Archiv für Oktober 2024
Journal Mittwoch, 30. Oktober 2024 – Blumengeschenk und Großstadt-Deko
Donnerstag, 31. Oktober 2024Der Wecker riss mich aus tiefem Schlaf, ich stand sehr ungern auf (anscheinend brauche ich derzeit besonders viel Schlaf).
Das Draußen war zu dicken Nebel zurückgekehrt, mein Büroblick hätte eine Star-Rolle in einer Edgar-Wallace-Verfilmung übernehmen können.
Bis Mittag verflog der Nebel aber, nach einem Arbeitsvormittag mit viel Wuseln (wie es doch die Bürobewegung erhöhen kann, wenn man merhfach zum Drucker eilt, ohne aufs finale “Drucken” geklickt zu haben!) ging ich zu meinem Mittagscappuccino im Westend durch Sonnenschein.
Spätes Mittagessen, weil so viel SOFOCHT wegzuschaffen war (meine Perspektive, weil für nachmittags etwas Größeres anstand und ich dafür Zeit freimachen wollte): Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne mit Sojajoghurt – jetzt ist die erste Kiste Granatäpfel von Crowdfarming durch (Herrn Kaltmamsell zweige ich immer einen kleinen Anteil der rausgeprokelten Kerne ab). Und ich habe dieses Jahr wieder nicht übers Herz gebracht, die “Adoption” des Crowdfarming-Orangenbaums abzubrechen, werde also wieder drei Riesenkisten Orangen wegkriegen müssen.
Die Sonne hielt sich auch über den wusligen Nachmittag, ab 16 Uhr konnte ich etwas geordneter arbeiten.
Heimweg mit Abstecher in einem Blumenladen: Über das anstehende lange Wochenende wollte ich was Schönes anzusehen haben und schenkte mir einen Blumenstrauß.
Heimweg aber auch mit sauschlechter und gereizter Laune, ich möchte bitte ein Medikament dagegen.
Zu Hause Pilates, Brotzeitvorbereitung (nicht mehr so langwierig wie Granatapfelpulen).
Zum Nachtmahl brauchte Herr Kaltmamsell den Ernteanteil auf und erstellte aus Weißkraut und Kartoffeln Colcannon (Kartoffelbrei mit gebratenem Weißkraut). Wärmend und gut. Nachtisch adventliche Süßigkeiten, Schokolade.
Die Ellbogenlöcher in Herrn Kaltmamsells Haus-Strickjacke habe ich wohl das eine oder andere Jahr zu lang angesehen, ihr Durchmesser lässt sie mittlerweile wie Design und Laufsteg-tauglich wirken. Gestern bestellte ich ihm (nach Einholen von Einverständnis, nur Ja heißt Ja) einen irischen Nachfolger, um einen erfreulicheren Anblick zu bekommen (schönes Zeug da).
Früh ins Bett zum Lesen, neue Lektüre ist Percival Everett, James: Mark Twains kanonische Geschichte Adventures of Huckleberry Finn aus der Perspektive des Sklaven Jim erzählt, das hatte mich sofort gereizt (erinnert man sich eigentlich noch an Christine Brückners Wenn du geredet hättest, Desdemona?).
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Maximilian Buddenbohm erweist sich als pflichtbewusster Hamburger und besucht den Fischmarkt, damit sich jederzeit ausreichend dekorative Einheimische unter den Touristen bewegen:
“Maritime Stimmungsfragen”.
München ist in puncto Stadt-Deko schon auch rührig. Zwar ignoriere ich die jährlichen Aufforderungen, in anständigem Dirndl das Oktoberfest zu authentifizieren, erfülle meine Münchnerinnen-Pflicht aber durch Biergarten-Sitzen, Janker-Tragen und vor allem öffentliches Bayrisch-Sprechen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. (Die Auswärtigen wissen ja nicht, dass gebürtige Münchner*innen ihr Bayrisch fast alle verlernt haben und man am Dialekt treffsicher die zugezogene Provinzlerin oder vom Land identifiziert.)
Manchmal scheitert mein Auftritt allerdings: Wenn ich in der Rolle der “Ich wohne fei hier!” mit Einkäufen oder in Eile durch Besuchergruppen navigiere und darauf hoffe, dass ich vielleicht bestaunt werde (“guck, hier kaufen die Leute auch Frühstücksbrötchen!”), mir vor allem aber Platz gemacht wird.
Journal Dienstag, 29. Oktober 2024 – Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen
Mittwoch, 30. Oktober 2024Guter Nachtschlaf, allerdings Verwirrung, als ich um 5:42 Uhr aufwachte, überzeugt war, dass ich noch eine Stunde schlafen konnte und mich nach dem Klogang wieder hinlegte: Der Wecker klingelte planmäßig in dem Moment, in dem mein Kopf auf das Kissen traf um 5:45 Uhr.
Zu meiner Überraschung und Freude gab es zum Hellwerden klaren Himmel mit Mondsichel und Sternen.
Der Bürovormittag war mit reichlich Arbeit und Bewegung gefüllt, wie an den meisten Dienstagen waren die Büros gut besetzt. Mittagscappuccino bei Nachbars, dann spazierte ich weiter zu Discounter-Einkäufen. Die sonnige Luft roch kalt, war aber mild, ich genoss jeden Atemzug.
Spätes Mittagessen, weil Querschüsse: Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne mit Soja-Joghurt.
Emsiger Nachmittag, ohne dass ich mich hetzen musste. Feierabend in letzter Abenddämmerung, auf meinem Heimweg roch die Luft wunderbar.
Unterwegs weitere Lebensmitteleinkäufe unter anderem fürs Abendessen: Herr Kaltmamsell war aushäusig, ich musste mich selbst versorgen.
Leider hatte ich enorm schlechte Laune inklusive Bereitschaft, alles, jede und jeden schlecht und blöd zu finden.
Zu Hause Häuslichkeiten, nach Pilates und Brotzeitvorbereitung machte ich mir als Abendessen Nudeln mit frischen Tomaten und Paprika in Joghurtsauce – da keine kurzen Nudeln im Haus waren (Orecchiette zählen meiner Ansicht nach nicht, zu speziell), bediente ich mich an dem Berg Spaghetti, der sich durch Einkaufslisten-App-Fehlfunktion angehäuft hatte. Ein wenig Gelbe-Bete-Salat war auch noch da, Nachtisch Schokolade. Schon wieder aß ich insgesamt zu viel und wurde mit Bauchdrücken bestraft.
Früh ins Bett zum Lesen, ich wollte Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen wegbekommen, das mir auf die Dauer dann doch zu abgedreht saturnalisch war. Ich las es dann auch aus.
Die Romanhandlung umfasst 48 Stunden um die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien Ende Juli 1914 in Wien und dreht sich um vier sehr außergewöhnliche Personen:
– Der 17-jährige Hans, mit dem die Handlung einsetzt, ist gerade von dem Bauernhof in Tirol geflohen, auf dem er nach dem frühen Tod seines bürgerlichen Vaters seit Jahren schuften musste. Warum er trotz diesem Hintergrund fast ohne Dialekt sprechen kann und soviel gelesen hat, wird über die weitere Handlung hin erzählt.
– Klara, die gerade in Mathematik promoviert wird – aus bitterarmem Lumpenproletariat stammend. Dieser Widerspruch klärt sich auf den nächtlichen Streifzügen durch Wien, sie macht mit ihren Freunden Station an den wichtigsten Orten ihrer Vergangenheit. Hans trifft sie im Stiegenhaus von
– Helene, der resolute Psychoanalytikerin, wegen der er unbedingt nach Wien wollte. Ihre Geschichte wird in einem eigenen Kapitel erzählt.
– Adam, junger Sohn einer adligen Militärfamilie, mit Klara befreundet und Patient von Helene, der von Kleinkindbeinen an brutal auf eine Offizierskarriere gedrillt wurde. Auch seine Geschichte wird in eigenen Kapiteln erzählt.
Um sie herum tobt Kriegsbegeisterung, ganz Wien ist im Taumel. Die drei absolvieren ein Abendessen bei Adams Familie, auf dem alte, hohe Offizielle die Kriegslage diskutieren. Dann ziehen sie los durch die Wiener Zwischenwelt von Homosexuellen und Drogen. Dazwischen diskutieren sie ausführlich Klassenfrage und Weltlage. Was sie verbindet, sind übersinnliche Wahrnehmungen.
Das alles ist rauschhaft mit vielen Details erzählt, politische Diskussionen wechseln sich ab mit tumultartigen Schlägereien, Orgien, Wahn, am Ende wird Klaras Rigorosums-Vortrag über die Inkommensurablen seitenlang wörtlich wiedergegeben. Mir wurde schon klar, dass die Erzählweise das Durcheinander direkt vor Kriegsausbruch spiegelte, die Gleichzeitigkeit von allem Nicht-Alltäglichen, den irrationalen Kriegsrausch. Doch mir war das insgesamt einfach zu viel, zu konstruiert: Ich kam keiner Figur, keinem Ort und keinem Thema (eingebaut sind auch Suffragetten und Zwölftonmusik) nahe.
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Entdeckung auf instagram (Beifang aus dem beruflichen Pressespiegel: Der Tagesspiegel hatte “Vermittlungskünstler” aus der Forschung vorgestellt.):
robinga_schnoegelroegel, Plantfluencer, informiert zu Biodiversität.
Hier sein Rant zu Zuchtsorte aus dem Supermarkt und ihre ökologische Auswirkung auf den heimischen Garten.
Journal Montag, 28. Oktober 2024 – Ausflug nach Neuperlach
Dienstag, 29. Oktober 2024Eher unruhige Nacht, verkraftbar nach all dem guten Schlaf.
Das Draußen war zurückgekehrt zur Nebelsuppe. Bei der Morgentoilette hörte ich über den Innenhof unseres Wohnhauses einen Nachbarn deutlich übler husten als den gebeutelten Herrn Kaltmamsell, aber bei diesem Nachbarn handelte es sich mutmaßlich um den Herrn, der mit starkem Rauchen nachhilft.
In der Arbeit schaffte ich schnell so viel weg wie möglich, stimmte mich mit relevanten Team-Mitgliedern ab, nahm am ersten Teil einer wöchentlichen Online-Runde teil – dann brach ich auf zu meinem Termin Myom-Sprechstunde in der Klinik Neuperlach.
Lange U-Bahn-Fahrt, das letzte Stück ging ich lieber zu Fuß, als mich vom Bus fahren zu lassen, ich wollte ein wenig Neuperlach sehen.
Der Termin involvierte doch einiges an Warterei, aber darauf war ich im Klinik-Betrieb vorbereitet. Die Fachärztin nahm sich viel Zeit fürs vorbereitende Gespräch, dann auch für die Untersuchung, ebenso fürs anschließende Besprechen der Untersuchung und möglicher Konsequenzen. Es stellte sich heraus, dass meine Gebärmutter mittlerweile von meinem (seit vielen Jahren bekannten) Riesenmyom und einigen kleineren Gefährten komplett vereinnahmt wurde, auf dem Ultraschall-Bildschirm war nichts zu sehen außer MYOM, Myome und Gebärmutterhals. Das bedeutet laut der Gynaäkologin: Entfernung der Wucherungen selbst unmöglich, doch auch die Entfernung mitsamt Wirts-Organ ist mit für mich überraschenden Risiken behaftet (Frau Dr. hatte tatsächlich Zahlen dazu im Kopf, ich war beeindruckt). Ich werde nachdenken müssen.
Erst nach eins stand ich wieder draußen – und freute mich über einen weiteren Sonnentag, der es durch den Nebel geschafft hatte.
Der Himmel über Neuperlach, für mich ein sehr selten besuchtes und deshalb exotisches Stadtviertel Münchens. Doch mir war die lebendige Atmosphäre mit vielen bunten Menschen sofort sympathisch, das viele Grün half ebenfalls, architektonisch fand ich die verschiedenen Wohnblock-Epochen interessant.
Zurück im Büro stürzte ich mich kurz vor zwei exterm hungrig auf meine Brotzeit: Roggenvollkornbrot, Granatapfelkerne.
Dann schaffte ich ordentlich was weg, kam gut durch bis zum Feierabend, musste allerdings selbst an diesem sonnigen Tag die letzte halbe Stunde das Licht im Büro einschalten.
Herr Kaltmamsell muss diese Woche nicht in die Schule und kann seine Zeit frei einteilen: Er hatte die Einkaufsliste leergekauft, ich ging direkt nach Hause. Dort Blumengießen, Wäscheaufhängen, eine halbe Stunde Pilates, Brotzeitvorbereitung.
Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aufgewärmt die zweite Runde Gänsebraten mit Semmelknödelfüllung, wieder sehr gut. Auch Gelbe-Bete-Salat war noch da. Nachtisch Nusskuchen und Schokolade.
Früh ins Bett zum Lesen.
Journal Sonntag, 27. Oktober 2024 – Vorübergehender Sonnensieg
Montag, 28. Oktober 2024Ist mir möglicherweise noch nie passiert: Ich hatte morgens das Ende der Sommerzeit vergessen. Beim Aufwachen zeigte mein Nicht-Funk-Wecker sieben Uhr an, das passte zu meinem Gefühl des Ausgeschlafenseins. Doch später nach Spülmaschine-Ausräumen und Milchkaffeekochen war es auf meinem Handy 20 nach 6, dasselbe zeigte der Laptopbildschirm an. Wo es doch draußen bereits sichtbar tagte? Erst jetzt erinnerte ich mich an den Grund. Und aktualisierte die Uhren an Mikrowelle und Backofen, im Bad und Schlafzimmer.
Beim Aufwachen zogen gerade meine Nasenschleimhäute wieder zu: Am Vortag hatte ich mir einen Chlorschnupfen aus der Hölle geholt und zum Schlafen Nasenspray gebraucht. Herr Kaltmamsell wiederum hustete und schnupfte echt und infiziert, der ärmste, sein Husten klang schon ganz mut- und kraftlos.
Nach Bloggen und der Zubereitung von Gelbe-Bete-Salat (Ernteanteil) fürs Abendessen war ich also in neuer Zeitzählung schon um halb zehn fertig für meinen Isarlauf. Zu meiner Begeisterung hatte sich gerade jetzt der Hochnebel verzogen und die Sonne durchgelassen. Ich konnte mich schier nicht für eine Strecke entscheiden, denn auf allen meinen gewohnten gab es Ansichten und Aussichten, die ich gern bei diesem Licht und zu dieser Jahrezeit sehen wollte. Es wurde dann die Strecke direkt weg von der Haustür über den Alten Südfriedhof Richtung Thalkirchen und zurück.
Ich hoffte mit leichtem Zagen auf Lauftüchtigkeit, nachts war ich einmal mit besonders heftigen Kreuzschmerzen bis ins Bein aufgestanden. Doch das hatte keine Auswirkungen, erst gegen Ende meiner gut 100 Minuten zwickte das Kreuz ein wenig. Als sich auf Höhe Maria Einsiedel auch die ersehnte Leichtigkeit in Beinen, Herz und Kopf einstellte, erfüllte mich tiefe Dankbarkeit für die Körpertüchtigkeit, die mir das ermöglichte.
Erste Ahnung, dass es die Sonne schaffen könnte.
München strömte umgehend ins endlich sonnige Draußen, die Weg füllte sich schnell mit Menschen an Hundeleinen, Jogger*innen, Spaziervolk, Sonnensitzer*innen.
Frühstück kurz nach eins: Kartoffelsalat mit Majo, Roggenvollkornbrot mit Tomate, Nusskuchen (etwas zu viel). Kurze Siesta, dann Zeitunglesen und Romanlesen im Wohnzimmer – ich musste den Rollladen ein wenig herablassen, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden!
Ab Nachmittag roch es köstlich in der Wohnung: Herr Kaltmamsell briet auf meinen Wunsch fürs Nachtmahl die erste Gans der Saison. Sie war gerade gar, als ich eine Runde Pilates durchgeturnt hatte.
Bei Geflügel ergänzen sich Herr Kaltmamsell und ich perfekt: Er kommt aus einer Brust-Kultur, ich aus einer Schenkel- und Knochenfiesel-Kultur. Also holte ich mir Keule und Flügel der Gans, er bekam eine Brust, beide bedienten wir uns an der Semmelknödel-Füllung, als Gemüse hatte ich ja Gelbe-Bete-Salat vorbereitet. Schmeckte alles hervorragend – und es blieb reichlich für mindestens eine weitere Mahlzeit übrig. War dann aber doch so viel, dass nur ein winziges Stück Schokolade hinterherpasste, eher aus medizinischen Gründen.
Früh ins Bett zum Lesen, weiter Vergnügen an der Lektüre von Raphaela Edelbauers Die Inkommensurablen und Formulierungen wie:
“Gelbe Barockfassaden standen in der Sonne wie geschmückte Pfingstochsen.”
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“Der Straßenverkehr ist ein Kriminalitätsschwerpunkt”.
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Ein schöner Artikel über Kommunikation in Fremdsprachen, mir als Teil einer vielsprachigen Familie mit nicht immer klar abzugrenzenden Überschneidungen ist das vertraut.
“Austausch an der Adria
Jedes Verstehen ist ein Gruppenerfolg”.
Es gibt auf Reisen mehr als Verstehen und Nichtverstehen. Reden in zwei verwandten Sprachen, von denen jede Person am Tisch nur eine spricht, fühlt sich an, als würden zwei Züge in gegensätzliche Richtungen aneinander vorbeifahren. Man nimmt Schemen und Fetzen wahr, ein bisschen Wahrheit und eine Kaskade von Irrtümern. Die jüngere Frau: „Mein Vater lebt in Deutschland.“ Ich: „In welcher Stadt in Deutschland?“ „Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart …“ „Nein, ich meine, wo lebt dein Vater?“ „Wieso mein Vater? Mein Vater ist tot.“ Samuel Beckett hätte seine Freude gehabt.
Aber unser absurder Diskurs hat auch eine merkwürdige Poesie. Wir wiederholen uns in Endlosschleife, langsam und betont wie Betrunkene. Wenn nichts geht, lächeln wir und trinken mehr Kaffee.
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Es mag eine Art Aberglaube sein: Je mehr Berichte ich von Menschen lese, die sterbende Angehörige begleitet haben, desto weniger schlimm wird dieses Begleiten für mich werden. Dabei weiß ich doch, dass es Gefühle gibt, auf die ich mich nie werde vorbereiten können. Dennoch hier weitergereicht sieben Geschichten, die Angehörige vom Sterben erzählen:
“Protokoll: ‘Ich habe mir das Sterben irgendwie unwürdiger vorgestellt'”.
Hier noch einer, der bei “Daß ich weder den Tag noch die Stunde kenne” nicht an sein eigenes Ende denkt, sondern an den der allerliebsten.
“Von einer großen Liebe bleibt auch,”.
Journal Samstag, 26. Oktober 2024 – Energischer Hochnebel, Kulinaritäten
Sonntag, 27. Oktober 2024Nach gutem und reichlichem Nachtschlaf gab es Mokkatorte zum Frühstück: Ich hatte am Vorabend bereits die Kuvertüre für das Überziehen des Haselnusskuchens bereitgestellt, und zwar in einer Tasse für Milchkaffee. Schmelzen in der Mikrowelle (seltener Einsatz), Kuchen rundum bepinselt – und in diese Tasse goss ich dann Espresso und geschäumte Milch. Eine üppige Mahlzeit.
Herr Kaltmamsell ließ sich später zum Frühstück zwei Scheiben servieren und kam zu demselben Ergebnis wie ich beim Kosten am Nachmittag: Guter Haselnusskuchen, aber nicht besser als unsere bisherigen Rezepte. Meine Erkenntnis: Nussgebäck mag ich am liebsten in Form von Hefezopf.
Nach dem Bloggen kochte ich Kartoffeln zur Verwertung der restlichen Majonese, setzte Hefeteig für die Pizza am Abend an, der im Kühlschrank gehen sollte.
Telefonat mit genesendem Familienmitglied: Endlich die erlösende Nachricht deutlicher, sogar schlagartiger Besserung, es fiel der Begriff “Wunder”; da wir beide aber nicht gläubig sind, er zumindest nicht katholisch, fiel uns nicht gleich ein Heiliger oder eine Heilige ein, der wir ein Votivtäfelchen pinseln könnten.
Draußen war es wieder hochneblig düster, aber mild. Ich radelte zum Olympiabad.
Am Stiglmaierplatz: Über dieses Kunstprojekt “Mash & Heal” von Folke Köbberling hatte ich bereits im Blog von Heiko Bielinski gelesen. Der scheinbare SUV wurde “aus einem selbsthergestellten kompostierbaren Verbundstoff aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt”. Der Zersetzungsprozess bis Oktober 2025 ist Teil des Projekts – da ich auf dem Weg zum Schwimmen regelmäßig daran vorbeikomme, bin ich schon gespannt auf den wechselnden Anblick. Gestern kehrte ich fürs Foto um (es brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff, was ich da gesehen hatte): Auf dem Heimweg würde ich nicht so nah dran vorbeifahren.
Die Schwimmrunde im eher mehr frequentierten Olympiabad war anstrengend, es wollte sich nicht so recht das Vergnügen an der Bewegung und dem Wasser einstellen. Außerdem zwickte und stoch es heftig im Kreuz, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite.
Direkter Weg nach Hause (zweimal abspringen vom Rad für Ohrenzuhalten – wo die so schmerzhaft tutenden Polizeiautos an der nahezu leeren Kreuzung doch eh grün hatten!), dort gab es kurz vor zwei Frühstück: Roggenvollkornbrot mit Butter und Tomate, Nusskuchen.
Dann machte ich mich gleich wieder auf den Weg zur U-Bahn: Ich war am Rotkreuzplatz mit einer genesenden Freundin verabredet. Wir saßen vorm Garibaldi und tranken Cappuccino (gut!), auch hier gute Gesundheitsnachrichten.
Für den Nachmittag war ein Lichten des Hochnebels angekündigt. Das trat nicht ein. Ich begleitete die Freundin noch in ihr Neuhauser Zuhause, nahm dann eine U-Bahn zurück.
Daheim bereitete ich Schmalspur-ensaladilla zu (Kartoffeln, Möhren und Erbsen aus dem Glas, Majo), las dann Wochenend-Süddeutsche – die mir Herr Kaltmamsell auf seiner Einkaufsrunde besorgt hatte, Freitag und gestern war mein Briefkasten leer geblieben.
Nach Sonnenuntergang begann ich nochmal die Pilates-Woche mit Gabi Fastner (obwohl das der vierte Durchgang ist, hatte ich bereits alles vergessen und war nicht gelangweilt), dann stellte ich die Pizza fertig. Zur Vorspeise gab ein wenig ensaladilla.
Hmja, ist mir schon besser gelungen: Der Teig war zu hart geworden. Dazu ein Glas spanischer Rotwein. Nachtisch Schokolade.
§
Hans Well fasst in der Süddeutschen die Misere der deutschen Automobilindustrie zusammen, und ich begreife einfach nicht, warum das eine Minderheiten-Erkenntnis ist (€):
“Die Fossilen”.
„Der Deutsche“ verschnarchte im Schlaf des Selbstgerechten entscheidende Entwicklungen. Konzeptstudien auch für E-Autos verschwanden offenbar zugunsten immer größerer SUVs in Schubladen; frustrierte E-Ingenieure gingen samt technologischem Know-how nach China, wo man ihre Ideen umsetzte. Deutsche Auto-Krattler setzten derweil kriminelle Energien zum Pratzln von Diesel-Kunden um.
Lang lief es ja unter der „Klima“-Kanzlerin für deutsche Autofirmen rosig. EU-Abgasregeln wurden regelmäßig nach deutschen Regeln geregelt. Schadstoffverursacher formulierten EU-Wunschwerte gleich selber. Zahlreiche Lobbyisten verhinderten mit Politikspezln in EU-Kommissionsberatungsgruppen wie Cars 21 schärfere Teststandards. Dabei hätten diese den Dieselskandal der deutschen Rosstäuscher wohl verhindert.
(…)
Minis wuchsen zu Maxis, obwohl die Reichweite von Batterien bei Viertonnern schmilzt wie Grönlandeis; der Klimawandel scheint der Autoindustrie eh wurst zu sein – man hofft wohl auf Märkte für Amphibienfahrzeuge.
(…)
München würde, statt Feinstaub zu bekämpfen, womöglich am liebsten der IAA am Marienplatz auch noch das Rathaus als Showroom bieten. Dabei dräut ab 2025 ein CO₂-Flottenwert der EU von 100 g/km. Das weiß VW schon lange, sieht aber trotz der Überschreitung darin kein Problem, weil die Chefetage gesichert ahnt, dass sie sich auf Lobbyisten und Politiker beim Verhindern von EU-Strafzahlungen verlassen kann.
Dass Politik und Autolobby damit die überlebenswichtige Transformation auf die automobile Neuzeit gefährden, könnte einem am Kotflügel vorbeigehen, wäre Massenarbeitslosigkeit kein potenzieller Turbolader für eine AfD, die schon jetzt bei 18 Prozent steht. Dabei läge es doch im Eigeninteresse aller Parteien, E-Fuel- und Antiverbrenner-Populismus einzustellen und dieser deutschen Schlüsselindustrie mit klaren Leitlinien auf die Sprünge zu helfen.
Und nein: Diesmal geht es nicht darum, dass man hinterher immer schlauer ist. Diese Stimmen und Hinweise samt Belegen gibt es seit Jahrzehnten.
§
Aber: Klimakatastrophe Schmimakatastrophe, kommen wir zu den wahren Skandalen. In England hat sich ein Betrüger 22 Tonnen handwerklich hergestellten Cheddars erschlichen, die hoch geschätzte Neal’s Yard Dairy steht vor großem Schaden.
“Cheesemakers in shock as £300,000 of produce stolen in sophisticated scam”.
The 950 stolen cheeses were Hafod Welsh organic cheddar, Westcombe cheddar, and Pitchfork cheddar, which have won a number of awards and are among “the most sought-after artisan cheeses in the UK”, Neal’s Yard Dairy said.
Jamie Oliver hat zur Unterstützung der Polizei-Ermittlungen aufgerufen.
(Wo zum Henker will der Betrüger seinen Käse gewinnbringend verkaufen? Der Betrug hat sich doch sofort in der Feinschmecker-Community herumgesprochen! HANDELT ES SICH UM EINE AUFTRAGSTAT?!)
Journal Freitag, 25. Oktober 2024 – Neue Backform, neuer Zauberstab (und persönliche Gottschalk-Erinnerungen)
Freitag, 25. Oktober 2024Eigentlich wundert mich eher, dass mir das nicht öfter passiert: Einen Entwurf dieses Posts habe ich gestern Nachmittag versehentlich veröffentlicht, durch “privat”-Stellen gleich wieder offline genommen. Ich bitte um Nachsicht für die Verwirrung.
Wieder vom Weckerklingeln geweckt, diesmal aber zumindest mit der Aussicht: Morgen und übermorgen zweimal NICHT!
Zum Abschluss der Morgentoilette beduftete ich mich endlich wieder mit meinem aktuellen Lieblingsparfum Eidesis (so schön trocken holzig!): In den Monaten davor hatte ich eine stark duftende Körperlotion verwendet, das wollte ich nicht mischen. (Kürzlich im Nachruf auf einen exzentrischen Parfumhändler gelesen, er habe jeden Tag ein anderes Parfum verwendet – und schon konnte ich mir keinerlei Duft-Kompetenz bei ihm vorstellen, welch grauenhaftes Durcheinander selbst bei täglicher gründlicher Körperreinigung -> Kleidung!)
Münchner Humor.
Das Draußen wurde nur zögerlich hell, ließ weitere Erleuchtungen nach der Stufe Lesen-ohne-Lampe-möglich bleiben, Hochnebel.
Emsiger Vormittag, in dem ich mich auch um Dinge kümmern konnte, die niemand im Blick hat (und die nur wichtig würden, wenn irgendwann jemand entdeckte, dass sich seit Jahren niemand darum gekümmert hat).
Bester Mittagscappuccino im Westend, auf dem Rückweg Brotkauf. Vielleicht nehme ich irgendwann das automatische Angebot der Angestellten an, dieses Brot in Scheiben schneiden zu lassen – einfach um herauszufinden, was ein Bäckerei-Brotschneideautomat aus einem frischen und sehr feuchten Roggenvollkornbrot macht, mein Tipp: Matsch.
Mittagessen später am Schreibtisch: Fenchelsalat (Ernteanteil), Roggenvollkornbrot.
Dysfunktionalitäten. Ich möchte bitte ein Schild “Notbetrieb” für meinen Schreibtisch und die Auswahl eines solchen Status auf MS Teams. Für alle Fälle.
Ab zwei schob die Sonne den Hochnebel immer weiter weg, doch bevor es richtig sonnig werden konnte, übernahm schon wieder der Hochnebel.
Zäher Arbeitsnachmittag, auch der endete irgendwann in Feierabend.
Über ausführliche Lebensmitteleinkäufe für Abend und Wochenende ging ich nach Hause: Vollcorner, Verdi – inklusive Schwatz mit der Frau an der Kasse von immer über das ständige Wechseln zwischen Sprachen. Diesmal aktualisierte ich die Einkaufslisten-App ganz, ganz oft, um Doppelbesorgungen wie am Freitag zuvor zu vermeiden.
Wie geplant machte ich mich daheim erstmal ans Backen: Die neue 30-cm-Kastenform sollte mit Nusskuchen getestet werden, ich hatte mich für dieses Rezept aus einer Kommentarempfehlung entschieden.
Auch für Teil 1 des gestrigen Nachtmahls hatte ich mich verantwortlich gemacht: Artischocken mit Knoblauch-Majo. Während die Artischocken im kochenden Wasser garten, weihte ich den neuen Zauberstab ein, Spielanleitungs-gemäß verwendete ich die Schlagscheibe für die Idioten-Majo.
Zutaten in Becher (der neue Zauberstab kam mit einem neuen, durchsichtigen). Zauberstab langsam versenken.
Zwischenrgebnis zwei Sekunden nach Einschalten. Zauberstab langsam hochziehen, dann so lange bewegen, bis kein Öl mehr sichtbar ist.
Majo fertig. Ein Drittel davon mischte ich mit reichlich Joghurt, würzte mit Salz, Pfeffer, frisch gepresstem Knoblauch.
Als Aperitif gab es von Little Crab Orangenwein und Wermut – als Probiererl vor einem Jahr von der Herstellerin geschenkt.
Nachtmahl, Teil 1: Zur Artischocke hatte ich den mallorquinischen Weißwein Nounat bestellt, den Frau Brüllen empfohlen hatte, den ich in Port d’Alcúdia sogar gesehen hatte – allerdings in einem geschlossenen Weinladen. Jetzt wollte ich aber endlich! Stellte sich heraus, dass diese Cuvée aus Prensal Blanc und Chardonnay tatsächlich sehr elegant und besonders schmeckt – und hervorragend zu den Artischocken passte.
Als Teil 2 hatte ich mir Pfefferleber gewünscht, die Herr Kaltmamsell aus Kalbsleber briet, wunderbar. Nachtisch Süßigkeiten, Schokolade.
Dazu ließen wir im Fernsehen Addams Family von 1991 laufen – und stellten fest, dass wir diesen ersten Teil überraschenderweise viel weniger kannten als die Fortsetzung – dabei war das SO eine Erleuchtung damals im Kino!
Nach dem enttäuschenden Dusse hatte ich noch Donnerstagabend in die nächste Lektüre reingelesen, wieder termingerecht bereitgestellt von der Münchner Stadtbibliothek: Raphaela Edelbauer, Die Inkommensurablen. Und war im Wien des späten 19. Jahrhunderts gelandet – für meinen Geschmack ein wenig zu faktendicht erklärend, aber ich wollte umgehend wissen, wie es mit dem 17-Jährigen vom Land weitergeht.
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Ich habe ja das Glück, dass mein Thomas Gottschalk der prä-Wetten-dass ist, den man nur als Alte und als damalige Hörerin von Bayern 3 kennt. Seine Sendung Pop nach acht lehrte mich internationales Pop-Geschäft, sein Tonfall und die Art seiner Interviews mit Studiogäste waren anders als alles, was ich je im Radio gehört hatte. Gottschalk sprang auch in anderen Sendungen ein. Unvergessen, wie ich Mitte der 1980er mal aus der Schule heimkam, im Radio (bei uns lief damals sehr viel Radio, immer Bayern 3) die mittägliche Sendung “Schlagerkarussel”. Eine Dame sang gerade leidenschaftlich “Wer Liebe will, muss auch Liebe geben”, woraufhin sich eine Moderatorenstimme einschaltete (allein das war unerhört: mitten in die Musik reinzusprechen!): “Da könnte ja jeder kommen: ‘Wer Eier will, muss auch Eier legen’.” Der eingesprungene Thomas Gottschalk, und Radiohören war nie wieder wie vorher.
Dann die Zeit in den nur wenig späteren 1980ern, in der Gottschalk mittags die “B3-Radioshow” mit Günther Jauch machte: Doppelmoderation bei der Übergabe, auch etwas, was es zumindest für mich vorher nicht gegeben hatte – und Jauch kannte ich aus der Sendung “Morgentelegramm”, wo er mir durch seine Sachkenntnis und sein unbeirrbares Nachhaken in Interviews aufgefallen war.
Während dieser Zeit, 1987/1988, arbeitete ich selbst beim Privatradio. In den Büros lief natürlich der eigene Sender (genauer: liefen die drei Sender, die sich über den Tag abwechselnd die Frequenz teilten, es waren die wilden Anfangszeiten des Privatsendertums) – nur zwischen 13 und 14 Uhr wurde auf Bayern 3 umgestellt, und wir klebten an jedem Wort. Alle wollten wir moderieren wie Thomas Gottschalk, so witzig und schlagfertig. (Und journalistisch wollte ich sein wie Günther Jauch – weiß man heute ja gar nicht mehr, dass Jauch als richtiger Journalist angefangen hat.)
1988 ging ich nach Augsburg zum Studieren, lebte die nächsten zehn Jahre ohne Fernseher, hörte im Radio vor allem Nachrichtensendungen und Hörspiele: Thomas Gottschalk war ab dann nicht mehr Teil meiner Welt (na gut, bei meinen Eltern habe ich sicher die eine oder andere Folge “Wetten dass” gesehen, zumindest habe ich Gottschalk in abenteuerlichen Stylings vor Augen).