Journal Donnerstag, 19. September 2024 – Ein Tag Barcelona

Freitag, 20. September 2024 um 5:22

Recht gute Nacht im Hotelbett, ich schlief aus. Die eher weiche Matratze hatte meiner Wirbelsäule gut getan, selbst nach den vielen Stunden unbewegtem Sitzen am Mittwoch spürte ich keine Kreuzschmerzen (auch mal loben).

Draußen Möwengeschrei, außerdem ein weiteres Vogelkreischen: Ich vermutete grüne Papageien, wie ich sie aus Madrid kenne. Im Verlauf des Tages besätigte sich mein Verdacht: Mönchsittiche.

Zerschlafenes Hotelbett, rechts davon breite Glastür zu einer Terrasse

Hotelzimmer und Terrasse bei Tag, es war mild genug, die Türe offen zu lassen (mit Socken und Pulli).

Bloggen ohne Kaffee (Hotelfrühstück, das für mich eh nur aus Milchkaffee besteht, hätte 18 Euro gekostet – wenn ich Preise wie auf dem Markusplatz in Venedig für Kaffee zahle, möchte ich dafür auch Venedig), noch ein wenig lesen und Zimmermiete abwohnen.

An sich würde mich Barcelona durchaus als Reiseziel interessieren, aber halt nicht auf der Durchreise und beim Warten auf eine Fähre (Ablegen um 22:45 Uhr). Ich entschuldigte mich innerlich bei allen Barceloner*innen, orientierte mich lediglich grob auf dem Stadtplan und spazierte einfach darauf los. (Na ja, nicht ganz einfach – ich setzte mir beliebige Ziele.)

Bestes Hotel-Feature ever: Eine luxuriöse Gepäckaufbewahrung. Beim Auschecken bekam ich eine neutrale Zugangskarte fürs Hotel und für einen sehr großem Raum im Untergeschoss. Darin reichlich Schließfächer für Koffer, mit selbstgewähltem Code zu schließen und zu öffnen, außerdem Tische zum Umpacken, freundliche bunte Sessel – habe ich noch nie erlebt.

Meine café con leche holte ich gleich ums Eck in einem schmucklosen hellen Frühstücks- und Brotzeitlokal nach.

Kaffeetasse auf einem weißen Kunststofftisch am Fenster, draußen blauer Himmel

Ich saß unter Einheimischen, teilweise mit kleinen Hunden, unter den Locals ein ganzer Tisch Polizisten. Das gefiel mir sehr.

Erstes willkürliches Ziel: Die Adresse, an der ich mich für die Fähre einchecken sollte. Keine 15 Minuten vom Hotel entfernt.

Große gelbe Blüte in Blattwerk vor blauem Himmel

Es war wärmer als erwartet, in kurzen Ärmeln brauchte ich keine Jacke.

Auf dem Stadtplan hatte ich gesehen, dass Montjuic gleich daneben lag (deutsch: Safthügel), die Aussicht auf Park gefiel mir. Unterwegs kam ich an einem modernen Feuerwehrgebäude vorbei, lernte, dass Feuerwehr auf Katalanisch “Bombers” heißt – und dann wurde auch noch gerade hinterm Haus geübt!

Feuerwehrmänner bei Übung mit umgekipptem Pkw, im Hintergrund modernes Feuerwehrgebäude, Feuerwehrwagen mit Aufschrift „Bombers“

Kurz darauf endete die Übung allerdings schon: Auf ein Alarmsignal (?) aus dem Haus gingen fast alle (gemessenen Schrittes) hinein.

Ich meanderte ausführlich um Montjuic, guckte mir Pflanzen, Blumen, Vögel, Ausblicke und eine Ratte an (schleppte gerade eine Dolde reife Beeren weg).

Streetart auf einer gewölbten Mauer in Park, u.a. mit der Schrift "eres uper"

Botanischer Garten mit rose Blüten im Baum und Kakteen in Sonne

Blick von oben auf Barcelona in der Sonne

Blick von oben auf die Großstadt Barcelona, umgeben von Hügeln, links dunkle Wolken am Himmel

Hier sieht man es: Vom Hinterland zogen jetzt sehr dunkle Wolken auf, es drohte Regen.

Als nächstes Ziel hatte ich mir die Markthalle Boqueria ausgesucht, ließ mich von Google Maps hinführen (und schweifte immer wieder nach links oder rechts von der empfohlenen Route ab, wenn mir etwas anderes interessant erschien).

Zettel an Wand: "Por favor no se meen aqui. Esto es una propriedad privada"

Zettel in einer Garageneinfahrt, übersetzt: Bitte pissen Sie nicht hierhin. Dies ist Privatgrund.

Offizielles Plakat an einer Laterne: "At home we don't piss on the ground. In the streets we don't either"

Aha, in Barcelona haben Sie dieses Problem also auch (wie wir in der Münchner Innenstadt) – und eine Kampagne dagegen begonnen. Mal sehen, ob es bei einem künftigen Besuch hier weniger omnipräsent nach Männerpisse riecht.

Untergeschoss eines alten Hauses, darüber "Hell awaits", rechts davon Streetart mit Musikerporträts

Wenige hundert Meter vor meinem Ziel begann es zu tröpfeln, ich ging schneller.

Viele Menschen von vorn, die an einer roten Ampel warten, hinter ihnen eine Markthalle

(Front der Markthalle, auf einem späteren Weg aufgenommen.)

Wenig überraschend war aus der Markthalle, wie ich sie seit den Carvalho-Romanen von Manuel Vázquez Montalbán aufs Lebendigste vor Augen habe, längst ein Snack-Verkauf für Touristen geworden – die sich auch in großen Mengen und meist mit einem Snack in der Hand durch die Gänge schoben. Ich sah mich gründlich um: Immer noch Markt-Charakter haben etwa 15 Prozent der Stände, vor allem die mit Fisch, Meeresfrüchten, Fleisch und Innereien. Selbst das Obst-Angebot ist auf Verzehr vor Ort ausgerichtet, Gemüse sah ich fast keines.

Marktstand mit dem Titel "Paella Factory"

Es musste so kommen. Diesselbe Entwicklung haben ja Markthallen in London (Borrow Market) und Madrid durchlaufen; ich bin dankbar, dass die Stadt München durch gezielt andere Vergabe der Standln auf dem Viktualienmarkt solches bislang verhindert hat.

Außengastronomie unter Palmen, auf dem Schirm steht "Maharaji Tandoori Grill Tapas Sangria"

Hunger hatte ich jetzt aber auch. Da ich keine traditionellen Bars mit Tapas-Vitrine entdeckte, ließ ich mich um zwei in einem modernen Brotzeit-Lokal nieder.

Auf einer Fensterbank mit Blick auf einen mediterranen sonnigen Platz ein Tablett, darauf ein Teller mit Kässebaguette, ein Tellerchen mit Canolo, ein gefülltes Glas und eine geöffnete Dose Fanta

Käsebrot, Pistazien-Canolo, Zitronenlimo.

Während ich vesperte, ergriff mich starke Zeitreise-Sehnsucht: So gerne hätte ich das Barcelona aus den Carvalho-Romanen kennengelernt, also vor Umbau für die Olympischen Spiele 1992. (Und die Fanta de limón schmeckt nicht mehr wie in meiner Jugend, kruqustojos fujtelos.) Ich las ausführlich Süddeutsche.

Nächstes Ziel: Sagrada familia. Reizte mich nicht sehr, alles was ich daran sehen wollte, wusste ich von Fotos. Aber ich musste ja Zeit rumkriegen – idealerweise mit Bewegung. Auf der knappen Stunde Fußmarsch bewunderte ich vor allem den vielen Platz, der (offensichtlich durch sehr frische Umbauten) dem Rad- und Fußverkehr auf den Straßen eingeräumt wurde.

Die moderne und doch schnörkelige einfarbige Kirche Sagrada familia, davor Menschen, daneben ein Baukran

Jepp, genau. Aber wenn ich schon mal da war, umrundete ich den Bau und guckte Details. Zum Beispiel die vielen Stile der Figuren.

Kreuzigungsszene aus Steinfiguren, sehr eckig geschlagen

Reiterfigur aus Stein an Wand, schräg und eckig

Abstrakte Steinfiguren an Wand

Krippenszenen aus Steinfiguren im Stil des 19. Jahrhunderts

Sie merken schon: Ich kann mit diesem überladenen Bauwerk nichts anfangen. Aber wie feiern wir in Bayern doch so schön die Vielfalt der Geschmäcker? „Wer’s mog, für den is as Hächste.“

Das Schöne: Die Kirche hat auf zwei Seiten schöne Parks, darin reichlich schattige Bänke. Auf eine davon setzte ich mich und las lange. (Auch hier durchdringender Urin-Geruch.)

Dann war’s trotzdem erst fünf. Ich brauchte noch ein Ziel, steuerte die Kathedrale der Stadt an.

Große Straße mit doppelspurigem Radweg, im Hintergrund ein phallisches Hochhaus

Unterwegs: Auch Barcelona hat ein Gerkin wie London, davor Radler*innen-Paradies.

Die Kathedrale hätte Eintritt gekostet, so groß war mein Interesse nicht. Ich mäanderte weiter, sah Vieles, was mir gefiel. Da ich keine Lust auf eine weitere Einkehr hatte, besorgte ich mir in einem Supermarkt mein Abendessen, ließ mich auf einer der vielen öffentlichen Bänke nieder und aß einen großen Becher Tabuleh mit reichlich Gemüse drin, außerdem Joghurt.

Die weitere Zeit bis zum Aufbruch machte ich es mir in der Hotel-Lobby bequem, hatte meinen Laptop aus dem Koffer geholt und bloggte.

Rollkoffern zum Terminal am Hafen, weit zu früh. Saß ich halt da noch eine Weile herum und sah den Leuten beim Onboarding zu, die nach Ibiza fuhren.

Zur Fähre wurden wir höchstens 30 Passagier*innen dann 200 Meter mit Bus gefahren, ich nehme Versicherungsgründe an wie beim Fliegen.

Schmales Bett an der Wand eines kleinen Raums, daneben eine schmale Konsole, im Spiegel sieht man die Fotografin

Dann endlich: Meine Kabine auf der Fähre. Viel Schlaf würde das bis zum Anlegen in Palma de Mallorca um 6 Uhr nicht werden, aber lieber Bett als Sessel. Hier noch zum Nachtisch Apfel und Schokonüsse, Blogpost fertiggeschrieben. Ins Bett zu sanftem Rollen des Schiffs.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 19. September 2024 – Ein Tag Barcelona“

  1. Beate meint:

    Was für ein schöner Bericht … und Sie sehen doch, hat alles gut geklappt! Viel Spaß weiterhin!

  2. Wiebke meint:

    Ja das ist traurig was aus Barcelona geworden ist, ich hab dort 1999-2004 gelebt da wars noch wirklich ok. Aber zur Montalban Idylle, als ich mal 1992 zu Besuch war, da wars arg gruselig auf der Placa Reial: nur Drogendealer dort und minderjährige illegal immigrierte Prostituierte, also alles war auch nicht gut damals (vielleicht war ich auch einfach echt jung und noch nicht wirklich abgebrüht). Dafür waren da kaum Touristen, Barcelona war damals kein Reiseziel, mit gutem Grund (spannend wars schon aber keineswegs schön oder entspannend).
    Ihr Tag klingt trotzdem nach ganz guten Ausflug! Frohe Weiterreise.

  3. Croco meint:

    Spannender Zwischenaufenthalt.
    Die Markthalle war wirklich toll, vor 25 Jahren.
    Danke für‘s Mitnehmen.

  4. Trulla meint:

    Das klingt nun zum Glück sehr entspannt, für mich als lesende Mitreisende aber spannend.

    Die Sagrada Familia ist aus meiner Sicht innen sehr viel schöner und klarer als das Äußere vermuten lässt. Mich faszinierten in Barcelona vor allem die von Gaudi gestalteten Häuser und die vielen Museen, die ursprünglichen Reisegründe. Nebenbei lernte ich aber auch die Stadt allmählich besser kennen und in ihrer Vielfalt bewundern. Und ja, ich finde, sie ist absolut eine Reise wert, auch wenn wie überall, wo es schön und interessant ist, wir Touristen das Problem sind.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Nein, nein, Wiebke, Missverständnis: Vázquez Montalbán schildert alles andere als eine Idylle. Aber gerade das hätte ich gerne gesehen. Mein Zwischenstopp in Barcelona auf der Rückfahrt von der Abiturreise u.a. in Madrid 1986 hatte mir erste Eindrücke vermittelt, in die ich die Carvalho-Romane einsortierte (und ich war mit 18 weitgehend furchtlos – aus purer Naivität?).

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