Journal Samstag, 27. Juli 2024 – Hochsommerwandern auf einer vergessenen Route

Sonntag, 28. Juli 2024 um 8:49

Wunderbar ausgeschlafen.

Der gestrige Balkonkaffee war angenehm mild, doch schon bald kündigte sich Hitze an. Meine Wochenendzeitung fand ich nach Wochen Suchspielen endlich wieder dort, wo sie hingehörte: Im Briefkasten.

Wir hatten eine Wanderung geplant und machten uns verhältnismäßig früh startklar, die Wohnung versperrten wir mit Rolläden und geschlossenen Außenfenstern gegen die Hitze.

Unser Ziel war Icking, eine Station vor Wolfratshausen. Wir waren auch deshalb früh aufgebrochen, weil die S-Bahn gestern nur alle 40 Minuten ging (Bauarbeiten – schon in Ordnung, wann sollen sie die denn sonst machen, wenn nicht in den Ferien?). Mit uns reisten viele, viele Pfadfinder*innen quer durchs Kinder- und Jugendalter; ich versuchte möglichst viel von dem, was ich bei Frau Brüllen über ihre Pfadi-Söhne gelernt habe, zu entdecken (Aufnäher!). Interessant fand ich allein schon mal die Kleidung: Von kompletter Kluft bis Zivil mit nur Pfadi-Halstuch war alles dabei. Es war wohl ein großes Treffen, die jungen Leute schienen einander gerade erst kennenzulernen.

Andere auffällige Mitreisende: Menschen mit luftlosen Schlauchbooten und Rudern. Den vereinzelten Hochsommersamstag (für Sonntag war Regen vorhergesagt) nutzten offensichtlich viele dafür, sich die Isar hinuntertreiben zu lassen (bange Erinnerung an die schwimmenden Wummer-Discos bei Grünwald vor einem Jahr – die sich als grundlos erwiesen).

Wir planten eine Wanderrunde, die wir besonders gut kannten, weil schon so oft gegangen, vor gut einem Jahr mit Besuch – diesmal wollten wir sie mit einem Stück vom Ickinger Wehr entlang der Isar nach Schäftlarn erweitern: Ein Wegweiser am Ickinger Wehr hatte mich auf die Idee gebracht. Im April 2023 mit Besuch war das Stück über Wolfratshausen bis zum Waldlehrpfad runter in den Ort wegen umgestürzter Bäume unpassierbar, wir mussten klettern. Doch ein Jahr sollte genügt haben, den Weg wiederherzustellen.

Womit ich nicht gerechnet hatte: Dass es die restliche Wanderroute fast nicht mehr geben würde.

Wir stiefelten vom Ickinger Bahnhof den vertrauten Weg am Sportplatz vorbei; zunächst sah alles aus wie gewohnt.

Wanderer in sonnigem Wald von hinten

Hier stach mich die erste Mücke, ich holte gleich mal das immer mitgeführte Anti-Brumm aus dem Rucksack und sprühte mich gründlich damit ein. Kurz darauf verschwand der Wanderweg fast im Bewuchs, die Ausschilderung wurde sehr rar.

Fast nicht sichtbarer Pfad in sonnigem Grün

Und ab dann mussten wir die erinnerten Abzweigungen oft suchen: Fast alle Wegweiser waren weg, die Wege offensichtlich lange nicht genutzt.

Weiter Rasen mit vereinzelten riesigen Bäumen, him Hintergrund zwei eingeschoßige dunkelrote Häuser, ein Auto

Interessantes Anwesen am Rand von Schlederloh – der Zaun zum verschwindenden Wanderweg verfallen.

Blick von oben auf ein weites Tal mit Flüssen und Auenwald

Ausblick auf die Puplinger Au. Noch war der Himmel hauptsächlich bewölkt.

Eine Hand voller Brombeeren, im Hintergrund Brombeerranken

In Dorfen klassischer Wander-Snack: Wilde Brombeeren am Wegesrand.

Hohlweg in grünes Tal

Hohlweg zur 2023 versperrten Passage nach Wolfratshausen.

Pfad in ein Tal mit Steg, auf der gegenüberliegenden Seite Stufen hinauf mit Handlauf

Niegelnagelneuer Steg und neu befestigte Stufen.

Tischchen in Café mit zwei Tassen Cappuccino, im Hintergrund die Theke des Cafés mit einem Kunden davor

Im Wolfratshausen waren wir gerade mal anderthalb Stunden unterwegs, eigentlich zu früh für eine Pause. Wir ließen uns dennoch zu einem Mittagscappuccino nieder, ich füllte meine eine bereits geleerte Wasserflasche auf.

An der Loisach entlang stiegen wir hoch zurück Richtung Icking, genossen Aussichten. Hier war der Weg wieder gut sichtbar, aber nicht mehr ausgeschildert. Wir begegneten auch keinen anderen Wanderern, lediglich ein paar Gelände-Radlern.

Blick hinunter auf ein breites Tal mit Wald, im Hintergrund schemenhaft eine Bergkette

Blick vom Riemerschmid-Park auf den Zusammenfluss Isar-Loisach. Danach drehten wir eine Zusatzschleife, weil wir die Abzweigung zu den Stufen hinunter an die Loisach zunächst verfehlten. Herr Kaltmamsell suchte mit Online-Karte: Sie war so zugewachsen, dass wir sie ohne Wegweisen gar nicht hatten sehen können.

Abwärts führender Pfad im Wald mit vielen Wurzeln und einem kleinen Baumstamm quer, ein Wanderer von hinten, der gerade darüber steigt

Blick von ben auf einen querenden Pfad, fast völlig versperrt von dem Wurzelballen eines gestürzten Baums, links davon ein Wanderer, im Hintergrund zwischen Bäumen das Grün eines Flusses

Der Abstieg wird offentsichtlich nicht mehr viel genutzt.

Zwischen Bäumen links und rechts hinter Fluss das weiße Gebäude eines Wehrs, rotes Ziegeldach

Ickinger Wehr.

Auf sonnenbeschienenen Kiesbänken eines Flusses bauen Menschen in Badekleidung Boote zusammen, einige sind schwimmen bereits auf dem Fluss

Dahinter wohl der Start zum Isartreiben, für das die Leute ihre Schlauchboote dabei hatten. Ohne Diskogewummer, einfach nur gleitend und plätschernd, mit fröhlichem Lachen und Kreischen. Mittlerweile waren die Wolken verschwunden, die Sonne strahlte und heizte ungehindert.

Der Wegweiser Richtung Schäftlarn warnte explizit, dass der Weg in schlechtem Zustand sei, und riet zur Alternativroute über Icking. Wir fühlten uns abenteuerlustig und gingen ihn dennoch. Er war dann tatsächlich mühsam, weil zugewachsen und nicht freigeräumt.

Blick von der Seite auf den sonnigen Fluss, am anderen Ufer eine Kiesbank mit Menschen, dazwischen ein Schlauchboot

Bankerl zum Brotzeiten gab es hier natürlich keine, wir setzten uns nach drei Stunden an eine Uferkante mit diesem Ausblick. Es gab Mirabellen und Nussschnecken.

Danach wurde der Weg die Isar entlang immer mühsamer. Irgendwann waren wir das Klettern über oder unter blockierende Baumstämme leid und suchten einen bequemeren Weg über GPS und Online-Karte. Fanden wir auch – nur dass ein Bach durchführte. Dann mussten wir halt durch, Schuhe und Socken in der Hand.

Frau von hinten mit Rucksack, die einen Bach durchquert, am anderen Ufer Bäume

Bild: Herr Kaltmamsell

Blick von im Bach den Bach entlang, Sonnenschein, Bäume

Blick aus der Mitte des Bachs.

Wanderer mit roter Kappe, der gerade aus einem Bach klettert

Der Weg wurde dann ein wenig bequemer, nach einem weiteren Aufstieg gab es schöne Aussicht.

Herr Kaltmamsell navigierte uns per Online-Karte zum S-Bahnhof Ebenhausen/Schäftlarn, durch ganz andere Landschaft als bisher.

Sonniger Kiesweg zwischen Bäumen, rechts Viehweide

Hochsommerliches Sonnenlicht und knallblauer Himmel, Kiesweg, rechts Bäume, links ein abgeerntetes Stoppelfeld

Ich hatte die ursprüngliche Wanderung auch deshalb gewählt, weil ich wusste, wie schön schattig sie ist. Dieses letzte, neue Stück hingegen erwies sich als weitgehend Schatten-frei, jetzt war es eher unangenehm heiß. Den Bahnhof erreichten wir genau richtig für die nächste S-Bahn, sehr erfreulich. Das waren gut 15 Kilometer in knapp fünf Stunden mit zwei Pausen.

Rückweg in der S-Bahn mit vielen Frauen in Glitzer, oft in Mehr-Generationen-Paarung: Menschen auf dem Weg zum Taylor-Swift-Konzert. Ja, ich habe eine Meinung – nämlich überhaupt kein Problem damit, die Leute ihren friedlichen, fröhlichen Spaß und das Gemeinschaftsgefühl genießen zu lassen. Weder gröhlen noch kotzen sie oder behindern den Alltag von Innenstädten wie Fußballfans, ihr Hobby dominiert auch nicht auf Wochen das gesamte Fernseh- und Zeitungsprogramm. Und mehr Glitzer in der S-Bahn begrüße ich ausdrücklich. Die Musik der angehimmelten Taylor Swift kenne ich genausowenig wie andere zeitgenössische Popmusik, zu der habe ich tatsächlich keine Meinung.

Seit einer ganzen Weile freute ich mich auf eine gründliche Reinigung unter der Dusche, nach dem Mix Sonnencreme, Mückenspray, Schweiß, Staub und Pflanzenteile fühlte ich mich so dreckig wie schon lang nicht mehr. Kurze Einkäufe auf dem Heimweg vom Hauptbahnhof, jetzt konnte ich mich unter fließendem Wasser säubern, so richtig mit rundum Waschlappen. Das Resultat fühlte sich großartig an (all die Kratzer an den Beinen haben jetzt noch acht Tage zum Heilen bis zur nächsten Wachsenthaarung). Nur fühlte ich mich wie nach der Wanderung davor reichlich erledigt und hätte mich am liebsten erstmal Schlafen gelegt. Das kann ich gerne auf die Hitze schieben, die aber so schlimm auch wieder nicht war – wieso bin ich denn plötzlich so unfit?

Gemütliches Internet-Lesen im angenehm kühlen Wohnzimmer, außerdem kochte ich nochmal Panna cotta, diesmal mit Abkühlen unter Rühren, bevor ich sie in Förmchen füllte; mal sehen, ob das ein Absetzen der Gelatine verhindert.

Zum Nachtmahl baute Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil-Rote Bete und -Stangensellerie mit zugekauften Pfirsichen einen Salat nach, den wir in Berlin beim Feinkost Lindner gekauft hatten, ich rührte das Dressing dazu. Und die Bete-Blätter kamen gebraten auch noch dazu, hier verkommt nichts. Wenig.

Gedeckter Tisch mit weißem Teller voll Stücken Rote Bete, Stangensellerie, Pfirsich, dahinter eine Schüssel davon, rechts ein Glas Rosé

Schmeckte sehr gut, dazu gab es Pittnauer Rosé Dogma. Nachtisch Schokolade.

Im Bett begann ich (mit Leselampe um den Hals, weil nach Langem mal wieder Papierbuch ohne Selbstbeleuchtung) das neue Literaturmagazin Granta: Siginificant Other. In seinem Vorwort spoilert Herausgeber Thomas Meany gleich mal einige der Geschichten im Band – macht ihn mir nach seinem ungeschickten Einstieg mit dem Themenband Deutschland wirklich nicht sympathischer.

§

TexasJim hat wieder Ferien auf dem Bauernhof gemacht – allerdings wie immer im Traktorsitz. Und denkt darüber nach, warum ihm das so viel bedeutet.
“Vorwärts leben, rückwärts verstehen, hat meine Oma einst gesagt”

Ein völlig fremder Alltag. Und doch bilde ich mir ein, alles zu verstehen.

Wie so oft stelle ich mich in einen Supermarkt am Bahnhof und sehe den Leuten zu, wie sie mit Lebensmitteln hantieren, sie drücken, werfen, und dann immer zum noch Bunteren greifen, und ich denke an den Haufen Erbsen in der Halle und an den heißen Tag voll Mühen, die uns allein ihre Ernte gekostet hat, bis wir spät in der Nacht am Festzelt vorbeifuhren, an den blinkenden Lichtern und der Musik, und dann frage ich mich, wie eigentlich alle anderen klarkommen, aber sicher bin ich mir nicht.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Samstag, 27. Juli 2024 – Hochsommerwandern auf einer vergessenen Route“

  1. Ilka meint:

    Danke für die Formulierung der Meinung zum Taylor-Swift-Phänomen.
    Schönen Sonntag!
    Ilka

  2. Barbara meint:

    Taylor Swift ist ein fester Bestandteil des Englischunterrichts z.B. in Hauptschulklassen, ihre Songs werden im Unterricht gesungen die Texte zu Aufgaben verarbeitet usw. Viele Jugendliche kennen bestimmte Phänomene und Personen nur, weil Taylor Swift eine Meinung dazu hat, z.B. Trump. Und lernen schneller und enthusiastischer die englische Sprache :) Es könnte Schlimmeres geben, als sie als Ikone und Vorbild.

Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.