Journal Freitag, 13. September 2024 – Abend im Zauberberg, komplett Thomas-Mann-frei

Samstag, 14. September 2024 um 9:38

Eine meiner selteneren Schlafstörungen: Ich konnte nicht einschlafen, sank einfach nicht in den Schlaf, das wird wohl die Mischung aus Erschöpfung und hohem Adrenlin-Pegel gewesen sein.

Der Wecker klingelte mich in Müdigkeit.

Draußen war es düster, kalt und regnerisch, ich griff zum Kaschmir-Pullover. Fenster in der Wohnung alle gegen die Kälte geschlossen, nicht mal das vom Klo mochte ich länger gekippt lassen.

Im Büro ein anstrengender Vormittag, denn ich war müde, und es gab noch reichlich zu tun.

Kurz vor Mittag begann es auch noch heftig zu regnen. Egal, ich hatte die ganze Woche noch keinen Lieblinscappuccino im Westend gehabt, also stemmt ich einen Schirm gegen Wind und Tropfen und marschierte hin. Außerdem hatte ich einen Abzug eines besonders schönen Fotos von meinem Mittagscappuccino dort machen lassen, den ich den Café-Betreibern schenken wollte (mit denen ich bis dahin nie mehr als Grüße und Bestellvorgangswörter gewechselt hatte). Das tat ich dann auch – und merkte mal wieder, dass ich und meine freundlich gemeinten Impulse die Konsequenzen nicht zu Ende denken. Ja, es wurde sich gefreut. Aber jetzt mussten sie ja irgendwas mit dem Foto tun. Ich hatte erwartet, dass sie den Abzug irgendwohin legen würden, aber er kam in den Bilderrahmen, in dem sonst scherzhaft “Mitarbeiter*in des Monats” ausgestellt wurden. Jetzt befürchte ich, dass sie sich verpflichtet fühlen, das Bild auf alle Zeit darin zu lassen, um mich nicht zu beleidigen. (Kann ich nie wieder hingehen.)

Auf dem Rückweg ins Büro hielt der Regen an, es war kalt: Gestern acht Grad Höchsttemperatur, 20 Grad weniger als noch vor einer Woche. ABER!! Die Heizung im Büro wurde nach Aufdrehen warm!

Als ich aufs Betriebsgelände zurückkam, standen drei Menschen am Durchgang und fotografierten das Gitter. Ich scherzte “Doppelspaltversuch?”1, doch das Motiv war ein riesiger Falter. Ein Windenschwärmer, wie wir mit Google Lens herausfanden – und wie er kürzlich auch Vanessa Giese besuchte.

Auf einem Metallgitter sitzt ein großer dunkelgrauer Nachtfalter mit geschlossenen Flügeln

Ich holte das Foto nach Arbeitsende beim Verlassen des Hauses nach.

Nachmittags letztes Abarbeiten, Schreibtisch aufräumen (vielleicht erreicht mich ja ausgerechnet in diesem Urlaub das überraschende Millionenerbe und ich kehre nie zurück, die Nachfolgerin soll sich nicht vor meinen Schubladen ekeln müssen), letztes Übergabe-Gespräch. Das Büro war angenehm warm, zur Sicherheit wärmte auch die Kapuze des Strickpullis.

Fast pünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg ein paar Lebensmitteleinkäufe, es regnete kräftig. Der Regen sollte dann auch nicht mehr aufhören.

Daheim war noch Zeit für eine Runde Yoga-Gymnastik, bevor Herr Kaltmamsell und ich uns fein machten für unsere Abend-Verabredung: Essen im Zauberberg in Neuhausen – die hart erkämpfte Tischreservierung mit Hinterlassung von Kreditkartendaten, Bestätigungsanforderung eine Woche vor Termin, am Donnerstag war eine weitere Aufforderung eingegangen, die Reservierung zu bestätigen. Vielleicht hilft es, wenn ich künftig für Tischreservierungen persönlich ins Lokal gehe und den Wirtsleuten dabei fest in die Augen schaue: “Sie haben mein Wort.”

Hinfahrt mit U-Bahn, Fußweg in strömendem Regen. Wir aßen wunderbar, lernten dabei auch etwas, wurden aufmerksam bedient. Da ich mich auf Weinbegleitung gefreut hatte, bat ich um einen alkoholfreien Aperitif:

Gastraum eines feinen Lokals, im Vordergrund ein gedeckter Tisch  mit grauer Tischdecke, weißen Servietten, silbernem Besteck und zwei rosa gefüllten Sektgläsern, im Hintergrund wenige besetzte Tische

Der war schonmal was ganz Besonderes, L’Antidote aus dem Beaujolais, nur leicht süßer Gamay-Traubensaft schaumig mit Kräutern, schmeckte mir sehr gut.

Auch der Gruß aus der Küche war ein Knaller:

Auf einem gedeckten Restauranttisch Schüsselchen mit weißem und orangem Inhalt

Weißer Tomatenschaum, darunter Croûtons und Pfifferlinge, darauf Pulver aus Tomatenschale – vor allem der cremige helle Schaum war großartig.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter geschriebenen Inhalt, außerdem ein langer Holzteller mit Brot

Sellerieterrine mit Birne und Bündnerfleisch, dazu Vogerlsalat und Essigzwetschge. Im Glas ein mineralischer Weißwein aus dem Priorat.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Tortellono mit Heilbutt-Estragon-Füllung, dazu Rote Bete mit Kokos. Der Wein dazu war ein weißer aus Österreich, wie er vor 20 Jahren besonders gern gemacht wurde: Chardonnay mit viel Holz.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt. Dahinter sichtbar der Gastraum mit anderen Gästen an Tischen

Topfen-Spätzle-Bratling mit Belper Knolle und Flusskrebsen. Dazu ein Weißwein aus der Loire mit überraschend wenig Säure.

Nach einem Basilikumsorbet (immer willkommen) mit Sauerrahm kam der Hauptgang.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Kalb mit dreierlei Pilzen: rohe gehobelte Egerlinge auf dem Fleisch (super Kombi), Kräuterseitling gebraten, ein weitere Pilz als Schaum. Neben dem Amuse-Gueule mein Lieblingsgang. Der Rotwein dazu kam aus der Toskana.

Gedeckter Restauranttisch mit einem rechteckigen Teller, auf dem vier kleine Käsestücke aufgereiht sind, rechts daneben zwei winzige Schüsselchen mit gelber und oranger Füllung

Käsegang mit ausgezeichnetem Früchtebrot, Wein dazu ein typischer französischer süßer.

Was Wein angeht, kam der (für mich) aufregendste zum Schluss als Begleitung des Desserts:

Dunkelglasige Weinflasche mit einem Etikett, auf dem eine gezeichnete Wachtel abgebildet ist

Bricco Quaglia Moscato D’Asti, ich bin immer wieder fasziniert, welche Aromen nicht trockener Schaumwein mitbringt.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Auch der Dessertteller brachte Aufregendes: Zwischen Himbeereis auf Brioche (sehr gut!) und Pistazien-Crème Brûlée war das süßes Fenchel-Chutney mit roten Johannisbeeren.

Herr Kaltmamsell kämpfte schon seit einer Weile brutal mit dem Schlaf, erst kurz vor Mitternacht waren wir nach einem weiteren Marsch durch strömenden Regen und Kälte (einfach supergreisliches Wetter) und einer U-Bahn-Fahrt daheim.

  1. Das ist superlustig, wenn man weiß, wo ich arbeite! ECHT! []
die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Freitag, 13. September 2024 – Abend im Zauberberg, komplett Thomas-Mann-frei“

  1. Lempel meint:

    Haben Sie eine Ahnung, wie es funktioniert, dass der Tomatenschaum weiß bleibt?

  2. die Kaltmamsell meint:

    Uns wurde erklärt, Lempel, dass der Saft durch Tuch abgeseiht wurde.

  3. Lempel meint:

    Ah, danke für die Erklärung. Dann muss ich mir das also kalt und von der Konsistenz her so panacottmäßig vorstellen?

  4. die Kaltmamsell meint:

    Es war warm, Lempel, und hatte die Konsistenz von weichem Weinschaum.

  5. Corsa meint:

    „Sie haben mein Wort!“ => Made my day.

  6. Christin meint:

    Das klingt großartig! Weiße Tomatenessenz ist das Suchwort für den Schaum bzw. die Grundlage. Tomatenpulver gab es mal von Schuhbeck, das haben aber sicher auch andere Gewürzspezialisten im Sortiment. Zum Thema süße Schaumwein: Castello Banfi hatte vor vielen, vielen Jahren einen Bracchetto d’aqui im Sortiment, süß, rosa, mit intensivem Himbeerduft und -aroma, ohne dabei kitschig zu schmecken. Grandios! Google hilft: Gibt’s immer noch, Rosa regale heißt der Spumante.

  7. Trulla meint:

    So viele Gänge schaffe ich leider nicht mehr, angesichts dieser Pracht schmerzt mich dieses heutige Unvermögen aber sehr.

    Ich habe einmal meiner Begeisterung für die Kochkunst eine lobende Rezension folgen lassen und hatte danach, weil der Wirt dazu dankend nachfragte, ob ich das wohl gewesen sei, ähnliche Gedanken wie Sie, ob ich nun noch hingehen könne. Aber warum den Wirt bestrafen? Mit Einkommensverlust! Er lebt davon. Deshalb hatte ich meine Skrupel GsD überwunden und alles läuft normal und ich genieße weiter nach meinen Möglichkeiten.

    Ich finde, man kann einfach mal nett zueinander sein ohne Hintergedanken.

  8. Hanna meint:

    Ich find’s auch superlustig… gnihihi…

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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