Journal Mittwoch, 11. September 2024 – Fleischwolf-Arbeitstag
Donnerstag, 12. September 2024 um 6:27Gar nicht mal so schlechte Nacht, vor allem wenn man neben der derzeitigen Angstphase einrechnet, dass ich vorm Einschlafen eine knappe Stunde über eine fast unerträglich toxische Beziehung las (und das auch noch auf einem Bildschirm, wo man doch weiß, dass Buchstaben auf einem Bildschirm im Gegensatz zu Buchstaben auf Papier Schlafkiller sind). Aber ich wachte wieder um fünf auf, das Angstkarussel war bereits in voller Fahrt.
Weg in die Arbeit unter überraschend freundlichem Himmel mit weißen Deko-Wölkchen und in goldener Morgensonne.
Die haben einen ähnlichen Job wie ich.
Angsttage bedeuten auch, dass ich besonders früh im Büro bin: Schon wieder komplett unvernünftig, denn zwar fange ich so die über Nacht eingeflogenen Probleme schon früh auf – aber es ist noch niemand da, der oder die mir helfen oder auch nur Fragen beantworten könnten. Gestern schaffte ich trotzdem einiges weg, bevor ich mich um einen Menschen kümmern musste. Auch gestern belastend, gemeinerweise hilft es gar nichts, dass ich dabei viel lernte und bereichert rauskam.
An Mittagscappuccino war nicht zu denken, wieder schnitzte ich mir mit Mühe eine Pause zum Essen: Äpfel, Hüttenkäse.
Am Nachmittag beruhigte sich die Lage, aber da war ich schon fix und alle. Und nur noch zu Schneckentempo mit ständiger Ablenkung in der Lage.
Am Wochenende hatte ich noch fest vor, am Mittwoch nach frühem Feierabend nochmal ins Dantebad zum Schwimmen zu gehen und von den kühlen Temperaturen mit leerer Schwimmbahn zu profitieren. Aber mir wurde klar, dass ich dazu viel zu erledigt sein würde, ich ließ es bleiben. So ganz beisammen war ich immer noch nicht: Kurz vor Feierabend fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die Waschmaschine zu programmieren, um beim Heimkommen Wäsche aufhängen zu können.
Der Feierabend wurde eher spät, langsam drückte dann doch der bevorstehende Urlaub rein.
Auf dem Heimweg kurz Lebensmitteleinkäufe, es war kalt geworden.
Daheim Waschmaschine eingeschaltet, Yoga-Gymnastik, Nachtmahl war deutsches Abendbrot: Salami (Urlaubsmitbringsel), Käse, Tomaten, Essiggurkerl, Brot. Herr Kaltmamsell hatte bosnische Torte gebacken, um gesammelte Eiweiße aufzubrauchen. Von der gab’s Nachtisch. Nachtisch 2, denn erst aßen wir Wassermelone auf.
Beim Tagesschau-Gucken wurde ich überrascht, wie wenig sorgfältig die Redaktion zumindest in einem Fall mit dem Quellennachnweis zu Video-Material umging (ich kannte vom gestrigen beruflichen Tagesgeschäft den tatsächlichen Hintergrund).
§
Der Rolli-fahrende SZ-Redakteur Jonas Wengert kotzt sich über Kritik an Luke Mockridge aus (€):
“Spart euch die Empörung”.
Als Mensch mit Behinderung bekommt man zuweilen den Eindruck, der Minderheit anzugehören, auf die sich die gesamte Gesellschaft am ehesten als „schützenswert“ einigen kann, also immerhin gratismoralisch, wenn es wirklich nichts kostet – von ziemlich weit rechts bis ganz nach links, von sehr jung bis sehr alt, von weiß bis nicht-weiß.
(…)
Es ist Gratismut, sich über Mockridge zu empören und sich mit viel Getöse für Behinderte starkzumachen. Es kostet nichts, weil Behinderte für niemanden eine „Gefahr“ darstellen. Ihre Voraussetzungen sind in der Breite so schlecht, dass sie nicht ernsthaft um gesellschaftliche Ressourcen konkurrieren. Behinderte nehmen niemandem den Arbeitsplatz, die Wohnung oder allgemein gesprochen Status und Wohlstand weg.
Migrantische Menschen, die queere Community oder auch Frauen kämpfen lautstark und zu Recht für ein Stück vom Kuchen – und haben dabei mehr und mehr Erfolg. Für Behinderte hingegen gibt es aus einer Position der Überlegenheit mitleidige Blicke, Gesten der Wohltätigkeit und natürlich: alle zwei Jahre Applaus und Anerkennung bei den Paralympics – gerne Hand in Hand mit Inspirations-Porno.
(…)
Wie viele prominente Menschen mit Behinderung fallen einem ein, die für eine Leistung bekannt geworden sind, die nichts mit ihrer Behinderung zu tun hat? Wolfgang Schäuble und Stephen Hawking waren beide schon vor ihren Behinderungen ganz oben angelangt. Und glaubt ernsthaft irgendjemand, Schäuble wäre in den 70ern und 80ern an die Spitze der CDU aufgestiegen, wenn er seine Politikerkarriere im Rollstuhl gestartet hätte? Nochmals: Jeder zehnte Deutsche ist schwerbehindert. Entweder diese Menschen sind durch die Bank dümmer, unbegabter und fauler – oder es sind die Bedingungen, die ihren Aufstieg oder nur ihre Teilhabe behindern.
(…)
In seiner Zeit als Ministerpräsident hat Horst Seehofer das Ziel „Bayern barrierefrei bis 2023“ ausgerufen. Wer sich im Spätsommer 2024 an bayerischen Bahnhöfen, in Verwaltungen und Arztpraxen umsieht, möchte sich vor Lachen aus dem Rollstuhl schmeißen – selbst eine steinreiche Stadt wie München kann mit ihren vielen, vielen Stolperschwellen für Menschen im Rollstuhl, aber auch für alte Menschen und pflegende Angehörige eine alltägliche Tortur sein. Wenn es schon bei einfachen physischen Barrieren in staatlicher oder kommunaler Verantwortung derart hapert, braucht man sich über Barrieren in vielen Köpfen kaum zu wundern.
§
Dazu passen sehr gut die Gedanken, die @giardino in seinem Blog darlegt: Viele politische Haltungen und viele grundsätzliche Unterschiede lassen sich damit erklären, dass die einen Wähler*innen von der Prämisse ausgehen, dass Menschen gleich viel wert sind. Und andere, dass sie unterschiedlich viel wert sind.
“Gedanken über hierarchische Weltbilder”.
4 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 11. September 2024 – Fleischwolf-Arbeitstag“
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12. September 2024 um 10:22
Dieses hierarchische Weltbild widerspricht so in allen Teilen der Ökologie, die von einem gleichwertigen Zusammenleben aller Lebewesen ausgeht, ein großes Netz der Abhängigkeiten verbindet alles. Sobald man das negiert, kann man locker den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und die Vernichtung von Lebensräumen wegdiskutieren. Und schon ist man als Mensch der eingebildete Chef im Laden.
Danke für den Link.
12. September 2024 um 12:27
Ich bin auch immer wieder über die häufigen grammatikalischen Rechtschreibfehler und Tippfehler auf der Tagesschau-Homepage überrascht. Oft sind es Dinge, die Word einem
einfach rot unterkringeln würde…
12. September 2024 um 21:17
Der Gipfel an Interesselosigkeit für Behinderte in München sind der Jakobsplatz und der Viktualienmarkt. Keine glatt gepflasterte Bahn – selbst für Kinderwägen ist es nicht einfach.
12. September 2024 um 21:58
Hier ein Tipp, ich habe sofort an Sie gedacht und dann noch vom Autor selber gelesen … Bitte schauen/hören Sie hier.
https://www.radiodrei.de/programm/schema/sendungen/lesung/archiv/20240902_1330.html