Archiv für September 2024

Journal Montag, 16. September 2024 – Jenny Erpenbeck, Kairos

Dienstag, 17. September 2024

Die Lektüre dieses Romans war für mich belastend und anstrengend, er ist durchaus eine Zumutung. Denn er erzählt wirklich keine schöne Geschichte, keine angenehme. Aber er ist meisterlich erzählt. Literatur darf eine Zumutung sein.

Kairos beginnt mit einem Prolog, der die Rahmenhandlung in der Gegenwart bildet (er wird auch von einem Epilog auf derselben Zeitebene geschlossen): Jemand, der sich wenige Seiten später als Protagonist der Handlung erweist, stirbt.

Die eigentliche Handlung aber hat nochmal einen Rahmen, eine Variante von Umberto Ecos “Natürlich, eine alte Handschrift”: Die Protagonistin bekommt Kisten aus dem Nachlass des Verstorbenen, die Zeugnisse ihrer wenige Jahre langen Beziehung enthalten, Briefe, Geschenke. Ergänzt durch Unterlagen aus dieser Zeit, die sie selbst besitzt, bilden sie das Gerüst der Erzählung – und markieren den Roman als einen historischen über die letzten Jahre der DDR, den Mauerfall, die ersten Jahre danach.

Jetzt setzt die eigentliche Handlung ein: Eine 19-jährige Frau, Katharina, und ein Mann deutlich über 50, Hans, werden in der DDR der 1980er ein Liebespaar. Mir stellten sich sofort die Haare auf, das Literaturfeuilleton nannte dieses Sorte Phantasien alter Autoren irgendwann “Fond memories of vagina” (der Protagonist ist auch noch Autor). Nur: Diese war von einer Frau geschrieben. Die Assoziation schwand auch, als immer klarer wurde: Diese Beziehung ist nicht Beiwerk, sondern die Haupthandlung des Romans. Und dass sie immer düsterer, immer toxischer und damit belastend zu lesen wird, muss genau so sein.

Hans stellt sich als psychisch schwer beschädigt aus, womit er wiederum tiefe Schäden an Katharina anrichtet, die als ihren Affekten ausgeliefert geschildert wird und in emotionale Abhängigkeit von ihm gerät. Denn die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der sich auflösenden DDR, kann in vielerlei Hinsicht als allegorischer Spiegel gelesen werden. Zunächst ist der Hintergrund einfach der Alltag in Ostberlin, wo sich die Liebesgeschichte zwischen der 19-Jährigen, die noch bei ihren Eltern wohnt, und dem verheirateten und renommierten Schriftsteller entwickelt. Anhand seiner Biografie werden Meilensteine der DDR-Geschichte eingeflochten, während die junge Frau schlicht nichts anderes kennt als dieses System.

Die Beziehung gerät immer weiter aus dem Gleichgewicht, Hans manipuliert seine Geliebte ins Unglück, und parallel wackelt auch das Gesellschaftssystem der DDR immer stärker: Die historischen Entwicklungen nehmen immer mehr Raum ein, jeweils um das Leben der beiden und ihrer Angehörigen erzählt, bis hinein in die Jahre nach dem Mauerfall mit seiner kompletten Auflösung aller bestehenden Strukturen, Verlust von Arbeitsplatz, oft Wohnung, Verlust aller Gewissheiten.

Das ist auch formal immer wieder spannend erzählt, mal mit fast lyrischen Mitteln, mal im Duktus einer biochemischen Abhandlung. Der Roman fängt dadurch die vielen Facetten einer Liebesbeziehung ebenso ein wie die eines erodierenden Gesellschaftssystems.

“Kairos”, der glückliche Moment, wird gleich am Anfang als Hohn auf diese Geschichte markiert.

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Gut geschlafen, wenig nach Herrn Kaltmamsell aufgestanden zur Milchkaffee-Zubereitung für uns beide. Ohne Regen aufgewacht, doch wie vorhergesagt setzte er bald wieder ein.

Das frühe Aufstehen führte dazu, dass ich nach Bloggen, Mastodon- und ein wenig Zeitungslektüre recht früh für meine Schwimmpläne fertig war. Ich packte mich warm ein (wieder 7 Grad Höchsttemperatur) und nahm eine U-Bahn zum Olympiapark.

Blick von der Zuschauertribüne auf ein großes Schwimmbecken in einer hohen Schwimmhalle mit gegenüberliegender Fensterwand

Das Schwimmen lief sehr super: Ich glitt wieder wie eine Forelle durch das Wasser auf Bahn 7, die ich meine ganzen 3.300 Meter mit höchsten zwei (wechselnden) Schwimmer*innen teilen musste.

Mittags war ich bei einer Freundin verabredet, die wegen einer Verletzung bewegungseingeschränkt ist. Ich spazierte durch den kräftigen Regen übers Olympiagelände Richtung Neuhausen.

Düstere, verregnete Parklandschaft mit See im Vordergrund, wenigen Bäumen, Hügel im Hintergrund

Blick aufs düstere, verregnete Olympiagelände mit links Fernsehturm, vorne einer riesigen Strebe, die das Plastikdach des Olympiabads häte, davor, See und hügelige Wiesen

Semmelkauf und Mittagscappuccino in einer Bäckerei, Supermarkteinkäufe fürs Frühstück und für die Verletzte. Zu diesem Frühstück bei ihr aß ich zwei Schinkensemmeln, wir holten das Gespräch nach, das wegen der Verletzung hatte ausfallen müssen.

Nach Hause, es regnete fleißig weiter, nahm ich eine Tram vom Leonrodplatz, Herr Kaltmamsell war schon von der Arbeit daheim.

Bügeln zum Soundtrack des Spanien-Familienfilms, der mit dem QR-Code zur Spotify-Playlist endete (ICH LIEBE TECHNIK!). Wobei… Eigentlich hatte ich gleich auf der Rückfahrt am Sonntag reinhören wollen: Aber meine kabellosen Kopfhörere hatten sich mal wieder in den wenigen Tagen seit dem letzten Aufladen komplett entladen, Akku bei Null. (ICH LIEBE FUNKTIONIERENDE TECHNIK!)

Eine Einheit Yoga-Gymnastik – die sich gestern ausgerechnet auf Schultern und die Rückenmuskeln konzentrierte, die ich beim Schwimmen reichlich genutzt hatte. Ging trotzdem, bereitete Freude. Als Aperitif holte ich den Apfel nach, den ich zum Frühstück vergessen hatte.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die erste Umsetzung eines Rezepts aus dem Hochzeitskochbuch vom August: Fenchel-Tomaten-Unsinn (Fenchel und Sellerie aus Ernteanteil).

Blick von oben in eine Pfanne mit gegartem Gemüse, erkennbar sind Fenchelstreifen, Tomatenstücke, schwarze Oliven

Dazu gebratener Halloumi – sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass ich schon Mittwochmorgen verreisen werde. Aber Dienstag habe ich richtig frei – ein ganzer Tag, um mich vor der Abreise noch völlig verrückt zu machen!

§

Der Zusammenhang zwischen den derzeitigen starken Regenfällen samt Überflutungen und Klimawandel:
“Luft voller Wasser”.

Journal Sonntag, 15. September 2024 – Familien-Filmshow

Montag, 16. September 2024

Eher unruhige Nacht, diese mit einem Loch um zwei Uhr. Nicht ganz munter aufgestanden.

Der Morgen war durchgeplant, denn ich würde vormittags mit Herrn Kaltmamsell nach Ingolstadt fahren: Einladung zum Mittagessen bei meinen Eltern, und für den Nachmittag hatte Neffe 1 einen Raum besorgt, um den Film zu zeigen, den er über die Kastilienreise mit seinen Geschwistern im August gemacht hatte. (Zu Erinnerung: Die drei Nifften, Kinder meines Bruders, um die 20 Jahre alt, waren im Auto zur spanischen Familie gefahren, die wir 2023 zu neunt besucht hatten.) Davor hatte ich eine Laufrunde eingeplant.

Sonnenbeschienenes Baumlaub aus der Perspektive eines oberen Stockwerks, angeschnitten ein ebenso beschienenes modernes Gebäude

Der Regen hatte aufgehört (wie sich herausstellte vorübergehend), zwar war es mit 7 Grad weiterhin kalt, doch ich freute mich auf einen Isarlauf in schönem Licht. Nach kurzer Hose vor einer Woche also gefütterte lange Laufhose unter Überspringen der Caprihosenlänge.

Nur dass mir bis dahin eine Stunde verloren ging: Als ich mich von Herrn Kaltmamsell verabschiedete, sah er kurz auf sein Handy – und mir wurde klar, dass es eine Stunde später war, als ich angenommen hatte.

Ich war zur berechneten Zeit aufgestanden, hatte Wäsche aufgehängt, Morgenkaffee getrunken und gebloggt, ein Blick auf die Uhr hatte mich gefreut, weil ich noch über eine halbe Stunde bis zur berechneten Zeit fürs Fertigmachen zum Loslaufen hatte. Das muss der Moment des Irrtums gewesen sein. Jetzt stand ich ein paar Augenblicke ratlos in voller Laufkleidung herum – dann zog ich mich halt wieder aus und ging ich gleich unter die Dusche, bedauerte den verlorenen Isarlauf.

Auch auf dem Weg zum Bahnhof war es ganz schön frisch. Da ich nicht beurteilen konnte, wie heizbar und beheizt der Filmvorführraum in einem historischen Gemäuer sein würde, hatte ich reichlich Zusatzpullis und Wollsocken dabei.

Regengraue Landschaft mit einem leeren und einem bewachsenen Hopfengarten

Unterwegs Hopfencheck: Der meiste war bereits abgeerntet, doch einige Hopfengärten noch nicht (diesjährige Ernte gut, aber Nachfrage sinkend).

Aber erstmal gab es bei meinen Eltern Mittagessen mit dem Großteil der Bruderfamilie, meine Mutter hatte eine Zarzuela de mariscos gekocht:

Große Pfanne mit Fischstücken, roten Garnelen, Miesmuscheln

Unter Fisch und Meerestieren Gemüse inklusive Kartoffeln: Köstlich. Dazu erzählte die Nichte von ihrem Einstieg ins Jahr Bundesfreiwilligendienst (Bufdi genannt, hihi).

Nächster Programmpunkt: Filmvorführung in der Harderbastei, einem Teil der Ingolstädter Festungsanlagen. Ich finde ja weiterhin, dass Ingolstadt viel zu wenig aus dieser einzigartigen Stadtstruktur macht, die durch die omnipräsenten und oft architektonisch interessanten Militärbauten aus vielen Jahrhunderten erzeugt wird.

Frau von hinten, die in den dunklen Torbogen eines alten, weißen Gebäudes geht, über dem EIngang die Schrift "Städtische Galerie Harderbastei"

Unter einem Gewölbebogen aus rohen, gelblichen flachen Steinen bunte Pappmache-Köpfe, das Modell einer alten Kirche

Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert, offensichtlich Jurasteine.

Der vorführende Neffe hatte für spanische Speisen (Tortilla, Papatitas, Pimientos de padrón, Oliven, Pipas, Maíz) und Getränke gesorgt, einen Hinterraum der Harderbastei bestuhlt und mit Leinwand ausgestattet – und muckelig warm geheizt. Hier kam auch der Rest der Bruderfamilie dazu, außerdem zahlreiche Freunde der Nifften oder eh der Familie.

Reichlich Gespräche, auch Kennenlernen, einige der Anwesenden hatten die Reise der Nifften durch Berichte und Fotos in einer eigens dafür eingerichteten WhatsApp-Gruppe mitverfolgt. Anderthalb Stunden liebevollst geschnitteter, vertonter und beschrifteter Film: Ich freute mich arg, die vertrauten Orte und die spanische Familie zu sehen.

Auf der Zugfahrt zurück nach München regnete es immer heftiger, wie schon in den Tagen zuvor prognostiziert trafen jetzt immer schlimmere Meldungen über Hochwasser und Überschwemmungen aus Niederösterreich, Polen, Tschechien, Rumänien ein.

Daheim schnippelte ich mir ein Abendessen aus oberbayerischen Pfirsichen (ein Freund meiner Eltern hat dieses Jahr reiche Ernte, wir hatten ein Kistlein mitbekommen) und Joghurt, danach aß ich viel Schokolade. Dazu holte ich die 20-Uhr-Tagesschau nach mit bedrückenden Überschwemmungsbildern. “Klimawandel” wird schon gar nicht mehr dazugesagt, ich weiß nicht, ob das nützt.

Im Zug zurück nach München hatte ich Jenny Erpenbecks Kairos ausgelesen, darüber werde ich noch schreiben (meiner Ansicht nach hervorragend, aber wirklich kein Lesevergnügen – Literatur darf auch Zumutung sein). Jetzt stellte ich Urlaubslektüre auf meinem E-Book-Reader zusammen, davon begann ich im Bett (unbedingt mit Wärmflasche) die Geschichtensammlung von Ted Chiang: Exhalation.

§

Maximilian Buddenbohm war an der See und beobachtete andere Urlaubende:
“Zusammengefegte Reste”.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es ihm ums Festhalten zeittypischer Erscheinungen geht – und wer das nicht als stimmungserzeugende Kolumne an Zeitungen verkaufen muss, kann sich dabei sogar Neutralität leisten, denn

Es gibt keinen Grund, darüber zu spotten, ich schreibe es nur so mit. Es verwirrt etwas durch das Unweigerliche – wie gleich und ungemein berechenbar wir alle sind.

Journal Samstag, 14. September 2024 – Kalter Regen in Strömen, Forellengefühle im Olympiabad

Sonntag, 15. September 2024

Schön lang geschlafen, zu Regenprasseln aufgewacht. Eine Woche nach Sommerkleidchen die Heizung im Wohnzimmer aufgedreht, Bloggen und Morgenkaffee in Sweatshirt, Strickjacke, Wollsocken.

Meine Schwimmpläne sollten mich zum Saison-Abschied trotz Regen ein letztes Mal ins Dantebad führen. Zum Glück checkte ich kurz vor Aufbruch aktuelle Meldungen: Es war bis Montag geschlossen, wohl wegen Aufräumen und Umbauten für den Winterbetrieb. Also nahm ich die U-Bahn zum Olympiapark und ins Olympiabad.

Auf einem gepflasterten Boden stehen ganz viele aufgespannte Schirme zum Trocknen, im Hintergrund sieht man eine Halle, einen Mann, der gerade einen weiteren Schirm auf den Boden stellt

Als ich mich ins Becken gleiten ließ, merkte ich gleich zu meiner Erleichterung, dass die Wassertemperatur bereits für den Winterbetrieb ein wenig erhöht worden war: Kein Frieren oder auch nur Frösteln.

Ich fühlte mich von der ersten Bahn an nixenhaft, glitt kraftvoll und Forellen-gleich durchs Wasser. Allerdings kassierte ich Tritte von unachtsamen Brustschwimmerinnen, die mich überholten, einen Hieb in den Unterleib von einer Rückenschwimmerin auf der Nebenbahn. Ich wunderte mich. Und schwamm trotzdem problemlos 3.300 Meter.

In einem großen  Raum mit hellgrünen Umkleiden und weiß gekacheltem Boden steht eine Frau mit weißen Haaren vorm Spiegel und föhnt sich die Haare, macht mit ihrem Handy im Spiegel ein Selfie

Es regnete immer noch strömend, zumindest fror ich auf dem Heimweg nicht sehr, weil ich vom Schwimmen noch aufgewärmt war. Ausstieg schon am Marienplatz, um unterwegs Semmeln zu besorgen.

Frühstück kurz nach halb drei: Semmeln mit Butter und Tomate, Brot mit Haselnussmus, Kerne des ersten kleinen Granatapfels der Saison (Vollcorner hatte italienische angeboten, an denen ich nicht vorbeigehen konnte – schmeckte aber nach nicht viel).

Nachmittag mit Internet- und Zeitunglesen. Ich griff bald zu einem zweiten Paar Socken gegen die Kälte.

Yoga-Gymnastik: Eine Folge mit langenen Dehnungen und Entspannung, das passte mir gestern gut. Ausführliche Fußpflege/Pediküre, ich machte meine Füße Wander-fit.

Den Staudensellerie im Ernteanteil nahm Herr Kaltmamsell zum Anlass, als Aperitif Bloody Mary zu reichen, mein erster überhaupt.

Vollgestellte Küchen-Arbeitsfläche, links zwei Longdrink-Gläser mit Tomatensaft, Eiswürfel, Selleriestange, rechts Wodkaflasche, Tabasco, Worcestersauce

Ähm. Kalte, überwürzte Tomatensuppe, im Ernst? Ich trank nur zwei Schlücke, kenne jetzt Bloody Mary und möchte künftig nichts mehr damit zu tun haben. Aber die Stange Sellerie schmeckte mir. Als Gegenmittel öffnete ich eine Flasche Pouilly Fumé.

Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch Rindfleisch für die Pfanne besorgt, briet es wie immer fachkundig, servierte mit gebratenen und als Antipasti eingelegten Zucchini aus Ernteanteil. Großer Genuss. Nachtisch Schokolade.

Im Fernsehen ließen wir einen deutschen Film von 1962 laufen: Muß i denn zum Städtele hinaus. Ziemlich wahwitzig in der Rahmenhandlung (mit offensichtlichem Original-Dokumaterial ergänzt), randvoller sexistischer Klischees, aber überraschend aufwändig gedreht. Damals hielten zum Beispiel unverheiratete Frauen in fortgeschrittenem Alter noch standardmäßig als Witzfiguren her: Wer wissen will, woher Donald Trump seine Stereotypen hat, bekommt im westdeutschen Film der 1960er rechlich Material. Aber interessant: Damals kam der Fremde (Ausländer) im Dorf, in diesem Fall der Italiener (Vico Torriani, eh klar), noch mit dem Zirkus, war typisch lustig und sang Lieder -> prä-Gastarbeiter.

Im Kopf bin ich hauptsächlich bei Reise-Details, fast Panik-frei, Mittwochmorgen breche ich auf. Mittlerweile neigen meine Entscheidungen zu Minimalismus in Kleidungsmitnahme, die wird dann zweimal gewaschen.

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“Österreicher wählen Klimaleugner, auch wenn sie dabei untergehen”.

Verdacht: Diese Menschen haben wirklich andere Prioritäten als ich. Etwas gegen den Klimawandel zu tun, hieße ja, den Feinden recht zu gaben. Lieber verlassen sie sich darauf, dass ihnen bei weggespülten Straßen geholfen wird – und fordern das ein.

Ich schließe mich diesem Verdacht an:

Und spüre starke Brexit-Vibes: Das illusionäre Ziel lautet “take back control”, dann dürfen die Folgen ruhig auch weh tun. Hauptsache gewonnen.

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Ein entzückendes Schwalbenfoto.

Journal Freitag, 13. September 2024 – Abend im Zauberberg, komplett Thomas-Mann-frei

Samstag, 14. September 2024

Eine meiner selteneren Schlafstörungen: Ich konnte nicht einschlafen, sank einfach nicht in den Schlaf, das wird wohl die Mischung aus Erschöpfung und hohem Adrenlin-Pegel gewesen sein.

Der Wecker klingelte mich in Müdigkeit.

Draußen war es düster, kalt und regnerisch, ich griff zum Kaschmir-Pullover. Fenster in der Wohnung alle gegen die Kälte geschlossen, nicht mal das vom Klo mochte ich länger gekippt lassen.

Im Büro ein anstrengender Vormittag, denn ich war müde, und es gab noch reichlich zu tun.

Kurz vor Mittag begann es auch noch heftig zu regnen. Egal, ich hatte die ganze Woche noch keinen Lieblinscappuccino im Westend gehabt, also stemmt ich einen Schirm gegen Wind und Tropfen und marschierte hin. Außerdem hatte ich einen Abzug eines besonders schönen Fotos von meinem Mittagscappuccino dort machen lassen, den ich den Café-Betreibern schenken wollte (mit denen ich bis dahin nie mehr als Grüße und Bestellvorgangswörter gewechselt hatte). Das tat ich dann auch – und merkte mal wieder, dass ich und meine freundlich gemeinten Impulse die Konsequenzen nicht zu Ende denken. Ja, es wurde sich gefreut. Aber jetzt mussten sie ja irgendwas mit dem Foto tun. Ich hatte erwartet, dass sie den Abzug irgendwohin legen würden, aber er kam in den Bilderrahmen, in dem sonst scherzhaft “Mitarbeiter*in des Monats” ausgestellt wurden. Jetzt befürchte ich, dass sie sich verpflichtet fühlen, das Bild auf alle Zeit darin zu lassen, um mich nicht zu beleidigen. (Kann ich nie wieder hingehen.)

Auf dem Rückweg ins Büro hielt der Regen an, es war kalt: Gestern acht Grad Höchsttemperatur, 20 Grad weniger als noch vor einer Woche. ABER!! Die Heizung im Büro wurde nach Aufdrehen warm!

Als ich aufs Betriebsgelände zurückkam, standen drei Menschen am Durchgang und fotografierten das Gitter. Ich scherzte “Doppelspaltversuch?”1, doch das Motiv war ein riesiger Falter. Ein Windenschwärmer, wie wir mit Google Lens herausfanden – und wie er kürzlich auch Vanessa Giese besuchte.

Auf einem Metallgitter sitzt ein großer dunkelgrauer Nachtfalter mit geschlossenen Flügeln

Ich holte das Foto nach Arbeitsende beim Verlassen des Hauses nach.

Nachmittags letztes Abarbeiten, Schreibtisch aufräumen (vielleicht erreicht mich ja ausgerechnet in diesem Urlaub das überraschende Millionenerbe und ich kehre nie zurück, die Nachfolgerin soll sich nicht vor meinen Schubladen ekeln müssen), letztes Übergabe-Gespräch. Das Büro war angenehm warm, zur Sicherheit wärmte auch die Kapuze des Strickpullis.

Fast pünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg ein paar Lebensmitteleinkäufe, es regnete kräftig. Der Regen sollte dann auch nicht mehr aufhören.

Daheim war noch Zeit für eine Runde Yoga-Gymnastik, bevor Herr Kaltmamsell und ich uns fein machten für unsere Abend-Verabredung: Essen im Zauberberg in Neuhausen – die hart erkämpfte Tischreservierung mit Hinterlassung von Kreditkartendaten, Bestätigungsanforderung eine Woche vor Termin, am Donnerstag war eine weitere Aufforderung eingegangen, die Reservierung zu bestätigen. Vielleicht hilft es, wenn ich künftig für Tischreservierungen persönlich ins Lokal gehe und den Wirtsleuten dabei fest in die Augen schaue: “Sie haben mein Wort.”

Hinfahrt mit U-Bahn, Fußweg in strömendem Regen. Wir aßen wunderbar, lernten dabei auch etwas, wurden aufmerksam bedient. Da ich mich auf Weinbegleitung gefreut hatte, bat ich um einen alkoholfreien Aperitif:

Gastraum eines feinen Lokals, im Vordergrund ein gedeckter Tisch  mit grauer Tischdecke, weißen Servietten, silbernem Besteck und zwei rosa gefüllten Sektgläsern, im Hintergrund wenige besetzte Tische

Der war schonmal was ganz Besonderes, L’Antidote aus dem Beaujolais, nur leicht süßer Gamay-Traubensaft schaumig mit Kräutern, schmeckte mir sehr gut.

Auch der Gruß aus der Küche war ein Knaller:

Auf einem gedeckten Restauranttisch Schüsselchen mit weißem und orangem Inhalt

Weißer Tomatenschaum, darunter Croûtons und Pfifferlinge, darauf Pulver aus Tomatenschale – vor allem der cremige helle Schaum war großartig.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter geschriebenen Inhalt, außerdem ein langer Holzteller mit Brot

Sellerieterrine mit Birne und Bündnerfleisch, dazu Vogerlsalat und Essigzwetschge. Im Glas ein mineralischer Weißwein aus dem Priorat.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Tortellono mit Heilbutt-Estragon-Füllung, dazu Rote Bete mit Kokos. Der Wein dazu war ein weißer aus Österreich, wie er vor 20 Jahren besonders gern gemacht wurde: Chardonnay mit viel Holz.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt. Dahinter sichtbar der Gastraum mit anderen Gästen an Tischen

Topfen-Spätzle-Bratling mit Belper Knolle und Flusskrebsen. Dazu ein Weißwein aus der Loire mit überraschend wenig Säure.

Nach einem Basilikumsorbet (immer willkommen) mit Sauerrahm kam der Hauptgang.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Kalb mit dreierlei Pilzen: rohe gehobelte Egerlinge auf dem Fleisch (super Kombi), Kräuterseitling gebraten, ein weitere Pilz als Schaum. Neben dem Amuse-Gueule mein Lieblingsgang. Der Rotwein dazu kam aus der Toskana.

Gedeckter Restauranttisch mit einem rechteckigen Teller, auf dem vier kleine Käsestücke aufgereiht sind, rechts daneben zwei winzige Schüsselchen mit gelber und oranger Füllung

Käsegang mit ausgezeichnetem Früchtebrot, Wein dazu ein typischer französischer süßer.

Was Wein angeht, kam der (für mich) aufregendste zum Schluss als Begleitung des Desserts:

Dunkelglasige Weinflasche mit einem Etikett, auf dem eine gezeichnete Wachtel abgebildet ist

Bricco Quaglia Moscato D’Asti, ich bin immer wieder fasziniert, welche Aromen nicht trockener Schaumwein mitbringt.

Auf einem gedeckten Restauranttisch Teller mit dem darunter beschriebenen Inhalt

Auch der Dessertteller brachte Aufregendes: Zwischen Himbeereis auf Brioche (sehr gut!) und Pistazien-Crème Brûlée war das süßes Fenchel-Chutney mit roten Johannisbeeren.

Herr Kaltmamsell kämpfte schon seit einer Weile brutal mit dem Schlaf, erst kurz vor Mitternacht waren wir nach einem weiteren Marsch durch strömenden Regen und Kälte (einfach supergreisliches Wetter) und einer U-Bahn-Fahrt daheim.

  1. Das ist superlustig, wenn man weiß, wo ich arbeite! ECHT! []

Journal Donnerstag, 12. September 2024 – Arbeitswirbeln, Durchhalten

Freitag, 13. September 2024

Wieder endetet der eigentlich gute Nachtschlaf zu früh und im Angstkarussell. Draußen rauschte der Regen wie schon beim Einschlafen. Doch pünktlich zum Arbeitsweg blieb der düstere Himmel trocken, es war lediglich sehr kalt: Erste Atemwölkchen vor Radler*innenlippen an roten Ampeln.

Im Büro wartete eine lange Jobliste, die wegen drohenden Urlaubs sehr unbedingt erledigt werden musste (und die aus Rahmen-Gründen auch nicht vorher angepackt werden konnte). Doch noch bevor auch nur der Rechner hochgefahren war, begannen die Querschüsse. Zum Glück bin ich in vielen der Jobs routiniert und sehr schnell (ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich dreimal so lange dafür brauchte), fürchtete aber die Gefahr, dass die Routine mich unachtsam machte.

Mittags war die Versuchung groß, wegen der hohen Schlagzahl Cappuccino- und Marktpläne fahren zu lassen, doch mein Bockigkeits-Ich siegte über mein Panik-Ich: Cappuccino bei Nachbars, Äpfelkauf auf dem Markt, dabei Bekanntschaft mit einem sehr jungen Nachwuchs-Standler (höchstens 50 cm hoch), der meinen Geldschein annehmen und mir Rückgeld reichen durfte.

Sehr spätes Mittagessen und das auch nur mit strenger Selbtsermahnung, weil komplett appetitlos: Eben gekaufte Äpfel, Körnerbrot.

Arbeitsnachmittag mit höchster Intensität, ich bekam Zeug für drei Arbeitstage weggeschafft. Bei dieser Schlagzahl musste ich mich vor Absenden von E-Mails aktiv daran erinnern, ein paar Blümchen einzuflechten. (“Vielen Dank für die Rückmeldung!” / “Gute Reise!” et al.)

Außerdem hatte ich Zeitdruck im Nacken, weil ich für die Abholung des Ernteanteils zuständig war. Der Arbeitstag endete in gleichzeitigem Rechner-Runterfahren, in Mantel schlüpfen, Tasche packen, Abschiedsgruß an Kollegin (deren Arbeitstag meinem sehr glich, wenn auch mit ganz anderen Inhalten).

In strammem Schritt zum Ernteanteil-Abholen, in strammem Schritt heim. Beim Begrüßen von Herrn Kaltmamsell gestand ich mir einen angedeuteten Zusammenbruch zu, aber dann Zusammenreißen und Weitermachen. Ich hatte auch noch einen späten Friseurtermin, den ich tagsüber fast vergessen hätte. Davor war noch Zeit für Yoga-Gymnastik, mich erfreute eine Einheit Bauch.

In strammem Schritt zum Haareschneiden. Ich bat um sportliche Kürze, wies auf Eignung fürs Wandern, auf Eignung fürs Schwimmen ohne Badehaube hin. Als Herr Friseur allerdings “praktisch” anbot, zuckte ich: “Bitte nicht so nennen. Bei ‘praktischer Kurzhaarschnitt’ fühle ich mich alt, außerdem wachsen mir dann eine Steppweste und ein Reihenhaus.”1

Erste Male:
Irgendwann im letzten Viertel des angenehm gesprächsarmen Schnippelns guckte er mich im Spiegel an: “Viel Haare!”
Und grinste dann: “Macht Spaß!”

Selfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren nd Brille vor schwarzer Wand in Kunstlicht

Ich war zufrieden. Selfie im U-Bahnhof Sendlinger Tor.

Daheim hatte Herr Kaltmamsell bereits den Salat aus Erntanteil gewaschen. Ich machte ihn mit Haselnussmusdressing an, mischte aus Ernteanteil ein Bündelchen Ruccola, eine kleine Gurke, ein paar Tomaten unter. Hervorragend. Die Tagesschau hatte ich da schon verpasst, auch keine Energie, sie nachzuholen.

Nachtisch Warschauer Brot (eine alte Münchner Gebäck-Spezialität, mit der sich Herr Kaltmamsell vor literarischem Hintergrund beschäftigt hatte, aus Brot- und Kuchenresten hergestellt, auf einen Tipp hin gefunden bei der Brotmanufaktur (oh mei) Schmidt), sehr gut. Und ein bisschen Schokolade.

Tagesabschluss zwischen komplettem Erledigtsein und Adrenalin-Hoch, schließlich war ja noch der Freitag zu bewältigen. Ins Bett mit der ersten Wärmflasche der Saison.

  1. Gegen die, wieder zur Sicherheit, grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden ist. Nur ganz weit weg von mir. []

Journal Mittwoch, 11. September 2024 – Fleischwolf-Arbeitstag

Donnerstag, 12. September 2024

Gar nicht mal so schlechte Nacht, vor allem wenn man neben der derzeitigen Angstphase einrechnet, dass ich vorm Einschlafen eine knappe Stunde über eine fast unerträglich toxische Beziehung las (und das auch noch auf einem Bildschirm, wo man doch weiß, dass Buchstaben auf einem Bildschirm im Gegensatz zu Buchstaben auf Papier Schlafkiller sind). Aber ich wachte wieder um fünf auf, das Angstkarussel war bereits in voller Fahrt.

Weg in die Arbeit unter überraschend freundlichem Himmel mit weißen Deko-Wölkchen und in goldener Morgensonne.

Drei Stützfiguren an einem alten Hauserker, die schwer beladen sind

Die haben einen ähnlichen Job wie ich.

Angsttage bedeuten auch, dass ich besonders früh im Büro bin: Schon wieder komplett unvernünftig, denn zwar fange ich so die über Nacht eingeflogenen Probleme schon früh auf – aber es ist noch niemand da, der oder die mir helfen oder auch nur Fragen beantworten könnten. Gestern schaffte ich trotzdem einiges weg, bevor ich mich um einen Menschen kümmern musste. Auch gestern belastend, gemeinerweise hilft es gar nichts, dass ich dabei viel lernte und bereichert rauskam.

An Mittagscappuccino war nicht zu denken, wieder schnitzte ich mir mit Mühe eine Pause zum Essen: Äpfel, Hüttenkäse.

Am Nachmittag beruhigte sich die Lage, aber da war ich schon fix und alle. Und nur noch zu Schneckentempo mit ständiger Ablenkung in der Lage.

Am Wochenende hatte ich noch fest vor, am Mittwoch nach frühem Feierabend nochmal ins Dantebad zum Schwimmen zu gehen und von den kühlen Temperaturen mit leerer Schwimmbahn zu profitieren. Aber mir wurde klar, dass ich dazu viel zu erledigt sein würde, ich ließ es bleiben. So ganz beisammen war ich immer noch nicht: Kurz vor Feierabend fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die Waschmaschine zu programmieren, um beim Heimkommen Wäsche aufhängen zu können.

Der Feierabend wurde eher spät, langsam drückte dann doch der bevorstehende Urlaub rein.

Auf dem Heimweg kurz Lebensmitteleinkäufe, es war kalt geworden.

Daheim Waschmaschine eingeschaltet, Yoga-Gymnastik, Nachtmahl war deutsches Abendbrot: Salami (Urlaubsmitbringsel), Käse, Tomaten, Essiggurkerl, Brot. Herr Kaltmamsell hatte bosnische Torte gebacken, um gesammelte Eiweiße aufzubrauchen. Von der gab’s Nachtisch. Nachtisch 2, denn erst aßen wir Wassermelone auf.

Beim Tagesschau-Gucken wurde ich überrascht, wie wenig sorgfältig die Redaktion zumindest in einem Fall mit dem Quellennachnweis zu Video-Material umging (ich kannte vom gestrigen beruflichen Tagesgeschäft den tatsächlichen Hintergrund).

§

Der Rolli-fahrende SZ-Redakteur Jonas Wengert kotzt sich über Kritik an Luke Mockridge aus (€):
“Spart euch die Empörung”.

Als Mensch mit Behinderung bekommt man zuweilen den Eindruck, der Minderheit anzugehören, auf die sich die gesamte Gesellschaft am ehesten als „schützenswert“ einigen kann, also immerhin gratismoralisch, wenn es wirklich nichts kostet – von ziemlich weit rechts bis ganz nach links, von sehr jung bis sehr alt, von weiß bis nicht-weiß.

(…)

Es ist Gratismut, sich über Mockridge zu empören und sich mit viel Getöse für Behinderte starkzumachen. Es kostet nichts, weil Behinderte für niemanden eine „Gefahr“ darstellen. Ihre Voraussetzungen sind in der Breite so schlecht, dass sie nicht ernsthaft um gesellschaftliche Ressourcen konkurrieren. Behinderte nehmen niemandem den Arbeitsplatz, die Wohnung oder allgemein gesprochen Status und Wohlstand weg.

Migrantische Menschen, die queere Community oder auch Frauen kämpfen lautstark und zu Recht für ein Stück vom Kuchen – und haben dabei mehr und mehr Erfolg. Für Behinderte hingegen gibt es aus einer Position der Überlegenheit mitleidige Blicke, Gesten der Wohltätigkeit und natürlich: alle zwei Jahre Applaus und Anerkennung bei den Paralympics – gerne Hand in Hand mit Inspirations-Porno.

(…)

Wie viele prominente Menschen mit Behinderung fallen einem ein, die für eine Leistung bekannt geworden sind, die nichts mit ihrer Behinderung zu tun hat? Wolfgang Schäuble und Stephen Hawking waren beide schon vor ihren Behinderungen ganz oben angelangt. Und glaubt ernsthaft irgendjemand, Schäuble wäre in den 70ern und 80ern an die Spitze der CDU aufgestiegen, wenn er seine Politikerkarriere im Rollstuhl gestartet hätte? Nochmals: Jeder zehnte Deutsche ist schwerbehindert. Entweder diese Menschen sind durch die Bank dümmer, unbegabter und fauler – oder es sind die Bedingungen, die ihren Aufstieg oder nur ihre Teilhabe behindern.

(…)

In seiner Zeit als Ministerpräsident hat Horst Seehofer das Ziel „Bayern barrierefrei bis 2023“ ausgerufen. Wer sich im Spätsommer 2024 an bayerischen Bahnhöfen, in Verwaltungen und Arztpraxen umsieht, möchte sich vor Lachen aus dem Rollstuhl schmeißen – selbst eine steinreiche Stadt wie München kann mit ihren vielen, vielen Stolperschwellen für Menschen im Rollstuhl, aber auch für alte Menschen und pflegende Angehörige eine alltägliche Tortur sein. Wenn es schon bei einfachen physischen Barrieren in staatlicher oder kommunaler Verantwortung derart hapert, braucht man sich über Barrieren in vielen Köpfen kaum zu wundern.

§

Dazu passen sehr gut die Gedanken, die @giardino in seinem Blog darlegt: Viele politische Haltungen und viele grundsätzliche Unterschiede lassen sich damit erklären, dass die einen Wähler*innen von der Prämisse ausgehen, dass Menschen gleich viel wert sind. Und andere, dass sie unterschiedlich viel wert sind.
“Gedanken über hierarchische Weltbilder”.

Journal Dienstag, 10. September 2024 – Angsttage

Mittwoch, 11. September 2024

Eigentlich gute Nacht, aber schon um fünf aufgewacht und dann Angstkreise gedreht.

Überhaupt war ich wohl nicht ganz beisammen: Dass ich vergessen hatte, nach dem Duschen die Beine einzucremen, merkte ich erst beim Hosenanziehen. Dass ich vergessen hatte Schmuck anzulegen (ist mir seit vielen Jahren nicht mehr passiert), erst auf dem Weg in die Arbeit. Auf dem ich einmal kurz umkehrte, weil eine tote Maus am Wegesrand lag, ein hübsche, intakte, grausamtige, aber eindeutig tote Maus.

Gestern ging’s den gesamten Arbeitstag über rund, einen Faktor davon kannte ich schon vorher und fürchtete mich davor, aber dann auch noch Querschüsse. Keine Zeit für Mittagscappuccino, ich war schon froh, dass ich fürs Mittagessen ein paar ruhige Minuten fand: Apfel (köstlicher Elstar vom Markt), Pumpernickel mit Butter.

Auch nachmittags musste ich mich intensiv mit einem Menschen beschäftigen, der sehr von mir abhängig war, sowas stresst mich ungeheuer. Und am Mittwoch wird das nicht besser, allerdings mit einem anderen Menschen. Während ich gleichzeitg Termine und Dinge zu erledigen habe.

Wetter bekam ich schier nicht mit; es war immer wieder sehr dunkel geworden, ich glaube, es regnete auch mal. Nach Feierabend war es trocken, aber weiter abgekühlt. Daheim Papa-Telefonat, Maniküre (gna), dann durfte ich endlich Yoga-Gymnastik. Weil ich mich vage erinnerte, dass diese Folge 4 von “Flow” an einer Stelle nur eine Seite durchturnt, hatte ich das Handy griffbereit, um an dieser Stelle zu stoppen und die fehlende Seite eigenständig zu absolvieren. Klappte.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell auf meinen Wunsch Sahnelinsen mit Linguine, sehr erfreulich. Nachtisch Wassermelone aus Ernteanteil (!).

Eine kleine, halbierte Wassermelone

Mit feiner Süße, zweite Hälfte gibt es am Mittwoch. Und Schokolade.

Meine Angst vor dem gebuchten Urlaub ist zu einer fatalistischen Starre geworden: Dann wird’s halt schrecklich. Stehe ich auch noch durch. Habe ja bisher schon alles durchgestanden.
Danach höchstens noch All inclusive im Schwarzwald.

Früh ins Bett zum Lesen und mit Aussicht auf eine unruhige Angstnacht. Ist halt so: Da die Angst ja unvernünftig ist, lässt sie sich nicht mit Vernunft und Hinweis auf Tatsachen eindämmen.

§

Frau Brüllen macht einen Traum war, den auch ich seit der Lektüre von Götter, Gräber und Gelehrte habe: Sie gräbt (als Freiwillige) ganz offiziell archäologisch, in einem “Feldkurs” in der Nähe ihres Wohnorts bei Basel. Hier hat sie schon über den Info-Abend dazu geschrieben, und am Montag ging’s so richtig los mit Bodenbohrungen und Spitzhacken.