Journal Freitag, 23. August 2024 – Die Angst des Journalismus vorm Smartphone
Samstag, 24. August 2024 um 7:42Für gestern war seit Langem ein wirklich heißer Tag angekündigt, ich glaubte dem und verließ in einem ärmellosen Sommerkleid und mit Sandalen das Haus, gegen die knackige Morgenkühle in Strickjacke.
Wie sehr ich diese Momente mag, wenn mich Kunst unerwartet aus dem Augenwinkel erwischt. Unterwegs ist das meist Streetart, gesprüht auf Wände, manchmal sind es Skulpturen im öffentlichen Raum. Doch diese Woche war es ein kleines Studio in der Ligsalzstraße, das mir Objekte in den Blick warf.
Die Künstlerin: Christine Rath. Ich war von diesen getöpferten (?) Objekten im schmalen Schaufenster und dahinter im Raum sehr angetan, die das Material so un-material-gemäß zeigten. Auf der Website sah ich zudem sehr interessante Objekte aus Schaumstoff. Und auch Raths Malerei arbeitet zum Teil mit behaupteter Materializität.
Emsiger Vormittag, draußen schien die Sonne, im Büro brauchte ich eine Jacke. Zu meinem Mittagscappuccino marschierte ich recht durchgefroren, doch bereits die 15 Minuten Hinweg temperierten mich – und es roch herrlich nach Sommerferien. Zurück kam ich mit der Strickjacke in der Hand, doch bereits nach kurzer Zeit brauchte ich sie im Büro wieder.
Zu Mittag gab es restliche Schwedenmilch und drei große italienische Pfirsiche vom Eataly (diesmal nicht so gut, weil unreif).
Ausgerechnet an den letzten beiden Tagen des zweiwöchigen Jour-Dienstes, den ich immer so fürchte, kamen unangenehme Dinge rein. Mit frei ausgedachten Vorwürfen an Unternehmen/Organisationen verhält es sich wie mit ausgedachten Erklärungen für Natur-Phänomene (siehe Verschwörungsmythen): Der Aufwand, sie faktisch sauber zu widerlegen, ist enorm.
Auf dem Heimweg freute ich mich erstmal über die heizende Sonne, die mir die Büro-Kälte aus den Knochen schmolz. Und richtig unangenehm heiß wurde sie auch nicht.
Lebensmittel-Einkäufe bei Edeka, Vollcorner, Abholung Bestelltes bei Tchibo. Ich kam angenehm früh heim, konnte gemütlich kruschen, eine Einheit Yoga-Gymnastik turnen, Gurkensalat fürs Abendessen zubereiten, dann gab’s Wochenend-Feiern mit Aperitif auf dem angenehm temperierten Balkon.
Calvados-Tonic, aus dem Glas eingelegte Artischocken, gefüllte scharfe Paprika (beide eher langweilig). Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell Spareribs besorgt und vorgedämpft, jetzt grillte er sie gar.
Dazu schenkte ich uns provenzalischen Rosé ein. Nachtisch Schokolade. Im Fernsehen ließen wir Ocean’s 8 laufen.
§
Journalismus-Prämissen des modernen Lebens, die mich erzürnen, Teil viele:
Menschen wünschen sich, weniger Zeit “an ihrem Handy zu hängen” (Krautreporter bieten dazu einen eigenen “Kurs” an EINSELF!11!!111).
An meinem Smartphone “hänge” ich unter anderem, um
– die Uhrzeit zu erfahren
– meine E-Mails zu lesen
– die Wettervorhersage zu checken
– meinen aktuellen Roman zu lesen
– einen besonderen Anblick per Foto einzufangen
– die Zeitung zu lesen
– ein besonderes Foto anderen zu zeigen
– in Kontakt mit meinen Freund*innen zu bleiben, wenn ich auf Mastodon, Facebook, instagram sehe, was sie gerade so machen
– die Tagesschrittzahl abzulesen und Schwimm-Meterzahl einzugeben, abends die Tagesauswertung meiner körperlichen Bewegung zu checken
– zu erfahren, was die Nifften gestern auf ihrem Madrid-Urlaub erlebt haben
– interessante Fotos meiner instagram-Kontakte zu sehen
– meiner Mutter per Text-Nachricht Bescheid zu geben, dass ich am Sonntag für eine Einladung verfügbar bin
– meinen Mittagscappuccino zu bezahlen
– mich ans Blumengießen erinnern zu lassen
– Musik über Kopfhörer zu hören
– herauszufinden, wie lange ich zu Fuß vom Büro zur nächsten Post brauche
– DHL anzuweisen, die nächste Lieferung Crowdfarming-Obst vor der Wohnungstür abzustellen
Unter anderem.
Warum sollte ich mir wünschen, das nicht zu tun? Was davon vergiftet mich, sodass ich digital detox benötige? Mein Verdacht: Mal wieder wird unerwünschtes Verhalten mit dem Gerät verwechselt, mit dem es stattfindet. (Oder mit der Plattform, siehe das “böse Internet”.) Denn ich bin ziemlich sicher, dass der “Kurs” von Krautreporter irgendwas anderes austreiben soll – ich wünschte nur, sie würden das konkret benennen. (Sie nennen ihn auch noch “Weniger Handy. Mehr Leben.” – Leute: Das ist mein Leben.)
die Kaltmamsell15 Kommentare zu „Journal Freitag, 23. August 2024 – Die Angst des Journalismus vorm Smartphone“
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24. August 2024 um 7:59
U. a. für sprachlich eingeschränkte Menschen ist ein Smartphone der reine Segen. Mehr Handy, mehr Leben.
24. August 2024 um 8:36
Ich bin eine Handy-Wenignutzerin – verlasse mich aber z.b. im Büro auf die Outlook-Erinnerungen! Also auch “PC”.
Ihre Liste finde ich allerdings sehr aufschlussreich.
Was ich fast beängstigend finde: Warum haben so viele Menschen STÄNDIG das Smartphone in der Hand?
Und warum gibt es so viel Nichtwissen, wo doch die Informationen alle greifbar sind? Ich werde so oft nach dem Weg gefragt, von Leuten, die das Smartphone in der Hand haben ….
24. August 2024 um 9:11
Ich kann jeden Punkt zugunsten des Handys (erweitert um Tablet und E-Book) unterschreiben. Für mich, die erst durch die Söhne diese Medienlandschaft auch für sich entdeckte, ist das teilweise sogar mein virtuelles Parallel- nein, falsch: Zusatzleben (also mehr) mit Kommunikation und Anteilnahme geworden, das viel Interessantes bietet.
Sehr schönes, harmonisches Balkonbild.
24. August 2024 um 9:46
“Mal wieder wird unerwünschtes Verhalten mit dem Gerät verwechselt, mit dem es stattfindet. (Oder mit der Plattform, siehe das “böse Internet”.)”
On point. Gemischt mit kruden Vorstellungen von Natürlichkeit, Authentizität, also dem, was ein “gutes Leben” sein soll.
Ich wette 5 €, dass kapitalistisch verursachte Sachzwänge nicht oder nur alibimäßig erwähnt werden. Es ist alles eine Wahl.
24. August 2024 um 10:13
Also für die Uhrzeit habe ich (noch immer) eine Armbanduhr…so ziemlich das einzige Schmuckstück (es ist eine, eher zwei Uhren getragen im Wechsel) was ich regelmäßig anlege und mich daran freue. Wenn ich sehe wie `andere Leute` erst ihr Telefon aus der Hosentasche/der Handtasche kramen…Und ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen das Fotos ansehen/Nachrichten lesen/what ever auf diesem Fizelfunzelbildschirm Spaß macht oder gut für die Augen ist. Von fragwürdiger Köperhaltung mal abgesehen …
Hier gibt es für all das einen Laptop und ja, der läuft regelmäßig für all die Anwendung die `andere Leute` mit ihrem Handy realisieren.
Schönes Wochenende!
24. August 2024 um 12:36
Und wünschen Sie sich, nicht so viel am Laptop zu hängen, Frau Irgendwas ist immer?
24. August 2024 um 14:41
Ist wohl ein Phänomen, das manche Leute mehr betrifft, manche nicht so.
Viele Handyspiele rauben einem einfach viel Zeit, es fällt schwer sich wieder zu loszureißen (eigene Gewohnheiten und Taktik der Hersteller…)
Man hat das Handy immer in Griffweite, morgens beim Aufwachen, Abends vorm Schlafen, dann stöbert man vielleicht länger im Internet und kann sich schwerer auf ein Buch konzentrieren, auch wenn man sich das wünscht.
24. August 2024 um 14:51
Vielen Dank für das Beispiel, Anne: Mir scheint hier das unerwünschte Verhalten das Spiel und seine Sogwirkung zu sein – aber Ähnliches erzählen auch Computerbildschirm-Spieler*innen, ist wirklich das Handy das Problem? Und strengt Lesen auf Papier mehr an als das Lesen desselben Buch-Inhalts auf dem Bildschirm? Ein weiters Argument für Buchlesen auf den Handy-Bildschirm!
24. August 2024 um 15:03
Ohne Handy und Tablet wäre mein Leben viel langweiliger und umständlicher. Ich würde weniger interessante Leute kennen und ich hätte kaum jemanden, der sich für all das interessiert, was mich gerade beschäftigt.
Mich ins Lehrerzimmer setzten und sagen, ich guck gerade Kafka und der Kehlmann ist ein Komischer?
„Was? Du hörst Podcasts? Das würde ich mir gerade noch antun.“
Sowas käme dann.
Es ist mein eigens Leben hier und eine große Bereicherung und keine Sucht.
24. August 2024 um 16:31
Mir frisst das Handy extrem viel Zeit, die ich früher mit konzentrierter Lektüre verbracht habe. Ganz besonders schlimm ist dabei Social Media. Bei Teenagern (bin Lehrerin) noch viel, viel schlimmer. Ich würde sagen, Ihr Nutzungsverhalten (nur freiwillige, selbst bestimmte Nutzung für als persönlich sinnvoll erlebte Aktivitäten) in Sachen Smartphone ist eine krasse Ausnahme. Zumindest in meinem mittelalten Umfeld samt dessen Nachwuchs… Das Weglegen bzw. das nicht ständig unterbrochene Tun von Sinnvollem am Bildschirm (z.B. Roman lesen, was arbeiten…) oder anderswo fällt mir sehr oft ehrlich gesagt schwer. Alles ist zerstückelt, ständig guckt man anderswo noch eben, was da gerade bei Twitter und hier bei Tiktok und ach guck, ein Reel bei Insta, wie niedlich/spannend/neu… Und ich scheine damit nicht alleine zu sein. Ich denke also schon, dass das Gerät selbst ein wesentlicher Teil des Problems ist – es ist portabel. Den Laptop trage ich eher nicht mit in den Park, das Handy habe ich immer dabei und damit die darin wohnende Versuchung, sich mit eigentlich belanglosen Posts auf Social Media zu befassen statt mit meinem Gesprächspartner, einem längeren Text, der nächsten Blume.
25. August 2024 um 10:28
Ich weiß, was Sie meinen, Frau Keks.
Das Handy frisst Aufmerksamkeit. Wer hat gerade was geschrieben ist wichtig geworden. Diese großen WhatsApp-Gruppen pingen andauernd und die Realität rutscht in den Hintergrund.
Ich habe immer versucht im Unterricht das Handy einzubauen.
Photographien durch das Okulare des Mikroskopes, Filmen des chemischen Versuchs zum Beispiel, also weg vom reinen Nachrichtenkanal.
Ich erlebe es auch bei Freundinnen. Wenn wir Kaffee trinken gehen, liegt das Handy daneben und sie gehen auf jede Nachricht ein. Erwachsene Frauen! Es hat tatsächlich Suchtpotenzial.
25. August 2024 um 15:10
@Frau Kaltmamsell
Nein, der Laptop bekommt pro Tag 1,5-2h mehr ist gar nicht drin. Was in das Zeitslot nicht passt, kommt halt morgen dran. Und mein Arbeitstag ist seit 3 Jahren auch vollkommen frei von `Unterhaltungselektronik`…so als Gärtnerin, habe aber eine Bürokarriere mit fast 25 Jahren nur Bildschirmarbeit hinter mir.
*Entschuldigen Sie die späte Antwort, wir waren im Garten.*
26. August 2024 um 8:02
Ein bisschen off-topic zu den ganzen Kommentaren, aber ich finde ihr Balkonfoto wirklich ganz zauberhaft!
26. August 2024 um 10:35
Ich vermute mit weniger Zeit am Mobiltelefon ist weniger Konsum am Mobiltelefon gemeint.
Ich kenne 14 Jährige die Mobiltelefone nicht mögen weil sie die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen stören und auch im Fugger-Museum beklagt eine Bewohnerin, das die Gemeinschaft darunter leide das man sich Nachbarn zurückziehen und den Tag am Mobiltelefon verbringen.
26. August 2024 um 11:08
Danke für die Ausführungen in Sachen Smartphone!
Ich erinnere da auch mal an die feuilletonistischen ,,Digital-Detox”-Zeitungsartikel, wo sich die Journalist:innen dann total langweilen, weil sie ja auch meinen, ihren E-Book-Reader nicht benutzen zu dürfen.
Zu einigen der Kommentare hier kann ich nur sagen: q.e.d.