Unruhige Nacht, als ich dann endlich einschlief, träumte ich Trauriges, wachte tieftraurig auf.
Draußen schien die Sonne, es war aber sehr frisch, dennoch setzte ich mich für meinen Morgenkaffee auf den Balkon.
In den Bäumen davor pöbelte ausdauernd ein Eichelhäher, manchmal unterbrochen von einer Krähe.
Nach dem Bloggen buk ich das geplante Apfelschlangerl aus Katharina Seisers Österreich vegetarisch, derzeit mein liebster Apfelkuchen (hier Bilder vom Backen vergangenes Jahr). Beim Zerteilen des Butterblocks in Würfel schaffte ich es irgendwie, mir mit der Spitze des großen Messers den linken Unterarm anzuritzen, gerade genug, dass blutige Sauerei drohte: Ich rief Herrn Kaltmamsell mit Bitte um ein großes Pflaster herbei.
Eigentlich war seit Wochen für dieses Wochenende eine Wanderung geplant gewesen, doch die dazugehörige Freundin hatte sich dem vor ein paar Tagen durch einen gebrochenen Fuß entzogen. Ersatzplan war Schwimmen im Dantebad, ein letzter echter Sommerschwumm mit anschließendem Sonnenbaden, doch ich verspürte keine rechte Freude darauf. Mir ging’s ohnehin nicht so gut, und die Aussicht auf viele Menschen vor allem im Schwimmbecken trübte die Aussicht auf Gleiten durch Wasser. Also überlegte ich, was mir gut tun könnte. Gar kein Sport, statt dessen Rumgammeln? Nein, zu hohe Trübegefahr. Laufen? Ja, Laufen, also Bewegung ohne Menscheninteraktion, dafür in schönem Licht und mit Aussicht auf Seelenfrieden.
Ich machte mich fertig für einen Sommerlauf, erst ein drittes Mal dieses Jahr in kurzer Hose. Das Radeln zum Friedensengel wurde überraschend kompliziert: Schon vor dem Deutschen Museum waren Straße und Radweg gesperrt, ich kam nicht weiter an der Isar entlang und jenseits die Ludwigsbrücke. Eine Umleitung übers Deutsche Museum endete im Nirgends, ich radelte zurück und suchte mir selbst durchs Lehel einen Weg zum Friedensengel. Auf der Fahrt sah ich dann auch den Grund für die Sperrung: Isarinselfest.
Das Wetter war herrlich, in der Sonne nur einen Tick zu warm für ideales Laufwetter. Doch ich suchte den Schatten, immer wieder kühlte mich eine Brise. Der Körper spielt gut mit, an der gesperrten Föhringer Brücke lief ich der Umleitung für den Fahrradverkehr nach und entdeckte so ums Gebäude des Bayerischen Rundfunks ein weiteren schönen Teil des nördlichen Englischen Gartens, unter anderem den Oberjägermeisterbach.
Neu entdeckt: Oberjägermeisterbach.
Ein alter Bekannter, dessen Graffiti ich auch an den Bahnstrecken um Köln und Essen gesehen hatte.
Blick von der Emmeramsbrücke nach Norden.
Der Lauf hatte tatsächlich so gut getan wie erhofft. War mit ein dreiviertel Stunden ein bisschen zu lang ausgefallen (Körper war fertig, bevor Seelchen genug hatte), ich dehnte sorgfältig Beine, Hüfte, Po, Schultern, bevor ich heimradelte (wieder übers Lehel).
Frühstück kurz nach zwei: Fladenbrot mit Tomate, Apfelschlangerl. Das machte mich müde genug für eine kleine Siesta bei ohnehin gegen die Sonne herabgelassenem Rollladen.
Den restlichen Nachmittag verbrachte ich auf dem Markise-beschatteten Balkon in perfekter Sommertemperatur ohne Hitze, las Zeitung und Internet.
Ich hatte große Lust auf Yoga-Gymnastik, begann nochmal das diesjährige 30-Tage-Programm “Flow” von Adriene.
Nachtmahl: Als Vorspeise servierte ich Tomaten, Pfirsich, Basilikum. Als Hauptgericht hatte Herr Kaltmamsell Udon-Suppe mit viel Gemüse gekocht. Nachtisch Apfelschlangerl.
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In der Wochenend-Süddeutschen fand ich zwei große Artikel besonders informativ und gut, vielleich haben Sie ja Zugriff:
Einmal das Interview mit Katalin Karikó, die mit Drew Weissman den Nobelpreis für Medizin für ihre mRNA-Forschung bekommen hat, die letztendlich zu den Covid-19-Impfstoffen führte. In der gedruckten Süddeutschen lauteten das Thema und die Überschrift (€):
“Durchhalten”.
Das hatte bei mir die Befürchtung hervorgerufen, dass das framing mal wieder das irreführende “Du musst nur an deinen Träumen/Zielen festhalten, dann kannst du alles schaffen, hier ist der Beweis” sein würde. Irreführend, weil survivorship bias: Wir erzählen einander nur die Geschichten der Leute, die es tatsächlich geschafft haben. Und obwohl das Durchhalten oft Bedingung für den Erfolg war, taugt es halt nicht zum umgekehrten Beweis, dass es Erfolg garantiert (und wer es nicht schafft, halt nicht genug daran geglaubt hat): Die viel häufigeren Geschichten der Leute, die trotz allem follow your dream gescheitert sind, taugen lediglich nicht so zum Weitererzählen.
Doch Karikós Antworten sperren sich herrlich gegen das framing:
Ich wollte immer nur verstehen, wie etwas funktioniert und ob man es besser machen kann. Und es scheint, als sei mir das gelungen.
(…)
Während Ihrer Karriere haben Sie mehrmals den Job verloren, mussten Ihr Labor räumen, viele Ihrer Forschungsanträge wurden abgelehnt. Ihr Ehemann sagte einmal, Kati, du verdienst nicht mal einen Dollar pro Tag. Wenn es nicht Ehrgeiz ist: Was ist dann Ihre herausragende Eigenschaft als Wissenschaftlerin? Hartnäckigkeit?
Es stimmt, eine Weile ging es nur bergab. Ich habe unendlich viel gearbeitet, befördert wurden hingegen andere. Wäre es mir damals um Erfolg gegangen, hätte ich wahrscheinlich irgendwann aufgegeben. Aber ich habe Rückschritte nie ernst genommen oder versucht, jemandem die Schuld dafür zu geben, dass es nicht gut läuft. Ich habe mich einfach auf meine Arbeit konzentriert.
Inhaltliche Wissbegier also als Motivation und gerade nicht Glaube an Erfolg oder ähnlich Hollywood-taugliches.
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Den andere Artikel las ich im Wirtschaftsteil, und er erinnerte mich an eine spannende Geschichte, die ich vor Jahren im Guardian gefunden hatte und die anhand der Einwanderer-Gastronomie in UK den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss von Einwanderung nachgezeichnet hatte. Autorin Lisa Nguyen recherchiert dieses für das deutscheste aller Einwanderungsgerichte, den Döner (€):
“Einmal mit alles”.
Wie viele Dönerläden es in Deutschland gibt, dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Ein Vertreter der Düzgün-Gruppe, einer der größten Dönerfleischproduzenten Deutschlands, schätzt die Zahl auf rund 18 000 Läden. Viele Besitzer kamen aus der Türkei nach Deutschland und betreiben ihre Buden hier bis heute, einige werden inzwischen von den Kindern oder Enkelkindern geführt. Und ihre Überzeugungen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Der Artikel berichtet auch, warum die Dönerläden in Deutschland gerade Anfang der 1980 so schlagartig aufkamen:
Mit dem Einbruch der Weltwirtschaft erfolgte 1973 auch der Anwerbestopp, doch zu diesem Zeitpunkt waren viele Familien aus der Türkei bereits nachgekommen und hatten sich hier niedergelassen.
Verschärft wurde die Lage der Gastarbeiter durch den sogenannten „Lummer-Erlass“ in Westberlin, den Seidel in seiner jüngsten Dönerabhandlung beschreibt. Berlins früherer Innensenator Heinrich Lummer kündigte 1981 an, dass Ausländer, die weniger als fünf Jahre in Deutschland lebten und weder eine Ausbildung noch eine Arbeit hatten, ausgewiesen werden sollten.
Der Druck auf Tausende Familien stieg, die Selbstständigkeit war für viele der einzige Ausweg, um im Land zu bleiben. Der Dönerstand, der Gemüseladen oder die Änderungsschneiderei sicherten nun das Familieneinkommen – und den Aufenthaltsstatus.
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Viele Bloggerinnen müssen einfach bloggen – auch nach Aufgeben ihres ursprünglichen Blogs. Manche sprechen ihre Texte inzwischen als Reel in die Kamera, andere schreiben Newsletter, wieder andere nutzen die Textmöglichkeiten unter ihren Fotos auf instagram – wie Gedankenträger, die acht Jahren nach dem plötzlichen Tod ihres Sohns John an seinem 24. Geburtstag darüber schreibt, was das Mutterwerden mit ihr gemacht hat und wie sie diesen nicht gefeierten Geburtstag erlebte.