Journal Donnerstag, 8. August 2024 – Geballte Ladung Essen

Freitag, 9. August 2024 um 18:09

Veröffentlichung mit reichlich Verspätung, weil sich der letzte Programmpunkt mit einer heftigen Migräne rächte.

Recht gut geschlafen, erst mal mit dem Kapselmaschinchen im Hotelzimmer sowie mitgebrachtem Milchschäumer und Hafermilch Cappuccino gemacht. Draußen der angekündigte bedeckte Himmel.

Für den Blogpost musste ich nur noch die Fotos bearbeiten und einstellen, dann machte ich mich fertig und begleitete Herrn Kaltmamsell zum Frühstück (ich hatte versäumt, nur Übernachtung ohne Frühstück zu buchen).

Das Frühstücksbuffet war sehr liebevoll, zudem wirklich üppig und besonders, Herr Kaltmamsell bereitete sich amerikanische Pancakes zu und probierte unter anderem auf meinen Wunsch das saftige Rosinenbrot. Selbst holte ich mir noch einen Cappuccino – und kam gleichmal wieder ins existenzielle Grübeln.

Chromglänzende Riesenkaffeemaschine auf Schubladen-Kommode, darauf bunte Tassenstapel

Ein Hotelkaffeemaschine, deren Optik (Chrom) und Mechanik (Hebel) eine Siebträgermaschine imitiert, die de facto (Knöpfe, Nespresso-Pads) aber ein Kapselautomat ist, der nicht mal die Bohnen frisch mahlt wie ein Vollautomat. Das bedeutet doch irgendwas für unsere Kultur.

Programm für gestern, unserem einzigen wirklich frei verfügbaren Tag in Essen: Alte Synagoge, Margrethenhöhe, feines Abendessen. An der Zeche Zollverein hatte ich Fahrrad-Wegweiser “Essen Zentrum” gesehen, die auf kleine Wege im Grün wiesen. Die wollten wir zu Fuß gehen.

Asphaltierter Weg im Grünen, der alte Schienen eingearbeitet hat

Asphaltierter Weg im Grünen, am Ende ahnt man eine rote Eisenkonstruktion

Und tatsächlich waren das ganz wundervolle Wege, nur immer kurz an großen Straßen entlang, sonst durch wildes Grün und hintenrum durch alte Wohnstraßen.

Asphaltierter Spazierweg mit eingearbeiteten Schienen durch alte museale Industriekonstruktion

Die Alte Synagoge in Essen ist gar nicht mal so alt (1913 fertiggestellt) und hat doch eine bewegte Geschichte; sie wird heute als Haus der jüdischen Kultur genutzt, mit (ein wenig windigen) Vitrinen und Erklärungen zum jüdischen Jahreskreis und Leben. Mich interessierten aber vor allem das Gebäude selbst und seine Geschichte.

Alte Synagoge Essen in Baugerüst und mit Polizeiauto davor

Den Anblick, auf den ich mich nach Schilderungen einer aus Essen stammenden Freundin besonders gefreut hatte, bekam ich nur durch Baugerüste gestört. Später entnahm ich dem Audio-Guide, dass einst ein großer Vorhof Teil des Ensembles gewesen war: Er stand dem Autoverkehr im Weg und musste weichen. Essen ist ohnehin sichtlich Autostadt, wir kreuzten immer wieder riesige Kreuzungen und vielspurigen Autoverkehr. Ich frage mich naiv: Wenn sie es geschafft haben, den Öffentlichen Nahverkehr unter die Erde zu verlegen – warum dann nicht auch den Autoverkehr?

Dunkle Holztür mit Glaseinsatz und dezenter Jugendstil-Verzierung zwischen hellen Steinsäulen

Riesiger Thora-Schrein in der Essener Synagoge

Blick vom Obergeschoß neben dem Thora-Schrein auf den großen Synagogen-Innenraum mit Kuppel

Das Innere der Synagoge wurde nur so ungefähr rekonstruiert, doch die Details weisen ganz klar auf dieselbe Entstehungszeit wie die Augsburger Synagoge hin.

Zum nächsten Programmpunkt, Margarethenhöhe, gingen wir ebenfalls zu Fuß, eine gute Stunde hintenrum durch kleine Straßen. Hin und wieder zeigte sich die Sonne, wir sahen heimisches Leben, passierten in der Gemarkenstraße einen interessanten (Wochen-?)Markt, kamen wieder durch unerwartete Grüngebiete.

Blick von der Straße zum Eingangstor zur Margarethenhöhe vor eher dunklem Himmel

Hier die informative Website zur ersten Gartenstadt.

Den deutlichsten Unterschied im Vergleich mit den historischen Aufnahmen sah ich in der heutigen Dominanz geparkter Autos. Da mag Margarthe Krupp an fließend Wasser gedacht haben, an moderne Heizung und Bäder, an Einkaufsgelegenheiten und sonstige Infrastruktur (Schule, Kirche) – doch sie konnte nicht wissen, dass einst jeder und jede ein eigenes Auto haben wollen würde. Anlass für Nachdenken mit Herrn Kaltmamsell, wie das wohl kam. Vorläufige Thesen: Enorm gewachsener Wunsch nach Mobilität (früherTM blieben die Leute viel mehr daheim), enorm gewachsener Konsum weil gewachsener Wohlstand auf Kosten der Herstellungsländer (sinn- und nutzlose Käufe um des Kaufens und Habens willen, fast jedes “Shopping” ist mit einer Autofahrt verbunden, Dinge halten auch nicht mehr so lange und machen Ersetzen häufiger nötig).

Am kleinen Markt setzte ich mich kurz nach eins mit Herrn Kaltmamsell auf eine Bank (mit Blick auf geparkte Autos; wenn kein Markt ist, wird der Platz keineswegs als Piazza genutzt, sondern als Parkplatz), brotzeitete unterwegs gekaufte Aprikosen und Körnersemmeln.

Fassade des Gasthauses Margarethenhöhe mit durchegehendem Balkon mit Geranien, davor Autos

Zweigeschoßiges Backsteinhais mit Giebeldach

Zweigeschoßiges Haus mit grün-weißen Fensterläden, die Fassade völlig überwachsen, davor Autos

Kleineres Haus mit Portico, davor Autos

Erkerhäuschen mit riesigem Baum, davor ein Auto

Schmale Straße mit alten malerischen und identischen Reihenhäuschen, gesäumt von parkenden Autos

Seite eines alten Hauses, zum Teil überwachsen, davor Autos und ein Wohnwagen

Theoretisch wäre nach unserem ausführlichen Spaziergang noch Zeit vor dem feinen Abendessen gewesen, ins Museum Folkwang zu schauen, lag auch gar nicht weit weg – doch wir waren nicht mehr aufnahmefähig. Statt dessen schaukelten wir mit Tram und Bus gemütlich zum Hotel auf der Gegenseite der Stadt und ruhten uns aus.

Fürs feine Abendessen folgten wir einer Empfehlung (der wir dann auch beim Essen begegneten!) und fuhren mit zwei Straßenbahnen nach Rüttenscheid. Da wir hier sehr wahrscheinlich nicht nochmal (so schnell) herkommen würden, gaben wir uns alle fünf Gänge Überraschungsmenü. Als Wein bat ich um Französisches, weil ich mich damit sehr schlecht auskenne.

Ein Viererbild: Drei gefüllte Teller, eine Weinflasche

Ein Scamorza-Salätchen, gebratene Wachtelbrust mit Bohnensalat.

Ein Viererbild: Drei gefüllte Teller, eine Weinflasche

Gambas-Pepperoncino-Pasta, Steinbutt mit Pfifferlingen, Sauerampfer-Sorbet.

Ein Viererbild: Zwei gefüllte Teller, eine Weinflasche, ein gefülltes Süßweinglas

Kalbskotelett, Ahornmousse.

Wir wurden sehr herzlich und freundlich versorgt, aßen sehr gut, sprachen unter anderem über Kinderreime, bekamen wirklich spannende Weine zum Essen – allerdings deutlich zu viel davon. Wie geplant nahmen wir ein Taxi zurück zum Hotel, doch ich fühlte mich vor allem betrunkener, als angenehm gewesen wäre.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 8. August 2024 – Geballte Ladung Essen“

  1. S. meint:

    Als Referentin für Verkehrspolitik möchte ich ergänzen: der Autoverkehr wurde lange ganz bewusst politisch gefördert, wahrscheinlich auch wegen der von Ihnen genannten Gründe. So darf man z.B. erst seit 1966 im öffentlichen Raum parken, das war davor gar nicht erlaubt, und wurde explizit deshalb geändert, damit mehr Menschen sich ein Auto anschaffen (können). Man stelle sich vor, das ist gar kein gottgegebenes Recht, sein Auto kostenlos in der Allgemeinheit zu lagern, sondern eine politische Maßnahme! Die man einfach auch zurück nehmen könnte, rein theoretisch. Aber Pandoras Büchse etc.

  2. Anne meint:

    Der Wochenmarkt in Holsterhausen ist immer Donnerstag, passt also. Ihr seid literally durch unsere alte Nachbarschaft gelaufen. Wir haben direkt an der Haltestelle Gemarkenplatz gewohnt. Muss nun leider auch wissen, wo ihr gegessen habt. Meine Empfehlung immer „La Petite Cave de Jeannette“, falls ihr noch irgendwas braucht.

  3. Kateb116 meint:

    Ich hätte „la petite cave“ geraten, „muss“es aber auch wissen.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Genau da haben wir gegessen, Anne, Kateb116!

  5. Anne meint:

    Hätte ich das gewusst, die Betreiber sind gute Freunde, ihr hättet grüßen können!

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