Journal Freitag, 20. Dezember 2024 – Ackern in die Weihnachtsferien, rape culture

Samstag, 21. Dezember 2024 um 7:33

Unruhiger Schlaf (unter anderem fiel mir ein, dass ich ein Weihnachtsgeschenk vergessen und nicht eingepackt hatte), müde aufgestanden. Letzter Marsch in die Arbeit vor Weihnachtferien in Nachtdunkel, zumindest hatten sich Sturm und Regen gelegt.

Letzter Tag vor Weihnachtsferien in ungewöhnlich hohem Arbeitsturbo. Eine Ursache: Menschen, die eigentlich diese Woche schon in Weihnachtsurlaub waren, arbeiteten in diesem Urlaub durch. Hat auf eine Assistenz ähnliche Auswirkung wie durchgearbeitete Wochenenden von Schnittstellen. Also verbrachte ich die ersten anderthalb Stunden im Büro mit Aufarbeiten der Nacht. Als immer weitere Querschüsse reinkamen, schaltete ich einfach schon mal die Abwesenheitsnachricht ein – ein bisschen hilflos, denn bei zu vielen anderen bedeutete sie ja offensichtlich keineswegs das, was drinstand (“Ich bin derzeit nicht im Büro und lese meine E-Mails nicht.”). Warum sollte sie also jemand ernst nehmen?

Zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben fürchte ich mich vor dem ersten Arbeitstag nach Weihnachtsferien. Bisher konnte ich mich darauf verlassen, dass in diesen einen Ferien im Jahr wirklich, wirklich nichts passieren würde (Krisen ausgenommen), in dieser Zeit war alles zu, tat überhaupt niemand etwas. Dieses Jahr muss ich davon ausgehen, dass andere auch in diesen beiden Wochen das Arbeiten nicht sein lassen.

Mittagscappuccino an der Theresienhöhe. Es war geradezu winterlich kalt. Auf dem Hinweg traf ich auf den einstigen Sandkastenfreund jetzt Arbeitskollege (und NICHT bei Audi!), wir tauschten Weihnachtspläne mit Ingolstädter Familie aus.

Café-Szene, im Vordergrund auf einer Holztischplatte eine Tasse Cappuccino, daben liegen Mütze und Fingerhandschuhe, dahinter ein goldenes Bäumchen, im Hintergrund Menschen an Café-Tischen, dahinter Wand-große Fenster, durch die moderne Gebäude sichtbar sind

Abschied von Weihnachtsdeko.

Auf dem Rückweg sprach mich ein Kameramann mit Mikrofrau an: Straßenumfrage fürs Lokalfernsehen zu Weihnachten. Und seit ich als junge Lokalradio-Volontärin bei Straßenumfragen so froh war um jede*n Angesprochene*n, die nicht wegliefen, bleibe ich bei sowas immer stehen und spiele mit. Auf dem Stück bis ins Büro fiel mir die weihnachtlichste meiner Straßenumfragen ein: Wie ich Weihnachten 1987 Ingolstädter*innen dazu brachte, mir Weihnachslieder ins Mikrophon zu singen. (Später suchte ich sie daheim raus: Wenn Sie nachhören möchten, bitte schön.) (Mit falscher Grammatik für indirekte Rede.)

Zu Mittag gab’s am Schreibtisch Pumpernickel mit Avocado.

Später vorm Bürofenster ein Schauer Schneegriesel, abgelöst von einer Phase mit Deko-Flöckchen.

Wie geplant machte ich um drei Feierabend, also noch bei echtem Tageslicht. Allerdings ackerte ich bis zur letzten Minute (konnte aber noch unerwartet Dinge abschließen).

Auf dem Heimweg reichlich Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner. Zu Hause kam ich im immer noch Hellen an. Es war noch Zeit für Plaudern mit Herrn Kaltmamsell, draußen schneite es kurz. Zeit für eine halbe Stunde Yoga-Gymnastik, ein zackiger Flow. Mittlerweile habe ich erfahren, dass es im Januar 2025 kein neues 30-Tage-Programm mit Adriene geben wird, mal sehen, wie ich weitermache.

Für den Abend hatte ich einen Tisch für Herrn Kaltmamsell und mich im Neni reserviert.

Dort gab es Alkohol, auf den ich mich sehr gefreut hatte, in Form von Sicilian Spritz (Bitterorange) und Amalfi Spritz (Zitrone), außerdem ließen wir uns das Menü mit einmal alles servieren. Berlin-Vibes, als einer der Kellner, dessen Deutsch akzentfrei klang, mit uns meist Englisch sprach.

Gelbe Leuchtschrift "Neni München" an einer Betonwand in einem wenig beleuchteten Gastraum

Etagere auf einen Tisch mit grauer Oberfläche, gefüllt mit den Speisen, die unterm Foto beschrieben sind

Die Vorspeisen von oben: Lachs-Sashimi, Babaganoush, Falaffel, dazu hervorragendes Pitta. Als Hauptspeise kamen die drei Teller Sabich (gebackene Aubergine), gebratene Dorade (im Ganzen, aber ohne Gräten – ich war sehr beeindruckt), Hühnchen mit Hummus und Paprika – alles wunderbar.
Auf einem Brettchen der Nachtisch: Cheese cake und Sesam hoch 3 bestehend aus geröstetem Sesam, Muscovado-Eis, Halva-Spänen.

Zu Hause gab es noch Espresso (koffeinfrei) und Schnaps, den guten Enzian – wirklich aromatisch, warum ist der in Vergessenheit geraten?

§

Ich ringe immer noch um Worte für das, was Gisèle Pelicot angetan wurde – und für meine Bewunderung ihrer menschlichen Größe, ihrer Selbstlosigkeit, ihres unfassbaren Muts, den Prozess gegen die Täter für das Ziel zu nutzen: Die Scham muss die Seite wechseln. So konnte im Gerichtsprozess jeder sehen, dass sich Männer an einer bewusstlosen Frau vergingen. Ganz normale Männer aus der Nachbarschaft, keine Monster, die nachts aus einem Busch sprangen. Und nicht zwei oder drei, sondern über 80. Sowie ihr eigener Ehemann, der sie im Internet dafür anbot.

Gisèle Pelicot nahm durch den öffentlichen Prozess in Kauf, dass auch sie als Opfer sichtbar wurde – einer der häufigsten Gründe, warum Frauen sexualisierte Gewalt gerade im beruflichen Umfeld nicht anzeigen: Sie wollen nicht für alle Zukunft über diese Gewalt definiert werden. Dieser öffentliche Prozess hat hoffentlich endgültig damit aufgeräumt, dass Vergewaltigung irgendwas mit Erotik zu tun hat, mit zu kurzem Rock, zu tiefem Ausschnitt – mit irgendwas, was die Schuld auf die Seite des Opfers schiebt. Es gab sehr wohl Männer, die bei den Pelicots zurückschreckten, als sie die Bewusstlosigkeit des Opfers bemerkten. Doch keiner von ihnen hat Gisèle geholfen und ihren Mann gemeldet.

Und dann wurde dieser Tage auf der Messenger-Plattform Telegram ein weiteres Vergewaltiger-Netzwerk aufgedeckt, die Opfer stammen wieder aus dem engsten Familienkreis. Das ist die Hauptbedrohung für Frauen, der Fall Pelicot ist eben kein grotesker Einzelfall. Kein Mann kann sich hinter dem Selbstbetrug verstecken, dass es in seiner Umgebung sicher keine Vergewaltiger gibt: Der schlechte Vergewaltigungs-Witz des Kollegen ist wirklich nicht lustig, sondern Symptom für eine Geisteshaltung, die solche Vergewaltiger-Netzwerke ermöglicht. DAS meinen wir Feministinnen mit rape culture. Gisèle Pelicot ist zu verdanken, dass das niemand mehr bestreiten kann. Danke.

Post auf Mastodon von @irritationshintergrund: "Es ist schon komisch, dass jede Frau ein Opfer kennt, aber kein Mann einen Täter"

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Freitag, 20. Dezember 2024 – Ackern in die Weihnachtsferien, rape culture

  1. Sonni meint:

    Es gibt Vergewaltigungswitze? Wahnsinn. Wer erzählt die, und wer lacht darüber???

  2. Joël meint:

    Ich bin ja eher ein Fan von Enzianlikör, wie er in Frankreich viel getrunken wird, zum Aperitif. Suze ist der wohl Bekannteste.

    Gisèle hat meine volle Bewunderung für den Mut es so an die Öffentlichkeit zu bringen, wie sie es tat. Ich weiß nicht ob ich das gekonnt hätte.
    Aber mit dem Posting am Ende von Irritationshintergrund bin ich nicht einverstanden. Solche pauschalisierenden Zitate empfinde ich immer als höchst kontraproduktiv in einer Diskussion, in der es um Gleichberechtigung geht.
    Ich kenne in meinem persönlichen Umfeld Frauen UND Männer, die Opfer von Gewalt und Vergewaltigung sind und ich kenne bzw. kannte, weil verstorben, auch Täter und darunter befindet sich auch eine Frau. Zugegeben Frauen sind in dem Fall eine absolute Minderheit. Aber gewalttätige Frauen innerhalb der Familie und Ehe, gibt es sehr wohl.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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