meinem Handy Zeitung las (WLAN gab es keines auf der gesamten Fahrt, ich verschob das Zusammenstellen von Lieblings-Microblog-Posts Juni), verfolgte ich auf Bluesky und Mastodon die Bachmannpreisverleihung, zusätzlich informiert von einer Mit-Schlachtenbummlerin, die den Stream hörte. Ich konnte die Bepreisungen nachvollziehen außer dem Hauptpreis: Bei aller Gratulation an Tijan Sila – weder der Text “Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde” noch die Jury-Diskussion hatten auf etwas Überragendes hingewiesen. Dass Henrik Szántó mit seinem “Eine Treppe aus Papier” komplett leer ausging, sah ich ebenfalls von Textqualität und Jurybesprechung entkoppelt.

Der Zug wurde immer voller, ab Salzburg standen die Leute in den Gängen. Ich war froh um meinen Sitzplatz, war darauf allerdings so in meinem Gepäck eingeklemmt, dass mein Kreuz immer heftiger protestierte und bis ins ganze rechte Bein unangenehm schmerzte. Ankunft in München mit großer Erleichterung.

Hier war das Wetter kühler, wenn auch schwül. Zuhause traf auch bald eine Mit-Schlachtenbummlerin ein, die auf Montag bei uns übernachten und dann weiterreisen würde. Unterhaltungen zu dritt, Herr Kaltmamsell hatte als Nachtmahl überbackene Enchiladas vorbereitet, die gab es nach einem heftigen Regen draußen und erwarteten und dennoch schlimmen Wahlergebnissen aus Frankreich: Es steht die erste faschistische Regierung einer Alliierten-Nation bevor. Ich hatte große Lust auf Alkohol gehabt und gehofft, mir damit ein wenig Entspannung nach diesen angespannten Tagen zu holen: Der spanische Rotwein zum Essen schaffte das leider nicht.

Als gute Idee erwies sich wieder, dass ich auch den Montag Urlaub genommen hatte: Ich würde diesen Tag dringend zum Runterkommen brauchen.