Archiv für Dezember 2024

Journal Freitag, 20. Dezember 2024 – Ackern in die Weihnachtsferien, rape culture

Samstag, 21. Dezember 2024

Unruhiger Schlaf (unter anderem fiel mir ein, dass ich ein Weihnachtsgeschenk vergessen und nicht eingepackt hatte), müde aufgestanden. Letzter Marsch in die Arbeit vor Weihnachtferien in Nachtdunkel, zumindest hatten sich Sturm und Regen gelegt.

Letzter Tag vor Weihnachtsferien in ungewöhnlich hohem Arbeitsturbo. Eine Ursache: Menschen, die eigentlich diese Woche schon in Weihnachtsurlaub waren, arbeiteten in diesem Urlaub durch. Hat auf eine Assistenz ähnliche Auswirkung wie durchgearbeitete Wochenenden von Schnittstellen. Also verbrachte ich die ersten anderthalb Stunden im Büro mit Aufarbeiten der Nacht. Als immer weitere Querschüsse reinkamen, schaltete ich einfach schon mal die Abwesenheitsnachricht ein – ein bisschen hilflos, denn bei zu vielen anderen bedeutete sie ja offensichtlich keineswegs das, was drinstand (“Ich bin derzeit nicht im Büro und lese meine E-Mails nicht.”). Warum sollte sie also jemand ernst nehmen?

Zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben fürchte ich mich vor dem ersten Arbeitstag nach Weihnachtsferien. Bisher konnte ich mich darauf verlassen, dass in diesen einen Ferien im Jahr wirklich, wirklich nichts passieren würde (Krisen ausgenommen), in dieser Zeit war alles zu, tat überhaupt niemand etwas. Dieses Jahr muss ich davon ausgehen, dass andere auch in diesen beiden Wochen das Arbeiten nicht sein lassen.

Mittagscappuccino an der Theresienhöhe. Es war geradezu winterlich kalt. Auf dem Hinweg traf ich auf den einstigen Sandkastenfreund jetzt Arbeitskollege (und NICHT bei Audi!), wir tauschten Weihnachtspläne mit Ingolstädter Familie aus.

Café-Szene, im Vordergrund auf einer Holztischplatte eine Tasse Cappuccino, daben liegen Mütze und Fingerhandschuhe, dahinter ein goldenes Bäumchen, im Hintergrund Menschen an Café-Tischen, dahinter Wand-große Fenster, durch die moderne Gebäude sichtbar sind

Abschied von Weihnachtsdeko.

Auf dem Rückweg sprach mich ein Kameramann mit Mikrofrau an: Straßenumfrage fürs Lokalfernsehen zu Weihnachten. Und seit ich als junge Lokalradio-Volontärin bei Straßenumfragen so froh war um jede*n Angesprochene*n, die nicht wegliefen, bleibe ich bei sowas immer stehen und spiele mit. Auf dem Stück bis ins Büro fiel mir die weihnachtlichste meiner Straßenumfragen ein: Wie ich Weihnachten 1987 Ingolstädter*innen dazu brachte, mir Weihnachslieder ins Mikrophon zu singen. (Später suchte ich sie daheim raus: Wenn Sie nachhören möchten, bitte schön.) (Mit falscher Grammatik für indirekte Rede.)

Zu Mittag gab’s am Schreibtisch Pumpernickel mit Avocado.

Später vorm Bürofenster ein Schauer Schneegriesel, abgelöst von einer Phase mit Deko-Flöckchen.

Wie geplant machte ich um drei Feierabend, also noch bei echtem Tageslicht. Allerdings ackerte ich bis zur letzten Minute (konnte aber noch unerwartet Dinge abschließen).

Auf dem Heimweg reichlich Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner. Zu Hause kam ich im immer noch Hellen an. Es war noch Zeit für Plaudern mit Herrn Kaltmamsell, draußen schneite es kurz. Zeit für eine halbe Stunde Yoga-Gymnastik, ein zackiger Flow. Mittlerweile habe ich erfahren, dass es im Januar 2025 kein neues 30-Tage-Programm mit Adriene geben wird, mal sehen, wie ich weitermache.

Für den Abend hatte ich einen Tisch für Herrn Kaltmamsell und mich im Neni reserviert.

Dort gab es Alkohol, auf den ich mich sehr gefreut hatte, in Form von Sicilian Spritz (Bitterorange) und Amalfi Spritz (Zitrone), außerdem ließen wir uns das Menü mit einmal alles servieren. Berlin-Vibes, als einer der Kellner, dessen Deutsch akzentfrei klang, mit uns meist Englisch sprach.

Gelbe Leuchtschrift "Neni München" an einer Betonwand in einem wenig beleuchteten Gastraum

Etagere auf einen Tisch mit grauer Oberfläche, gefüllt mit den Speisen, die unterm Foto beschrieben sind

Die Vorspeisen von oben: Lachs-Sashimi, Babaganoush, Falaffel, dazu hervorragendes Pitta. Als Hauptspeise kamen die drei Teller Sabich (gebackene Aubergine), gebratene Dorade (im Ganzen, aber ohne Gräten – ich war sehr beeindruckt), Hühnchen mit Hummus und Paprika – alles wunderbar.
Auf einem Brettchen der Nachtisch: Cheese cake und Sesam hoch 3 bestehend aus geröstetem Sesam, Muscovado-Eis, Halva-Spänen.

Zu Hause gab es noch Espresso (koffeinfrei) und Schnaps, den guten Enzian – wirklich aromatisch, warum ist der in Vergessenheit geraten?

§

Ich ringe immer noch um Worte für das, was Gisèle Pelicot angetan wurde – und für meine Bewunderung ihrer menschlichen Größe, ihrer Selbstlosigkeit, ihres unfassbaren Muts, den Prozess gegen die Täter für das Ziel zu nutzen: Die Scham muss die Seite wechseln. So konnte im Gerichtsprozess jeder sehen, dass sich Männer an einer bewusstlosen Frau vergingen. Ganz normale Männer aus der Nachbarschaft, keine Monster, die nachts aus einem Busch sprangen. Und nicht zwei oder drei, sondern über 80. Sowie ihr eigener Ehemann, der sie im Internet dafür anbot.

Gisèle Pelicot nahm durch den öffentlichen Prozess in Kauf, dass auch sie als Opfer sichtbar wurde – einer der häufigsten Gründe, warum Frauen sexualisierte Gewalt gerade im beruflichen Umfeld nicht anzeigen: Sie wollen nicht für alle Zukunft über diese Gewalt definiert werden. Dieser öffentliche Prozess hat hoffentlich endgültig damit aufgeräumt, dass Vergewaltigung irgendwas mit Erotik zu tun hat, mit zu kurzem Rock, zu tiefem Ausschnitt – mit irgendwas, was die Schuld auf die Seite des Opfers schiebt. Es gab sehr wohl Männer, die bei den Pelicots zurückschreckten, als sie die Bewusstlosigkeit des Opfers bemerkten. Doch keiner von ihnen hat Gisèle geholfen und ihren Mann gemeldet.

Und dann wurde dieser Tage auf der Messenger-Plattform Telegram ein weiteres Vergewaltiger-Netzwerk aufgedeckt, die Opfer stammen wieder aus dem engsten Familienkreis. Das ist die Hauptbedrohung für Frauen, der Fall Pelicot ist eben kein grotesker Einzelfall. Kein Mann kann sich hinter dem Selbstbetrug verstecken, dass es in seiner Umgebung sicher keine Vergewaltiger gibt: Der schlechte Vergewaltigungs-Witz des Kollegen ist wirklich nicht lustig, sondern Symptom für eine Geisteshaltung, die solche Vergewaltiger-Netzwerke ermöglicht. DAS meinen wir Feministinnen mit rape culture. Gisèle Pelicot ist zu verdanken, dass das niemand mehr bestreiten kann. Danke.

Post auf Mastodon von @irritationshintergrund: "Es ist schon komisch, dass jede Frau ein Opfer kennt, aber kein Mann einen Täter"

Journal Donnerstag, 19. Dezember 2024 – Weihnachtsbasteln

Freitag, 20. Dezember 2024

Immer wieder musste ich mir vorsagen, dass erst DONNERSTAG! war. Was für eine Woche.

Nach mittelguter Nacht wurde der Morgen klar. Auf dem Weg in die Arbeit merkte ich deutlich, dass der Sonnenaufgang bereits nach früher gerutscht war (längere Tage brauchen aber noch). Gerade als ich die Theresienwiese betrat, flog ein riesiger, lauter Krähenschwarm über mich hinweg Richtung Tollwood-Zelte. Ich blieb zum Gucken stehen – so schön!

Unter blauem Himmel mit Mond ein Hallengebäude mit großen Fenstern, in denen sich Morgenrosa und kahle Bäume spiegeln, davor ein gepflasterter Platz, übder den gerade ein Radler kommt

Verkehrsmuseum, in dem sich die Bäume um die Theresienwiese spiegeln.

Die Luft knapp über Null atmete sich herrlich.

Der Tag machte allerdings nicht weiter mit dem schönen Wetter: Bald bedeckte sich der Himmel.

Endlich wieder ein Bürotag mit ruhigem Abarbeiten, ich hatte sogar Zeit, dazwischen inne zu halten und nachzudenken.

Mittagscappuccino in der Nachbar-Cafeteria, danach am Schreibtisch leider ein Schwall unkoordinierter Querschüsse.

Über die eigentliche Mittagspause stempelte ich aus für einen Termin bei meiner Beine-Enthaarerin: Zackiger Marsch hin, konzentriertes Beine-Enthaaren (mir fielen auf die Frage noch meinem Weihnachtsbefinden leider keine gnädigen Lügen ein, die arme Frau bekam die volle Wucht Arbeits-Hadern ab), zackiger Marsch zurück.

Am Schreibtisch Mittagessen: Mango (recht gut) mit Sojajoghurt.

Ich disziplinierte mich zu nicht zu spätem Feierabend, denn ich hatte Pläne: Weihnachtsgeschenke einpacken. (Herr Kaltmamsell weihnachtsfeierte aushäusig.) Auf dem Heimweg war es weiterhin nicht kalt.

Zu Hause machte ich mich gleich an den Bastelteil der Weihnachtsgeschenke.

9 Päckchen in Weihnachtspapier und mit Schleifen auf Riemchenparkett vor Bücherschrank

Nach einer guten Stunde war ich durch, ohne Verletzungen oder Ärger.

Nachtmahl: Feldsalat aus Ernteanteil, Pumpernickel mit Crowdfarming-Avocado.
Merke: Wer zu faul für schwimmendes Waschen des Feldsalats ist, muss sehr vorsichtig kauen und sich einreden, dass Sand und Erde super für die Verdauung sind.

Glasteller auf grünem Platzset, auf dem Teller zwei Scheiben schwarzes Brot, darauf aufgeschnitten je eine Avocado-Hälfte, darauf Balsamico-Streifen, daneben Besteck, dahinter ein aufgeklappter Laptop

Währenddessen war Unwetter ausgebrochen: Heftiger Wind blies heftigen Regen gegen die Fenster.

Nachtisch: Panettone, Plätzchen. Warten auf Erleichterung und Ferienvorfreude, weil jetzt eigentlich Weihnachten abgehakt war.

Früh völlig erledigt ins Bett. Zu erledigt zum Lesen (das will was heißen!), aber noch nicht müde genug zum Schlafen: Ich hörte ein wenig Musik und sah aus dem Fenster in die hellgrauen Wolken, aus denen es schneeregnete.

§

HAHAHA! Das nenne ich aber mal Leser*innen-Service.
“Das große ABC der Klassik-Rechtschreibfehler”.

Von A capella bis Zarathrusta – Personen, Werke und Fachwörter, die besonders oft falsch geschrieben werden

via Kritische Masse

(Leider muss ich aber die Überschrift korrigieren: Das Alphabet heißt Abc, ABC ist die Abkürzung für Atomar-Biologisch-Chemisch. Weshalb mich das hartnäckig falsch geschriebene “ABC-Schütze” so gruselt.)

Journal Mittwoch, 18. Dezember 2024 – Weihnachtsgeschenkevollzug

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Dass ich immer wieder ein Freitagsgefühl hatte, lag nicht nur an den brutalen Arbeitstagen Anfang der Woche: In der Münchner Innenstadt machte sich bereits weihnachtliche Leere breit, es begannen die Tage ohne Parkplatzprobleme.

Der Tagesanbruch zeigte noch heiteren Himmel, aber es zog immer weiter zu. Im Büro arbeitete ich zackig auf die Freiheit eines Mittagscappuccinos im Westend hin, das klappte auch.

Mittagessen erst kurz vor zwei, weil Besprechungen um die Mittagszeit: Joghurt mit Sahnequark.

Den Nachmittag durchgeackert. Recht erledigt nur wenig spät Feierabend gemacht, denn ich hatte Pläne: Letzte Weihnachtsgeschenkbesorgungen in der Innenstadt. Der Marsch dorthin war schön, die lediglich kühle Luft erinnerte mich an das eine Kindheits-Weihnachten bei der Tante im italienischen Latio, die Luft roch auch ein wenig so.

Vor schwarzer Nacht ein paar beleuchtete Buden und ein leuchtende Kinderkarussel, Silhouetten von Mensche

Kinder-Christkindlmarkt auf der Theresienhöhe vorm Verkehrsmuseum.

In der Innenstadt arbeitete ich meine Liste zügig ab, war in allen Punkten erfolgreich und kann Vollzug melden: Alle Geschenke rechtzeitig für Christkindl im Haus, es müssen nicht die reyes bemüht werden – der spanische Migrationshintergrund lässt ja die Hintertür, dass Geschenke erst an Heilig drei König kommen. Jetzt fehlt nur noch das Einpacken. (“NUR”, HAHAHAHAHA!)

Zu Hause war ich spät, wir hatten uns die Option Christkindlmarkt für Abendessen offen gehalten. Doch die Entscheidung fiel dann doch zugunsten heimischen Nudeln mit Tomatensauce, davor hatte ich noch Zeit für Häuslichkeiten.

Auf einem grünen Tisch-Set ein weißer Teller mit Spaghetti, darauf Tomatensauce, darauf geriebener Käse, rechts vom Teller eine rote Stoffserviette, darauf Gabel und Löffel

Danach erstmal Saucenspritzer aus der weißen Bluse handwaschen.
(Die Tomatensauce war leicht scharf und enthielt Kapern – hervorragend.)

Nachtisch Früchtebrot mit Butter, Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, neue Lektüre: Edna O’Brien, The Little Red Chairs nahm mich mit nach Irland.

§

Letzthin fiel mir eine Geschichte aus meiner eigenen Vergangenheit ein, die illustriert, wie das World Wide Web einmal war, vor über 20 Jahren. Zum Glück hatte ich sie schon 2004 in meinem Blog aufgeschrieben, einige Details waren mir entfallen.

Und dieses Web werde ich wohl nie aus meinem leicht naiven Blick aufs Internet rauskriegen (was aber auch damit zusammenhängt, dass mir aus dieser Zeit so viele Menschen-Kontakte geblieben sind).
“Anruf aus Hollywood”.

(Harlan Ellison ist jetzt auch schon über sechs Jahre tot, seufz.)

§

Hazel Brugger kennt sich im Trend moderne Hausfrau voll aus.

Journal Dienstag, 17. Dezember 2024 – Hochleistungstag und Annette Hess, Deutsches Haus

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Vor Wecker aufgewacht, aus eigentlich gutem Schlaf war ich nachts mehrfach wegen Schmerzen im linken Fuß aufgewacht. Vielleich als Gute-Nacht-Snack doch hin und wieder eine Ibu.

Früher als sonst das Haus verlassen. Das war mir recht, denn gestern war der letzte Großkampftag vor den Weihnachtsferien.

Während ich durch die Gänge und Treppenhäuser peste, rauslief zum Einkaufen, weiter wuselte, schien draußen die Sonne, die Luft wurde mild. Die 15.000-Schritt-Marke riss ich noch vor 12 Uhr. Dann war aber das Heftigste rum, ab jetzt konnte ich verhältnismäßig geordnet weiterarbeiten.

Zu Mittag gab es Mandarine, Apfel sowie Mango mit Sojajoghurt.

Sehr emsiger Nachmittag, vor Feierabend nochmal Hochdruck. Gestern arbeitete ich definitiv wieder für zwei, das will ich doch gar nicht.

Eher spät verließ ich beladen das Büro (Tablett, Obstkorb – gibt es vor Ort halt genauso wenig wie einen Catering-Dienst) – und merkte vorm Haus, dass ich überhaupt keine Lust hatte, so nach Hause zu laufen, zumal mir die Füße vom reichlichen Rumrennen über den Arbeitstag weh taten. Also wollte ich mich vom 62er-Bus gemütlich heimschaukeln lassen.

War dann nicht so gemütlich, weil ich erst ungewöhnlich lange auf den Bus warten musste (eigentlich 7-Minuten-Takt), der dann ziemlich voll war. Egal. Jetzt war mir endlich alles egal (fast).

Völlig durch daheim. Yoga-Gymnastik tat aber gut. Und ich bekam Gutes zu essen:

Aufsicht aus gedeckten Tisch: links eine Schüssel mit lila Kartoffel- und orangen Karottensticks, in der Mitte ein Schüsselchen Kräuterquark, recht ein Teller mit einem gelben Fladen, darauf Käseschnitze

Karotten und lila Süßkartoffeln als Ofen-Fritten (ein paar Frühlingszwiebeln waren auch noch da), dazu Kräuterquark, außerdem eine Farinata aus Maismehl mit Käse. Nachtisch Süßigkeiten.

Fassungslosigkeit, als mir klar wurde, dass erst Dienstagabend war.

Früh ins Bett zum Lesen, Annette Hess, Deutsches Haus ausgelesen.

Die Geschichte aus den 1960ern um den Frankfurter Auschwitzprozess aus der Perspektive einer einheimischen Dolmetscherin (meist, wir bekommen hin und wieder auch die personale Perspektive anderer Figuren) versucht die gesellschaftliche Atmosphäre der Zeit zu vermitteln. Wie es für jemanden aus der Generation meiner Eltern gewesen sein muss, Anfang bis Mitte der 1940er geboren, die Abgründe der Gräuel vom Auschwitz zu entdecken. Und die Rolle, die die eigenen Eltern dabei spielten. Wie unterschiedlich der Umgang mit dieser Entdeckung war, von hartnäckiger Leugnung bis zu tiefem Bedürfnis nach Wiedergutmachung. Auch die Opferseite wird differenziert und vielfältig geschildert, als Zeugen treten Individuen auf und ihr unterschiedlicher Umgang mit unvorstellbaren Erlebnissen.

Gleichzeitig zeigt der Roman anhand der Hauptfigur Eva Bruhns (auch an ihrer Schwester), wie sich die Rolle und die Ansprüche von Frauen in Deutschland in dieser Zeit änderten, gerade in Abgrenzung zu ihrer Mutter. Am Rande tauchen Entwicklungen wie die Einwanderung von Gastarbeitern auf (die soweit ich weiß damals und bis in die späten 70er eher “Fremdarbeiter” genannt wurden, das kannte man aus dem Dritten Reich so für ausländische Arbeitskräfte – die allerdings Zwangsarbeiter*innen gewesen waren), inklusive rassistischer Ablehnung.

Der beste erzählerische Kniff: Missverständnis weil Fremdsprache. An einigen Schlüsselstellen übersetzt die Hauptfigur Eva Bruhns aus dem Polnischen falsch – anfangs weil sie als eigentlich Fachübersetzerin für Technisches die Wörter nicht kennt, später weil sie sich verhört (ich gehe mal davon aus, dass die sprachlichen Ähnlichkeiten sauber recherchiert sind, leider spreche ich nicht das Polnisch dieser meiner Familienseite). Das hätte man ausbauen können.

Sollte die falsche Verbform für die indirekte Rede (taucht noch an einer einzigen weiteren Stelle um die Figur Jürgen auf) in der Absicht verwendet worden sein, eine Lüge zu markieren (bis zum Schluss bleibt die Erzählinstanz abstrakt) – hinkt das Stilmittel auf beiden Beinen. Hätte man schon machen können, aber dann hätten auch alle Lügen der Angeklagten im Gerichtsprozess so geschrieben werden müssen und alle weiteren Lügen – aus denen der Roman ja im Grunde gewoben ist, aus Lügen und Selbstlügen. Wäre halt unlesbar geworden.

Journal Montag, 16. Dezember 2024 – Meine Montage geben selten was her

Dienstag, 17. Dezember 2024

Gut geschlafen, im Stockfinsteren und milderer Luft in die Arbeit marschiert.

Neuer, zeitraubender Überfall im Arbeits-Postfach, zu erschöpft für Panik.

Über den Tag wurden die Wolken am Himmel immer weniger, kurz nach drei sah ich komplett wolkenfreies Blau in sinkendem Sonnenlicht.
Allerdings nur aus dem Augenwinkel, weil – oh mei.

Mittagscappuccino bei Nachbars zwischen Draußenbesorgungen für die Arbeit. Mittagessen nach halb zwei (kein Appetit plus Bedürfnis, erstmal den Überfall-Job vom Morgen zu mindestens der Hälfte abzuarbeiten): Apfel, Avocado mit Grapefruit – alles sehr schmackhaft.

Arbeitsnachmittag mit viel Rumlaufen, aber das ist mir die liebste Art von Unruhe. Auf eine unerwartete Weise beeinflusste die gestrige Vertrauensfrage im Bundestag, mit der voraussichtlich der Bundestag aufgelöst wird, meinen Arbeitsrhythmus.

Mittelspäter Feierabend – da ich wusste, dass Herr Kaltmamsell den Abend aushäusig war, riss ich mich nicht so am Riemen. Auf dem Heimweg Lebensmitteleinkäufe. Es war mild genug für Weglassen von Mütze und Handschuhen. Und ich sah nach sehr Langem mal wieder Sterne am Himmel.

Daheim Weihnachtskarten, Teil 1 (eigentlich Teil 3, denn Herr Kaltmamsell hatte am Wochenende ordentlich vorgelegt), Yoga-Gymnastik (wieder eine wirklich interessante und wohltuende Folge mit Jessica Richberg), ausführliche Brotzeit-Vorbereitung für die Arbeit.

Abendessen war der Großteil des Rests vom sonntäglichen Rehgulasch mit Semmelnknödeln, ich dachte an die Mikrowelle als Erwärmungsgerät. Nachtisch Mango mit Joghurt (die Brotzeit-Mango war zu riesig für das große Schraubglas gewesen), Schwiegermutters Früchtebrot mit Butter. Weihnachtskarten, Teil 2.

Früh ins Bett zum Lesen.

§

Der Anlass für diesen Artikel ist bereits eine Weile her, dennoch lesenwert: Der Guardian-Nachruf auf Computer-Programmierin Mary Lee Berners-Lee, die Mutter von Tim Berners-Lee – und damit die Großmutter des World Wide Webs:
“Mary Lee Berners-Lee obituary”.

Tim recalled that his mother had a strong sense of the potential of computers right from the start. “It was obvious to us growing up how incredibly exciting it was,” he said, “not just that you had a new device, but the sense that what you could do was limited only by your imagination.”

Journal Sonntag, 15. Dezember 2024 – Ehre der Wicked Witch

Montag, 16. Dezember 2024

Gute Nacht, auch mit längerem Schlaf als an Arbeitstagen.

Gegen zehn, als ich mich gerade für meinen Isarlauf fertigmachte, veränderte sich das bislang graue Licht vorm Fenster. Es würde doch nicht…? Doch: Da ein bisschen blauer Himmel, dort ein Fleck silberne Wintersonne.

Ich lief von Haustür zu Haustür: Alter Südfriedhof, Wittelsbacherbrücke, Thalkirchen, Maria Einsiedel und über den Flaucher (an dem sich gerade Eisbader*innen nach ihrem Eintauchen wieder anzogen) zurück. Sonne gab es nur ganz wenig, auf dem Hinweg blies ein schneidender Gegenwind, aber zumindest bekam ich gemischten Himmel statt dem Einheitsgrau über München der vergangenen beiden Wochen. Mein Körper spielte gut mit, fast keine Extraschmerzen.

Alter, parkähnlicher Friedhof mit kahlen Bäumen, Sonne bescheint zwei alte Grabsteine

Blick über einen Brückenrand auf einen FLuss, in dem sich blauern Himmel spiegelt; im Hintergrund eine Insel mit Bäumen, links am Ufer eine Kirche mit zwei Türmen

Blick auf einen Fluss, am diesseitigen Ufer ein Marterl, am gegenüberliegenden eine sonnenbeschienene Hütte

Blick einen schmalen Wasserlauf entlang, an beiden Seiten gesäumt von kahlen Bäumen, im Hintergrund ein altes Wehrgebäude, davor klein ein Kanufahrer

Frühstück kurz vor eins: Avocado auf Pumpernickel mit Crema di Balsamico, wunderbar. Dann war es schon Zeit für den Aufbruch mit Herrn Kaltmamsell zur Nachtmittagskultur, und zwar:

Manche Menschen erkennen das Vorbild meiner wundervollen roten Glitzer-Mary-Janes und rufen: “Dorothy!” Das freut mich, denn hierzulande ist Wizard of Oz von 1939 wirklich nicht Allgemeinbildung, und auch ich bin für Details auf das fundierte Wissen von Herrn Kaltmamsell angewiesen. Doch eigentlich, das füge ich inzwischen immer hinzu, bin ich Team Wicked Witch (genauer Wicked Witch of the East, auf die ich mich mit diesem Outfit bezog).

Doch erst die Rezension vergangenen Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung informierte mich, dass es 1.) über die Wicked Witch ein Musical gibt, Wicked, das 2.) jetzt als Film in den Kinos läuft. Ich schimpfte Herrn Kaltmamsell, dass ich sowas aus der Zeitung erfahren muss, und gestern Nachmittag sahen wir ihn in den Museum Lichtspielen.

Schöner Film, sensationelle Kostüme (ich hatte auf Iris van Herpen getippt, aber nein: Paul Tazewell, der sich doch aber von ihr inspirieren hat lassen!) , wundervolle Cynthia Erivo, überraschend interessanter Charakter Glinda, Göttin Michelle Yeoh, beste Make-over-Szene ever, beeindruckender Gesang der beiden Hauptdarstellerinnen (allerdings ertappte ich mich bei dem Verdacht, da könnte heutzutage technisch nachgeholfen worden sein) – allerdings können weder Herr Kaltmamsell noch ich mit der Musical-Musik der vergangenen 20 bis 30 Jahre etwas anfangen (Andrew Lloyd Webber hat alles kaputt gemacht): Alles Hymnen, nichts könnte außerhalb dieser Musicals geschehen, fast keine eingängigen Melodien. Der eine Schlager in Wicked: “Defying Gravity”. Mir sind halt die Musicals lieber, vor allem Filmmusicals nach dem Muster: Handlung, Song, Handlung, Song. Gesungene Handlung finde ich ja auch in Opern albern. War auf jeden Fall den Sonntagnachmittag wert, wenn auch nicht 2 Stunden 40 Minuten, ächz.1

Elend beim Gedanken an die nächste Arbeitswoche. Eigentlich hatte ich als Karotte vor Augen, dass nach dem Dienstag mit Hochdruck-Einsatz (der meine Teilnahme an zwei Weihnachtsfeiern blockiert, es ist nicht alles schlecht) erstmal alles rum ist, doch jetzt sitzt mir die viel komplexere neue Sache Ende Januar im Nacken.

ABER! Es gab echtes Sonntagsessen zum Nachtmahl: Rehgulasch von Herrn Kaltmamsell, und ich durfte Semmelnknödeln dazu machen (für die ich am Freitag beim Bäcker eigens Weißbrot zum Altwerdenlassen kaufte, das fühlt sich immer irre dekadent an) (nein, es gab kein Knödelbrot). Schmeckte beides hervorragend, allerdings waren meine Knödel ein wenig desintegriert – das Wasser hatte in einem unachtsamen Moment stark gekocht (die ersten 10 Minuten hatte ich aufgepasst, die zweiten 10 Minuten bei gleichbleibender Hitzezufuhr nicht).

Vorbereiten der letzten Arbeitswoche vor Weihnachtsferien, früh ins Bett zum Lesen.

  1. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen Filme “mit Überlänge” mehr Eintritt kosteten. Heute wäre ich bereit, für Filme unter 120 Minuten mehr zu zahlen. []

Journal Samstag, 14. Dezember 2024 – Ein wenig Sonnenschein ausgerechnet in Ingolstadt

Sonntag, 15. Dezember 2024

Mittelguter Schlaf und der bloß bis Werktags-Weckerklingelzeit. Der Wiedereinschlafversuch schubste mich lediglich ins Angstkarussell, ich stand lieber auf.

Bett abgezogen, Waschmaschine gefüllt. Dank zu frühem Aufwachem drappierte ich Laken und Bettüberzug schon vor neun über die Türen. Der Tag wurde nur wenig heller als Freitag, der Hochnebel ließ dem Licht wenig Chance.

Ich brach zeitiger als sonst zu meiner Schwimmrunde auf, denn für Nachmittag hatte ich Pläne. U-Bahn zum Olympiapark, dort im Grünen gegenüber der Olympiahalle eine niedliche Entdeckung: Ein Kaninchen hoppelte und saß unter den Büschen, hier hatte ich noch nie eines gesehen.

Das Schwimmen lief gut auf der mittel frequentierten Bahn, ich fühlte mich schnell und elegant. Gemein war allerdings, dass mein Hirn sich die neue Berufs-Aufgabe von Freitagabend als Beschäftigung aussuchte, Alternativen abwog, Ideen entwickelte. Ohne dass damit der Umstand verschwand, dass ich das alles eigentlich nicht unterkriege. Bekomme ich wieder nicht bezahlt. Dabei hätte ich die kreative Energie sehr gut für ein paar letzte Weihnachtsgeschenk-Ideen brauchen können. Doch in den gut 80 Minuten, die ich für meine 3.000 Meter brauchte, stiegen auch schöne Erinnerungen an den Tel-Aviv-Urlaub über Weihnachten und Neujahr vor elf Jahren auf, die genoss ich sehr.

Zurück daheim flinke Häuslichkeiten, zum Frühstück kurz nach eins machte ich mir eine Crowdfarming-Avocado mit Grapefruit.

Ausicht auf eine weiße Schüssel mit Stücken rosa Grapefruit und angematschten Avocado-Stücken, die sich auch über die Grapefruit und die Schüsselwand verteilt haben

Das kann man sicher appetitlicher anrichten. Ich nicht.

Plan für den Nachtmittag: Fahrt zu meiner Mutter nach Ingolstadt zwengs Weihnachtsgebäck-Austausch. Der Zug nach Nürnberg war ziemlich voll, ich hörte vielerlei Sprachen – wahrscheinlich waren die meisten Passagiere auf dem Weg zum dortigen Christkindlmarkt.

Zu meiner Überraschung riss kurz vor der Holledau einmal der Himmel auf. Zu meiner größeren Überraschung schien in Ingolstadt, DEM Nebelloch im Donautal, so richtig die Sonne. Mir ging auf dem Weg vom Nordbahnhof zu meiner Mutter das Herz durch und durch auf – ich hatte seit zwei Wochen keine Sonne mehr gesehen.

Aus München brachte ich Stollen (zum Teilen mit Bruderfamilie) und Schneeflocken, außerdem ein Hutzelbrot von der lieben Frau Schwieger, meine Mutter hatte für uns Dosen mit Plätzchen aus ihrer eigenen Produktion gefüllt. Wir saßen eine Weile über Tee zusammen und erzählten einander, das war schön.

Rückfahrt in einer wieder sehr vollen Regionalbahn; diese Herrschaften sahen aber nicht nach Christkindlmarkbesucher*innen aus. Zu Hause machte ich uns saisonale Drinks: Tee mit Rumtopf (dem schrecklichen Trockenfrüchte-Rumtopf, der einfach nicht alle gehen will).

Herr Kaltmamsell verwandelte den Großteil der Ernteanteil-Süßkartoffeln (ja: die dunklen Röhren waren ebenfalls Süßkartoffeln, und zwar lila-fleischige; die Exemplare in erwarteter Form erwiesen sich dafür als weiß-fleischig – ?) in Mac’n’Cheese mit starker Süßkartoffel-Betonung.

Auf Holzplatte im Vordergrund ein großer Glasteller mit Nudeln in dicker weißer Creme, darauf frische Kesse, im Hintergrund eine gläserne Auflaufform mit dem restlichen Auflauf, die Oberflche gebräunt, eine Hand nimmt gerade mit einem Servierlöffel daraus

Schmeckte ausgezeichnet (Kresse aus Ernteanteil). Nachtisch Schokolade.

Im Bett las ich weiter in Annette Hess, Deutsches Haus: Verdutzung und leise Empörung über eine lange Passage mit falschen Verbformen in indirekter Rede.

Die Geschichte von ihm und seinem großen Bruder. Sie wären zusammen aus Berlin ins Lager deportiert worden. Sein Bruder wäre im Widerstand gewesen und in die politische Abteilung gekommen. Dort wäre er bei einem Verhör so gefoltert worden, dass er daran gestorben wäre. Und man hätte ihn gerufen, den kleinen Bruder, der ihn wegschaffen musste. Er hätte ihn nicht wiedererkannt.

Und so weiter. Das ist Konjunktiv II für Irrealis statt Konjunktiv I, ich bin mit einem Studiendirektor verheiratet, ich muss sowas anprangern.

§

Hauck & Bauer haben den Deutschen Karikaturenpreis bekommen.

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https://youtu.be/FPxTl7m48uc?si=MD7MWuuS57PsQUdT

Lustig. (Allein das “Büro”!)