Journal Freitag, 27. Dezember 2024 – Fahrt nach Berlin, Roman The Little Red Chairs, Film All We Imagine as Light
Samstag, 28. Dezember 2024Eine eher unruhige Nacht, aber ich stand recht frisch früh auf. So hatte ich reichlich Zeit für Reisevorbereitungen, auch wenn unser ICE nach Berlin noch vor neun fuhr.
Hier fährt er ein, unser Zug, in geradezu klirrendem Frost.
Dieser Frost begleitete uns vorm Zugfenster bis Berlin, mal mit dicken Raureif, mal mit eher verhaltenem, mal in Nebel, dann wieder unter Hochnebel. Bei überpünktlicher Ankunft in Berlin Hauptbahnhof tat der Berliner Winter im Gegensatz zum Vorjahr seinen Job: Bleihimmel, kalt.
Im Zug las ich Edna O’Brien, The Little Red Chairs aus, bis zuletzt wusste ich nicht recht, welche Geschichte hier eigentlich erzählt wurde. Dass der geheimnisvolle Naturheiler, der im irischen Dorf auftaucht, nach dem Vorbild des Kriegsverbrechers Radovan Karadžić gezeichnet war, wusste ich bereits aus dem Klappentext: Keinerlei Spannungsbogen, und noch vor der Hälfte des Romans wurde er verhaftet und vor das UN-Tribunal in Den Haag gebracht. Dazu kam die Geschichte einer verheirateten Dorfbewohnerin, die eine Affäre mit ihm angefangen hatte und grauenhaft dafür bezahlte.
Dazwischengewoben, und das mochte ich am meisten: Sehr viele individuellen Geschichten von Migranten und Geflüchteten in der Gastronomie und Hotelerie in Irland, später in London – immer von ihnen selbst erzählt (die Anlässe waren mal Geburtstagsfeiern, mal eine Selbsthilfegruppe). Aber sie waren praktisch nicht eingebettet in die Haupthandlung.
Am meisten nahmen mich die Kapitel mit, in denen die weibliche irische Hauptfigur mit Ende 30 mittellos und ohne Kontakte in London ein neues Leben beginnen muss, irgendwie Unterkunft und Arbeit finden – ich stellte mir die völlige Verzweiflung dieser Situation vor.
In Berlin brachten wir in der Nähe des Bahnhofs Zoologischer Garten unsere Sachen in ein schönes Hotelzimmer mit Küchenzeile und gingen erstmal Frühstücken. Auf meiner Liste hatte ich das 30 Minuten zu Fuß entfernte Frühstück 3000, gegen halb zwei marschierten wir dorthin los.
Ich bestellte eine Roastbeef Focaccia: Roastbeef eindeutig zu erkennen und ausgesprochen schmackhaft, auch die Scheibe Brot darunter sehr schmackhaft, aber keine Focaccia. Dazu eine sehr gute Basilikum-Ingwer-Limonade. Herr Kaltmamsell frühstückte Eggs Benedict.
Außer dem Anlass des Berlin-Ausflugs, nämlich der kabarettistische Jahresrückblick am Samstagnachmittag, hatte mein Hirn keine Pläne gemacht. Herumspazieren machte gestern in Nebel und früher Dunkelheit nicht recht Spaß, wir entschieden uns für einen Kinobesuch im Vorabendprogramm.
Vorher hatten wir noch ein wenig Zeit zum Ausruhen im Hotelzimmer, dann spazierten wir ins nahegelegene Kino Delphi Lux und sahen All We Imagine as Light.
Großartiger Glitzervorhang!
In diesem Fall wollte ich definitiv die Originalsprachen Malayalam, Hindi und Marathi hören und sie mir mit Untertiteln übersetzen lassen, eine deutsche Synchronisation wäre mir ungeheuer gekünstelt erschienen.
Der Film gefiel mir sehr gut: Wunderbar alltagspoetische Bilder ohne leisesten Kitsch (Drehbuchautorin/Regisseurin Payal Kapadia kommt vom Dokumentarfilm), die drei zentralen Figuren, die alle in Mumbai im selben Krankenhaus arbeiten, interessierten mich sehr – und wurden von hervorragenden Schauspielerinnen dargestellt. Und ich war sehr von einem Erzählfluss angetan, der nur wenig erklärt. Leider konnte ich aber die Sprachen nicht unterscheiden, dabei spielte die Verschiedensprachigkeit durchaus eine Rolle.
Hier der US-Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=2mgQcpmYr_A
Auf dem Weg zurück ins Hotel fragten wir uns unter anderem, an wen sich der Film richtete – wohl am ehesten an westliches Publikum?
Zum Abendessen hatte wir uns in einem Supermarkt eine Dose Linseneintopf besorgt und nutzte die Küchenzeile. Schokolade zum Nachtisch gab es auch.
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Ingolstädter Geschichte in der taz:
“Widerstandskämpfer war in Wirklichkeit Nazi”.
Ich weiß, dass Thomas Schuler schon als Donaukurier-Volontär (seine Ausbildungszeit überschnitt sich mit meiner) zu unserem damaligen Verleger Reissmüller recherchierte, anfangs noch in erster Linie über seine fragwürdigen Methoden, Konkurrenzmedien in Ingolstadt zu unterbinden: Unter uns Volontär*innen kursierte eine Hefter mit dem Material, das der Schuler Tom (wir kannten uns schon vorher von den Pfadfindern) zusammengestellt hatte.