Journal Montag, 1. Juli 2024 – Bewertungsringen, ein wenig Entspannung

Dienstag, 2. Juli 2024 um 6:29

Unruhiger Schlaf wegen zu viel Rotwein und zu viel Schnarchen im Raum. Ich stand früh mit Herrn Kaltmamsell auf, um ihn mit Milchkaffee bekochen zu können. Entspannung hatte der Alkohol keine gebracht, an Verkaterung hinderte ihn das nicht – Gift bleibt Gift.

Der Morgen begann wider die Vorhersagen sonnig, aber angekündigt kühl. Noch vor dem Bloggen formulierte ich die Unterkunftsbewertung für Klagenfurt fertig, als sachlichen Abgleich zwischen Fakten und Annonce. Zur Sicherheit machte ich von den Anbieter-Angaben Screenshots und stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass auch die Fotos zur Annonce manipulierend waren: Der Essplatz war im Gang fotografiert, das Zimmer mehrmals mit verschiedener Ausstattung (mal mit Esstisch, mal mit Sitzecke), die gleichzeitg gar nicht reingepasst hätten. Nun stand für mich endgültig fest, dass der falsche Eindruck gezielt erweckt wurde und nicht etwa ein Versehen war. In der direkten Nachricht an die Vermieterin, die im Bewertungsprozess vorgesehen ist, bat ich um Korrektur.

Gebloggt, Morgentoilette. Ich ging raus um Semmeln zu holen und stellte fest, dass es wirklich sehr frisch war. Der Putzmann hatte für gestern abgesagt, ich konnte meinen freien Montag also deutlich freier planen als sonst. So las ich Zeitung, unter anderem (€) den Bericht von Christiane Lutz über den Bachmannpreis – dem ich anmerkte, dass sie nicht alle Jurydiskussionen mitverfolgt hatte, möglicherweise nicht mal alle Texte gelesen:

Olivia Wenzel fällt da angenehm aus dem Raster, in ihrem originellen Text „Hochleistung, Baby“ erzählt sie von einer jungen Mutter, die im Job kämpft – sie muss als Journalistin einen ehemaligen Fußballprofi auf einem Fischerboot interviewen, während sich in ihren Brüsten die Muttermilch zur Unerträglichkeit staut.

Hahaha, nein: Diese Figur kämpft keineswegs im Job als Journalistin, es stellt sich bald heraus, dass das Interview nur in ihrer Phantasie stattfindet. Außerdem gibt’s am Ende des Sex, von dem Lutz behauptet, er sei in keinem der Texte vorgekommen.

Später richtete ich dem Übernachtungsgast das Frühstück, plauderte ein wenig. Nach zehn machte ich mich lauffertig und nahm unter jetzt düsterem Himmel eine U-Bahn zum Odeonsplatz.

Mit immer wieder ein paar Regenspritzern lief ich los, ab Emmeramsbrücke regnete es eine Weile auch ernsthaft. Doch ich hatte ja eine Schirmmütze auf, es war nicht kalt: Wurde ich halt ein bisschen feucht. Die gut anderthalb Stunden waren eine körperliche Freude, und mein Hirn kam endlich ein wenig zum Verarbeiten.

In einer künstlerischen Gartenlandschaft ein alter steinerner Pavillon unter düsteren Wolken

Blick von halb oben auf Englischen Garten unter düsterem Himmel, im Vordergrund eine Säule, neben dem ein Paar sitzt

Graffiti an einem alten Wehrgebäude mit Tor, unten Flusswasser

Föhringer Wehr.

Tordurchgang mit bemalten Wänden, Wassertiere im Wasser, inklusive einem Eichhörnchen mit Taucherausrüstung

Diese Passantin war so freundlich, auf meine Geste hin bereichernd ins Bild zu laufen (den Satz, mit dem ich das erklärte, verstand sie allerdings sehr wahrscheinlich nicht: Kopfhörer).

Blick aufs grüne Wasser eines Kanals, der von Bäumen gesäumt ist, im Hintergrund ein Wehr

Mittlerer Isarkanal.

Riesiger Baum, dessen linke Stamm-Seite aufgerissen ist

Schwerverletzte Pappel.

Am Bayerischen Nationalmuseum nahm ich eine Tram zurück. Daheim war der Übernachtungsbesuch bereits abgereist. Ich betrieb ausführliche Körperpflege, kurz vor zwei gab’s zum Frühstück Semmeln mit Tomate (zugekauft) und Honig. Herr Kaltmamsell kam von der Arbeit und erzählte davon, ich wurde fressmüde und legte mich ein Stündchen ins Bett, schlief auch ein.

Noch ein Spaziergang für Einkäufe zum Vollcorner – so sah ich bereits vor dem nächsten Marsch in die Arbeit, dass die Theresienwiese abgesperrt wurde: Wieder ein wenig früher für den Aufbau des Oktoberfestes (und offiziell bis 22. Oktober). Konsequenterweise wird es in ein paar Jahrzehnten gleich nach dem Winter-Tollwood aufgebaut.

An der Ecke Pettenkoferstraße-Bavariaring eine Stele, das Münchner Pendant zu Stolpersteinen (rechts unten am Zaun-Pfeiler):

Vor einem prächtigen alleinstehenden Altbau ein Zaun mit Hecke

Albertine Neuland hat also hier einst gewohnt und wurde im Ghetto Theresienstadt ermordet.

Als ich zurückkam und die Einkäufe verstaut hatte, setzte ich mich zum Zeitunglesen auf den Balkon – und kam nach all den eigentlichen Urlaubstagen endlich zu urlaubigem Blödschaun. Bis mich dunkle Wolken und Regen zurück ins Wohnzimmer trieben, war mir leider wieder schwindlig, ich strich meine Gymnastikpläne. Es regnete überraschend energisch.

Herr Kaltmamsell nutzte die Purple Haze-Karotten aus Ernteanteil (Lagergemüse), um mir einen Rezept-Wunsch aus dem SZ-Magazin zu erfüllen: Geschmorte Karotten mit Couscous.

Glasteller auf grünem Set, darauf dunkle Karotten in dunkler Sauce, Couscous mit ein wenig weißer Sauce

Schmeckte hervorragend, mit das Beste, was man mit Lagerkarotten machen kann. Nachtisch nach fast einer Woche wieder Schokolade.

Im Bett las ich noch in Dana von Suffrin, Otto, das mir viel Vergnügen bereitet. Durchs offene Fenster hörte ich Regenrauschen und entfernt aus der Klinik mal wieder das Röhren einer gebärenden Frau (Sie erinnern sich? die Fenster der Kreissäle liegen offensichtlich auf der uns zugewandten Seite? und stehen in den Sommermonaten wohl oft offen?), und ich dachte, dass solch eine groteske Kombination eigentlich in einen frühen John-Irving-Roman gehört.

§

Informatives Interview in Spektrum mit Klimaforscher Sebastian Sippel:
“‘Was ist eigentlich Extremwetter, Herr Sippel?'”.

§

Gabriel Yoran schreibt über einen Missstand – und ich bin erleichtert, dass er ihn als Missstand beschreibt, dass ich mich also nicht einfach nur anstelle: Über die Flut von Dienst-Meldungen, die mittlerweile übers Internet hereinfließt.

Endlose (und in Deutschland oft juristisch wirkungslose) Nutzungsbedingungen bei der Installation von Apps. Cookiehinweise, die wir ungelesen wegklicken, und die immer wieder kommen. Rote Badges auf ungezählten Icons, Badges, die mal für ungelesene E-Mails standen, als das noch eine wertvolle Auskunft war. Beim Abziehen des Kindle-Readers zum tausendsten Mal „Die Festplatte wurde nicht ordnungsgemäß ausgeworfen“ (was bislang jedes Mal folgenlos blieb), Fake-SMS von „DHL“ oder dem „Zoll“ (die man auf keinen Fall anklicken sollte), Online-Werbung, die so tut, als wäre sie die Tagesschau, sich dann aber als Bitcoin-Betrug entpuppt, der monatliche Bericht der Fritzbox über Anrufe unbekannter Nummern auf dem Festnetz oder die schwankende Anzahl der Geräte im heimischen WLAN, Treuepunktberichte von Versandhändlern, denen man vor fünf Jahren mal einen Bettbezug abgekauft hat, „Bitte hilf uns, dein Konto sicherer zu machen“, „Ihr Paket kommt morgen, heute, in den nächsten vier Stunden“ und dann leider doch nicht wegen eines Staus oder einer Störung des Betriebsablaufs oder des großen Gesamtzusammenhangs, die ständigen Fragen, wie zufrieden man mit dem Kundendienst war, ob man die Firma weiterempfehlen würde auf einer Skala von eins bis zehn? Dann ändern sie noch ihre Datenschutzbestimmungen, immerzu ändern sie die, es gibt mehr Datenschutzbestimmungen als es Unternehmen auf der Welt gibt, also nochmal fünf Dutzend Seiten, in die eine Anwaltskanzlei ihr ganzes Können gesteckt hat, ungelesen wegklicken. Ach und übrigens, dieses Gerät, von dem du dich da gerade einloggen willst? Das kennen wir noch gar nicht. Das ist seit Jahren das gleiche Handy? Da könnte ja jeder kommen. Erstmal Username und Passwort bitte, Freundchen! Schließlich die Bank, die tatsächlich eine E-Mail schickt, weil ein neuer Kontoauszug vorliegt.

Nicht nur mich kostet es also immer mehr Energie, diese Nachricht zu filtern, zwischen den unwichtigen und den relevanten zu unterscheiden.

Es ist, als wäre ständig Enkeltrick, und wir alle sind die Großeltern.

Ich schenke Ihnen diese luzide und verzweifelte Zusammenfassung von gleichzeitiger Über- und Unterinformation:
(Leider ohne Verschenk-Möglichkeit.)
“Sie haben neue Pfuschnachrichten”.

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Journal Montag, 1. Juli 2024 – Bewertungsringen, ein wenig Entspannung“

  1. lihabiboun meint:

    Der Krautreporter Artikel funktioniert leider nicht ganz ….. aber der Anfang bereits spricht mir aus der Seele ….

  2. die Kaltmamsell meint:

    Danke für den Hinweis, lihabiboun – dann gibt es wohl leider keine Verschenk-Möglichkeit für diesen Artikel, schade.

  3. N. Aunyn meint:

    Diese Form des Gedenkens (Stelen) – wie hier für Albertine Neuland – gefällt mir wesentlich besser als die Stolpersteine. Da kann niemand mit Füssen drauf treten.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Das findet Charlotte Knobloch eben auch, N. Aunyn.

  5. Trulla meint:

    Es geht mir keineswegs um eine erneute Diskussion Pro oder Kontra Stolpersteine. Warum sollte es dazu schließlich nur eine Meinung geben? Wichtig ist, dass der Menschen “gedacht” wird, denen so schreckliches Unrecht angetan wurde.
    Ich vermute allerdings, dass es auch aus Kostengründen (Stolpersteine finanzieren sich über Spenden und Patenschaften) kaum möglich sein wird, eine ähnliche Menge Stelen im Straßenbild zu etablieren, wie es mit Stolpersteinen möglich ist. Die nach meiner Wahrnehmung nicht im unangenehmen Sinne mit Füssen getreten werden, sondern über die man tatsächlich stolpert und gerade deshalb oft innehält.

  6. Sandra meint:

    Das mit dem „darüber stolpern“ sehe ich auch so,Trulla.

  7. die Kaltmamsell meint:

    Der Münchner Stadtrat nimmt Rücksicht auf die Sicht von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Trulla, Sandra. Meiner Meinung nach sollten die Wünsche der Täterseite nicht schwerer wiegen als die der Opferseite.

  8. Bobbie meint:

    Ganz genauso sehe ich das auch.

  9. Trulla meint:

    Diese Rücksichtnahme des Münchner Stadtrats Frau Knobloch gegenüber finde ich sehr verständlich.

    Die Diskussionen und Begründungen des Für- und Wider sind mir auch durchaus nicht unbekannt.

    Doch sehe ich nicht generell eine unterschiedliche Sicht von Täter- oder Opferseite.

    Etliche Steinsetzungen z.B. in Hamburg sind unter sehr emotionaler Begleitung der eingeladenen Hinterbliebenen jener Opfer erfolgt, die mitunter von sehr weit her angereist sind, um vor den ehemaligen Wohnhäusern ihrer verfolgten und ermordeten Angehörigen ehrenvoll zu gedenken.

  10. Sandra meint:

    Gut, dass Sie die ärgerliche Sache mit der Ferienwohnung schriftlich lösen: https://www.hessenschau.de/panorama/streit-um-ferienwohnung-in-hofheim-eskaliert-v1,kurz-hofheim-100.html

  11. Sandra meint:

    Also mein Kind fragt mich bereits mit 3 Jahren nach Stolpersteinen, wenn wir welche sehen. Ob es das tun würde, weil Stelen aufgestellt sind? Ich denke also, ein Stolperstein fällt schon Kindern auf, er ist außergewöhnlich. Sie wachsen damit auf und man kann ihnen schon jetzt grob erklären, was es damit auf sich hat und immer wieder stößt man bei Spaziergängen an verschiedenen Orten auf das Thema und kann es immer wieder über die Jahre aufgreifen. Das finde ich eigentlich auch wichtig und ist doch auch im Sinne der Opfer.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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