Journal Freitag, 2. August 2024 – Sterbebetten

Samstag, 3. August 2024 um 9:03

Unruhige Nacht, die Todesnachricht trieb mich um. Zumal ich sehr wahrscheinlich nicht an der Beerdigung des Verstorbenen würde teilnehmen können, da sie wohl mit meiner Reise nach Essen kollidiert (Termin stand da noch nicht fest – doch abends erwies sich meine Befürchtung als zutreffend).

Blick aus Wohnzimmer auf Balkon mit Bank und Tisch, darauf zugeklappter Laptop, eine große Tasse, ein Wasserglas

Balkonkaffee, angenehmer Weg in die Arbeit. Sowohl über dem Klinikviertel als auch überm Westend sah ich einen einzelnen Mauersegler fliegen, vielleicht war es derselbe. Der ganz zum Schluss nochmal nachsieht, ob auch niemand was im Bad oder unterm Bett vergessen hat.

Im Büro wechselte ich wieder in die neuen hohen Riemchensandaletten zum Einlaufen.

Ich rief meinen Vater an, sprach ihm mein Mitgefühl zum Verlust eines seiner ältesten Freunde aus, erfuhr Details über die letzte Begegnung mit dem Freund auf dem Sterbebett. Es war eine lustige Geschichte, die mir den ganzen Tag nachging: Zum einen dachte ich viel an den Verstorbenen, der Teil meiner Kindheit war. Zum anderen daran, dass diese Art von Geschichte von einer Weltwahrnehmung sprach, die meinen Burder, meinen Vater und mich verbindet.

Trotz starkem inneren Abgelenktseins brachte ich Arbeit zuwege, letzter Arbeitstag vor einer Woche Urlaub.

Mittagscappuccino im Westend, unterwegs jagten gerade dunkelgraue Wolken über den Himmel und drohten mit Regen.

Subjektive Kameraperspektive von jemandem, der auf einer breiten fensterbank sitzt, Beine mit blauer Hose darauf ausgestreckt, links davon eine Tasse Cappuccino, draußen sitzen Menschen

Mehrgängiges Mittagessen: Salat aus kleingeschnippeltem Ernteanteil-Fenchel, Flachpfirsiche (nicht sehr aromatisch) mit Sojajoghurt. Dazu las ich einen Artikel im SZ-Magazin, der zu meinem Tages-Gefühl passte: Die Ärtzin und Schriftstellerin aus Odessa Iryna Gingerova erzählt über Hausbesuche (€ – ich wünschte, ich könnte Ihnen den wundervollen Text schenken):
“Hausbesuch” / “Es gibt so viele Arten zu sterben”.

Urlaubsübergaben, Dinge fertig gemacht, Abwesenheitsnotiz eingeschaltet: Ab in den dritten Bröckerl-Urlaub des Jahres (nach re:publica und Bachmannpreis), bevor ich dann Mitte September endlich so richtig drei Wochen Jahresurlaub inkl. Oktoberfestflucht mache. (Und damit endlich den Jahresurlaub 2023 aufbrauche.)

Der Heimweg über Abendessen-Einkäufe im Vollcorner war angenehm kühl, ich musste mich in meinem Sommerhemd sogar erst warmgehen. Zu Hause erste Abendessens-Vorbereitungen (Tsatsiki mit Ernteanteil-Gurke), dann Yoga-Gymnastik, die wieder sehr gut tat (weswegen ich dieses Programm weiterverfolge und nicht wie geplant auf eine Woche Pilates gewechselt habe).

Bohnenranke in einer Gebäudenische am Fenster, die sich vom Topf im Boden bis über die Decke hinaus hochrankt

Stand der Kletterbohne.

Jetzt aber Feiern des Wochenendes und des Starts in meine Urlaubswoche. Als Alkohol hatte ich Herrn Kaltmamsell vorgeschlagen: Aperol Spritz oder PetNat oder eine Flasche Weißwein zum Essen.

Ein Mann und eine Frau auf einem Balkon lachen in die Kamera und haben jeweils ein Glas Aperol Spritz mit Strohhalm in der Hand.

Hier seine Wahl, wir setzten uns fürs erste Glas davon auf den jetzt sonnigen und warmen Balkon.

Als Nachtmahl briet Herr Kaltmamsell die dicke Scheibe Bio-Entrecôte, die ich mitgebracht hatte, mit Knoblauch und Ernteanteil-Salbei, dazu gab es Mole und das Tsatsiki. Hervorragend. Zum Nachtisch Eiscreme und noch ein wenig Schokolade. Im Fernsehen ließen wir Clueless laufen, meiner Ansicht nach eine der besten Verfilmungen von Jane Austens Emma. (Nein, nein, nein, der kann unmöglich schon 19 Jahre 29 JAHRE – siehe Kommentar – alt sein.)

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Wir im Kartoffelkombinat haben einen wirklich spannenden Arbeitsplatz zu besetzen:
Die Leitung des Pack-Teams für die Ernteanteile. Vielleicht wissen Sie jemanden?

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Maximilian Buddenbohm erzählt von einem München-Aufenthalt mit Familie, und ich frage mich, in welche Inszenierung er da wohl geraten sein mag, mit Kostümen, Lehrfilmchen und sonstigem Drum und Dran. Das Erleben der eigenen Wohnstadt durch Besucher ist schon arg anders. Ja, man sieht vereinzelt Bayern-Cosplayer*innen im Münchner Straßenbild, doch so geballt, wie er es schildert, eigentlich nur zum Oktoberfest-Umzug. Und vergangene Woche war ja nicht mal Starkbierzeit oder ähnliche Kostümfeste. Durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft fallen wir Münchner*innen sonst auch weiterhin nicht auf; wo bei anderen sowas sitzt, haben wir hier Grant: Die grundsätzliche Verstimmung über die Zumutung des Lebenmüssens. Noch dazu zwischen anderen Menschen. Das müssen alles weitere Besucher*innen gewesen sein.

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Dieser Artikel wurde in den vergangenen Wochen in meinem Internet so oft von Radlerin zu Radlerin gereicht, dass ich auch hier auf ihn hinweisen will: Er scheint wirklich wichtig zu sein.
“Cycling’s Silent Epidemic”.

Too many women stop riding their bikes because of labial swelling and pain. Here’s why it happens, what they can do about it, and how to prevent it in the first place.

Einen Absatz zitiere ich unabhängig von Sattel-Problemen bei Radlerinnen: Zu viele Frauen können ihre äußeren Genitalien nicht korrekt benennen (das soll um Himmels Willen kein Vorwurf sein, es ist nie zu spät zum Lernen) – was das Sprechen über Probleme damit noch schwerer macht als ohnehin.

To fully understand what causes these injuries, it’s important to review some basic terms. Despite our colloquial use of the word “vagina,” the correct word for a woman’s external genitals is “vulva,” which includes the labia majora (fleshier outer lips), labia minora (inner lips), the clitoris, perineum, pubic mound, and the vaginal opening (but not the vagina, which is the muscular inner canal that connects the vulva to the uterus).

Hier eine Grafik mit den deutschen Begriffen.

When I started reporting this story, I too felt awkward discussing the topic with sources—we would talk in coded language. Then I decided to start each interview with a quick review of terms, and discussions became more comfortable and informative. A woman could now tell me that her labia majora became enlarged, instead of grasping for vague euphemisms like, “It wasn’t pretty down there.”

die Kaltmamsell

14 Kommentare zu „Journal Freitag, 2. August 2024 – Sterbebetten“

  1. Anna meint:

    Als ich las, dass „Clueless“ 19 Jahre alt ist, fühlte ich mich direkt jung. Dann kam der Zweifel…zu jung. Zu schön wär’s gewesen, denn das Ganze ist 29 Jahre her (wenn wir von der Silverstone Verfilmung sprechen)… fühlt sich direkt richtiger und leider auch bisschen bitterer (weil eben älter) an.

  2. Rainer meint:

    Also dem Mangel an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Münchner muss ich einen Gegenpol setzen: eine wirklich bemerkenswert große Anzahl an Gästen aus unserem Hotel loben ausdrücklich die Gastfreundschaft der Münchner, und das durchaus nicht aus Höflichkeit sondern belegt mit Beispielen und Anekdoten. In diesem Sinne: Granteln und Gastfreundlichkeit schließen sich anscheinend nicht aus.

  3. Andrea meint:

    Was sind das denn für schöne Sandalen, die Du da anhast. Die sehen sehr gemütlich aus. Welche Marke ist das denn? LG Andrea

  4. N. Aunyn meint:

    Bin sehr erleichtert zu lesen, daß die Kostümierung in München wie Herr Buddenbohm sie beshreibt, nach wie vor die Ausnahme ist. Beim Lesen seiner Eindrücke dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein.

  5. Maximilian Buddenbohm meint:

    Es war ein Event in einem Biergarten in der Nähe des Hotels. So etwas verbiegt den Eindruck ungemein.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Ah, Rainer, vielleicht ist das ein Phänomen, wie ich es ähnlich bei meinem ersten Besuch in New York erlebt habe, zum Jahreswechsel 1991/92: Ich war hauptsächlich allein unterwegs, und mir wurde an allen Ecken und Enden von freundlichen Menschen geholfen, auch unaufgefordert – die mich fast immer vor den anderen New Yorkern warnten, die mich nur ausrauben oder übers Ohr hauen wollten. Selbst biete ich in München ja auch gern Hilfe an – um all die unfreundlichen und bösen anderen Münchner*innen wiedergutzumachen.

    Die Schuhe, Andrea, sind von meinem bevorzugten Hersteller von Langstreckensandalen, Ecco. Ja, gemütlich, allerdings färbt das schwarze Leder ab.

  7. Andrea meint:

    Danke! Muss ich gleich mal schauen!

  8. Hauptschulblues meint:

    Fahrradsättel für Frauen gibt es schon sehr lange bei verschiedenen Herstellern.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Bitte nicht kommentieren, Hauptschulblues, ohne den Artikel gelesen zu haben.

  10. Angela meint:

    Dann will ich mich mal outen: Ich mag’s, wenn ich nach München komm, wo ich aufgewachsen bin und selbst ein Dirndl hatte, und ich Leute in Tracht sehe. Ich finde Trachten schön. Sehr lohnend ein Spaziergang vor und während der Wiesn vorbei an den Schaufenstern von Lodenfrey und Ludwig Beck. Natürlich nur für die die‘s mögen.
    Und natürlich gibts auch hässliche Polyester oder Landhausdirndl.

  11. Hauptschulblues meint:

    Der Artikel war gelesen worden.

  12. Susann meint:

    Ich bin seit fast 2 Jahrzehnten a Neigschmeckte und habe Münchnerinnen und Münchner nur freundlich und hilfsbereit erlebt mit einer Ausnahme. Herzlichen Dank an sie alle – und dabei war ich so vor der Unfreundlichkeit der Münchner, der Bayern und der Deutschen gewarnt worden!
    Tracht trage ich selbst nicht, aber ich finde sie rundum erfreulich und dekorativ, sowohl bei Männlein als auch bei Weiblein. Ich freue mich, wenn Menschen, die ich kenne oder auch nicht kenne, in Tracht erscheinen. Dabei meide ich das Oktoberfest, sehe also Trachtenträgerinnen und -träger nicht in großen Herden.

  13. die Kaltmamsell meint:

    Dann müssen Sie die Passage überlesen haben, Hauptschulblues, in der es um Fahrradsättel für Frauen geht? Oder war es Ihnen lediglich wichtig, hier Ihr eigenes Wissen um Frauensättel festzuhalten? Warum?

  14. Hauptschulblues meint:

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