Journal Samstag, 28. Dezember 2024 – Berlin Tag 2 mit Museum für Fotografie und Kabarettistischem Jahresrückblick

Sonntag, 29. Dezember 2024 um 9:05

Der Nachtschlaf begann mühsam, da jemand direkt neben mir oft trocken husten musste. Als ich bereits meinen Umzug auf den Boden des geräumigen Badezimmers plante (Unterlage Yogamatte und die beiden großen Badetücher), hörte der Husten lang genug auf, dass ich einschlafen konnte.

Der Himmel tagte deutlich heller als am Freitag, manchmal sah man fast sowas wie Blau, schien fast sowas wie Sonne.

Nach Ausschlafen, Morgenmilchkaffee, Bloggen und Trödeln gingen wir in einen nahegelegenen Supermarkt und besorgten Frühstück (für Herrn Kaltmamsell für gleich). Die erste Tageshälfte nutzten wir für einen ersten Besuch des nahegelegenen Museums für Fotografie, den ich mir bei jedem Vorbeifahren mit der S-Bahn vorgenommen hatte.

Dominiert wird das Muesum von dem Werk Helmut Newtons und der Dauerausstellung “Helmut Newton’s Private Property”, im Treppenhaus prangen riesig seine ikonischen weiblichen Ganzkörper-Nackten in Absatz-Pumps. Dass dazu neben Newtons Fotos auch einige Vitrinen mit Devotionalien gehören (Kleidung, Fotoapparate, ein Nachbau seines Arbeitszimmers), hatte etwas Niedliches.

Vor allem aber wurde mir bewusst, wie sich mein Blick auf Newtons Werk über die Jahrzehnte verändert hatte. Als Tochter der 1980er bin ich ja praktisch groß geworden mit seinen Fotos, sie prägten meine 80er ähnlich wie die Ästhetik von Robert Mapplethorpe und Keith Haring.

Doch mittlerweile verursacht mir dieses spezifisch Gestellte vor allem seiner nackten jungen normschönen Frauen frontal von vorne Unbehagen: Viel vordergründiger als früher springt mich an, dass sie selbst nie im Leben auf die Idee gekommen wären, so zu posieren – mit angespannten Muskeln, starrem Blick, Ganzkörper-geschminkt und mit diesem Hohlkreuz, das die Brüste auf die Rippen wie auf ein Tablett legt. Heute strahlen diese Aufnahmen für mich in erster Linie Fremdbestimmtheit aus.

Herr Kaltmamsell beobachtete, dass Newtons klassische Bilder extrem statisch sind, nie eine Geschichte erzählen. Das ist wohl dem Genre Modefotografie inhärent – und dass mir journalistische Fotografie, die per Definition eine Geschichte erzählt, deutlich besser gefällt, ist nun wirklich individuelle Geschmacksache. Auch solche eher dokumentarische Fotos sahen wir von Helmut Newton, nämlich in der Ausstellung “Berlin Berlin”. Ein weiterer Teil dieser Ausstellung zeigte Berlin-Fotos anderer Fotograf*innen über Jahrzehnte: Vielsagend in Perspektive, Stil, Veröffentlichungsgeschichte.

Graue Museumswand, daran neun weiß gerahmte Schwarz-weiß-Fotos, darüber der Schriftzug "Maria Sewcz"

Das Werk von Maria Sewcz sprach mich meisten an.

Ebenfalls interessant: Im Obergeschoß die derzeitige Ausstellung “FOTOGAGA. Max Ernst und die Fotografie”. Schönste Überraschung hier: Ich begegnete Herrn ronsens, einem Blogger aus der Ursuppe des Webs, den ich online in seinen Antville-Zeiten kennengelernt hatte, also vor über 20 Jahren. (Beim Familienweihnachtsfeiern hatte ich noch mit den Nifften über die Einmaligkeit und Beständigkeit von Nicks der Web-Anfangsphase gesprochen: Selbstverständlich erkenne ich mich in der Anprache “Kaltmamsell?”.)

Vor einer Mauer steht die grüngespante Bronze-Statue eines Kriegers mit Schwert und Schild, umgeben von Baustellen-Müll, fotografiert durch ein sichbares Baustellen-Gitter

Wenn ich aus Klagenfurt komme, habe ich immer Ideen für eigene Geschichten; wenn ich aus einer Foto-Ausstellung komme, habe ich einen geschärften Fotomotiv-Blick.

Zurück im Hotelzimmer frühstückte ich Apfel, Orangen, Hüttenkäse. Bald brachen wir zu Fuß Richtung Kreuzberg und zur Nachmittagsvorstellung des Kabarettistischen Jahresrückblicks auf – ein schöne Stunde Bewegung in kalter, klarer Luft mit ein wenig Sonne.

Sonnige Berliner Stadtansicht mit rechts Gedächtniskirche und links Bikinihaus, auf den Wegen Passant*innen

Breitscheidplatz.

Diesmal waren wir rechtzeitig am Mehringhof-Theater, damit wir nicht wieder nach Sitzplätzen nebeneinander jagen mussten – doch unsere Verabredung vor Ort hatte ohnehin welche gesichert. Erste ausführliche Gespräche mit diesem weiteren jahrelangen Internet-Kontakt, bevor zweieinhalb Stunden klassisches politisches Kabarett begannen, mit Songs, nachgestellten Politiker*innen/Berühmtheiten, darunter: Robert Habeck moderierte, versuchte sich im Duell mit Markus Söder, Dr. Angela Merkel erzählte und spielte aus ihrer Autobiografie (u.a. wie das damals mit der Kanzlerkandidatur von Edmund Stoiber wirklich war), Jogi Löw verglich seine Amtszeit als Männerfußball-Bundestrainer mit Merkels Kanzlerinnenschaft, Sahra Wagenknecht wurde Königin von Deutschland.

Fünf beleuchtete Personen auf einer Kleinkunstbühne vor schwarzem Hintergrund, links vier davon stehend hinter Mikrofonen mit Blättern in der Hand, rechts einer an einem Flügel sitzend, vor ihnen die Köpfe von Publikum

Eine vergnügliche Show, auch wenn ich nicht so viel über Berliner Stadtpolitik mitbekam wie im Vorjahr (den informativen Teil bekam ich aber von der lokalen Verabredung angereicht). Auch sprach mich eine Leserin dieses Blogs an (huhu!) – das Internet wohnt halt doch in Berlin.

Anschließend aßen wir mit der Verabredung zu dritt zu Abend im nahegelegenen Restaurant Bergmanns.

Mein Menü:

Aufsicht auf einen gedeckten Restauranttisch, im Vordergrund ein Teller mit gebackenen Teigstreifen, Salat, einer Burrata

Kichererbsen-Sokka mit Oliven-Püree, Aprikose, Frisée-Salat, Burrata. Dazu ein kräftiger Grauburgunder.

Aufsicht auf einen gedeckten Restauranttisch, im Vordergrund auf einem kleinen Teller aufgehäuft helles Gemüse

Sellerie aus dem Salzteig mit Miso-Cashew-Jus, Walnussbutter, Salbei. Jetzt ließ ich mir einen vielschichten Riesling bringen.

Nahaufnahme: Auf einem Holztisch ein kleiner gräserner Pokal mt einer Kugel Eis, darauf Knusper, rechts davon dunkles Gebäck

Nachtisch: Blaubeeren, Schokolade, Zitronen-Ricotta Eis, Schoko-Muffin. Mir schmeckte alles davon.

Abschied draußen in jetzt strengerem Frost, aber mit Aussicht auf ein Wiedersehen in wenigen Monaten. Zurück nach Charlottenburg ließen wir uns mit U-Bahnen bringen.

§

Geschlechter-inklusive deutsche Sprache ist ja leider ein Kriegsschauplatz geworden, auf dem sich Menschen in erster Linie angegriffen fühlen und auf dem überhaupt in erster Linie gefühlt wird. Schon lange meide ich dieses Thema in Diskussionen, weil ich mit den umgehend aufflammenden Affekten nicht umgehen kann. In der Arbeit verweise ich auf die offiziellen Schreibregeln meines Arbeitgebers: Wie bei vielen anderen Details (z.B. Groß- und Kleinschreibung bestimmter Begriffe) muss ich hier gar nichts entscheiden, sondern nur abgleichen und auf Konsistenz achten.

Doch es gibt auch weiterhin Forschung zur Verwendung von generischem Maskulinum im Gegensatz zur Verwendung von mehreren Formen, hier ein aktueller Überblick aus dem Psychologie-Medium The Inquisitive Mind:
“‘Frauen werden doch mitgedacht!’ – An wen denken Menschen bei Formulierungen im generischen Maskulinum wirklich?”

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Samstag, 28. Dezember 2024 – Berlin Tag 2 mit Museum für Fotografie und Kabarettistischem Jahresrückblick“

  1. Croco meint:

    Danke für den Artikel.
    Ich merke es an mir selbst. Wenn eine Klasse sagt ”Diese Jahr haben wir nur doofe Lehrer,“ denke ich immer “Uff, ich bin nicht mit gemeint.“
    Viel Spass in Berlin.

  2. Saumselig meint:

    Dieses mitgemeint hat für mich auch etwas Herablassendes. So in der Art: wir lassen dich doch ein bisschen mitspielen, also hör auf zu meckern.

  3. Andrea0966 meint:

    Wie sehr ich mich nicht mitgemeint fühle, merke ich bei englischsprachiger Literatur. Wenn da z. B. von “the teacher” die Rede ist, braucht es bis zum ersten “she”, bis ich merke, dass es um eine Frau geht.

  4. Beate meint:

    Ich merke bei mir selber, dass ich beim generischen Maskulinum fast nur an Männer, beim generischen Femininum nur an Frauen denke.

    Deswegen gendern!

  5. Karin meint:

    Als bayrische Lehrerin gendere ich mit dem allergrößten Vergnügen (kleine Rebellion)!

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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